- 530 Et Kar die barste Nri seiner Muiier gewöhn!. Was wollte sie denn nur. Den richtigen Sinn verstand er nicht. Sie brauchte ihm keine Kleider zu kaufen. Sie konnte ihn ruhig in die Lettenkaute stecken, wenn er aus der Schule war. Da hatte er sich nicht zu schämen. Da schaffte er wie sie auch. Aber wenn sie's wollte, daß er Schullehrer oder Pfarrer werden sollte, dann war ihm das auch recht. Es gab viel- leicht ein bißchen viel zu lernen aber den Lettenkarren drücken, war auch nicht den Maus gepfiffen. Er dachte nicht weiter drüber nach. Er dachte an neue Kleider, und daß die ihm gut stehen würden. Ein Hütchen, aufs eine Ohr, er wollt's schon fein machen. Im Dorf sagten die Leute, der Philipp habe die Lustig- Seit von seiner Mutter und den Leichtsinn von seinem Vater. Er machte ein bißchen gern den Majores(den Hanswurst). Und seine Mutter lachte sich helle Tränen dazu. Das wollte sie gerade. Wenn er auf der Gasse herumtanzte, dann wurde sie nicht fertig zu rufen:Tanz nur, tanz nur!" Das rief sie mit einem hellen A, wie's gar nicht im Dorfe gesprochen wurde, und es klang den Leuten komisch, so daß sie's gerne nachäfften. Das A hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die aus der Bingener Gegend her war. Im Mainzerland war das A dunkler. Na ja, und dann dachte der Philipp, wie er mit seinem Hütchen auf einem Ohr unter den Kindern der Gasse herum- tanzen tät. Außerdem war so viel zu sehen hier im Leben und Treiben der Stadt, da konnte er den Worten der Mutter nicht viel nachhängen. Er sagte nur: Ich weiß nit, was Ihr wollt, ich schäm mich ja gar nit." Dann traten sie in eine Wirtschaft ein, die Klar bestellte zwei tüchtige Glas Rheinisch-Aktien-Bier, zwei warme Heeschen(Schweinsknöchel), und sie sprach ihrem Philipp tüchtig zu, daß er einhauen sollte. Dann ging sie mit ihm in die Schustergasse und kaufte sür ihn ein. Alles, was sie sich gedacht hatte. Und ein grünes Hütchen mit einer krummen Entenfeder. Die schwarzen gefielen ihr nicht. Sie fand, daß der Philipp sehr gut so aus- sah. Als er vor den Spiegel trat und sein Hütchen rückte und es ordentlich auf die Seite schob, da sagte sie zwar: Hoppes(Fatzke), der Du bist, so arg brauchst's nit zu machen," aber sie lachte doch, und der Philipp ließ es fest auf einem Ohr sitzen. Dann trollten sie los. Sie gingen über Zahlbach an der römischen Wasserleitung vorbei, denn die Klar dachte, es sei gut, das dem Philipp zu zeigen. Viel er- klären konnte sie ihm freilich dabei nicht. Da müsse er den Schullehrer fragen, aberder Teufel könnt wissen, wie die Kerl das gemacht hätten mit dem Mauerwerk. Sieben Gäul könnten das nit umreißen, und wenn sie ziehen täten wie die Bär'n". Das war's, was sie von dem Werke der Römer verstand. Als sie die Pariser Straße hingingen, begann es schon zu düstern. Ganz langsam sanken die Dörfer ins Grau, und bald ins Dunkel. Aus der Pfalz fuhren die Kutfcher herein in die Stadt. Von ferne sah man sie schon die Hügelhöhen herunterkommen an der Deichsel schwankten die brennenden Laternen. Auf der Marienborner Brücke sahen sie zu, wie ein Zug unter ihnen durchfuhr, und als sie weitergingen, berührte es sie eigentümlich, daß nun unter ihnen der Tunnel war, der jeden Augenblick zusammenrutschen konnte. Denn die Klar, die darin Fachkenntnis hatte, erklärte dem Philipp, daß das aus Flonheimer Sandstein gebaut sei, und der wärweich wie Butter". Aber sie kamen glücklich drüber- (Fortsetzung folgt.)' 