die Gemeindeiasse. Der Vorsteher verfügte über sie und gab jedem davon nach dessen Bedürfnis oder seinem Gutdünken. Niemand konnte auf seine Grundstücke oder sein Häuslein Pfandschulden aufnehmen, das konnte nur die Gemeinde, deren Kasse das Geld der zuziehenden Familien und auch das geborgte zufloß und die es weitergab. Die Schuldner sollten von dem von der Gemeinde erborgten Gelde an die Gemeinde Zins zahlen. Aber wer keine Zinse zahlen konnte, der bezahlte auch keine. Zwangsmaßregeln wurden wegen Nichtzahlung niemals angewendet. Weiter durfte von einem Gewerbe nur ein Handwerker im Dorf seinen Beruf ausüben. Die Konkurrenz wurde als etwas Unchristliches angesehen. Arme, Bettler, Bankrott, Zwangsversteigerung gab es nicht. Bis zum Jahre 1847 hat sich diese kommunistische Verfassung erhalten, dann mußte sie durch eine andere, auf dem Privat- eigentum basierende ersetzt werden. Sie scheiterte und mußte scheitern an zwei Widerständen. Zum ersten konnte auch das ent- wässerte Moor die Menschen nicht nähren. Der Boden war und blieb unfruchtbar, trotz aller Mühe und Arbeit. Die Wissenschaft war noch nicht so weit, um eine den Bodenverhältnissen angepaßte Wirtschaft zu ermöglichen. Das geringe Viehfutter, da« auf dem moorigen Grunde wuchs, war kalkarm und salzlos. Es nährte nicht und machte das Vieh krank. Die Kolonisten, in der Bewirtschaftung von Moorboden unerfahren, verringerten durch Brennen und andere Methoden vielfach noch die schon geringe Ertragsfähigkeit des Bodens. Wintergetreide konnte überhaupt nicht gebaut werden, Sommergetreide wuchs nur in der Nähe der Abzugsgräben. Oft genug entführte aber der Wind die Pflanzen mitsamt den Wurzeln aus dem leichten Boden, oder Nachtfröste, die selbst im Juli fnur zu häufig auftraten, vernichteten die ganze Ernte. Brotkorn für die Menschen, Futter für das Vieh mußte gekauft werden. Die Ge- meinde verarmte mehr und mehr. Halte der Gemeinde, die im Jahre 1847 47 Familien zählte, gutes Ackerland zur Verfügung gestanden, so hätte sich die primitive kommunistische Verfassung wohl länger gehalten, denn die geringen Bedürfnisse der Gemeindemitglieder ließen sich durch Eigenproduktion zum allergrößten Teil befriedigen. So aber mußte die Gemeinde verarmen. Eine Ausdehnung der Gewerbebetriebe, die Produktion für die umwohnende Bevölkerung wollte die Leitung aber verhüten, um nicht in das Wirtschaftsgetriebe hineingezogen zu werden, das mit brüderlichem Kommunismus so gar nicht zu vereinbaren war. Gelegenheit zum genossenschaftlichen Betriebe eines GcwerbezweigeS war zudem nicht gegeben. Die Gemeinde trieb unrettbar dem Ruin zu. Die Pietisten in ganz Württemberg machten ungeheure An- strengungen, die Kolonie zu halten, mußte doch deren Untergang auch den Bestand der Muttergemeinde Kornthal, die volle Bürgschaft für Wilhelmsdorf zu tragen hatte, aufs äußerste gefährden. Zudem würde der Zusammenbruch Wilhelmsdorfs der Sache und dem An- fehen des Pietismus im ganzen Lande und darüber hinaus schwer schaden. Ungezählte Gelder waren bereits nach Wilhelmsdorf ge- flössen. Alles umsonst. Eine im Jahre 1847 angestellte Berechnung ergab, daß mindestens 100 000 Gulden, für die damalige Zeit ein gewaltiges Kapital, notwendig waren, um die ganze Gemeinde vor dem Konkurs zu retten. Das Geld wurde aufgebracht, zugleich der württembergischen Regierung das Ultimatum gestellt: entweder wird der Zukanf von gutem Ackerland gestattet, die Kolonie zur selb- ständigen Gemeinde erhoben und Kornthal der Bürgschaft entbunden, oder die Kolonie verlassen I Die Regierung gab nach, die Schulden wurden getilgt, die Einwohner in den Besitz