Anterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 73. Freitag, den 22 April. 1910 (NaAdrait»udoten.1 1KZ Die)Zrena. Roman von Vicente Blasco I b a n e z. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Um Miternacht empfahlen sich die letzten Gäste, und die Neuvermählten blieben allein im Hause mit der Sennora Angustias. Als der Sattler sich mit seiner Frau zurückzog, sah er ganz verzweiflungsvoll aus. Abgesehen von dem Affen, den er sitzen hatte, war er fuchsteufelswild darüber, daß während des ganzen Tages niemand von ihm Notiz genommen hatte. Als ob er nichts zu bedeuten Habel Als ob die Familie ein leerer Wahn seil Man schneidet uns, Encarnacion , ich sag's Dir, man setzt uns den Stuhl vor die Tür. Dies Frauenzimmer mit dem Madonnengesicht wird die Zügel in die Hand nehmen und unsere Rolle ist ausgespielt. Sie werden jetzt Kinder kriegen, was das Zeug hält. In solchen Dingen Hab' ich den richtigen Blick." Und der mit Kindern gesegnete Biedermann entrüstete sich bei dem Gedanken an die künftigen Sprossen des Es- padas, die da kommen sollten zu dem einzigen Zweck, die seinigen zu beeinträchtigen. Die Zeit verstrich; ein Jahr war vorbei, und die Vor- hersagungen des Sennor Antonio waren noch nicht in Er- füllung gegangen. Gallardo und seine Frau zeigten sich auf allen Festen mit dem Luxus von Parvenüs: sie, in Schals, die den armen Frauen Rufe der Bewunderung entlockten; er, riesige Diamanten zur Schau tragend und jederzeit mit dem Portemonnaie in der Hand, um im Cafe die Bekannten freizuhalten, oder Almosen unter die rudelweise ihn an- gehenden Bettler zu verteilen. Die Zigeunerinnen, braune geschwätzige Hexen, umdrängten Carmen mit ihren Glücks- Verheißungen. Gott möge sie segnen. Sie werde einen Sohn gebären, schöner als die Sonne. Das sehe man ihr an dem Weiß im Auge ab. Er sei schon so gut wie da. Aber vergebens wurde Carmen bei diesen Worten rot vor Freude und Scham, vergebens blies sich der Espada stolz auf bei dem Gedanken an die baldigen Vaterfreuden. Der ersehnte Sohn blieb aus. Und so verstrich ein weiteres Jahr, ohne daß die Hoff- nungen des Ehepaares sich verwirklichten. Die Sennora Angustias wurde traurig, wenn man zu ihr von diesen Ent» täuschungen sprach. Sie besaß allerdings schon Enkelkinder, die Kinder der Encarnation, die auf Geheiß des Satlers den ganzen Tag in der Wohnung der Großmutter verbrach- ten und sich beflissen, in allen Stücken dem Herrn Onkel gegenüber liebenswürdig zu sein, aber sie hegte den geheimen Wunsch, die harte Behandlung, die sie früher ihrem Juan hatte zuteil werden lassen, einigermaßen wieder gutzumachen; sie hätte gerade diesem ein Kind gewünscht, um es zu der- hätscheln und ihm alle Liebe zuzuwenden, die sie dem Vater in seiner elenden Kinheit vorenthalten hatte. Ich weiß schon, woran das liegt," sagte betrübt die Alte.Die arme Carmen hat keine Ruhe. Man muß sehen, wie sie sich aufregt und abhärmt, wenn Juan da draußen in der Welt herumirrt." Im Winter, während der Ferienzeit, wenn der Torero daheim war oder bloß Ausflüge aufs Feld machte, um an Viehauslesen oder Jagden teilzunehmen, ging alles gut. Carmen war froh und ruhig, da sie wußte, daß ihr Mann keine Gefahr lief. Sie lachte beim geringsten Anlaß; ihre Eßlust kehrte wieder, und ihre Gesichtsfarbe war die eines gesunden Menschen. Aber sobald der Frühling kam und Juan hinauszog, um in den Arenen Spaniens seine Haut zu Markte zu tragen, ward ihr schlimm zumute; sie verlor ihren frischen Teint, sah blaß und eingefallen aus, und ihre Tränen flössen unablässig. Zweiundsiebzig Corridas hat er dieses Jahr," sagten die Hansfreunde beim Besprechen seiner Engagements.Nie- mand ist so gesucht wie er." Und Carmen hörte es mit schwerzlichem Lächeln. Zwei- undsiebzig Tage, wo sie in tausend Aengsten schweben werde, wie ein zum Tode Verurteilter in seiner Zelle, in tödlicher Erwartung der Drahtmeldung, die ihr Kunde vom Ablauf der Corrida brachte. Zweiundsiebzig Tage des Schreckens, voll banger Ahnungen und unheimlicher