— 532—tum zu seiner vollen Größe emporgeführt Hove. Dagegen wZre zubemerken, daß die Sitten der Merowinger, wie wir das schon ge-sehen haben, bei den Germanen ihrer Zeit durchaus nichts Unge«wöhnlicheS waren. Die anderen halfen ihnen ja tüchtig bei ihrenBerwandtenmorden und Bestechungen. Im übrigen wollen wir nocheinen Blick auf die Sitten der Karolinger werfen.Die Karolinger waren ursprünglich Beamte der Merowingerund kamen auf den Thron durch gewaltsame Beseittgung derMerowinger, also durch Hochverrat und Königsmord, da» heißtdurch diejenigen Verbrechen, die von den Vertretern staatSerhaltenderGesinnung sonst immer als die allerabscheulichsten hingestellt werden.Uns fällt eS natürlich nicht ein. die Karolinger deswegen zu tadeln.weil sie ein so kräftiges Beispiel für die Berechtigung der Revo-tution gegeben haben. Aber wie sah eS mit ihrer„germanischenSittenreiicheit* aus? Einige Stichproben mögen geuiigen.Karl Martell(der 741 starb) hatte das Reich unter seine dreiSöhne Karlmann, Pipin und Grippo geteilt.„Der Letztere(wirzitieren wieder nach Schlossers Weltgeschichte) war ein Stiefbruderder beiden anderen. Karlmann und Pipin beraubten ihn gleich nachdes VaterS Tode seines Erbteils und setzten ihn gefangen.' Er kam dannwieder ftei und wurde nach mannigfachen Irrfahrten von PipinSLeuten erschlagen.Schon 746 zog sich Karlmann, dem das ewige Blutvergießenzuwider gewesen sein soll, in ein Kloster zurück und dankte ab zu-guusten seines SohneS Drogo. Da« war aber nicht nach dem Sinnseines lieben Bruders Pipin.„Drogo scheint kurze Zeit in demErbe seine« Vaters regiert zu haben, verschwand abei' nachher ausder Geschichte; Pipin, welcher seitdem in den Geschichtsbüchern stetsals Herrscher des ganzen fränkischen Reichs angeführt wird, beseitigteihn auf die eine oder die andere Art.'Nun zu Karl dem Großen, dem leuchtendsten Helden der da-maligen deutschen Geschichte. Er war der älteste Sohn PipinS undsollte nach des Vaters Willen das Reich mit seinem Bruder Karl-mann teilen, wie daS von jeher fränkische Sitte war. Das führtesofort zu Feindseligkeit zwischen den Brüdern,„welche in offenbarenKrieg überzugehen drohte'. Jedoch starb Karlmann kurze Zeildaraus(771). Er hinterließ allerdings Söhne. Aber nun machtees Karl genau wie seine Vorfahren: er„gewann" die Geistlichkeitsowie die weltlichen Großen in Karlmanns Reich, ließ sich zum einzigenHerrn der Franken wählen„und nahm, da auch seine Neffen vieleEreunde hatten, mit den Waffen Besitz von seines Bruders Reich.arlmanus Witwe entfloh mit ihren Kindern".Da übrigens unsere Alldeutschen von heute unter Sittenreinheitvor allem das Geschlechts- und Eheleben verstehen, so sei auch diesnicht übergangen. Karls Mutter Berta hatte gewünscht, daß Karlaus diplomatischen Gründen die Tochter des Langobardenkönigs,Desiderata, beirate. Karl war nun zwar schon verheiratet. Aberdas war kein Hindernis. Er tat seiner Mutter den Gefallen, ließsich scheiden und vermählte sich mit Desiderata,„verstieß sie aberschon ein Jahr darauf wieder und heiratete die Alemannia Hilde-gardis, die einzige Gemahlin, der er nie untreuward(!) und die er bis zu ihrem Tode achtete und liebte'. Manübersehe nicht: die einzige l Das will etwas bedeuten. Hildegard{tarb nämlich 783 und dann heiratete der König zum vierten Male.lußerdem kommen dann natürlich noch uneheliche Söhne Karls vor.Wie aber stand eS mit der angeblich echtesten germanischenTugend, der Treue?