Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 119.
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Die Arena.
Mittwoch, den 22 Juni.
Nachdrud berboten.)
1910
Unter diesen durch den Mißerfolg verbitterten und durch ihre Untauglichkeit oder Feigheit am Emporkommen behinderten unteren Lagen der Stierfechterei gab es auch einige Größen, die sich eines gewissen Ansehens erfreuten. Einer, der keinem Stier standhielt, war berühmt durch seine Ge wandtheit, mit der er das Messer handhabte. Ein anderer war
Sein Name begann bekannt zu werden. In den Bar- schon im Zuchthaus gewesen, weil er einen Menschen mit bierstuben der unteren Stadtteile sprach man mit Begeisterung einem Fauftschlag getötet hatte. Der biedere Tragasombreros von ihm und weisfagte ihm die größten Triumphe. Der Held genoß den Ruhm, einmal in einer Kneipe von Vallecas einen selbst ging von Sneipe zu Kneipe, hier und dort sein Glas in Stücke gehackten und in Del geschmorten Filzhut aufgegessen trinkend und das Heer seiner Anhänger vermehrend. Diese zu haben, mit Wein nach Belieben, um den Bissen hinunterunbemittelten Stunstfreunde, die den großen Stiertämpfen zuspülen nicht beiwohnten, weil sie das hohe Eintrittsgeld nicht er- rafiert, fchloffen fich Gallardo an und begleiteten ihn auf Einige, von sanften Manieren, gut gekleidet und frisch schwingen konnten, und die bei Anbruch der Dämmerung vor
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der Arena warteten, bis das Fachblatt„ El Enano" herum- feinen Spaziergängen in der Hoffnung, daß er sie gelegentfam, fcharten sich um den fünftigen Maestro und unterstützten lich zum Essen einladen würde. ihn mit der Weisheit ihrer Erfahrungen.
Wir anderen," so sagten sie mit Stolz, erkennen die aufgebenden Sterne der Kunst, bevor ihr Licht den Reichen
leuchtet."
,, Mir geht es gut," sagte einer von schönem Gesicht.„ Es gibt wenig Arbeit, denn die Zeiten sind schlecht, aber ich habe meinen hohen Gönner, den Marquis. Sie kennen ihn ja." Und während Gallardo rätselhaft lächelte, suchte der andere seinen Taschen.
in
,, Er schäzt mich sehr. Schauen Sie nur, was für ein schönes Zigarettenetuis er mir aus Paris mitgebracht hat." deren Deckel, oberhalb einer zärtlichen Zueignung, einige Und er zeigte stolz seine metallene Zigarettentasche, auf emaillierte Engelsgestalten ihre Blößen wiesen.
dreisten Augen der Stolz der Mannbarkeit herauszublicken Andere wieder, stattliche, gespreizte Burschen, aus deren
Aber die Zeit verstrich, ohne daß sich die Weissagungen erfüllten. Der Held wurde das Opfer einer tödlichen Verwundung, ohne anderen Ruhmessang als vier Zeilen in der Zeitung, oder er versagte nach einer erlittenen Aufspießung und wurde zu einem der zahlreichen Tagediebe, die auf der Puerta del Sol herumlungern, stolz ihren Zopf zur Schau tragen und angeblich auf Engagement warten. Dann wandten sich die Augen wieder einem anderen Anfänger zu, und man erhoffte, wie die Juden den Messias, den Aufstieg des Mata- schien, unterhielten Gallardo angenehm mit den Erzählungen dors, der seiner Vaterstadt Madrid Ruhm bringen sollte. ihrer Abenteuer. Gallardo wagte nicht, sich diesen Demagogen des Stier- An schönen Vormittagen gingen sie auf Raub aus nach kampfes zu nähern, die ihn immer gehaßt hatten und sich nun der Castellanapromenade, zu der Stunde, wo die Erzieherinüber seinen Verfall freuten. Die meisten von ihnen gingen nen der vornehmen Familien ihre Böglinge spazieren führten. gar nicht einmal zur Arena, wie sie auch feinen der gegen- Es waren englische Misses", deutsche Fräulein", französische wärtigen Matadore bewunderten. Sie erwarteten den kom- Demoiselles", die eben erst nach Madrid gekommen waren, menden Mann, um wieder zu den Stiergefechten zu gehen. den Kopf noch voll von phantastischen Ansichten über dies Wenn er in der Abenddämmerung im Zentrum Madrids fagenhafte Land, die jeden hübschen Burschen mit rasiertem herumstreifte, wurde er auf der Puerta del Sol und in der Gesicht und breitem Filzhut sofort für einen Torero hielten. Calle de Sevilla von jenen Bagabunden der Bunft ange- Gin" Toreador" als Liebhaber! gangen, die dort ihr Wesen treiben, von ihren Heldentaten erzählen und über die Maestros mit der neiderfüllten Wut der Enterbten herziehen.
