Dieser Kopf sowie die Arme find im elften Jahrhundert an den wundervollen Körper angesetzt worden und dann kam die Frömnng- keit des fünfzehnten Jahrhunderts, setzte ihr eine spitzzinkige der- goldete Krone auf und ernannte sie zurMadonna von Verona". Weniger tragi-komisch ist der Nachbar dieser seltsamen Madonna, der Gerichtsstuhl. Unter seinem Dach mit den vier viereckigen Marmorsäulen fast zu Ende des Römerreichs der Prätor und hielt Gericht. Aber in der Zeit der Gewalthaber im elften Jahr- hundert wurde eine schwere Kette mit einer furchtbaren Hand- schelle an eine der Säulen geschmiedet und daran wurden die zum Tode verurteilten Staatsverbrecher der grausigen Neugierde des Volkes am Tag vor ihrer Hinrichtung ausgestelÜ. Um diese zwei Zeugen zweitausendjährigen Veroneser Lebens gruppieren sich heute in buntem Durcheinander die Blumcnver- käuferinnen mit ihren riefigen, hochroten Sonnenschirmen, die Fleischer mit ihren Ständen, die Gemüse- und Geflügelhändler, und vor allem die Vogelhändler mit ihren Hunderten kleiner, ge- fangener Sänger in engen Käfigen. Um die kleinen, ängstlichen Tiere stehen wie Kinder stundenlang Frauen und Männer und freuen sich an dem bunten Gefieder. Man muh dieses kindisch-rohe Schauspiel gesehen haben, um einen der liebenswürdigsten Menschen und Dichter aus der italienischen Heiligengeschichtc, den Franziskus von Asisfi zu verstehen, dessen Lieblingsvergnügen es war, mit er- betteltem Geld so viele dieser kleinen Vögel zu kaufen, als er konnte, sie zu füttern und ihnen dann auf dem Feld die Freiheit wiederzugeben. Aber es wird heiß vor dem Restaurant der Piazza Erbe, die Zitronen- und die Eisverkäufer kommen und schreien und schreien, dah mir Hören und Sehen vergeht und ich mich wieder rette_ in die kühlen stillen Hallen der romanischen Dome, in denen die Schätze der Veroneser Malerschule hängen. Das sind die Meister, von denen Goethe in seinen Aufzeichnungen von Verona   sagt, dah,wenn man diesem Sternenhimmel näher tritt, auch die Sterne zweiter und dritter Größe zu flimmern anfangen als zum ganzen Sternbild gehörend." Einen davon Hab ich besonders lieb gewonnen, den Giro- lamo. Er war am Gardasee   zu Hause und uberall hinter seinen Madonnen schauen stille feine Landschaften heraus, die ich kenne. Und seine Madonnen selbst sehen mich mit Heimatsaugen an. Eines erschien mir merkwürdig. Für die vornehmste Zeit der veronesischen Baukunst, die romanische Epoche unter der Herrschaft der Skaligersürsten, hat Goethe   offenbar keinen Sinn gehabt. Er sagt kein Wort darüber, obwohl er ja. um die Bilder zu sehen, in alle diese Dome von geschlossener Wucht und Einfachheit hinein mußte. Sein Sinn sah eben vorbei an diesen großen Zeugniffen schwerblütiger, massiger Kunst. Sein Geist floh in Italien   ent- weder zurück in das heitere Altertum oder in die freudige Welt der Renaissance. lind doch ist Verona   ohne die düstere Größe, welche ihm alles Bauwerk, das kriegerische wie das kirchliche aus der romanischen Zeit gibt, ohne die mächtigen Steinbrücken über die Etsch  , die massi- gen viereckigen Festen, ohne die kühnen mit Zinnen überkrönten Warttürme aus der Zeit der Geschlechterkämpfe, wo jedes Haus eine Festung war, nicht denkbar. Seit zwei und einem halben Jahr- tausend hat die Kriegsfurie, wo sie auch losbrach, zwischen den Alpen und der Tiber  , immer zuerst nach Verona   mit ihren Krallen geschlagen. Nie hat diese Stadt eine wirkliche Glanzzeit wie andere Städte gehabt und ist trotzdem dabei immer stark und schön ge- blieben, wie eine trotzige Frau, die ihre Schicksale mit Stolz trägt und der kein Unglück etwas anhaben kann. Es