41 »Paß aiif, Boel, nun geht'S gewiß schief!' Die Wiesenhos- bäuerin wird ängstlich. .Pack sie am Maull' ruft Anders. Vier Hornklauen klappern um die Wette auf dem Pflaster mit Boels Holzschuhen. Sara kann hin und wieder ein Kichern nicht unterdrücken; denn Boel schimpft und kreischt gegen das ausgelaffene Tier. Aber Maren sagt:.Das ist durchaus nicht zum Lachen; es ist unsere beste Kühl" .Pack sie am Maul!" ruft Anders abermals und nähert sich, um ihr zu helfen. Boel hat schon das Klappholz gepackt und zerrt die Bleßkuh derartig, daß sie sich beinah überschlägt, weil sie sich selbst auf die Klauen tritt, die im Laufe des Winters eine unglaubliche Länge erreicht haben. Angefeuert durch die Zurufe und die ihr geschenkte Aufmerk- famkeit, ist Boel selber ganz wild geworden, und sie schreit sieges- bewußt:.Nein, meine Gute, hier bist du an die Unrechte ge- kommen!" Und gleichzeitig gibt sie der Kuh vorn einen Fußtritt. Das hätte sie nicht tun sollen. Denn nun rast die Bleßkuh davon, als ob es weder Boel noch andere hemmende Mächte gäbe, und Boel stürzt, mit den Röcken über dem Kopf, zur großen Be- lvstigung der Zuschauer. Die Kuh genießt in ausgelassenen Sprüngen ihre Freiheit. Nachdem sie eine Weile umhergelaufen ist, steht sie plötzlich von selber still vor der Pumpe; sie streckt ihre Schnauze in die Luft und läuft dann über den Hof, als sammle sie in ihrem mächtigen Schlünde die Proteste aller stummen Kreaturen gegen menschlichen Zaum und Zwang. Dann läßt sie sich von Anders einfangen, der sie ganz ruhig fortzieht, ohne den allergeringsten Zwischenfall. (Fortsetzung folgt.)! Hud dem freuen Botamfcben Garten. (Geöffnet am Sonntag, Dienstag, Mittwoch und Freitag von 2 bis 7 Uhr, die Gewächshäuser von 2 bis 6 Uhr.) Der freie Durchblick, den wir noch vor Wochen durch die lichten Gehölze hatten, ist verschwunden. Tin grünes Meer liegt vor uns, aus dem beim Wandern bald eins der riefigen Gewächshäuser oder eins der roten Gebäude am Rande des Gartens, bald einer der GesteinSgipfel des.Alpinums" austauchen. Vom Eingang gehen wir wieder geradeaus, bis links der Teich heraufschaut; an einer schmalen Stelle bemerken wir eine steinerne Brücke, die wir leicht erreichen. Die Blätter der Laichkräuter und Seerosen bedecken einen großen Teil des Wasserspiegels, und die großen Blüten der letzten haben sich geöffnet. Unmittelbar neben der Brücke aber blühen in Menge eine Anzahl Arten der Gattung Rhododendron. Neben halbmannshohen Büschen aus dem Kaukasusgebiet, wo manche dieser Arten ganze Berghäng« in undurchdringlichen Dickichten überziehen, finden wir auch unsere beiden Alpenrosen-Brten(Hb. birsutum und Hb. kerrugineum), die hier in voller Blüte stehen, während sie im Hochgebirge noch ihre Zeit abzuwarten haben. Blühende Rhododendron-Arten und die ihnen nahe verwandten Azalien machen sich überhaupt an vielen Stellen des Garten? bemerkbar. Eine andere Pflanzengruppe, die ihm jetzt das Gepräge gibt, find die Schwertlilien, die Arten der Gattung Iris. So viele Arten eS da- von auch gibt, so sieht doch auch der Laie sofort, daß sie alle zu einer.Gattung" gehören, denn die Uebereinstimmung in der Bildung der Blüte ist bei allen vollkommen. Besonders eine blaue Art, die in Süddeutschland heimisch und auch in allen Laubenkolonien bei Berlin anzutreffen ist, gestattet eine bequeme Untersuchung der in ihrer Art bei uns