Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 122.

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Die Arena.

Sonnabend, den 25. Juni.

Cagdrud berboten.)

Roman von Vicente Blasco Ibanez . Autorisierte Uebersetzung von Julio Brouta. ,, Sie erinnern mich an den Rajah, Freund Gallardo. Da unten in Sevilla in ihrer Bauerntracht, mit der Hirtenlanze auf der Schulter nahmen Sie sich nicht übel aus. Es war wie eine Ergänzung zu der Landschaft. Aber hier!... Madrid hat sich sehr europäiſiert, es ist eine Stadt geworden wie jede andere, und Volkstrachten gibt es hier nicht mehr. Selbst Manilaschals sind fast nur noch auf der Bühne zu sehen. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Gallardo, aber ich weiß nicht, warum Sie mich an den Indier erinnern."

Durch das Fenster schaute sie nach dem trüben Regen­

himmel, dem nassen Blaz, den wirbelnden Schneeflocken und nach der Menschenmenge, die unter ihren Regenschirmen da hineilte. Dann wandte sich ihr Gesicht wieder dem Matador zu und fab sich befremdet den Haarzopf an, der sich über feinen Schädel legte, seine Frisur, den breiten Hut, furz alle Eigen­heiten seines Aeußeren, die seinen Beruf offenbarten und im Widerspruch mit seinem eleganten, modernen Anzug standen. Für Donna Sol war der Torero außerhalb seines Nahmens". Ach, dies traurige, regnerische Madrid ! Thr Freund, der mit der Vorstellung von einem Spanien mit ewig blauem Himmel hierhergekommen, war ganz enttäuscht. Sie selbst mußte, wenn sie auf der Straße die Gruppe von statt­lichen Toreros erblickte, unwillkürlich an die exotischen Tiere denken, die man aus sonnigen Ländern nach den zoologischen Gärten falter, unwirtlicher Gegenden gebracht hatte. In Andalusien war Gallardo ein Held, das bodenständige Er­zeugnis einer Viehzucht treibenden Landschaft, hier kam er ihr vor wie ein Schmierenschauspieler mit seinem rasierten Gesicht und seiner Pose des Mannes, der an öffentliche Huldi­gungen gewöhnt ist; ein Schauspieler, der, anstatt zu dekla­mieren, den Schauder des Tragischen erzeugte, indem er mit wilden Tieren kämpfte. Weiter nichts.

Ach, die verführerische Luftspiegelung der sonnigen Bande! Der trügerische Taumel des Lichtes und der Farben! Wie war es nur möglich gewesen, daß sie ein Gefühl von Liebe für jenen plumpen und flobigen Burschen gehegt, daß fie sogar die Aeußerungen seiner Unwissenheit für geniale Urwüchsigkeit angesehen und von ihm gefordert hatte, seine Gewohnheiten nicht abzustreifen, und nach Pferden und Stieren zu riechen! Ach das Milieu! Zu welchen Verrückt­heiten kann es verleiten!

Sie entsann sich der Gefahr, von den Hörnern eines wütenden Stiers zerrissen zu werden, sodann ihres Frühstücks in Gesellschaft eines Raubmörders, dem sie starr vor Be­wunderung zugehört und schließlich eine Blume geschenkt hatte. Was für Dummheiten! Wie fern lag das alles jetzt zurück! Aus jener Vergangenheit, wegen der sie die Neue des Lächerlichen empfand, war nichts weiter geblieben als jener Bursche, der unbeweglich, mit flehenden Augen vor ihr stand und mit findischer Halsstarrigkeit jene Zeiten wieder forderte. Armer Tropf! Als ob man Narrheiten bei fübler Ueberlegung wiederholen könnte, wenn die Illusion fehlt, die Bauberin unseres Daseins! isd

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Es ist alles vorbei," sagte fie, das Vergangene muß bergessen werden, um so mehr, als es sich nicht mehr in dem­felben Licht zeigt, wenn man es zum zweitenmal sieht. Was würde ich darum geben, hätte ich dieselben Augen wie früher. Sebt, wo ich nach Spanien zurückgekommen bin, finde ich alles berändert. Sie selbst find nicht mehr so, wie ich Sie früher fannte. Neulich in der Arena schien es mir sogar, als ob Sie weniger Mut hatten und als ob auch die Leute sich nicht mehr so sehr für Sie begeisterten."

Sie sagte das leichthin und ohne jeden Hintergedanken, aber Gallardo vermeinte aus ihrer Stimme einen gewissen Spott herauszuhören und ließ das Haupt sinken, während ihm die Note in die Wangen stieg.

dim Berflucht nochmal! Alle die Vorurteile, die mit seinem Beruf zufammenhingen, stiegen wieder in ihm auf. Alles, was ihm widerfuhr, kam daher, daß er sich nicht mehr herz­

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haft an die Stiere heranmachte. Sie sagte es ihm ja deutlich genug. Sie sah ihn an, als sei er ein anderer geworden. Bieleicht, wenn er wieder der Tapfere von früher war, würde sie ihn besser empfangen. Die Weiber lieben nur die tapferen Männer.