1] Eine alltägliche Grscheinung. Von Wladimir Korolenko. Der Galgen nahm wieder seine Arbeit auf, und vielleicht noch nie seit der Zeit Iwans des Schrecklichen hat Rußland eine solche Unmenge von Hinrichtungen gesehen wie jetzt. Vor seinerkon- stitutionellen Wiedergeburt" hat Rußland chronische Hungerjahre und furchtbare Epidemien gekannt. Jetzt hat unsere eigenartige Konstitution zu diesen alltäglichen Erscheinungen eine neue gefügt. Zu den gewöhnlichen Todesursachen(Hunger, Typhus , Diphtheritis, Scharlach, Cholera, Pest usw.), mußte eine neue Rubrik hinzu» gefügt werdenTod durch den Strang". Fast täglich in den frühesten Morgenstunden, wenn das ungeheure Land in festem Scklcfe liegt, ertönen irgendwo in den Gefängnisgängen drohende Schritte, irgend jemand wird aus fieberhaftem, schreckensvollem Schlaf emporgezogen, irgend einer, voll strotzender Gesundheit und Kräfte, Lttd dem fertigen Grabe enkgegengeführk.«,. Wie soll man nicht anerkennen, daß die ruffische Geschichte ihren eigenen, eigenartigen, unerklärlichen Weg geht? Neberall in der ganzen Welt war die Einführung der Konstitution begleitet wenigstens von vorübergehenden Erleichterungen: Amnestie, Milderung der Repressalien usw. Nur bei uns trat mit der Konstitution dis Todesstrafe als Herrin in das Haus der russischen Rechtsprechung ein. Sie trat ein und ließ sich häuslich nieder, auf lange Zeit, wis eine Alltagserscheinung, ständig, allgemein, chronisch..., an die man sich alsogewöhnen" muß.... In den nachfolgenden Skizzen, die bei weitem nicht systematisch sind und keinen Anspruch auf erschöpfende Bedeutung erheben, wollen wir versuchen, uns diese neue russischeAlltagserscheinung" näher anzusehen.... Man muß ja wenigstens das kennen, wovon wir uns vorläufig(und vielleicht noch lange Zeit hinaus) nicht zu befreien vermögen.... D i e To deSkan di dat en im Gefängnis zu N. Bisher kannte man in russischen Gefängnissen bestimmte Kate» gorien von Gefangenen. Es gabFristgefangenen", die vom Gericht zu einer bestimmten Hast verurteilt waren, ferner Untersuchungs» gefangene. Transportgefangene und die sogenanntenKawrga- gefangenen", die zur Zwangsarbeit verurteilt waren. Unserekonstitutionelle Wiedergeburt" gab uns eine neue 5wte- gorie von Gefangenen, der der Gefängnisjargon den schrecklichen Namen gab:Smertnilci" Todeskandidaten. Ein intelligenter Mann, der von einem bösen Schicksal in eines unserer Provinzgefängnisse geschleudert wurde(dessen Namen er nicht nennen will) hatte, wenn auch nicht systematisch und nur bruchstückweise, Gelegenheit, das Leben dieser Leute zu beobachten, die das Todesurteil, seine Bestätigung, die Hinrichtung im Ge- fängnis erwarten. Das auf diese Weife aus zufälligen Bekannt- schasten, flüchtigen Gesprächen und geheimen Briefen erbeutete Material stellte er uns zur Verfügung, und ich will nun den Leser damit bekannt machen. Das Gouvernementsgefängnis einer Provinzialstadt. Eine ganz gewöhnliche Architektur. An den Ecken des Hauptgebäudes vier Türme. Um zu den Türmen zu gelangen, muß man die lang- gestreckten Gefängnisgänge