Nnterhaltungsblatt des WorwärisNr. 83. Sonnabend, den Y Mm. 1910(KaAtrud»«toten.)26] Die Hrcna.Noman vonVicenteBlaSco J b a n e z.Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta.Er spielte viel. Es war dies das beste Mittel, um mitseiner neuen Familie in engere Fühlung zu kommen. Erspielte und verlor und hatte überhaupt das Pech einesMannes, der in anderen Unternehmungen Glück hat. Erbrachte die Nächte im„Verbvechersaal" zu, wie man dasSpielzimmer nannte und gewann nur selten. Sein stän-diges Pech war für den Klub zu einer Empfehlung geworden.„Letzte Nacht ist Gallardo wieder gehörig gerupftworden," sagten die Mitglieder.«Wenigstens 8009 Pesetashat ercherloren."Durch seinen Ruf eines starken Spielers sowie durch dieGelassenheit, mit der er sein Geld los wurde, hatte er sichdie Achtung seiner neuen Freunds erworben. Die neueLeidenschaft bemächtigte sich schnell des Stierfechters. DieAufregungen des Spieles beherrschten ihn dermaßen, daßer einige Male darüber die große Dame vergaß, die für ihnvon allem in der Welt das meiste Interesse hatte. Mit denfeinsten Leuten aus Sevilla zu spielen! Sich auf gleicherStufe mit den jungen Herren zu sehen, in der gegenseittgenVertraulichkeit, die die Geldvorschüsse und die gemeinsamenAufregungen erzeugen! Einmal fiel in der Nacht die großeHängelampe mit elktrischen Glühlichtcrn, die den Raum er-leuchtete, klirrend auf den grünen Tisch. Dunkelheit undVerwirrung traten ein, aber in das Durcheinander hineindröhnte herrisch die Stimme Gallardos.„Ruhe, meine Herren! Nichts ist vorgefallen. DiePartie geht weiter. Man bringe uns Kerzen.Das Spiel wurde fortgesetzt, und die Teilnehmer rühmtenihn wegen der entschlossenen Kratt seiner Rede mehr noch,als wegen seiner Kunst im Stiertöten.Der Verwalter wurde von seinen Bekannten über dieVerluste Gallardos befragt. Der Mann sei daran, sich zuruinieren', was er als Stierfechter verdiene, werde das Spielverschlingen. Aber Don Jose lächelte verächtlich, indem erden Ruhm seines Maestros mit dem gewohnten Ueberschwairgpries.„Dieses Jahr haben wir mehr Eorridas als irgend wer.Wir»oerden des Stiertötens und Geuverdienens am Endenoch überdrüssig werden.... Laßt den Jungen sich zer-streuen. Dafür arbeitet er auch als der, der er ist.... dererste Mann der Welt."Daß die Leute über die Ruhe, mit der er sein Geld verlor,erstaunten, hielt Don Jost als ein weiteres Verdienst seinesMeisters. Ein Matador konnte nicht wie andere Menschen ge-artet sein, die über Pfennige streiten. Dafür verdiente erauch, so viel er wollte.Auch befriedigte ihn wie eine persönliche Genugtuung,wie etwas, das sein Werk war, daß der Stierfechter in einerGesellschaft Zutritt hatte, die nicht für jedermann offen stand.«Er ist der Mann des Tages," sagte er in gerührtemTone zu denen, die die neue Lebensart Gallardos einer Krittkunterzogen.„Er verkehrt nicht mit Tagedieben und inSchenken, wie andere Toreros. Und was ist schließlich dabei?... Er ist eben der Stierfechter der Aristokratie, weil er esso will und kann... Alles andere ist nichts als Neid."In seiner neuen Lebensart besuchte Gallardo nicht nurden Klub, sondern ging auch an gewissen Nachmittagen in dieGesellschaft der Fünfundvierzig. Das war eine Art Seiratder Stierfechterkunst. Die Stierfechter selbst hatten nichtleicht Zutritt zu ihren Salons, infolgedessen konnten dieehrenwerten Eminenzen der Kritik ihre Meinungen in allerFreiheit kundgeben.Im Frühjahr und Sommer versammelten sich die«Fünfundvierzig" in der Vorhalle, auch teilweise auf derStraße und erwarteten, auf Rohrsesseln sitzend, die telegraphi-schen Nachrichten über die Stierkämpfe. Sie gaben wenig aufdie Meldungen der Tagespresse und wollten die Neuigkeften er-fahren, bevor sie in den Zeitungen veröffentlicht wurden. Inden späten Nachmittagsstunden trafen Depeschen aus