Es waren Burschen, die ihn mit Maestro oder auch Sennor Juan anredeten. Viele hatten ein verhungertes Aussehen, und ihre Winkelzüge mündeten regelmäßig in eine Bitte um einige Pesetas; aber dabei waren sie gut gekleidet, nett, fauber, elegant, stets in großartiger Pose, als ob sie übersättigt wären von den Vergnügungen des Daseins, und trugen prunkhaft messingene Ringe und falsche Uhrketten zur Schau.
Einige unter ihnen waren ehrliche Jungen, die beabsichtigten, sich in der Stierfechtkunst ihren Weg zu bahnen, um ihre Familie besser zu ernähren, als sie es mit dem TageLohn eines Arbeiters fonnten. Andere hatten weniger gewissenhaft treue Freundinnen, die ein unbekennbares Gewerbe ausübten und sich freudig dazu hergaben, den Unterhalt und die Ausstattung eines feschen Burschen zu beschaffen, der nach feinen Worten einst eine berühmte Größe sein würde.
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,, Es sind meist Frauenzimmer, wissen Sie, Meister, die harmlos und unschuldig aussehen. Sie haben große Füße und flachsblondes Haar, aber ihre Herzen brennen gerade so heiß, wie die anderer Weiber auch. Und wenn sie auch kaum verstehen, was man ihnen sagt, zu allem lachen sie und zeigen die Zähnchen, die so schön weiß sind, und machen große Augen. Sie sprechen unsere Sprache nicht, aber verstehen sofort, wenn man ihnen das Zeichen des Geldzählens macht, indem man den Daumen auf dem Zeigefinger reibt, und da man sich als Caballero beträgt und immer anständig bleibt, geben sie gern etwas für Tabat und andere Zwecke, und so geht es lustig fort. Ich habe jetzt gerade drei an der Hand!"
Und der so von sich sprach, war ordentlich stolz auf seine Geriebenheit, mit der er die Ersparnisse der Erzieherinnen auffraß. Andere widmeten sich den Ausländerinnen der Musikhallen, Tänzerinnen und Sängerinnen, die nach Spanien kamen mit der Sehnsucht, vom ersten Tage ab die Wonnen einer Liebschaft mit einem Stierfechter auszukosten. Es waren lebhafte Französinnen mit Stülpnäschen und flacher Büste, die in ihrer geisterhaften Schlankheit unter den Krausen des duftenden und rauschenden Rockes faum etwas Greif bares zu bieten hatten; Deutsche, von kernigem Fleischansay, wuchtig, imposant und blond wie Walküren , Italienerinnen mit schwarzem, öligem Haar, olivenbrauner Gesichtsfarbe und tragischem Blick.
Ohne weiteren Besitz, als was sie bei und auf sich trugen, Stolzierten diese Leute von morgens bis abends im Zentrum Madrids einher und flunkerten von Rontraften, die sie nicht angenommen hätten, wobei immer der eine den anderen aus spähte, wer wohl Geld hätte, um den Kameraden etwas zum besten zu geben. Wenn einer durch eine Laune des Zufalls wirklich einmal an einer Provinzarena als Novillero enga- Die Stierfechterlinge lachten bei der Erinnerung an ihre giert wurde, dann mußte er zunächst sein Kostüm im Pfand- ersten Erlebnisse mit diesen ergebenen Verehrerinnen. Die Haus einlösen. Das waren ehrwürdige Kleidungsstücke, die Ausländerin fürchtete immer, betrogen zu werden, als ob ihr schon vielen Helden gedient hatten, mit ihren verblaßten, davor gebangt hätte, daß der sagenhafte Held ein Mann wie grünspanigen Vergoldungen von Dellampengold, wie Sach- jeder andere war. War er wirklich ein Torero? Und sie tenner spöttisch meinten. Die Seide war reichlich mit Flic- nestelte nach dem Zöpfchen und lächelte selbstzufrieden über stücken besett, glorreichen Andenken an Hornstöße, bei denen ihre Schlauheit, wenn sie dieses haarige Anhängsel in ihren die Hemdschöße und versteckte Körperteile fich plötzlich den Fingern fühlte, das ihn legitimierte. Blicken des Publikums darbieten, und war gesprenkelt mit gelblichen Flecken, den schändlichen Spuren eines heftigen Schrecks.
Gallardo ergözte sich an diesen Erzählungen. ,, Recht so, wohlgetan," sagte er mit grimmiger Freude. Solche Weiber muß man stramm behandeln. So laufen Sie Dir um so