Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 94.

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Die Arena.

Mittwoch, den 18. Mai.

Nagbrud berboten.

Roman von Vicente Blasco banez. Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. Gallardo schien mit seiner Beweglichkeit und seinen Zoll­Kühnheiten den ganzen Ring auszufüllen, nur darauf bedacht, alle seine Gefährten zu übertreffen und allen Beifall für sich allein einzuernten. Niemals war er seinen Verehrern so groß borgekommen. Bei jeder seiner Heldentaten erhob sich der Verwalter und rief, indem er unsichtbare versteckte Gegner anschrie: Laßt sehen, wer etwas zu bemerken wagt! Was gesagt ist, bleibt gefagt... der erste Mann der Welt! Der zweite Stier, den Gallardo niederzustoßen hatte, wurde in feinem Auftrag vom Nacional durch geschickte Manöver mit dem Mantel bis unter die Loge geführt, in der das blaue Kleid und der weiße Schleier sich befanden. Neben Donna Sol saßen der Marquis und zwei seiner Töchter. 20 Gallardo ging längs der Barriere hin, den Degen und das rote Tuch in einer Hand, von den Blicken der Menge ge­folgt, und als er sich der Loge gegenüber befand, richtete er fich auf und entblößte sein Haupt. Er widmete seinen Stier der Nichte des Marquis Moraima. Viele Zuschauer lächelten maliziös. Ein Bravo den Glückskindern! Er machte eine halbe Wendung, warf nach Beendigung seiner Ansprache die Kopfbedeckung zu Boden und erwartete den Stier, den die Kameraden mit Mantelschwenken in seine Nähe brachten. Der Matador sab zu, daß die Bestie sich nicht von der Stelle entfernte, und in einem Nu fertigte er fie ab. Er wollte vor den Blicken von Donna Sol den Stier töten; sie sollte ihn aus der Nähe, der Gefahr gegenüber sehen. Jede seiner Be­wegungen mit dem Tuch war von Ausbrüchen des Jubels und der Angst im Zuschauerraum begleitet. Die Hörner gingen dicht an seiner Brust vorbei, es schien unmöglich, den An­griffen des Tieres unverwundet zu entgehen. Plöblich richtete er sich auf, den Oberkörper mit dem Degen in gerader Linie vorbeugend, und, bevor das Publikum seine lärmenden Warnungen an ihn richten konnte, warf er sich gegen die Bestie, wobei während einiger Augenblice Mensch und Tier einen einzigen Körper bildeten.

Als sich der Matador vom Stier losgemacht hatte und unbeweglich dastand, entfernte fich das Tier mit unsicherem Schritt und mattem Gebrüll. Die Zunge hing zwischen den Lefzen hervor, und der rote Griff des Degens war am oberen Teile des Halses kaum sichtbar. Nach wenigen Schritten stürzte es zu Boden; die Zuschauer, wie von einer mächtigen Sprungfeder bewegt, erhoben sich wie ein Mann von den Siben und brachen in einen donnernden Beifallssturm aus. Reinen zweiten gab es auf der Welt, der Gallardo an Kühn heit glich! Ob dieser Bursche wohl eimal Furcht gekannt

hatte?

Der Matador öffnete die Arme, die den Degen und das Tuch trugen, und grüßte zur Loge hinauf, während die weiß behandschuhten Hände Donna Sols fieberhaft Beifall flatschten.

Dann kam ein Gegenstand von der Loge zur Barriere herunter, von Zuschauer zu Zuschauer weiter befördert. Es war ein Taschentuch der Dame, dasselbe, das sie in der Hand getragen hatte, ein duftendes zierliches Gewebe aus Batist und Spitzen, durch einen Brillantring gezogen, den sie dem Stierfechter für seine Widmung zum Geschenk machte.

Von neuem ertönte Beifall, diesmal über das Geschenk, und die Aufmerksamkeit des Publikums, die bis jetzt voll­ständig dem Matador gegolten hatte, zersplitterte sich, indem viele der Arena den Rücken kehrten, um Donna Sol zu be­trachten, deren Schönheit sie stürmisch mit der Ungezwungen­heit des andalusischen Wesens priesen. Ein kleines, behaartes und noch warmes Etwas wurde von Hand zu Hand nach der Loge hinaufgereicht; es war das Ohr des Stieres, das der Matador als Huldigung heraufsandte.