ist unzählige Male ausgeraubt worden bis aufs Blut, von Feldherren des alten Rom, von deutschen   Kaisern und von Vandalen, ob es nun Ostgoten im Mitteltalter oder französische   Truppen der Neuzeit unter Napoleon  waren. Wie viele von seinen schönsten Kunstschätzen hat nur dieser große Räuber allein entführt. Und doch ist Verona   immer wieder aufgestanden und hat sich immer wieder erholt; manchmal als freie Kommune, oft unter dem Schutz mächtigerer Nachbarstädte und wohl auch einmal unter dem Schwert eines kriegerischen Genies, der auch als Mensch und Kunstmäcen groß war, wie der Skaliger Cangrande  . Verona   strotzt jetzt noch von Kunstschätzen, wenn es auch nicht so bekannt ist wie Venedig   und Florenz  , jenen üppigeren Städten, denen sowohl der herbe Reiz wie die wuchtige Größe der trutzig abseits lebenden Schwesterstadt fehlt. Mehr als jene ist Verona   ein Stück gemeißelter Geschichte auS dem tiefen Altertum bis in die Neuzeit. Und alle seine Bauten und seine finsteren Backsteinpaläste, wie seine kühnen Warttürme, seine wunderbaren romanischen Kirchenbauten, wie sein altes römisches Amphitheater, das sind Reden in Stein, aus denen die Jahrhunderte lauter sprechen als aus dickbändigen Geschichtswerken. Die gewaltigsten Geschichtsvorträge aber, während deren ich mich mit melancholischer Heiterkeit an die elenden Lateinstunden auf dem Gymnasium erinnerte, hielten mir die Mauerquadern des römischen Amphitheaters, auf dessen höchster Ringkante ich abends spazieren ging und über die sechzig Stufen hinab in den gewaltigen Rinkrater sah. Die Arena von Verona   ist noch größer als das römische Kolosseum. Es ist in seinem inneren Bau vollständig er- halten; die gewaltige Umfassungsmauer ist wohl überhaupt nie ganz vollendet worden. Auf den Sitzreihen haben 25 000 Menschen Platz, und am leichtesten kann man sich von der ungeheuren Größe dieses Bauwerks einen Begriff machen, wenn ich sage, daß gerade in diesen Tagen der untere Kreis, also der Platz, �auf dem in einem Zirkus die Vorstellungen stattfinden, als Stapel für acht große Luft- ballons benutzt wurde, die dort mit großen Zwischenräumen, prall gefüllt, standen, bevor das Zeichen zur Abfahrt gegeben wurde. Aber das war ein Possenspiel gegen die Gladiatorenkämpfe, die kaiserlichen Schaugepräge und die Volksversammlungen in kritischen Tagen des Römerreichs, wo eine festlich gekleidete Menge in weißen Togen mit farbigen Besätzen die Leere dieses Stein- Ungeheuers mit brausendem Leben erfüllte; wo die ersten Christen den Märtyrertod erlitten und wo ein unmündiges Volk durch psnem et circenses" durch Brot und Vergnügen im Zaun ge- halten wurde. Noch einmal seit jenen Tagen hat das Amphitheater etwas von dem Glanz früherer Zeiten gesehen, als der große Korse zu seinen Ehren bier Stiergefechte veranstalten ließ und als im Jahre 1806 nach schweren Schlachten Verona   aus österreichischer Herrschaft wieder zu seinem Mutterlande kam und in der Arena ein Siegesfest großen Stils feierte. Auf den letzten Tag hatte ich mir einen stillen Besuch auf« gespart. Draußen vor der Stadt, neben einem großen Platz, auf dem zweimal im Jahre die größten Pferdemärkte Italiens   abgehalten werden, liegt eine alte Klosterruine. Man klopft an einer kleinen Pforte, um die sich dunkle Glycinien ranken. Ein freundlicher Pförtner öffnet und führt einen in ein kleines Gärtchen, das durch die leichten Bogen einer feinen Säulenfaffade ein feierliches An- sehen bekommt. Hinter den Säulen steht ein aus einem einzigen Stück rötlichen Marmors gehauener, offener Sarkophag von ein- fachster Form. Poetischer Sinn hat hierher an dieses stille