einzig dastehenden Blütenbildung. Wir sehen drei nach außen zurück- gebogene große Blumenblätter. Wenn wir aber einen Blick in das Innere der Blüte tun wollen, versperren uns drei andere, kleinere Blätter den Weg, die aus dem Mittelpunkt des Ganzen heraus­kommen und sich über den Grund der großen Blumenblätter legen; auch diese kleineren Blätter sind bunt und sehen völlig blütenartig aus, in Wirklichkeit aber sind es blumenblattartig verbreiterte weib- liche Narben. Heben wir sie in die Höhe, so sehen wir unter jeder ein gelbes Staubgefäß. Die Schwertlilien sind sogenannte Hummel- blumen. Man sieht allerhand Insekten um die Blumen schwirren, aber nur die Hummel versteht sich mit der BIllee abzufinden, für sie allein ist hier der Tisch gedeckt. Sie fliegt auf eins der großen Blumenblätter und findet hier eine gelbe Haarleiste, der sie folgt; dabei kommt sie mit dem Kopfe unter das Ende der blumenblattartigen Narben, hebt sie vollends in die Höhe und ver- schwindet in der Unterwelt. Während die Hummel , dieser Bär unter den Insekten, mit ausgestrecktem Rüssel das tief unten liegende, für andere Jvsekten nicht erreichbare Gesäß mit dem Honigsafi plündert, wird ihr Rücken von dem gelben Staubbeutel gründlich eingepudert. Die Schwertlilien wollen aber keine Selbstbefruchtung; kriecht das Tier schließlich rückwärts wieder heraus, so kommt jder Blütenstaub infolge einer eigenartigen Krümmung der blumenblattartigen Narbe gar nicht an diese heran. Erst wenn die Hummel in eine ander« Blüte kriecht, streift sie mit ihrem staubbesetzten Buckel erfolgreich die weibliche Narbe. Man kann nicht behaupten, daß diese ästhetisch wie technisch hervorragende Konstruktion der Schwertlilienblüle für die Verbreitung der Arten besonders günstig sei, denn ihre Vermehrung durch reifende Früchte ist ziemlich mangelhaft. Auch im Bau der Blüte zeigt sich das einfachste eben oft als das wirksamste. Nachdem wir in der Umgebung Berlins unsere Kiefer blühen sahen, können wir feststellen, daß nahe verwandte, aber außer« europäische, z. B. nordamerikanische Arten der gleichen Gattung sich im Botanischen Garten durch ihre gelben bis rötlichen männlichen Blüten in oft recht reizvoller Weise bemerkbar machen. Wenden wir uns gegen das westliche Ende des Gartens, wo er in parkartigo Gelände übergeht und nur noch die Namenschilder an den Bäumen darin erinnern, daß wir in einer wissenschaftlichen Anstalt sind, s» treffen wir auf gruppenweise Anpflanzungen der verschiedensten Arten von Ahorn, auf blühende Rosenfelder und auf einen ganzen Park voll zypressenartiger Nadelhölzer, darunter auch nicht weit von einer steinernen Laube zwei wenigstens dem Namen nach sehr bekannte Bäume. Der eine ist die Zeder vom Libanon(Osäms Libani); ein etwa mannshohes Exemplar dicht an einem Wege zeigt bereits den eigenartigen, maleriich gedrungenen Aufbau dieses Baumes. Nicht weit davon, an einer anderen Ecke, stehen drei Bäumchen des Mammuthbaumes. ebenfalls nur in Miniaturausgaben, kenntlich an der lateinischen Bezeichnung Sequoia. Die Beblätterung ist zierlich schuppig und paßt kaum zu der Vor» stellung turmhoher Riesen dieser Gewächse im kalifornischen Urwalds durch deren gespaltenen und verwitterten Stamm bespannte Wagen hindurchfahren können. Ein Gang durch das Alpinum zeigt unS, wo der Stein .XTll Tonern und Zillertaler Alpen " steht, oben in den