passieren, längs deren sich zwei Reihen schweigsamerGucklöcher in den Zellentüren hinziehen. Am Ende des Korridors eine fest verschlossene Tür, deren Schlüssel von be- sonderen Auffehern aufbewahrt wird. Einer von ihnen bewacht ständig den Eingang zum Turm. Hinter dieser Tür ein kleiner finsterer Gang, der zu einer anderen Tür führt. Hinter ihr be» findet sich die runde Turmzelle. Die Zelle stellt einen Zylinder dar, dessen Durchmesser 2 bis 3 Meter groß ist. Oben ein kleines Fenster, durch zwei Gitter geschützt. Die Gitter rauben das Licht, und wenn im Winter die Doppelrahmen eingestellt werden, wird es in der Zlle so finster, daß man selbst am Tage weder lesen noch schreiben kann. Am Abend wird ein elektrisches Lämpchen entzünoet, das an der Decke be- festigt ist. Es hängt so hoch, daß man sogar direkt unter ihm nur mit der größten Anstrengung lesen kann. Es gibt in der Zelle weder ein Bett noch eine Pritsche. Ein kleines Tischchen und zwei, drei Tabourette werden zur Nacht fortgetragen. Schlafen muß man auf dem nackten Fußboden. Die Wände sind oben blaßgrau an- gestrichen, nur etwa 2 Meter vom Fußboden zieht sich ein schwarzer Trauerstreif hin. Die Zellen des oberen Stockwerks eines jeden Turmes sind besser. Sie sind trockener,heller;aus den Fenstern kann man dieStadt sehen, den freien Platz hinter dem Gefängnis, die vorübergehen» den Menschen. Die unteren Zellen sind tief in die Erde hinein- gegraben, so daß sich die halbrunden Fenster auf einem Niveau mit dem Gefängnishof befinden. Es hat den Anschein, als ob hier die Menschen in einen dunklen, kalten, feuchten Brunnen gesteckt sind« Aus den Fenstern können sie die Füße der Gefangenen sehen, die auf dem Hofe spazieren gehen. Bei jedem Turm steht ein Aufseher mit einem Gewehr. In dem Jahre, wo unser zufälliger Korrespondent seine Veob. achtungen machte, waren diese Zellen von mehr als 40Todes» kandidaten " bevölkert. Das waren alle, verhältnismässig jungs Menschen, vorzugsweise Arbeiter der östlichen großen Eisenwerke« die in Expropriationsprozessen verurteilt waren. Die Gefängntsadministration macht die größten Anstren» gungen, um diese Gefangenen von den übrigen zu isolieren. Die Todeskandidaten" werden vollkommen abgesondert spazieren ge» führt. Auch in die Badstube werden sie besonders geführt. Aber eine vollständige Isolation ist natürlich unmöglich. Zum Verhör, zur Gerichtsverhandlung, zum Spazierengehen oder zu den Zu- sammenkünften mit den Verwandten müssen sie dennoch durch dis gemeinsamen Gänge geführt werden, und die übrigen Gefangenen blicken durch dieGucklöcher" auf diese dem Tode geweihten Menschen, denen der Tod schon seinen Stempel aufgedrückt hat. Durch dieselben Gänge werden sie in den finsteren frühen Morgen» stunden zur Richtstatt geführt, und dann fahren die Gefangenen in den übrigen Zellen entsetzt aus dem Schlaf empor, wenn sie die lautschallenden Schritte und zuweilen das Gestöhn, die Todesrufo des Menschen vernehmen, der auf diese Weise von der ihm zugäng- lichen und mit ihm shmpathisierenoen Gefangenenwelt Abschied nimmt Dann verstummen die Schritte und das Wehklagen. In tiefer Stille vollzieht sich auf dem Hinterhofe der letzte Akt der furchtbaren Tragödie... In den Zellen aber schläft man nicht«