Indem ttnt zur ausführlichen Beantwortung all dieser Fragen «Ulf das vorliegende Buch verweisen, begnügen wir unS hier damit, die hauptsächlichsten Unterschiede zwischen antiker und Mittelalter- licher resp. frühmittelalterlicher Wirtschaftsordnung kurz zu charakterisieren. Wenn wir uns die alte Welt in ihrer sozialen Struktur der- gegenwärtigen wollen, so fällt unS bei dieser Betrachtung vor ollem ein gewaltiger Unterschied auf, eine Institution, die heute im Bereich der zivilisierten Welt wenigstens unbekannt ist. Jeder weist, dast da! die Sklaverei ist. Die Sklaverei ist eine im antiken Wirtschaftsleben notwendige Institution. Wer sollte die wirtschaftliche Tätigkeit üben, wenn Soldat und Bürger eine Person war, wenn bei den ewigen Kriegen der Bürger ewig im Felde stand? Der beständige Krieg, der die Notwendigkeit der Sklaverei begründet hat, hat auch ihre Möglichkeit geschaffen. Denn der Rechtlose, der im Kriege gefangen wiod, ist Sklave. Aus der Kriegsgefangenschaft ist die Sklaverei entstanden. Kricgsrecht und wirtschaftliches Bedürfnis ergänzten sich gegenseitig. Noch von einer anderen Seit« betrachtet wird die Institution der Sklaverei verständlich. In der antiken Wirtschast deckten sich Produktions- und Konsumtionskreis. Das heiht jeder geregelte Handel, Grohindustrie, regelmätziger Austausch von Waren war dem Altertum ursprünglich unbekannt. Die einzelne Familie war wirtschaftlich auf sich gestellt, wirtschaftete für sich. Natürlich nicht bis ins kleinste Detail. Aber der wesentlichste Teil der Bedürfnisse ward im Hause erzeugt. Die Hauswirtschaft war aufgebaut auf der Eigenproduktion und nicht etwa wie heute auf Tausch, Kauf und Verkauf. Damit hängt zusammen, dast der antike Mensch ein ganz anderes Verhältnis zu seiner Scholle besäst wie der moderne. Nämlich ein viel engeres. Und wenn im Laufe der Zeit die Bedürfnisse wuchsen, so bedeutete das, dast innerhalb dieser Hauswirtschaft, dieser Familie, immer mehr Arbeitskräfte notwendig wurden. Das heigt natürlich mehr Sklaven. Der tzrtschritt der antiken Wirtschaft beruhte auf einer Mehrung der klaven. Sklaverei und fteier Bauernstand sind die Grundlagen der antiken Wirtschaft. Indem diese Grundlagen verschoben wurden, verschob sich die gesamte soziale Struktur der Antike. Rom breitete sich aus, um für seine jüngeren Söhne und die Besitzlosen Neuland zu erobern. Wenn aber der römische Bauer 20 Jahre im Felde stand, raubten die Grostgrundbesitzer, von denen gleich die Rede sein wird, ihm HauS und Hof, und es entstanden die Verhältnisse, von denen der Agrarpoliti'er und-Revolutionär Gracchus sagen konnte:Daö Vieh, das Italien abweidet, hat seinen Unterschlupf; die Menschen aber, die für Italien sterben, haben Luft und Licht, sonst aber nichts gar nichts." Wie entstanden die grasten Grundbesitzer und die grossen Ver. mögen? Ein Kapital im heutigen Sinne bestand bei den da- nialigen Zuständen natürlich nicht. Wohl aber gab die politische Uebermacht deS Römers ihm die Möglichkeit, sich zu bereichern. Als der bekannte Verres nach Sizilien als Statthalter ging, betrug die Zahl der freien Grundbesitzer daselbst noch 713. Als er diese seine Provinz, die er gepachtet hatte(natürlich nicht ohne dafür ein Erkleckliches an Bestechungsgeldern bezahlt zu haben), verliest, war sie auf 318 zurückgegangen. Wie hier so überall: Der Besitz der freien Bauern ging zurück. Die grasten Besitze schwollen an.Mit Geld oder auf unrechtmässigem Wege" so heistt es bei einem Schriftstellerwurde der Bauer hinauskomplimentiert, während er im Felde stand." Und ein anderer:Das Volk wurde durch Armut und Dienstpflicht bedrängt, während Eltern und unmündige Kinder der Soldaten aus ihrem Besitze vertrieben wurden." Das ist die EntWickelung, die schon für das Ende der Republik charak- tcristisch ist. Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung ist sie nicht stehen geblieben. An Stelle des Bauernstandes hat sich der Grostgrundbesitz ausgebildet.Die Latifundienwirtschaften haben Jralien ruiniert, schon ruinieren sie auch die Provinzen" so lautet ein berühmtes Wort eines Schriftstellers aus dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt . Wie wurden die Latifundien bewirtschaftet? In erster Reihe durch Sklaven. Aber die Sklaverei wurde infolge der Abnahme der Kriege zurückgedrängt. Und bald bot sich das Heer der Besitzlos- gemachten als Arbeiter an. Freilich nicht als Arbeiter in unserem modernen Sinne. Man ging vielmehr dazu über, die großen Güter in kleinen Landparzellen zu vermieten resp. zu verpachten. Die Freien bewirtschafteten ihre Scholle jetzt also gegen eine jährliche Abgabe. Bei der großen Zahl des Angebotes war die Lage dieser Kleinpächter eine über alle Masten drückende. Die Pachtrückstände derKoloncn", wie man sie nannte, waren sprichwörtlich. Martial, der große Satiriker, spottet am Ende des ersten Jahrhunderts bitter über ihre Lage. Es kann nicht wundernehmen, daß bei dieser Sachlage das Land sich immer mehr entvölkerte, das Land- Volk immer mehr in die Stadt strömte. Im Zeitalter der Industrie bewirkt nun Landflucht ein An- wachsen der industriellen Produktion. Da die gewerbliche Pro- duktion des Altertums noch auf höchst niedriger Stufe stand, so bewirkte die Landflucht ein Zurückgehen der Gesamt- vroouktion. Damit wirkte sie auch auf die Bevölkerungszahl im ganzen zurück. Die Volkszahl nabm in erschreckender Weise ab. Rom hatte nicht mehr die Kraft, Katastrophen, wie Pest und Krieg durch größere Vermehrung wettzumachen._ Die Kleinpächter oder Kolonen, auf denen krotz ihrer elenden Lage doch immer der Staat noch beruhte, waren bisher wenigsten? frei gewesen, wenngleich sie zu bestimmten Frondiensten ver- pflichtet waren. Je drückender ihre Lage wurde, desto öfter mehrten sich die Fälle, wo die Kolonen ihrer Pacht zu entfliehen suchten. Diese Verhältnisse führten um 300 unter dem Kaiser Diokletian dazu, daß auch der letzte Stolz der antiken Wirtschaft, die Freiheit der Kolonen, schwand. An Stelle der Freizügigkeit trat die Ab« hängigkeit, die Hörigkeit. Innerlich zu schwach, um sich zu halten, mußte der Bau des römischen Staates mit gewaltigen Eisen- klammern von außen zusammengehalten werden. Aber nicht genug damit: bald rüstete man sich, die anderen Stände in dieselbe Zwangsjacke zu schnüren. Daß Soldatenkind muß Soldat, der Sohn des Handwerkers Handwerker, und zwar in derselben Zunft, der der Vater angehört«, werden. Die Frei- zügigkeit existierte bald nur noch für den Kaiser, seine Beamten und für die großen Grundbesitzer. Die EntWickelung der Gewerbe ging mit der in der Landwirt- schaft parallel. Die freien Arbeiter fanden sich zu staatlich ge- züchteten Korporationen zusammen. So war der Staat darauf aus. die in seinem Schöße wühlenden Kräfte zu zügeln und zu be- sänktigen. Endlich griff er auch hier zu dem letzten Mittel. Die Söhne mußten in die Werkstatt des Vaters. Und als Krönung des ganzen Gebäudes: unter Diokletian wurde ein großer Tarif aufgestellt, der die Preise aller Waren und die Höhe der Löhne ein für allemal und für das ganze Reich feststellen sollte. Die staat- liche Zwangsanstalt war fertig. Vergleicht man diesen wirtschaftlichen und sozialen Aufbau mit dem früheren der Antike, der im wesentlichen