ihrer Häuser und Grund- stücke eingesetzt und der Gesamtbürgschaft enthoben, die völlig Ver- armten wurden nach Amerika abgeschoben. Der alte urwüchsige Kommunismus nach dem Rezept, wie eS in der Apostelgeschichte des Reuen Testaments niedergelegt ist. war abgetan. Die Gemeinde hatte auch dann noch schwer zu kämpfen. Einen eigentlichen Aufschwung nahm sie erst, als Erziehungsanstalten ge- ründet wurden, die von den Kindern der Pietisten aus aller Herren änder besucht werden. Ein Vorsteher dieser Anstalten, I. Ziegler, hat die wechselvolle Geschichte der Gemeinde in einem Büchlein„Ein Königskind', im Verlag der Zieglerschen Anstalten in Wilhelmsdorf gedruckt, beschrieben._ Kleines f eullleton. Bauern als Kometcnentdccker. Mehr als irgend eine andere Wissenschaft ist— wie in Heft V des„KoSmoS" ausgeführt wird— vielleicht gerade die Astronomie reich an schätzenswerten Leistungen von Laien und Dilettanten gewesen. Verzeichnet diese Geschichte doch sogar zwei berühmt gewordene Bauern, die sich als Kometen- entdecker bekannt machten. Als im Jahre 17 38, zur Zeit des Sieben- jährigen Krieges, die Gelehrten das Erscheinen des Halleyfchen Kometen angekiindigh. hatten, da war der erste, der den Kometen entdeckte, der BauerP a l i tz s ch in Prohlis bei Dresden , ein heller Sachse also. Er lebte von 1723—1788, und betrieb als reicher Bauernsohn neben der Landwirtschaft in seinen Muße- stunden eifrig Sternkunde lind Botanik. Die Instrumente, deren Zahl und Feinheit die Bewunderung der Besucher erregten, fertigte sich Palitzsch selber. Als er in der Nacht des 25. Dezember 1753 den Kometen gesunden, den Pariser Astro- nomen erst einen ganzen Monat später sicbteten, wurde er von den Akademien zu London und Petersburg zum korrespondierenden Mit» glied ernannt. Trotz vieler Ehrungen blieb Palitzsch immer ein „frugaler teutscher Biedermann', mochten ihn Fürsten und Barone besuchen, mochte der Herzog von Braunschweig sich den merk- würdigen Bauer in nächster Nähe besehen, mochte er unangemeldet jederzeit Zutritt bei seinem Landesherrn, dem Kurfürsten, haben, Palitzsch verlor darüber nicht das seelische Gleichgewicht.— Einen Vorgänger hatte er aber in dem sächsischen Landsmann Christian Arnold, der, in Sommerfeld bei Leipzig geboren, bereits im 17. Jahrhundert mehrere Kometen entdeckt und sogar zuerst einen Vorbeigang des Merkur vor der Sonnenscheibe beobachtet hatte. Dieser Arnold lebte von 1650—95, entdeckte 1683 und 1686 Kometen und veröffentlichte Abhandlungen in den Leipziger „.Acta eruclitoruin"(gelehrten Nachrichten), besonders erscheinen ließ er die Schrift„Göttliche Gnadenzeichen in einem Sonnenwunder vor Augen gestellt'. Arnold korrespondierte mit den berühmtesten Gelehrten seiner Zeit. Die von ihm aufgezeichneten vieljährigen Beobachtungen vermachte er teils einein Fachastronomen, teils der Leipziger Rats- bibliothek. Der Rat der Stadt Leipzig , stolz auf solch einen Mit- bürgcr der nächsten Umgebung, ehrte ihn durch ein Geldgeschenk und befreite ihn lebenslang von allen Abgaben. Der Astronom Schröter benannte nach Arnold drei Täler des MondeS. Es verdient noch besonders hervorgehoben zu werden, daß der eine bäurische Kometen - entdecke! nach dem Dreißigjährigen Kriege lebte, also in einer der verkommensten Epoche der deutschen Geschichte, der andere während des Siebenjährigen Krieges und obendrein im Bereich der kriegerischen Vorgänge. Auch heute gibt es Bauern, die Astronomie treiben. Der englische Biograph S m i l e S berichtet von einer langen Reihe astronomisch beflissener Leute in den untersten Ständen; dieser Smilessche Aufsatz ist wohl der