HdBenben Instinkte der Menschheit werden bestrahlt von des Autors weltreifem Witz� Er zeigt, gleicherweise erfüllt von Skepsis und Epikuräertmn, wie eng beieinander die Gedanken wohnen, doch hart im Räume sich die Dinge stoßen. DaS stärkste dieser Erde ist der Wahn. Ein Opfer dieser stärksten Gewalt wurde Paphnucius, der heilige Mönch auS dem alten Alexandrien . Er will die Freuden» fpenderin Thais zu Gott bekehren und erliegt selbst dem Zauber der Buhlerin. Diese aber, deS schwelgenden Lotterlebens satt, wird von der Stimme de? frommen Warners gettoffen und folgt ihm in ein Kloster, Paphnucius aber vermag in seiner Einsiedelei daS zehrende Feuer seines begehrlichen Fleisches nicht zu löschen. Alle Kasteiungen, das Martyrium als Saulenheiliger, der lodernde Wahn, daß die Keuschheit gottgefällig sei, bringen seine gemarterte Seele nicht zur Ruhe. Und endlich eilt er in das Kloster der Thais, um sein Verlangen nach der schönen Büheriu zu stillen. Er trifft sie sterbend. Seine Liebesrasereien vermögen fie nicht ins Leben zurückzurufen. Schaudernd erkennt er: Gott, der Himmel, alle« ist nichts. DaS einzig Wahre ist das irdische Leben und die Liebe der Geschöpfe. So siegt am Ende aller Bücher des altertümelnden Chronisten stets die Vernunft, Heiliges verkehrt sich in Profanes, Profanes in Heiliges, die Askese, die Gottesgebot war. wird zur irdischen Wollust, in den Gesang der Litaneien mischt sich antike Lebenslust. Auatole France ist ein Geist, der die.Grenzen der Menschheit" begriffen hat. Er sitzt schwelgelnd am Tische Platos, taucht unter in mittelalterliche Mystik, kostet als leidenschaftlicher Bibliophile die geheimen Wissenschaften, berauscht sich an Legenden, das Kreuz blitzt in seine Philosophien, Silene tanzen mit Kutten- männern, er ist Alchymist und Spiritist und doch auch wieder Fatalist, ein freier Geist, der zuletzt an nichts glaubt als an urewige Natur- gesetze. Ein Hymnus an die ewigen Naturgesetze ist Thais, die Geschichte der Kasteiung, die die Zweideutigkeit und Hinfälligkeit menschlicher Doktrin schmerzlich beweist. Mit dem Dichter vermählt sich der Denker, seine Geschichten sind eigentlich ein einziges Fest des Geistes. Die Gäste, die der alte Cotta bewirtet, halten gesiebte Gespräche, die in zierlichen Wendungen mit den Dingen spielen. Der Dichter verliebt sich in die glänzend stilisierten Philosophien, streichelt und kost sie, tind sein auS vielen Quellen zusammenfließender Geist hängt diese Jdeenblätter wie Guirlanden um seine Geschichten. Diese Vorliebe ist der größte Vorzug der Bücher Anatole FranceS, sie ver« leugnet sich auch nicht, wo er Moderne? oder Neuzeitliche» sarkasttsch- phantastisch formt wie in dem grotesk-nachdenklichen Roman: Die Insel der Pinguine. Fischers Bibliothek zeitgenössischer Romane; seder Band 1 M., in Leinen 1,25 M.— Diese kleine, billige, vor« züglich ausgestattete Bibliothek ist nun schon zu einer stattlichen Sammlung herangewachsen. Sie ist nach wie vor von gutem Ge- schmack geleitet und hat sich bis jetzt noch niemals in der Wahl des Gebrachten vergriffen. Wir finden alle gute Namen in ihr vereinigt, bekannte und neue; erklärte Dichter, deren Werke bis jetzt nur m teueren Ausgaben vorlagen, werden hier zu kleinem Preise dem Volke zugänglich gemacht, und manch eine interessante Bekanntschaft mit wertvollen, bisher Unbekannten aus der Literatur vermittelt. Die Fischersche Bibliothek unterscheidet sich von verschiedenen wohl- feilen Editionen durch ihre streng sichtende Gewiffenhafttgkeit; sie sündigt nicht auf ihre ansprechende äußere Einkleidung hin, füllt die Reihe nickt mit minderwertigem Material, sondern gibt der Form auch einen soliden guten