— Nur ein Beispiel: dreizehn Jahre schonhatte Karl gegen die Sachsen Krieg geführt, ohne etwas dauerndesausrichten zu können. Da„gewann" er die beiden gefährlichstenFührer der Sachsen, Wittekind und Alboin,„durch die UeberredungS-kunst schlauer Abgeordneter. Mit deren Hilfe gelang eS ihm, ihrenPrivatnutzen von dem Interesse der Nation zu trennen und siedurch Gewährung von Borteilen so zu reizen, daß sieim Jahre 78S zu ihm kamen und sich taufen ließen". DaS heißtauf gut deutsch, er hat fie b« st o ch e n. Aber„sie werden seitdemnicht wieder erwähnt, und eS ist sogar nicht einmal bekannt, ob siein ihre Heimat zurückgekehrt sind'. DaS sieht ja fast so auS, alsob sie noch überdies betrogene Betrüger geblieben sind.UebrigenS hat Karl auch kein Bedenken getragen, sich mit demwendischen Stamm der Obotriten zu verbünden und durch siedas Land des deutschen Stammes, der Sachsen nämlich, ver-wüsten lassen.Es versteht sich, daß nach seinem Tode unter seinen Nach«tommen das alte Spiel der Bruderkriege, Treulosigkeiten der Söhnegegen den Vater usw. ununterbrochen seinen Fortgang nahm.Nun darf man natürlich nicht umgekehrt den gleichen Fehlermachen wie unsere Alldeutschen. Man darf die ftänkischen Könige, dieMerowinger wie die Karolinger, nicht etwa als besonders schlimmeSünder und Verbrecher ansehen. So Habens dazumal die Großenalle gemacht in allen Ländern und— sie machen? ja imGrunde heute noch ebenso. Auch da? ist für den Gang derGeschichte ziemlich gleichgültig. ES sind das Aeußerlichkeiten in derEntwickelung der Völker, und wie es finnlos ist, sich für diese Leutezu begeistern, so hätte eS ebensowenig Sinn, sich über sie und ihreSchandtaten zu entrüsten. Ganz andere Dinge sind eS. auf die esin der Geschichte ankommt. Will man sich jedoch überhaupt mitdiesen Personen beschäftigen, so müßte man versuchen, sie und ihreTaten aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, nicht aber fie scheltenoder loben. Nur weil die StaatSerhaltenden von heute dem Volkso viel Dunst über die angeblich uralte„deutsche Treue' vormachen,haben wir es für nützlich gehalten, einmal an ein paar Beispielenzu zeigen, wie eS damit in Wirklichkeit bestellt war.kleines f emUeton.Naturwissenschaftliches.Gibt eS eine Grenze zwischen dem Pflangett»und Tierreich? Wie schwierig, ja wie unmöglich eS für denNaturforscher ist, die Scheidewand zwischen pflanzlichen und tieri»schen Lebewesen festzustellen, ersehen wir auS dem jüngst erschiene-nen Buche von R. H. France:„Die Kleinwelt des Süßwassers".(Verlag von Theod. Thomas, Leipzig ISIO. Preis 2 M.) Francssagt darüber:„Es gibt keinen Unterschied zwischen den beidenNaturreichen; denn die einfachsten Pflanzen sind von den einfachstenMeren nicht zu unterscheiden." AlS Beweis hierfür führt er u. a.folgende Tatsache an:„Wohl die häufigste aller Kleinpflanzen, die sich in jedem mitgrünen Häuten überzogenen Rinnstein, in jeder Jauchepfütze undStraßenlache findet, ist der Aenderling(Euglena stagnalis). Sounappetitlich seine Umgebung ist, so liebreizend ist das Dingchenselbst. ES ist sehr klein, so daß etwa<»6 auf einen Stecknadelkopfgehen, dazu schlank geformt wie ein gestaltveränderliches Fischleinmit spitzem Schwanz, vorn mit einem drolligen Mäulchen, von demein regelitchter Schlund in daS Leibesinnere führt, aus dem eineheftig peitschende Geißel heraushängt. Eine besondere Zierde istauch hier das schöne Grün, gehoben durch blitzende glasartigeKugeln und Scheiben und einen rubinroten Punkt, der wie einAuge anmutet. Euglena lebt pflanzenhaft. Mit Hilfe des Blatt-grüns zersetzt es Gase im Sonnenlicht und bereitet Stärke ausihnen. Das sind die blitzenden Kugeln im Innern. Außerdemlebt der Aenderling wie ein Pilz, saugt mit der