traute Plätzchen das Grab von Julia Capulet  , der unsterblichen Geliebten von Romeo Montecchi, der nach Shakespeares Drama die beiden Liebenden aus den feindlichen Häusern getraut hat, verlegt. Ich interessiere mich wenig dafür, ob hier, was einige Forscher bestreiten, die süße Julia wirklich begraben liegt. Der Geist der Liebe, der von diesem Paar wie ein unsterblicher Duft bis in unsere nüchterne Zeit erhalten blieb, weht in diesem kleinen Garten und ergreift die Menschen, ob fie wollen oder nicht. Man braucht dazu kein sentimentaler Jüngling zu sein. Solchen Mächten entzieht sich auch baS rauhere Männerherz nicht. Und so greife ich hinein in die dichten Haufen von Visitkarten und geschriebenen Hapierchen, die Menschen aus allen Landen in den Sarkophag der Märtyrerin einer großen Liebe legten. Und ohne Lächeln lese ich die Namen des Herrn Müller, Teilhaber der Seidcnfabrik in München-Gladbach, dann der höheren Töchterschülerin Lina Herz- feld aus Dresden  , des Herrn Gardeleutnant Soundso aus Berlin�  des Schneiders Schäfte aus Calw   in Württemberg   und vieler anderer, die hier die Schauer von Romeos und Julias Flammen- liebe empfanden. Und dann zog ich nach einigem Zögern ein Stückchen Papier  auS der Tasche und schrieb als Abschied an Verona  , seine lebenden Wunderwerke und seine tote Julie: Anton Fendrich  , Schriftsteller aus Offenburg   in Baden  . Huö der populär-botamfcbeii Literatur, Mit dem Aufschwung der Anteilnahme an naturwissenschaftlichen Dingen geht eine Bücherproduktion einher, die fich überstürzt, in der sich vieles wiederholt und deren Abschätzung nicht immer leicht ist. Dem wißbegierigen Laien, den in den Schaufenstern der Buchhändler zierliche Bändchen mit bunten Titelbildern immer wieder reizen, werden daher gegenüber der Fülle der Angebote von Zeit zu Zeit einige Winke willkommen sein. Die Bäume und Sträucher unseres Wäldes" behandelt Otto Feucht in einem sowohl textlich wie illustrativ sehr anheimelnd ausgestatteten Bändchen.(Verlag Strecker u. Schröder. Stuttgart  . Preis gebunden 1.40 M.) Die Sprache ist klar und die stoffliche Ueberhäufung, die so manches der Bändchen ungenießbar macht, ist durch die Beschränkung auf das Wichtigste vermieden. Als eine Ergänzung läßt sich das Buch über»Die Heide" von W. Wagner betrachten(Verlag Quelle u. Meyer in Leipzig  . Preis gebunden 1,80 M.). Bei Berlin   spielt die Heide ja keine hervor- ragende Rolle. Um so größere Beachtung verdient das Buch für die naiurfteudigcn Anwohner ausgedehnterer Heidestreckeir. Außer der Pflanzenwelt sind hier auch das Reich der Tiere, die Hünengräber, die Heidschnucken und selbst die menschlichen Bewohner der(speziell Lüneburger) Heide in einer guten, verständlichen Sprache und unterstützt durch zahlreiche Abbildungen behandelt. Wir Ver­la sien Wald und Heide und lassen uns nmr von Dr. Ad. Kölsch Von Pflanzen zwischen Dorf und Trift" erzählen(FranckhscherKosmoS- Verlag, Stuttgart  . Preis 1 M.). Auch hier eine gute Ausdrucksweise und zum Teil sehr anregende Bilder. Aber Kölsch behandelt bio- logische Fragen, Rätsel des Pflanzenlebens. Das Interesse für diese Dinge, oder der Wunsch, es sich erwecken zu lassen, muß also bei dein Leser hier vvrauSgesetzt werden. Das Blütenleben der Pflanzen und seine Beziehungen zu den Insekten ist Gegenstand deS Buches WorgitzkyBlütengchei in nisse"(Verlag B. G. Teubner, Leipzig  . Preis geb. 3 M.). In diesem modern ausgestaitetcn Bande wird die Biologie der Blüten von etwa 26 ziemlich allgemein ver- breiteten Pflanzen erläutert und illustriert; die hier besonders un- vermeidlichen Fachausdrucke werden in einem Anhang erläutert.