Kern. Von der Gediegenheit dieses Unter- nehmenS überzeugen ohne weiteres die bi» jetzt erschienenen Namen; als einige von den letzten Bänden nenne ich nur Fontane und Her« mann Bang. Vom Schilderer der Mark Altmeister Fontane grüßt uns in diesem Jahre in handlicher Form, die das Lesen an sich schon zum Genuß macht, die reiz- volle Erzählung Cecile, in der der ernst-schalkhafte Weibkenner die Galerie seiner Frauengestalten um ein kapriziös differenziertes Exemplar bereichert, das ebenso anziehend wie beklagenswert ist. Hermann BangS meisterlich durchgeführte Geschichte.Am Wege", die die zerreibende Macht des Philisteriums schildert, in dem eine sehnsüchtige Frauenseele zugrunde geht, ist psychologischer Feinheiten voll. Des dänischen Dichter« Lieblingsthema von der Tragik des Alltags ist hier wieder mit jener vibrierenden SttmmungS- fünft behandelt, die wir an Bang so sehr schätzen.— In LauridS Bruun machen wir die Bekanntschast eine» Landsmannes BangS und entdecken ihn auf den Spuren Multatulis. In Van ZantenS glücklicher Zeit erzählt er un»— wie jener— von einem Beamten der holländischen Kolonien, der, wie Max Havelaar, in der europäischen Kultur den Riegel vor natür- fichem Glück erblickt. Das Buch interessiert vor allem durch daS Ethnographische.— Von Norbert Jaques, der sonst an der Krankheit Kielschreiberei laboriert, liegt eine anschaulich« Geschichte.Der Hafen" vor, die ebenfalls durch frische Bilder de» Oertlichen ergötzt. Eine große Freude aber bereitet der Roman Anny DemlingS: „Oriol Heinrichs Frau". Die Verfasserin weckt von der ersten bis zur letzten Zeile unsere Aufmerksamkeit, ein starkes Talent offenbart sich in dieser seelisch vertieften Kunst der Verfafferin. Man darf dem Verlag ftlr diese Gabe dankbar sein; weiter auf diesem Wege wird die Fischersche Bibliothek zeitgenössischer Werke sich bald einen festen Platz beim lesenden Publikum, besonders im Volke erobert haben und einen Ehrenplatz dazu._ 0. V. Kleines feuilleton» Kunstgewerbe. Di» zweite Ton-, Zement- und Kalkindustrie- Ausstellung wurde dieser Tage in Baumschulenweg unter den üblichen Feierlichkeiten eröffnet. Sie verfolgt, wie der ganze Aufbau, die Anordnung und Einrichtung deutlich erkennen lasten, eine doppelte Tendenz. Einmal dient sie selbstverständlich den Fachleuten der be- treffenden Industrie zur Orientierung, aber ew nicht geringer Teil der Ausstellung wendet sich auch an die große Mäste des Publikums, und man muß zugestehen, daß die Leitung sich in dieser Beziehung alle Mühe gegeben hat und daß manche gute Anregung davon aus- gehen wird. Vom technischen Standpunkt auS zerfällt die Ausstellung in zwei große Abteilungen. Die eine zeigt die Maschinen, mit deren Hilfe Ton, Kalk und Zement gewonnen, verarbeitet und geformt werden; die andere die fertigen Produkte und ihre vielseittge Verwendung im Haushalt und in der Industrie, in der Bau- und bildenden Kunst. Ton, Zement und Kalk bilden den Kern der Ausstellung, aber auch Eisen- und Holzkonstruktionen, die chemische Industrie und andere Jndustrieen, soweit fie einen auch nur entfernten Zusammenhang mit jenen haben, sind reich vertreten. Nur ist merkwürdigerweise die Verblendstein- und Terrakotteindustrie(die in den letzten Jahren ständig im Niedergange begriffen war) auf der Ausstellung gar nicht vertreten. Die technische Abteilung ist besonder? reich mit Maschinen der verschiedensten Konstruktionen beschickt, die die frühere Handarbeit des ZieglerS, die noch vor ganz kurzer Zeit als total unersetzlich galt, durch die rascher, bester und rentabeler arbeitende Maschinen- arbeit ersetzen sollen. Von den riefigen Steinquetschen bis zu den Modellen ausgedehnter