interessanteste Beleg, wieviel Geist und Willenskraft in der breiten Schicht des Volkes zu finden ist. Erziehung und Unterricht. DaS Formen, ein wichtiges B e s ch ä fti g un g S- mittel für Kinder. Die werktätige Beschäftigung, die Aus- hildung der Hand, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Auf- und Ausbau des geistigen Innenlebens bei Kindern. Je zahlreicher und mannigfaltiger die Empfindungen von einem Gegen- stände der Außenwelt, je vielseitiger die Anschauungen von einem Objekte sind, desto klarer und deutlicher sind die Vorstellungen und daniit desto besser und sicherer die Grundlage für eine gute geistige Ausbildung. Lernt man etwas nicht besser, wenn man es nicht bloß hört, sondern auch noch lesen, also mit dem Gesichte wahr- nehmen kann? Und sitzt eS nicht noch sicherer, wenn man eS hört, liest und vielleicht noch schreibt, wenn also nicht bloß Gesichts- und Gehörsempfindungen, sondern auch Gefühls- und Muskelsinn. die Bewegung der Hand, zur Unterstützung herangezogen werden? Ebenso ist es auch mit der werktätigen Beschäftigung der Kinder. Selbsttätig sein, heißt eS darum heutzutage mit Recht bei der geistigen Ausbildung der Kinder, der Jugend. Mannigfach sind nun die verschiedenen Arten und Zweige der Beschäftigungsmittcl. Vielleicht dürfte aber unter allen eine? einen besonderen Vorzug verdienen. ES ist daS Formen. Vor allen Dingen ist es dem Kinde am gelegensten. ES entspricht am meisten der kindlichen Naturanlage. ES beschäfttgt sich mit ihm am liebsten. Fragen wir das Kind selbst einmal. Gehen wir einmal an seinen Spielplatz und beobachten eS. Was treibt eS am liebsten? Ist eS nicht der„Sandhaufen'? Höhlen werden ge- graben, Gräben angelegt, Kuchen geformt u. a. m. Keine Spur von Langeweile, keine Spur von Ermüdung ist bemerkbar und dauert es noch so lange. Nicht anders ist eS später beim Formen mit Ton oder Plastilina. Daneben hat das Formen aber auch seine hohe geistbildende Bedeutung. Unwillkürlich wird daS Kind gezwungen, Auge und Geist zu üben, die Gegenstände genauer zu betrachten und zu fixieren, zu schätzen, einzuteilen, Raum- und Größen« Verhältnisse wahrzunehmen, wie es vielleicht durch nichts anderes in der Weife geschehen kann. Selbstverständlich geht damit wieder die Bildung klarer Vorstellungen und Begriffe Hand in Hand. Nicht unerwähnt darf ferner bleiben die Ausbildung der handlichen Ge- schicklichkeit, die das Formen mit sich bringt. Endlich verdient eS noch ernste Beachtung, weil eS kein allzu teurer Betrieb ist. Für Materialien hat man nicht allzu hohe Aufwendungen zu machen. Nußer einem Brettchen oder einem Linoleumstückchen als Unterlage ist erforderlich Ton oder Plastilina. JedeS der beiden letzteren hat feine Vorzüge, aber auch den einen oder den anderen Nachteil. Plastilina z. B. ist immer gebrauchsfähig. DaS Arbeiten damit ist sauber. Natürlich ist eS teurer als Ton. Dieser aber wieder hat den Vorzug der Billigkeit; doch bedarf er einer vorsichtigen Be- Handlung. Ein besonderer Vorzug deS Formens besteht darin, daß es nicht nur in der Schule zur Unterstützung des Unterrichts geübt, sondern auch in Haus und Familie gepflegt werden und an Stelle von Spiel und Unterhaltung treten kann. Da bewahrt eS das Kind vor Lange- weile; es ersetzt andererseits aber auch teure Spielsachen und hat dazu noch einen nicht zu unterschätzenden geistbildenden Wert. Kerantw. Redakteur: Richard Barth . Berlin.— Druck u. Verlag: VorwärcSBuchsruckerei u. VerlagSanstallPaul Singer SlEo..Berttn8>äl.
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27 (20.5.1910) 96
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