allenTeilen der Halbinsel ein. wo Stierkämpfe stattgefundenhatten, und nachdem die Mitglieder die neuen Nachrichtenmit religiösem Ernst angehört hatten, besprachen sie Vor-kommnisse und ergingen sich in Vermutungen über die tele-graphisch kurzen Meldungen.Es erfüllte sie mit Stolz und erhob sie über die ge-wöhnlichen Sterblichen, daß sie ruhig vor der Tür desVereinslokals sitzen bleiben, die frische Luft genießen unddabei zuverlässige, in keinerlei Weise zugestutzte oder über-triebene Berichte über die Vorgänge in den Arenen vonBilbao, La Coruna, Barcelona oder Valencia erhaltenkonnten. Die Ohren, die ein Matador bekominen, das Aus-Pfeifen, das sich ein anderer zugezogen hatte, das alles er-fuhren sie, während ihre Mitbürger in der traurigsten Un-wissenheit lebten und die Nacht abwarten mußten, bis dieAbendblätter erschienen.Wenn ein Unglück vorgefallen war, und ein Telegrammdie tödliche Verwundung eines heimischen Stierfechtersmeldete, ergriff die Erregung und die patriotische Zusammen-geHörigkeit der ehrenwerten Senatoren allerorts derart, daßsie irgendeinem vorübergehenden Freunde das wichtige Ge-heimnis mitteilten. Die Neuigkeit verbreitete sich sofort durchdie Kaffeehäuser der Sierpestraße, und niemand bezweifeltesie, da es sich um ein Telegramm an die„Fünfundvierzig"handelte.Der Verwalter Gallardos störte die gesellschaftliche, ernsteRuhe durch seine geräuschvolle Ueberschwänglichkeit, aber sieduldeten ihn als alten Freund und lachten am Ende überseine Eigenheiten. Es war für diese gesetzten, weisen Herrenein Ding der Unmöglichkeit, mit Don Jos6 über den Wertder Stierfechter zu verhandeln. Oft wenn von Gallardo alsvon einem kühnen, aber durchaus ungeschulten Matador ge-sprachen wurde, blickten sie scheu nach der Tür.„Don Jos6 kommt!" hieß es und die Unterhaltung wurdeabgebrochen.Don Joss trat ein und schwang ein Telegramm überseinem Kopfe.„Haben Sie Nachrichten aus Santander? Hier habe ichwas: Gallardo, zwei Stöße. Zwei Stiere niedergemacht, undvom zweiten das Ohr. Was ich immer sage: der erste Mannder Welt!".Die Depesche der„Fünfundvierzig" wich hier und daetwas davon ab, aber der Verwalter hatte kaum einen Blickder Verachtung darauf geworfen, als er in lärmende Protest-rufe ausbrach.„Lügen! Nichts als Neid! Meine Nachrichten sind dieechten. Hier ist nichts als Aergsr im Spiel, darüber, daßmein Schützling viele vermeintliche Größen auf ihren wahrenWert reduziert hat."Die Mitglieder des Klubs lachten dann schließlich überDon Josch legten einen Finger an die Stirn, um seine Narr-heit anzudeuten und spotteten über den„ersten Mann derWelt" und seinen wunderlichen Verwalter.Nach und nach jedoch gelang es ihm— ein unerhörtesVorrecht—, Gallardo in die Gesellschaft einzuführen. DerStierjechtcr erschien zuerst unter dem Vorwand, seinen Ver-Walter aufzusuchen, und setzte sich schließlich rmter die Herren,von denen viele nicht gerade zu seinen Freunden zählten,da sie sich bereits ihren Lieblingsmatador unter seinen Ri-valen ausgesucht hatten.Die Ausschmückung des Klublokals war stilvoll. DieWände waren bis auf Mannshöhe mit farbigen arabischenFliesen und dann bis zur Deck? mit hellen, reinen Glanz-tapeten bedeckt, auf denen prächtige alte Affichen frühererStierkämpfe angebracht waren, sowie ausgestopfte Köpfe vonStieren, die durch die Anzahl der von ihnen getöteten Pferdeoder durch Verwundung eines berühmten Fechters Aufsehenerregt hatten? endlich Luxusmcntel und Stoßd?-'"'" Geschenkevon Fechtern, die nach Abschneiden ihres Zopfes ihr Hand-werk aufgegeben hatten.Die befrackte Dienerschaft servierte den Herren Kaffeeund Eisgetränke. In der Karwoche oder bei anderen großenFestlichkeiten, wenn bekannte Kritiker aus ganz Spanienin Sevilla anwesend waren und den Fünfundvierzig ihrenBesuch abstatteten, gingen die Bedienten in Kniehosen und