Set» Gefühle meinet schwer errungenen Freiheit. Wer wollte«s mir verargen, daß ich mich allsogleich höchst schulbubenhast in den schwarzen Krauskopf mir gegenüber vergaffte und ihm mehr Blumen ablaufte, als eigentlich zu meiner absoluten Glückseligkeit unbedingt nötig war. Der dicke gutmütige Bierwirt merkte übri- gens gar bald, welche gewaltige Anziehungskraft er in der braunen Blumenfee besaß und verpflichtete sie dauernd seinem Lokale. Ja, wie war es dann nur weitergegangen daß wir beide eines Abends spät uns gegenübersaßen und gegenseitig Erlebnisse auS- tauschten? Ich weiß nicht mehr; nur eins ist mir in Erinnerung geblieben, wie ich unter anderem auch meine größte Heimlichkeit verraten hatte: daß ich nämlich Dichter werden wollte! Dichter!" Sie sprach es mir nach in einer so scheuen und behutsamen Art und Weise, als müsse sie joden einzelnen Buch- staben des Wortes liebkosen, um ein darin enthaltenes unendlich Heiliges und Hohes gebührend zu feiern. Ein Leuchten spielte um ihr Gesicht und ihre Augen glänzten, als sie endlich wciterzusprechen tvagte: Dann schreiben Sie wohl auch so schöne Bücher in so schönen Einbänden?" Ja. Marietta das möchte ich," gab ich mutig zurück, um gleich wieder zaghaft nachzuhinken:»Aber ich weiß nicht, ob ich es auch können werde..." Aber meine kleine Blumenverkäuferin suchte solchem ihrer Anficht nach völlig grundlosen Pessimismus ganz energisch den Garaus zu machen durch die feste und eideskräftige Erklärung: O ja, Sie, Sie werden es können!" Hatte nicht eine warme Hand an die meine gerührt? Wie? Oder war mir, dem zukünftigen, berühmten Dichter, gar jene un- erschütterliche Glaubenszuversicht so sehr zu Kopf gestiegen, daß ich ein wenig zu tief ins Glas guckte?-- Unser Verkehr mochte wohl an die sechs Monate bereits ge- dauert haben, als ich unvermutet in Studienangelegenheiten auf unbestimmte Zeit verreisen mußte. Zuvor sprach ich natürlich bei meiner kleinen Freundin vor und überreichte ihr Andersens duf- tigen Märchenschatz. Ein Zufall hatte mir nämlich ihre große Liebe zu Büchern verraten und das war für mich wahrlich Grund genug, ihr mit gewissenhaftester Sorgfalt das Beste und Schönste aus un­seren Dichtern auszuwählen. War es Täuschung, als ich beim Abschied eine Träne in ihren großen dunklen Augen zu sehen vermeinte? Hatten mich denn die Geister des Weines schon wieder in ihren Bann, daß sie mir solchen Spuk vorzaubertcn? Fühlte ich nicht deutlich einen brennenden Kuß auf meiner Hand?-- Meine Angelegenheit hatte sich schneller erledigt als ich� an­genommen. Seltsam: all die Zeit schon hatte mich eine sonderbare, durch nichts zu rechtfertigende Unruhe gequält, und einmal hatte ich mich gar dabei ertappt, wie mir aus meinen Arbeiten ein paar dunkle Frauenaugen entgegenblickten. Mein erster Gang nach meiner Ankunft war nach dem Lokale. Wo ist Marietta? Ah, da kam ja auch schon die dicke Kellnerin angewatschelt und überschüttete micb mit einem Sprühregen von Begrüßungsphrasen. Habe ich sie angeschrien, daß sie zurückwich? Nein, nein. Da Himmel und Hölle! Was sagte das Weib! Herrgott, dreht sich denn alles um mich! Sind denn die Leute verrückt! Da der Wirt, die Wirtin, die... die... ja, was ist denn nur los!... Himmelherrgott! Fordert nichts Unmögliches von mir; ich kann euch von den Vorgängen jenes Abends nichts erzählen denn ich war ja damals toll vor Wut und Sckmerz. Marietta, meine Marietta ge- ftorben! Gestorben, ohne daß ich etwas davon wußte. An jener heimtückischen, schleichenden Krankheit mit dem ekelhaften Namen: Lungenschlvindsucht. Da sind nun Jahre darüber hingegangen und noch immer sitze ich und grüble über deinem Schicksal, du liebe kleine Freundin! Ein paar vergilbte Blätter, ein paar welke Blumen: das ist alles, was mir von dir geblieben?