Vorstellungen, wo sie oft glaubte, daß ein in einem Gebet unterlassenes Wort einen Einfluß auf das Geschick des Abwesenden auszuüben vermochte. Zweiundsiebzig Tage eines unsagbar qualvollen Gefühls inmitten ihres stillen Daseins, wo alles seinen ge» wohnten Gang ging, als ob in der Welt nichts Außergewöhn» liches vorkomme, ohne andere Abwechselung als das Lärmen ihrer Neffen und Nichten unten im Hof, und den Singsang des Blumenhändlers auf der Straße; während weit, weit fern in unbekannten Städten ihr Juan vor den Augen von Tausenden von Menschen mit wilden Tieren kämpfte und den Tod an seine Brust drückte. Ha, diese Corridatage, Tage der festlichen Stimmung, an denen der Himmel glanzvoller als sonst schien und die sonst menschenleeren Straßen unter den Schritten der Sonn- tagsspaziergänger widerhallten, an denen die Gitarren er- tönten, begleitet von Gesang und Händeklatschen, da unten im Wirtshaus an der Eckel Aermlich gekleidet, den Schleier über die Augen gezogen, verließ Carmen ihre Wohnung, als wollte sie häßlichen Träumen entfliehen und flüchtete sich in die Kirchen. Ihr schlichter Glaube, mit abergläubischen Vorstellungen verquickt, trieb sie von Altar zu Altar, indem sie die Wunderkraft der verschiedenen Heiligenbilder abwog. Sie betrat San Gil, die populäre Kirche, die Zeuge des schönsten Tages ihres Lebens gewesen, kniete vor der Jung- frau de la Macarena nieder, ließ ihre Kerzen, eine Unmenge Kerzen, anzünden und betrachtete bei ihrem rötlichen Schein das dunkte Antlitz des Bildes, seine schwarzen, langwimperi- gen Augen, die, wie es hieß, den ihrigen glichen. Zu dieser Muttergottes hatte sie Vertrauen. Nicht umsonst war sie die Jungfrau der Hoffnung. Sicherlich beschützte sie Juan in diesem Augenblick mit ihrer göttlichen Macht. Aber plötzlich brachen Ungewißheit und Angst hervor und schlugen ihren Glauben in Trümmer. Die Mutter- gottes war ein Weib, und Weiber zählen so wenig mit!... Ihre Bestimmung ist, zu leiden und zu weinen, wie sie ihres Mannes wegen weinte, wie die andere wegen ihres Sohnes geweint hatte. Sie mußte sich einer höheren Macht ander- trauen, sie mußte einen mächtigeren Beschützer um Hilfe an- flehen. Und indem sie ohne Skrupel, mit der Rücksichts- losigkeit des Schmerzes der Macarena den Rücken kehrte, wie man eine nutzlose Freundschaft aufgibt, eilte sie zur Kirche von San Lorenzo. zum Gnadenbild unseres Vaters Jesus zur großen Macht, des dornengekrönten, kreuz- beladenen, schweißbedeckten und tränenden Gottmenschen, einem Werk des Bildhauers Montanes, das Entsetzen aus- haucht. Das Trübsal des unter der Kreuzeslast keuchenden Nazareners schien die arme Frau zu trösten. Herr der großen Macht.... Diese unbestimmte und großartige Be- nennung. wirkte beruhigend auf ihr Gemüt. Wenn der in Gold und violetten Samt gekleidete Gott ihre Seufzer er- hören wollte, ihre hastig gesprochenen Gebete, so war es sicher, daß Juan unversehrt aus dem Zirkus hervorgehen werde. Bisweilen gab sie auch einem Küster Geld, damit er Kerzen anzünde, und sie verbrachte ganze Stunden damit, die über dem Bilde tanzenden wirren Reflexe der Lichter zu betrachten, indem sie auf dem gefirnißten Antlitz im Wechsel- spiel von Licht und Schatten ein Trosteslächcln, eine gütige Gebärde, die Glück verhieß, zu erspähen wähnte. Der Herr der großen Macht täuschte sie nicht. Wenn sie nach Hause kam, fand sie den blauen Zettel vor, den sie mit zitternder Hand öffnete:Wohl und gesund!" Sie konnte aufatmen, sie konnte schlafen wie der Verurteilte, dessen Hin- richtung aufgeschoben war, aber zwei oder drei Tage später setzte die Qual der Ungewißheit, die furchtbare Marter der Angst und des Zweifels wieder ein. Trotz ihrer Liebe zu Juan konnte Carmen manchmal heftig aufbegehren. Wenn sie gewußt hätte, ehe sie heiratete, was ein solches Dasein war!... Bisweilen auch, wie an- gezogen durch die Aehnlichkeit der Lagen, suchte sie die Frauen der Toreros auf, die mit zur Cuadrilla Juans gehörten, als ob sie dort Trost finde» könnte. iSis, maäk