Das Schauspiel war faum zu Ende, als sich auch schon die Nachricht von dem großen Erfolge Gallardos durch die Stadt verbreitete. Als der Matador seine Wohnung er­reichte, erwarteten ihn die Nachbarn an der Tür und klatsch­

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ten ihm Beifall, als ob sie in Wirklichkeit dem Kampfe beige wohnt hätten. Indem der Sattler seinen Groll gegen den Schwager dem Vergessen anheimgab, erging er sich in Lobe reden über ihn, weniger in Anbetracht des Kampferfolges, als wegen der wertvollen Freundschaftsbeziehungen. Seit einiger Beit hatte er ein gewisses öffentliches Aemtchen im Auge, und er zweifelte jept nicht mehr daran, daß er es er halten werde, da Juan in den besten Kreisen Sevillas Zutritt hatte.

Laß uns doch den Ring sehen! Sieh mal, Encarnacion , welch ein Geschenk. Ein echter Diamant und dick wie eine Kichererbse! Poztausend, muß ein schönes Stück Geld ge kostet haben."

Und der Ring ging von Hand zu Hand, begleitet bon Ausrufen der Bewunderung seitens der Frauen. Nur Carmen verzog bei seinem Anblick das Gesicht:" Ei, ja, recht hübsch," und gab ihn schnell an ihre Schwägerin weiter, als ob sie sich die Finger daran verbrannt hätte.

Nach diesem Stiergefecht fam für Gallardo die Zeit des Reifens. In feinem der früheren Jahre hatte er so viele Engagements bekommen, als in diesem. Nach seinem Auf treten in Madrid sollten alle anderen Stierzirtuffe Spaniens an die Reihe kommen.

Gallardo ging von Erfolg zu Erfolg. Niemals.hatte er sich so aufgelegt gefühlt; es schien, als ob eine neue innere Straft ihn beseelte. Vor Beginn der Schauspiele allerdings wurde er oft von schrecklichen Zweifeln und einem der Furcht ähnlichen Gefühl befallen, das er wie in feiner ersten Zeit, als er anfing, berühmt zu werden, gekannt hatte, aber sobald er sich auf dem Schauplatz seiner Tätigkeit sah, waren jene Gefühle verflüchtigt und er selbst von einer Tollkühnheit, die stets vom Erfolg gekrönt wurde.

fehrte er in Begleitung seiner Cuadrilla, die mit ihm zu­Nach getaner Arbeit in irgend einer Arena der Provinz sammen wohnte, in sein Absteigequartier zurüd. In Schweiß gebadet, vom Triumphe angenehm ermüdet, noch im Kostüm, ließ er sich nieder, und nun eilten die Sachverständigen des Ortes herbei, um ihn zu beglückwünschen. bar gewesen, er war der erste Stierfechter der Welt!"- i, um ihn zu beglückwünschen." Er war unerreich­Fener Degenstoß beim vierten Stiere! Das mußte man ge­sehen haben!- Wirklich?- fragte Gallardo mit kindlichem Stolz, und fügte dann selbst hinzu: In der Tat ist der Stoß

nicht übel gewesen."

Und über dem unaufhörlichen Wortschwall, der jede Unterhaltung über Stiergefechte charakterisiert, verflogen die Stunden, ohne daß der Matador und seine Bewunderer müde wurden, über den Kampf des Nachmittags und über frühere, vor Jahren stattgehabte zu verhandeln. Die Nacht brach herein, Richter wurden angezündet, und die Besucher machten noch keine Miene, zu gehen. Die Cuadrilla, getreu der Dis ziplin ihres Berufes, wartete in geduldigem Schweigen das Ende der Gespräche in einer Ede des Gemaches ab. So lange es ihnen der Maestro nicht gestattete, durften die Jungen sich nicht umkleiden und ans Essen denken. Die Picadore, von ihren eisernen Beinschienen und den Stürzen mit den Pferden ermüdet, drehten ihre breitkrempigen, steifen Filzhüte zwischen den Knien hin und her. Die Banderilleros, in ihre engen, waren nach der heftigen Bewegung des Nachmittags hungrig von Schweiß durchnäßten Seidengewänder eingezwängt, geworden; alle hatten denselben Gedanken und warfen den Aficionados verstimmte Blide zu.

Werden diese Schwäßer nun endlich gehen? Diese vermaledeiten Kerle!"

Endlich traf sie ein Blick des Matadors, der ihnen ge­stattete sich zurückzuziehen. Und die Cuadrilla trat ab, fich gegenseitig wie Schulkinder zum Zimmer hinausdrängend, während der Maestro die Lobsprüche der Bewunderer weiter anhörte, ohne sich um Garabato zu kümmern, der schweigend den Augenblick, ihn zu entkleiden, abivartete.

Von Zeit zu Zeit fam für ihn eines jener furzen, wohl riechenden Briefchen an, die ihn zu seinen Erfolgen beglück. wünschten. Ah! Wenn er Donna Sol bei fich hätte!

Bei diesem fortwährenden Herumziehen von einem Bublikum zum anderen, bergöttert von den Aficionados, die ihm das Leben im Ort angenehm zu machen sich bemühten,