--- Daß ich noch einmal dich sehen könnte? Noch einmal dürfen lauschen deinem frohen, kindlichen Geplauder, noch einmal fassen deine kleinen, schmalen Hände und träumen, mit dir träumen, wie wir es doch oft getan!-- Vorbei! Das Grab gibt seine Toten nimmer!-- A. C. G. fontanes Briefe. i. DaS umfangreiche Material, das Theodor Fontane mit eigener Hand zu seiner Lebensgeschichte geliefert hat, liegt nun vor« läufig abgeschlossen mit derB r i e f e" zweiter Sammlung(2 Bände, Berlin , F. Fontane u. Co., 1910) der Oeffentlichkeit vor. 1892 be« ganu der Zweiundsiebzigjährige seine Kindheit in Neu-Ruppin und vorwiegend in Swinemünde zu beschreiben(Meine Kinderjahre " 1894), zwei Jahre später ging er an die Wiedererzählung seiner Lehrjahre, der Kämpfe zwischen dem nährenden Apotbekergewerbe und der un- sicheren Schriftstellerei, der er schließlich anheimfiel, Jahre und Kämpfe, denen er mit seiner Verheiratung den l äußeren Abschluß gab.(.Von Zwanzig bis Dreis , g* 1893.) i Aus den Mannesjahren hatte er, vor Abfassn ig dieser : eigentlichen Memoiren, schon einzelne Episoden darstellend heraus» i gegriffen, besonders solche, die ihn von journalistischen Berufs wegen - nach Großbritannien und Frankreich geführt hatten(Aus England i und Schottland " 1860,Kriegsgefangen" 1871*),Aus den Tagen der Okkupation" 1872 usw.). Nach seinem Tode wurde dann eine > größere Auswahl aus seinen Briefen durch den Druck zugänglich ge» - macht, die chronologisch unmittelbar an die beiden Bände der t Lebenserinnerungen anschließen, also die.ganze Zeit von seiner Ehe» i schließung bis zu seinem Tode bestreichen: 1905 die zweibändigen Briefe an seine Familie" und jetzt eben zeitlich parallel mit » diesen die Briefe, die den weiteren Kreis seines ' Lebens umschreiben, Briefe an persönliche Freunde und gelegent« > liche Bewunderer, an Verleger, Redakteure und Schriftsteller, an : Historiker und Maler, auch an Musiker und Leute von» Theater. 1 Den Wert solcher Briefpublikation im allgemeinen würdigt Fontane selbst einmal gegenüber dem Maler Wilhelm Gentz : '... in meinem eigensten Herzen bin ich geradezu Briesschwänner und ziehe sie, weil des Menschen Eigenstes und Echtestes gebend, l jedem anderen historischen Stoff vor. All meine geschichtliche l Schreiberei, auch in den Kriegsbüchern, stützt sich im besten und wesentlichen immer auf Briefe." Die nunmehr vierbändige Auswahl ist mit ihren insgesamt über 1000 Nummern gewiß reich» haltig: ob sie gleichzeitig auch glücklich getroffen ist, ist für de» Fernstehenden schwer zu entscheiden. Ungern immerhin vermißt ma» jegliches Blatt aus der Frühzeit bis zur Verheiratung. Manches mag da nicht mehr erreichbar gewesen sein. Die Briefe aus der Brautzeit sind jedenfalls absichtlich vernichtet, und zwar von den Erben auf ausdrückliche testamentarische Anordnung der Witwe hin nngelesen verbrannt. Ob damit gleichzeitig in Fontanes Sinne ge- handelt wurde, steht billig zu bezweifeln, wenn man ihn jetzt in ähnlichen Fällen diesogenannte Diskretion ein höchst' albernes und stupides Ding, den Tod alles Interesses und zuletzt aller Geschichte" schelten hört. Der