Und der Torero gab sich dieser Täuschung hin, indem er die Abneigung Donna Sols für eine vorübergehende Laune hielt, die er durch Heldentaten zu besiegen hoffte.

Donna Sol erhob sich. Der Besuch war schon ausge dehnt genug, und der Torero machte noch keine Anstalten, ihn zu beenden, froh, in ihrer Nähe weilen zu dürfen, und in der unbestimmten Erwartung, daß ein glücklicher Zufall sie wieder vereinen werde.

Gallardo mußte sich schließlich doch empfehlen. Sie schütte vor, ausgehen zu müssen; sie erwarte ihren Freund, um mit ihm nach dem Pradomuseum zu gehen.

Sie lud ihn sodann zum Frühstück auf einen andern Tag ein, einer Mahlzeit ganz unter sich, in ihren eigenen Räumen. Nur ihr Freund werde erscheinen, er werde sich zweifellos freuen, einen Torero kennen zu lernen. Zwar spreche er nur ein wenig spanisch, aber sicherlich werde es ihn interessieren, mit Gallardo Bekanntschaft zu machen.

Der Matador drückte ihr die Hand, indem er unverstände liche Worte stammelte. Als er das Bimmer verließ, fausten ihm die Ohren, und die Wut trübte ihn den Blick. ihm die Ohren, und die Wut trübte ihn den Blick. fannten! Und das war dasselbe Weib wie in Sevilla ! Sie So also verabschiedete sie ihn, wie einen lästigen Bea lud ihn ein, zusammen mit ihrem Freund zu speisen, damit dieser ihn aus nächster Nähe angaffen könnte, wie man sich ein feltenes Tier ansieht! Himmel und Hölle! Er war nicht der Mann, sich demüti. gen zu lassen. Fort mit Schaden! Niemals wollte er sie wieder sehen.

9.

In jenen Tagen empfing Gallardo verschiedene Briefe von Don Josè und von Carmen.

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Der Verwalter versuchte seinem Matador Mut einzus flößen und riet ihm, wie immer, gerade auf den Stier los­ Ein Schritt, ein Stoß, und er ist Dein!" zugehen. aber inmitten seines Enthusiasmus machte sich bei ihm eine gewisse Entmutigung bemerkbar, als wäre er in seinem Glauben wankend geworden und als hegte er bereits Zweifel daran, daß Gallardo der erste Mann der Welt" sei.

Die Unzufriedenheit und die Feindseligkeit, mit der dieser vom Publikum aufgenommen wurde, waren ihm zu Ohren gekommen, und das letzte Stiergefecht in Madrid hatte am meisten zu seiner Enttäuschung beigetragen. Nein: Gallardo war keiner von den Matadoren, die trop der Pfiffe des Publikums unbeirrt ihren Weg weiter gehen und nur nach Geldgewinn trachten. Sein Maestro besaß Ehrgefühl und konnte die Arena nur betreten, um großen Beifallssturm zu ernten. In die Mittelmäßigkeit verfallen, hieß für ihn so viel wie eine Niederlage. Das Publikum war gewohnt, seinen waghalsigen Mut zu bewundern, und die geringste Abweichung hiervon kam einem Fiasko gleich.

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Don Josè glaubte zu wissen, was seinem Maestro geschah. Mangel an Mut?... Niemals! Eher wollte er sich um bringen lassen, als seinem Helden diesen Fehler zuzuschreiben. Es war weiter nichts als Abgespanntheit und unvollständige Wiederherstellung von seiner Verwundung. Deswegen", riet er in allen seinen Briefen, ist es besser, Du trittst zurück und ruhst eine Beit lang aus. Dann kannst Du wieder arbeiten Er erbot sich, alles und wirst derselbe sein wie früher... nötige zu veranlassen. Ein ärztliches Zeugnis genüge, um feine augenblickliche Unfähigkeit darzutun, und der Verwalter würde sich mit den Zirkusunternehmern wegen der Erfüllung der bestehenden Kontrakte ins Einvernehmen setzen und einen Anfänger stellen, der für einen bescheidenen Betrag Gallardo zu erseyen hätte. Auf diese Weise würde außerdem noch Geld verdient werden.

Carmen war in ihren Forderungen noch dringender und machte nicht so viele Umschweife. Er sollte sich sofort zurück­ziehen, sich den Zopf abschneiden", wie seine Berufsgenossen sagten, und sein Leben ruhig in La Rinconada oder im Wohn­hause zu Sevilla zubringen, im Kreise seiner Familienange