Anterhaltungsblatt des'Dorwärts Nr. 101. Freitag, den 27 Mai. 1910 CRü&dtiiif Mrtetta.) SSj Die)Zrena. Roman von Dicente BlaSco Jbanez. Autorifierte Uebersetzung von Julia Brouta. „Ich habe keine Angst vor den Gendarmen," fuhr der Räuber fort,„Wohl aber fürchte ich die armen Leute. Es sind ja sonst alle gute Menschen, aber wie gesagt, das Elend ist ein schlimmer Ratgeber. Ich weih, daß die mit dem Drei- spitz mich nicht töten werden. Ihre Kugeln sind nicht für mich. Wenn mich jemand tötet, wird es ein Armer sein. Unsereiner Iäf$ sie ahnungslos an sich herankommen, weil sie unser eigenes Fleisch und Blut sind, und dann machen sie sich die Sorglosigkeit zu nutze. Ich habe Feinde, die sich gegen mich verschworen haben: zuweilen gibt es Spitzbuben, die einen in der-Hoffnung auf etliche Pesetas zur Anzeige bringen, oder Niederträchtige Schufte, die das. was man ihnen aufträgt, nicht besorgen; und. um sich Respekt zu ver- schaffen, muh man alle mit Härte behandeln. Tut man ihnen ein Leid, so bleibt die Familie übrig, um ihn zu rächen. Ist man milde und begnügt sich damit, ihnen mit Brennesseln und Disteln einen Denkzettel auf eine gewisse Körperstelle zu versetzen, so erinnern sie sich ihr ganzes Leben hindurch an diesen Späh... Ja, vor den Armen, vor meinesgleichen habe ich Furcht. Plumitas hielt einen Augenblick inne. Dann fuhr er, indem er den Stierfechter ansah, fort: „Außerdem sind die Jünger, die Schüler, die Nachahmer da. Sagt die Wahrheit, Sennor Juan: Wer macht Euch mehr zu schaffen, die Stiere, oder alle jene Neulinge, die, von Hunger getrieben, es dem Maestro zuvor tun wollen? So ist es bei mir auch. Ich sage es ja, wir gleichen einander.. In jedem Dorfe gibt es einen wackeren Burschen, der davon träumt, mein Nachfolger zu werden, und mich eines Tages im Schatten eines Baumes eingeschlafen zu finden hofft, um mir den Garaus zu machen. Der, welcher den Plumitas kalt gemacht, wird nicht geringes Ansehen davontragen." Darauf begab er sich, von Potage gefolgt, in den Stall, und eine Viertelstunde später brachte er das starke Pferd, feinen unzertrennlichen Begleiter, in den Hof des Wohn- Hauses. Das knochige Tier schien größer und stattlicher ge- worden zu sein nach den vor gefüllten Krippen verbrachten Stunden. Plumitas streichelte ihm die Weichen, während er die Decke über dem Sattel zusammenlegte. Das Tier konnte zu- frieden sein. Der Bandit gab zu, daß es selten so gut g» pflegt worden sei wie auf dem Gut des Sennor Juan. Nun hieß es, sich tapfer halten, denn der Tagesmarsch werde lang sein. „Und wohin geht die Reise. Kamerad?" sagte Potage. „So etwas fragt man nicht. Ich selbst weih es nicht. Herum in der Welt. Dahin, wo es was zu holen gibt!" Und er schwang sich hinauf, indem er eine Fußspitze in einen der rostigen und beschmutzten Steigbügel setzte, und blieb aufgerichtet im Sattel. Gallardo trennte sich einige Schritte von Donna Sol, die den Vorbereitungen zur Abreise mit seltsamem Ausdruck und bleichem, vor Erregung zusammengepreßtem Mund zusah. Der Sticrfechter fuhr in die innere Tasche seiner Jacke und ging auf den Reiter zu, indem er ihm verstohlen einige lü» seiner Hand zusammengefaltete Papiere überreichte „Was ist das?" sagte der Räuber. „Banknoten I" „Ich danke, Sennor Juan. Man hat Euch roahrscheinlich erzählt, man müsse mir etlvas geben, wenn ich mich von einem Gute entferne. Das gilt aber nur den anderen, den Neichen, die Geld wie Heu haben. Ihr verdient das Eurige mit eigener Lebensgefahr. Wir sind Kollegen. Behaltet es, Sennor Juan." Gallardo steckte die Banknoten wieder zu sich, von der Weigerung des Banditen etwas enttäuscht, der sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn wie einen Berufsgenossen zu betrachten. .Ihr werdet mir einmal einen Stier widmen, wenn wir uns im Zirkus treffen." fugte Plumitas hinzu.