Mnterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 83. Freitag den 29 April 1910 CRaaftcuS verbot«!,.) 21] Die Hrena. Roman von Vicente Blasco Jbanez. Autorisierte»Uebersetzung von Julio Brouta. „Was diese Evastochter schon alles durchgemacht hat, Juan!" sagte der Verwalter.„Die Köpfe, die sie in zehn Jahren verdreht hat, von einem Ende Europas bis zum andern I Stelle Dir vor, sie ist das reinste Geographiebuch, mit intimen Bemerkungen am Rande eines jeden Blattes I Sicherlich kann sie keine Landkarte ansehen, ohne bei den Hauptstädten zur Erinnerung ein Kreuz zu machen... Und der arme Botschafter! Ohne Zweifel starb er aus Lange- weile, weil ihm kein Ort mehr blieb, wo er noch sein Vater- land hätte vertreten können. Seine Gemahlin wollte hoch hinaus. Die gekrönten'Häupter, die dieses Täubchen ver- wirrt gemacht hat! Die Königinnen zitterten bei ihrer An- kunft, als wäre sie die Cholera. Schließlich blieben dem braven Botschafter für die Betätigung seiner diplomatischen Fähigkeiten nur noch die Republiken Südamerikas . Das grämte ihn sehr,' und er zog es vor, zu sterben. Glaube aber nicht, daß der Engel sich nur mit solchen begnügte, die in königlichen Palästen verkehren. Wenn es wahr ist, was man sich erzählt I Sie ist den Extremen hold, entweder alles oder nichts; bald hat sie es aus das Höchste abgesehen, und bald scheint sie die Erde aufwühlen zu wollen. Man sagte mir, daß sie in Rußland einem jener Mähnenmenschen nachgelaufen sei, die Bomben werfen; einem Bürschchen mit einem Wetber- gesicht, der ihr keine Beachtung schenkte, weil sie ihm in seinen Geschäften hinderlich war. Gerade deswegen ließ das Engel- chcn nicht von ihm ab, bis man ihn schließlich aushenkte. Auch soll sie Beziehungen zu einem Maler in Paris gehabt haben, und man versichert sogar, er habe ihr Bild, so ziemlich unver- hüllt, gemalt, den Arm vor das Gesicht gehalten, damit man sie nicht erkannte: so soll sie auf Streichholzschachteln zirku- lieren. Das ist aber jedenfalls nicht wahr, und übertrieben. Wahrscheinlicher ist, daß sie die Freundin eines Deutschen gewesen ist. eines Musikers, der Opern komponierte. Wenn Du sie Klavier spielen hören könntest!... Und wenn sie singt! Genau wie eine Primadonna, wie sie am Theater von San Fernando während der Ostersaison singen. Und glaube nicht, daß sie nur italienisch singt, sie bringt alles fertig, französisch, deutsch , englisch. Ihr Onkel, der Marquis de Moraima, der, unter uns gesagt, ein etwas eingebildeter Patron ist, behauptet, wenn er von ihr im., Fünfundvierziger Klub" spricht, er habe sie im Verdacht, daß sie Lateinisch ver- stehe... Was für eine Frau, he, Juanito? Welch ein interessantes Weib!" Der Verwalter sprach von Donna Sol mit Bewunderung und hielt alle Begebenheiten ihres Lebens, sowohl die ein- wandfreien wie die fragwürdigen, für außerordentlich und eigenartig. Ihre Geburt und ihr Vermögen flößten ihm, wie Gallardo, Respekt und Wohlwollen ein, und sie verhan- Velten über sie mit beifälligem Lächeln. Dieselben Tatsachen würden einer anderen Frau eine Flut von respektwidrigen Urteilen zugezogen haben, und jedenfalls würde sie wegen eines solchen Vorlebens den Verworfensten ihres Geschlechts zugezählt worden sein. „Hier in Sevilla, " fuhr der Verwalter fort,„führt sie ein musterhaftes Dasein. Deshalb zweifle ich an der Wahr- heit dessen, was man vom Ausland erzählt. Es süjd wahr- scheinlich Verleumdungen gewisser Aspiranten, die auf Trau- ben ausgehen und sie zu grün finden." Und indem er die Keckheit dieser Frau lachend feierte, die zeitweilig mutig und herausfordernd wie ein Mann war, wiederholte er die Gerüchte, die in gewissen Klubs der Sierpers-Straße über sie herumgeboten wurden. Als die „Botschafterin " nach Sevilla zurückkam, hatten die jungen Leute eine Art Hof um sie gebildet. „Stelle Dir vor, Juanito; eine elegante Frau, wie es keine hier gibt, die ihre Kleider und Hüte aus Paris , ihre Wäsche und Parfüms aus London bezieht und überdies die Freundin von Fürsten ist... Sozusagen, als wären die Ab zeichen der ersten Stierzüchtereien Europas in sie eingebrannt ... Wie Verrückte