Brennofenanlagen ist alles vertteten. Verschiedene Sprengstofffabriken haben sehr anschauliche Modelle aufgebaut, um die Sprenganlagen in den verschiedenen Gesteinsarten(u. a. auch eine besondere Methode, die bei uns weit verbreiteten Findlinge ohne Bohrlöcher zu sprengen) zu demonstrieren. Besonders instruktiv wirkt die kleine Ausstellung des kgl. Material- prüfungsamteS in Groß-Lichterfelde . Die Unterschiede der ver- schiedenen Materialien in ihrem Verhalten gegen Zug und Druck, ihre Fehler, wie Gußkehler deS Eisens, Wasterstoffkrankheiten der Metalle u. dgl. mehr, sind durch gut angeordnete Beispiele höchst anschaulich gemacht. Die Wirkungen eines Sandgebläses auf eine Anzahl natürlicher und künstlicher Gesteine zeigen ihre verschiedene Widerstandsfähigkeit gegenüber der ErofionSwirkuug deS Windes. Unter den Fabrikaten verdienen neben allen möglichen Zement- arten hervorgehoben zu werden, die eine geradezu überraschend« Mannigfaltigkeit darbietenden Kunststeine, wie künstlicher Marmor, Kalkstein usw., die nicht allein technisch eine außerordentlich viel- seitige Verwendung zulassen, sondern auch sehr vornehm zu wirken vermögen. Die Berginspektio» der Rüdersdorfer Kalkbrüche ist zum Beispiel mit einer Kollektion ihrer Produkte vertreten. Zu erwähnen wäre ferner der Pavillon der märkischen Ziegeleien, der in mittel- alterlichem Stil gehalten ist,«nd der moderne der Veltener Ton- und Kachelindustrie. Der letztere enthält eine Reihe von zum Teil prachtvollen Kachelöfen, in Entwürfen u. a. von Friedrich Benoit, L. Peters, Willi Weidner, die dieses gemütliche Möbel gegenüber den zwar bequemen, aber dafür um so häßlicheren Zenttalheizungs- röhren wieder schätzen lehren. Ueberhaupt verdient die Ausstellung in künstlerischer Beziehung alle Anerkennung. Die unterelsässische Ton- industrie(wir vermißten aber sehr die hessische, rheinische und anhaltinische I> weist eine reiche Kollektton von Typen bäuerlicher Kunst und solchen modernen Geschmacks auf. In dem sogenannten römischen HauS, das ein farbenprächtige? Diorama der Ruinen des Kaiserpalastes zu Trier enthält, sind u. a. eine Anzahl beachtenswerter Grabsteinmodelle untergebracht. Der Musterkirchhof mit seinen Urnennischen ist trotz vieler schöner Einzel- heilen nicht ganz geglückt; die auS Ziegel aufgebauten Grab« denkmäler wirken geradezu beleidigend. Am besten gefiel uns die aus.Trudelit" hergestellte Gruppe der verlin-Wilmersdorfer Kunst- Werkstätten von Prof. Robert Schirmer mit ihren fein abgetönten Farben und der jeweilig dem Charakter der Steine an- gepaßten Linienführung. Dagegen ist der Pavillon, der die Erzeugnisse des dem deutschen Kaiser gehörigen Tonwerkes Cadinen birgt, von einer auffallenden Geschmacklosigkeit, der natür- lich auch der byzantinische Unterton nicht fehlt. Der Ausstellungsleitung möchten wir noch raten, die Fertig- stellung der fehlenden Teile der Ausstellung— und eS fehlt noch sehr viel l— etwas zu beschleunige.»; es ist kein Vergnügen, ständig über Gerüstbalken zu stolpern und bis über die Knöchel im Bau- fand zu waten. Auch läge es in ihrem Interesse, wenn fie einige Verkaufsstände, die einen direkten Anreißer charatter tragen, ent- fernen ließe. Hoffentlich ermäßigt sie auch den etwas hohen Ein- trittspreis von 1 M., wenigstens für größere Gruppen, Vereine und Verbände, damit auch Arbeiter, für die eS hier so viel des Jnter« essanten und Lehrreichen-u sehen gibt, die Ausstellung besuchen können. verantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin.— Druck u. Verlag: vorwärts Buchtruckerei u.Beriagsanjlalt Uaut Singer LlCo..«erl,n SAt.
Ausgabe
27 (9.6.1910) 110
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