«Das ist mehr wert, als alles Gold der Welt." Donna Sol schritt dazu, bis sie neben dem Reiter stand, und indem sie eine Herbstrose von ihrer Brust nahm und ihm schweigend überreichte, sah sie ihn mit ihren goldgrün glänzenden Augen an. „Ist das für mich?" fragte der Räuber mit einer Be« tonung der Ueberraschung ttnd des Erstaunens.„Für midk Frau Marquise?" Als er sah. wie die Dame kopsnickend bejahte, nahm er die Blume verlegen in seine schwerfällige Hand, als ob sie von überwältigendem Gewicht wäre. Er wußte zuerst nicht, wo er sie hinstecken sollte, und wies ihr schließlich einen Platz in einem Knopfloch seines Kittels an, zwischen den beiden Enden semes roten Halstuches. „Das ist wirklich etwas Schönes!" rief er aus, und sein volles Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.„In meinem Leben ist mir so etwas nicht vorgekommen." Der rauhe Reitersmann schien bewegt und gerührt zu» gleich von diesem Geschenk aus Frauenhand. Rosen, und für ihn!... Er zog die Zügel des Pferdes an. „Bleibt alle gesund. Ihr Herrschaften. Bis auf Wieder, sehen.... Gesundheit, mein braver Bursche. Ich werde Dir einmal eine gute Zigarre zuwerfen, wenn Tu Deinen Stier recht anstichst." Mit einem rauhen Händedruck verabschiedete er sich vom Picador, der ihm mit einem Faustschlag auf den Schenkel antwortete, daß die kraftvollen Muskeln des Banditen zitterten. Wie angenehm dieser Plumitas doch war! Inder Rührung seines Rausches wollte Potage sich mit ihm ins Feld schlagen. „Lebt wohl, lebt wohl!" Und dem Pferde die Sporen gebend, verlieh er in scharfem Trab das Gut. Gallardo war froh, als er sich entfernte. Dann blickte er nach Donna Sol. die unbeweglich dastand und mit den Blicken dein Reiter folgte, der in der Ferne immer kleiner wurde. „Welches Weib!" murmelte der Stierfechter entmutigt. „Welch närrische Frau!..." Es war ein Glück, daß der Bandit häßlich war und in Lumpen gehüllt und schmutzig wie ein Landstreicher herumzog. Sie wäre sonst mit ihm gegangen. „Es ist geradezu unglaublich, Sebastian, daß ein Mann wie Du. der Frau und Kinder hat, sich zu solchen Kuppeleien hergibst... Ich hätte das nicht von Dir gedacht, und hatte Vertrauen zu Dir, wenn Du mit Juanito auf die Reise gingst! Ich war beruhigt, weil ein ch»raktervoller Mann ihn begleitete!... Was ist nun aus Deinen guten Gesinnungen geworden? Werden solche Dinge in Eurer Partei gepredigt?" Der Nacional erschrak über den Unwillen von GallardoS Mutter, und die Tränen Carmens, die im Stillen weinte und ihr Gesicht in einem Taschentuch verbarg, rührten ihn. Er verteidigte sich ungeschickt, aber bei Vernehmen der letzten Worte richtete er sich mit einem priesterlichen Ernst in die Höhe. „Sennora Augustias, ruht nicht an meine Ideen und laßt, wenn ich bitten darf, die Partei außer Spiel, die mit diesen Dingen nichts zu tun hat. Beim Leben der blauen Taube! Ich ging mit nach La Rinconada. weil mein Maestro es mir befahl. Wißt Ihr. was eine Cuadrilla ist? Dasselb« wie ein Regiment. Disziplin und Unterwerfung muß sein. Der Matador befiehlt und man muß gehorchen: denn alles, was mit den Stieren zusammenhängt, stammt aus den Zeiten der Inquisition , und ein rückschrittlicheres Handwerk gibt es nicht." „Hanswurst!" rief die Scnnora Angustias aus...Schön« Geschichten das. Deine Fabeln von Inquisition und Rück» schritt! Alle zusammen bringt ihr noch diese Aermste um. die den ganzen Tag Tränen vergießt, wie die Schmerzens- reiche. Du bezweckst nichts anderes, als die Schandtaten meines Sohnes zu verdecken, weil Du sein Brot ißt." »Ihr habt recht, Sennora Angustias. Juan gibt mir
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27 (27.5.1910) 101
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