Dichter, dessen Werk ohne die Oeffentlichkeit einfach tot und gar nicht denkbar ist, gebort auch mit seinem Leben zum mindesten historisch der Oeffentlichkeit, die ihn liebt und ehrt. Wieviel mehr Fontane mit seine» Briefen, die als selbständige literarische Leistungen neben seine» Dichtungen und Schilderungen stehen. Für ihn galt noch die Tradition des sorgsam gebauten und kunstvoll ausgeführten Briefes, der eine Sache von Gewicht ist, ein Rechenschaftsbericht über einen Lebensabschnitt oder eine Erörterung letzter Dinge, diese Tradition, die die verbesserten Verkehrsmittel, die Postkarte und das Telephon allmählich ganz dahinschwinden lassen. Diese Kunstform deS Briefes, wie sie das 13. Jahrhnndert und noch die Zeit der Ronwntil gepflegt hatte, fand Fontane zum Beispiel voll Freude wieder in den Schreiben des plattdeutschen Dichters John Brinckmann an Theodor Storm , die ihm dieser(1853) zur Einsicht überlassen hatte:Solche Briefe... werden heutzutage nur noch selten geschrieben.... Die Leute von heute sind lukrativer: wenn man sich derlei Dinge zurechtgelegt hat, so macht man einen Aussatz daraus, den man sich mit zehn Talern preußisch bezahlen läßt. Briefe fuchst man jetzt zusammen; ich mit, wie Figura zeigt. Dennoch glaub' ich. sind diefe Fuchscreien ein Schritt weiter. Ein Brief soll keine Abhandlung, sondern der Aus- und Abdruck einer Stimmung sein. Dem kommen wir näher." Fontane wünscht also einmal eine zeitgemäße Fortbildung jener Tradition, eine Modernisierung des klassischen Briefstils, und es ist genußreich zu sehe», wie bei ihm mit den Jahren der breite Plauderton immer bewußter einer Knappheit und Konzentriertheit weicht, durch die Fülle und Intensität des Gehalts nur um so schöner zur Geltung kommen. Denn auch im Inhaltlichen weist er den Künstler. Schon die eben zitierte Forde- rung des Aus- und Abdrucks einer Stimmung ist ein dichterischer Zug. Ebenso ist das Illustrieren der Eindrücke durch die Aneldote, das Sinnkälligmachen der Eindrücke durch den prägnanten Einzelfall und wie pointiert steht eine jede solche Anekdote bei Fontane dal eine Force dcs gestaltenden Erzählers. Und gerade auch die bewußt gemachte Stimmung, die im gegebenen Moment als ungebrochene Einheit im Schreiber ruht und den buntscheckigsten Themen eines Briefes ihre Grundfarbe gebieterisch mitteilt, schafft jene graziöse und geistreiche Leichtigkeit der Nebergänge und Verknüpfungen, die an Fontanes Episteln immer wieder entzückt. Die Veröffentlichung der Briefe, die schon so manche Ueber» raschung über den intimen Fontane gebracht hat, zeigt auch dem Un» eingeweihten zum ersten Male, mit welchem tiefen künstlerischen Ernst Fontane überhaupt seinem ganzen Schriftstellcrmetier stets gegenüber» gestanden hat. Man hatte bis dahin wohl die Vorstellung eines alten Herrn vom Schlage der pensionierten Geheimräte, der in Pflicht» treuer journalistischer Lohnarbeit grau geworden, nun nichts Besseres anzufangen weiß, als seine mannigfachen persönlich erlebten oder er» lauschten Geschichten, seine erforschten und gesammelten Historien mit dem ihm eigenen gemütlichen Plauderton hinzuerzählen. Man der« goß dabei ganz, daß dieser alte Herr als Dreißigjähriger unbedeuk» *)Von Zwanzig bis Dreißig " undKriegs- gefangen" liegen in den neuen Ausgaben(bei F. Fontane u. Co.) vor, jenes als 5. Auslage, zum ersten Male mit 40 Bildern und einem Faksimile geschmückt, dieses als wohlfeile.Hochschulausgabe" <6 bezw. 1 M.)