folgen sie ihr auf Schritt und Tritt, und das Täubchen gestattet ihnen gewisse Freiheiten, da es unter ihnen wie ein Mann zu leben wünscht. Aber einige gingen zu weit, sahen irrtümlich vie Ungebundenheit für etwaS anderes an, und wo Worte fehlten, wollten Hände zugreifen ... Es gab Ohrfeigen, Juanito, und noch Schlimmeres. Donna Sol versteht sich aufs Fechten und sie kann Faust- schlüge austeilen wie ein englischer Matrose. Außerdem kennt sie die japanische Kampfesweise, die Jiu- Jitsu heißt. Jetzt wird sie weniger belästigt, aber sie hat Feinde, die ihr Uebles nachreden. Die einen loben an ihr, was nicht wahr ist, und die andern gehen so weit, ihre Schönheit in Abrede zu stellen." Wie der Verwalter behauptete, war Donna Sol von ihrem Aufenthalt in Sevilla entzückt. Nachdem sie lange Zeit in nebligen und kalten Ländern verlebt hatte, bewunderte sie den tiefblauen Himmel, den matten Goldglanz der Winter- sonne und sie konnte die Wonne des Lebens in dieser, wie sie sagte, so pittoresken Gegend nicht genug loben. „Sie ist ganz hingerissen von der Freiheit und Unge- bundenheit unserer Sitten, wie eine jener Engländerinnen, die zur Karwoche hierherkommen. Als ob sie nicht in Sevilla zur Welt gekommen wäre! Sie will fortan den Sommer im Aus- land und den Winter hier zubringen. Ihres Lebens an Höfen und in Palästen ist sie überdrüssig, und wenn Du wüßest, mit welcher Art Leuten sie verkehrt!... Sie hat sich als Mit- glied einer religiösen Brüderschaft aufnehmen lassen, der volkstümlichsten, der des Cristo de Triana oder des Santi- simo Cacharro und sie hat ein schönes Stück Geld für Man- zanillawein für die Brüder ausgegeben. Manchmal ist ihre Wohnung abends voll von Gitarrespielern und Tänzerinnen, allen jungen Mädchen, die in Sevilla Gesang und Tanz lernen. Mit ihnen kommen ihre Lehrer, ihre Familien, ihre entferntesten Verwandten. Alle stopfen sich voll von Oliven, Wurst und Wein, und Donna Sol, in ihrem Sessel wie eine Königin thronend, wird nicht müde, einen Tanz nach dem andern zu verlangen. Sie sagt, es sei für sie ein Genuß wie der, ich weiß nicht welchen Königs, der Opern für sich allein aufführen ließ. Ihre Diener, Leute, die sie mitgebracht hat, lang und steif wie englische Lords, laufen befrackt mit großen Präsentiertellern herum und verteilen Wein an die Tänze- rinnen, die in ihrer Ausgelassenheit ihnen die Backenbärte zupfen und Olivenkerne ins Gesicht werfen. Kann es ehr- barere und fröhlichere Feste geben?" So setzte Don Jos6 dem Matador die Eigenarten Donna Sols auseinander. Vier Tage, nachdem Gallardo sie in der Pfarrkirche zu San Lorenzo gesehen hatte, näherte sich der Verwal�r dem Matador mit einer gewissen Geheiinnistuerei in einem Kaffeehaus der Sierpesstraße. „Bursche, Du bist das reinste Glückskind. Weißt Du, wer mit nsir von Dir gesprochen hat?" Und er näherte seinen Mund dem Ohre des Stierfechters und sagte mit gedämpfter Stimme:„Donna Soll" Sie hatte ihn nach seinem Maestro gefragt und den Wunsch ausgesprochen, er möge ihn ihr vorstellen. Er sei von einem eigenartigen, so ganz spanischen Typus!... „Sie sagte, sie hätte Dich mehrere Male in der Arena gesehen: einmal in Madrid , ein andermal ich weiß nicht wo ... Sie hat Dir Beifall geklatscht und gibt zu, daß Du sehr tapfer bist... Paß auf, ob sie wohl etwas mit Dir im Sinne hat! Welch eine Ehre! Du würdest mit einem Male zum Schwager aller Könige des europäischen Kartenspiels avancieren." Gallardo lächelte bescheiden und schlug die Augen nieder, aber gleichzeitig wiegte er seine schlanke Gestalt hin und her» als ob er die Vermutung seines Verwalters als etwas ganz Selbstverständliches betrachtet hätte. „Aber mach' Dir nur keine Illusionen, Juanito," fuhr dieser fort.„Donna Sol will einen Stierfechter aus der Nähe sehen. Ein Genrebild, weiter nichts. Bringen Sie ihn morgen nach Tablada, hat sie mir gesagt. Du weißt, was das bedeutet: Stiere aus der Züchterei Moraima nieder- werfen; ein Fest, das der Marquis zu Ehren und zur Zer-
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27 (29.4.1910) 83
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