Felsen die weißgrauen Köpfchen des Edelweiß. Auch die Alpenrosen blühe» hier und blaue Vergastem. Uebrigens ist das Alpinum gegen» wärtig mit blühenden Alpenpflanzen in solcher Fülle besetzt, daß eine nähere Schilderung nicht gut möglich ist. Man gehe hin und erfreue sich dieser Farbenpracht! Zum Abschied machen wir noch einen Rundgang durch die Schauhäuser. ES empfiehlt sich, lleberkleider abzulegen, um sie erst wieder beim Heraustreten überzuwerfen. Gleich anfangs unter den Farnen empfängt unS tropische Hitze. ES folgen Bananen mit de» riesigen langen Blättem; eine von ihnen hat sich zur Blüte auf« gerafft und wir können junge Exemplare der bekannten Frucht am Kolben sehen. Dann kommt ein Haus mit Orchideen in den auf« fälligsten Formen und Farben. Auch die Kannenpflanzen hängen hier. Die merkwürdigen kannenartigen Gefäße haben einen Deckel über sich. Fällt ein Insekt hinein(so erklärt hinter unS ein Volks« botaniker), dann klappt der Deckel zu und das Tier ist gefangen. Gar so arg ist eS nicht; der Deckel rührt sich nicht und hält nur den Regen ab, der sonst die mageusaftartige, verdauende Flüssigkeit in der Kanne verdünnen würde. Aber fretlich, das Insekt ist verloren. In einem weiteren Hause mit Nahrungs- und Genußpflanzen erscheinen Bäumchen jener Pflanzen, denen wir den Kaffee, Kakao, die Zimmtrinde, die Feigen, den Kautschuk usw. verdanken. Wenn wir schließlich auch noch die Palmen und die Baumfarrne bewundert haben, so merken wir, daß wir zu viel gesehen haben. Eine solche Fülle kann das Auge auf einmal nicht behalten. Wir ziehen unsere Mäntel an. treten auS den Tropen wieder in den prächtigen Garten hinaus und nehmen uns vor. das nächste Mal weniger und gründ« licher zu schauen. Allerdings wird man am Sonntag vom Strome der Besucher meist willenlos vorangeschoben. Wer mit Muße schauen will, muß schon um zwei Uhr an den Gewächshäusern sein, wenn sie noch fast leer find._ L. L, Kleines f euilleton* Literarisches. Ein Taschenatlas zur Alkoholfrage liegt uns vor, der soeben im Verlag des Deutschen Arbeiter-Abstinenten« bundes erschienen ist.(Preis geh. 1 M.) Das Büchlein stellt ein« Taschenausgabe der vom gleichen Verlage herausgegebenen und vom Genossen Dr. Holitscher wissenschaftlich erläuterten Referen» tentafeln dar, die sich im Kampf gegen den Alkohol als recht praktisch erwiesen haben. Das reiche statistische Tatsachen- und Zahlenmaterial wird hier sozusagen plastisch vorgeführt, farbig ein» drucksvoll, um recht ins Auge zu fallen. Der Inhalt ist sehr reich- haltig; es werden behandelt unter anderem: Gehalt der gebräuch» lichsten Nahrungsmittel und der geistigen Getränke in einer Menge, die man für zirka 30 Pf. erhält, Beziehungen zwischen Alkohol und pathologischen Geburten, Alkohol und Schule, Alkohol und Denk» vermögen, Alkohol und Degeneration, Alkohol und Sterblichkeit. Der Verfasser hat recht, wenn er im Vorwort sagt, daß die Kennt- nis dieser Dinge zum Wissensschatz eines jeden Menschen gehören müßte und daß unsere Erzieher in dieser Hinsicht noch lange nicht genug tun. Wir empfehlen jedem Arbeiter, jeder Bibliothek die Broschüre Holitschers zur Anfchaffung; vor allem jedem Referen- ten, auch dem, der kein Abstinent ist, zur Verwendung bei der Agitation. Auf ein? sei für eine Neuauflage hingewiesen: Die statisti» schen Diogramme in der Art, wie sie hher gebracht werden, find ge,