sich auf Haus- Wirtschaft gründete, so springt der Wesensunterfchied sofort in die Augen. Hier die Hauswirtschaft innerhalb des Stadtstaates und Städtebundes. Dort ein großer, zugleich politischer und Wirt- schaftlicher Zwangsorganismus. Das genaue Studium dieser eben umrissenen Verhältnisse ist die Vorbedingung zu einer richtigen Erkenntnis der für den so- genannten Untergang der Antike maßgebenden Gründe. Wie sich mit diesen wirtschaftlichen Veränderuiigen die politischen kreuzten, wie die religiösen und überhaupt rein ideellen in diese große Krisis der Geschichte mitverflochten waren, das harrt auch nach dem Hart- mannfchen Buche noch immer einer genauen und überzeugenden Darstellung. kleines Feuilleton. Kulturgeschichtliches. Die Siedelungen im Havelwink ei, dem zwischen Elbe , Havel und Fläming liegenden Gebiet der Mark Brandenburg, untersucht Max Bolle in denMitteilungen de? sächsisch -thüringischen Verein« für Erdkunde" und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sich die Besiedelung nicht sukzessive, sondern in vier verschiedenen Etappen vollzogen hat. Die erste Periode, ungefähr NX) 900 n. Chr., ist die slawische Zeit, 90098? folgt die Eroberung de« Gebietes durch die Deulfchen; weitere Perioden des Aufschwunges sind die Jahre 11401250, das Zeitalter der mittelalterlichen Kolonisatton des Osten« und 15501350, die Kolonisatton der Reuzeit. Die SiedelungSgründer der ersten Periode waren die stawischen Milzen. Wie die Namen, Urkunden und die Grundrißform der Orte bewesien, gehen zwei Drittel der beule noch dort bestehenden Wohnplätze bis m die Slawenzeit zurück. SiebenKietze", zahlreiche Fischnamen und-Geräte erinnern noch an das Leben der altwendischen Fischer. Die germanische Kolonisation brachte dem Havelwinkel vor allem den Deichbau gegen die alljährlich wiederkehrenden Ueber- schwemmungen der Elbe . Dadurch wurden große Sumpfsttccken entwässert, der Urwald gerodet und in Kulturland umgewandelt. Die Ortsanfiedelungen beschränkten sich nun nicht mehr auf die hochgelegenen, vor der Ueberschwemmung geschützten Gebiete; die Dörfer aus der germanischen KolonisattonSzeit befinden sich im Elbtal . Gerade diese Dörfer waren eS, die in den Perioden deS Niederganges 980 bis 1140 und 1250 bis 1550, am meisten bettoffen wurden; fast zwei Drittel dieser Gründungen find wieder vom Erd- boden verschwunden. Schuld daran waren die polittfch- Wirtschast- lichen Zustände in der Zeit der Junkerherrschaft, die Unterdrückung und Aussaugung der Bauern, die zur Folge hatte, daß die Bauern- bevölferung des Gebietes jegliches Interesse für den Bodesi verlor und daher auch die Deichanlagen nicht im Stande erhielt; diese Vernachlässigung rächte sich dadurch, daß die wiederkehrenden Ueberflutungcn der Elbe zum Aufgeben der Ortschaften zwangen. Wenn dann in den Jahren nach 1550 der Adel und die Fürsten , be- sonders Friedrich II. , die erneute Urbarmachung und Besiedelung des fruchtbaren Gebiets in die Hand nahmen, so geschah das teils aus nacktem SelbsterhaltungSttieb, teils weil das Land eine überaus reiche Einnahmequelle verhieß. Seit der Mitte des vorigen Jahr- Hunderts befindet sich der Havelwinkel wieder in einer Periode wirk- schastlichcn Niedergangs, veranlaßt durch die Abwanderung der Be- wohner vom Land in die Städte; allein in den Jahren 1871 bis 1905 hat die Einwohnerzahl in mehr als der Hälfte der Ortschaften (53,4 Proz) ständig abgenommen; die Gründe hierfür sind hin- reichend bekannt. Verantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin. Druck a. Verlag: Vorwärts Bucvdruckcrcl u.BerlagSanstall Paul Singe: SlCo..Btrltn LAf.