Körperoberflächefaulende Stoffe auf, die ihm auch zur Nahrung dienen. Es gibtjedoch farblose Acnderlinge, die sich nur durch den Mangel anBlattgrün und Stärke von den grünen unterscheiden. Und diesefressen kleinere Lebewesen so, als ob sie ein winziges Raub-tier wären. Mit der Geißel schleudern sie ihre Beute in dieMundöffnung. Von dort fällt sie in das Leibesinncre, das wieein Magen wirkt und den Nahrungsbissen zersetzt und verdaut.Das Unverdaute wird durch den Mund wieder ausgebrochen.Es gibt ferner in allen Pflanzenreichen Sümpfen ein Urwesen,das man Vampza-ella nennt. Dieses ist eine rollende ziegelroteKugel, die zahlreiche feine Fäden ausstreckt. Wenn sie eine Kiesel-alge trifft, umfließt sie das Vflänzchen gewissermaßen, dann ver-daut sie es und stößt die leeren Schalen wieder aus. Die Pflanzen-forscher haben aus Tümpeln und feuchten Waldgründen auchSchleimpilze �(Myxomyceten) kennen gelernt, die in jeder Be«ziehung wie ein regelrechter Pilz wachsen; nur in der Jugendzeitleben sie wie Tierchen in Gestalt eines fließenden farblosenTropfens, der alles Verdauliche, das ihm unterwegs aufstößt, sicheinverleibt."So sehen wir also, daß der alte Streit über die Frage, wodie Pflanze aufhört und das Tier anfängt, heute in dem Sinneentschieden werden muß, daß eben die einfachsten Lebensformen,die wir kennen, beides zugleich sein können.3lus dem Tierlcben.Die Lebenszähigkeit der Wanzen. Selbst die ein-zige gute Eigenschaft, die man den Wanzen nachsagen kann, daßsie einen ausgeprägten Wandertrieb besitzen und vielleicht einenvon ihnen verpesteten Raum sogar durch das Fenster wieder ver»lassen, hat ihre bedenkliche Seit«, und so wird man an diesemInsekt wohl kaum sin„gutes Haar" lassen können. Ueberhaupt istes ja dem Menschen so schwer gemacht, gegen die Scchsbeincreinigermaßen einen Standpunkt der Gerechtigkeit«inzunehmen.Auf die Wanderlust der Wanzen kann man sich jedenfalls nichtverlgssen. Denn erstens pflegt jedes Geschöpf dort auszuharren.wo es ihm nach seinem Sinn gut geht, und außerdem wandern dieInsekten doch bloß deshalb aus, um sich an einem anderen Ortunnütz zu machen, was freilich dem vorher Geplagten ziemlichgleichgültig zu sein pflegt, wenn er sie nur selbst los ist. Einebesondere Untugend der Wanzen aber ist auf all« Fälle ihre Zäh»lebigkeit. Versuche haben gezeigt, daß sie ganz erstaunlich langeohne„Nahrung" leben können. Diese Tatsache ist deshalb beson»ders wichtig, weil billige Matratzen und anderes Bettzeug vielfachaus Stoffen hergestellt werden, die vorher keine Desinfektion er-fahren haben. Man hat es früher für sicher gehalten, daß wenig-stens eine Uebertragung von Wanzen dadurch nicht geschehen könne,weil vermutlich eine zu lange Zeit vergeht, bis diese Gegenständewieder in die Nähe eines menschlichen Körpers gelangen. EinMitarbeiter des britischen medizinischen Journals hat einmal25 Wanzen in eine sorgfältig gesäuberte Flasche geseht, in die ernur ein Stück weißes Papier und etwas sauberen Kaliko gebrachthatte. Der Hals der Flasche wurde dicht verschlossen. Noch nachacht Wochen waren sämtliche Wanzen lebendig. Nach vier Monatenwaren drei der alten und eines der jüngeren Insekten lebendig,und noch nach einem vollen halben Jahre lies eine-der großenWanzen ganz munter über das Stück Papier, nachdem die Flaschevon außen erwärmt worden war. Die Wanzen sind also solcheHungerkünstler, daß es aussichtslos erscheint, sie auf solchem Wegein absehbarer Zeit vom Leben zum Tode zu bringen.Perantw. Redakteur; Richard Barth, Berlin.= Druck u. Verlag: Vorwan« Buchdrucker« uätierlagSanjjallUaulSulger.Bertin