urteilten, der sich offenbar die letzten Tage m der Einzelzelle be» findet.»Ich schreibe Ihnen diese Zeilen und fürchte mich, daß jeden Augenblick die Tür geöffnet werden könnte und ich mein Schreiben nicht vollenden werde. Wie entsetzlich fühle ich mich in dieser unhcildrohenden Stillei Jedes kaum hörbare Geräusch läßt mein Herz erbeben... Eine Tür knarrt... Das war aber unten. Und ich beginne wieder zu schreiben. Im Gang find Schritte vernehmbar, und ich laufe zur Tür. Nein, wieder un- nützer Alarm! Das waren die Schritte des Aufsehers. Die ent- setzliche Todesstille bedrückt mich. Ich ersticke. Mein Kopf ist wie mit Blei gefüllt und fällt kraftlos auf das Kissen. Aber den Brief will ich dennoch zu Ende schreiben. Wovon wollte ich Dir schreiben k Ach ja, vom Lebenl Nicht wahr, es ist lächerlich, vom Leben zu sprechen, wenn hier, neben dir, der Tod lauert. Ja, er ist nicht mehr fern von mir. Ich fühle seinen kalten Atem, seine furchtbare Gestalt steht unablässig vor meinen Augen. Du stehst am Morgen auf und freust dich, daß du noch lebst, daß du� dich noch einen ganzen Tag deines Lebens freuen wirst. Aber dafür die Nacht! Wieviel Qualen sie verursacht, ist schwer zu schildern. Jetzt ist es Zeit, zu schließen: es ist gegen 2 Uhr nachts, jetzt kann man ein- schlafen und ruhig sein: heute wird man mich nicht mehr holen kommen." Ich habe Ihnen schon lange nicht geschrieben." heißt eS im Brief eines anderen Gefangenen.Ich habe in einem fort phanta- siert, aber mein krankes Hirn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Momentan habe ich keine Ahmnrg, wie es um mich bestellt ist, und das quält mich entsetzlich. Es find jetzt schon zwei Monate her, daß ich zum Tode verurteilt bin, aber man henkt mich noch immer nicht. Warum schont man mich? Vielleicht macht man sich lustig über mich? Vielleicht will man, daß ich mich jede Nacht in Er» Wartung deS Todes quälen soll? Ja, Freund ich finde keine Worte, ich habe keine Kraft, um auf dem Papier auszudrücken, wie ich mich in der Nacht quäle! Mag kommen, was will nur schneller!" Dies schrieb derselbe Gefangene, der anfangs erstaunt war, daß das Todesurteil keinen Eindruck auf ihn ausübte, und der sagte, daß der Tod ihn nicht im geringsten schrecke.... Seine beiden Briefe zeigen die beiden Endpole in der Stimmung der zum Tode Verurteilten: zuerst Erregung und frischer Mut, dann steigendes Entsetzen vor dem Ende, stumpfe und schweigsame Furcht. Illusionen und S e l b st m o r d e.' Uebrigens tauchen in der Zwischenzeit oft Hoffnungen und Träumereien auf.Jeder von uns schreibt einer der Ge» fangencn hat irgendeine Hoffnung, und bei jedem gelangt die Phantasie bis zu den Herkulessäulen. Obgleich wir wissen, daß unsere Gefährten fortgeschleppt und gehenkt werden, erscheint die eigene Hinrichtung dennoch als unwahrscheinlich. Es ist schwer. daran zu glauben; wie wird man mich, einen gesunden, kräftigen Menschen, hinführen und aufhängen... Jeder trägt irgendeine rcsige Hoffnung in sich und glaubt fast an ein Wunder. Einige warten auf die Begnadigung. Die anderen träumen von einem Gnadengesuch an den Kaiser und hoffen, die Administration irgend- wie hinters Licht zu führen. Wir sprechen zuweilen von Betäu- bungsmitteln. Wiq gut wäre es, in einen todesähnlichen Schlaf zu verfallen, damit die Freunde einen nach der Beerdiguisz aus dem Grabe herausholen können. Wir träumten von einer Ab- machung mit dem Arzt während der Hinrichtungsprozedur usw." Jeder von uns heißt es in einem Briefe klammert sich an einen Strohhalm, und dann geht alles, Logik und Vernunft, zum Teufel" Wir wissen nicht, ob eS dem Autor der angeführten Zeilen gelungen ist, in den Grenzen derLogik und Vernunft" zu bleiben. Aber die sich passiv den Illusionen hingeben, werden leicht Opfer irgendeiner Manie. Von allen so heißt es in einem Briefe die zum Tode verurteilt waren, habe ich zum erstenmal einen solchen wie N. N. gesehen. Obgleich er davon nicht spricht, so tut's ihm offenbar leid, mit dem Leben zu brechen. Er wartet in einem fort auf die Begnadigung. Er selbst hat ein Gnadengesuch nicht eingereicht, aber seine Mutter hat eS in seinem Namen getan. Jetzt legt er beständig Karten, ob er begnadigt werden wird oder nicht. Selbst- mord zu begehen, hat er abgelehnt. Wenn ich seine letzten Tage schildern wollte, hätte ich kaum viel zu schreiben. Sein Leben verläuft höchst einförmig und monoton. Er legt sich abends gegen sechs Uhr schlafen und steht um zwei, drei, vier Uhr morgens auf. Gleich nach dem Aufstehen beginnt er, Karten zu legen. Bei Tage legt er sich zuweilen hin, und auf meine Frage:Woran denken Sie?", antwortet er gewöhnlich:Ich weiß selbst nicht woran." Er verbringt fast seine ganze Zeit bei den Karten, in melancho- lisch« Träumereien versunken. Vielleicht träumt er von etwas Wertvollem und will nur nicht mit Ms darüber sprechen. Ich weiß das nicht." Der Autor der Notizen, die wir hier benutzen, schreibt, daß er den Gefangenen N. N., über den im vorhergehenden Brief gesprochen wird, hin und wieder gesehen habe.Das ist noch ein junger Mensch, etwa 20 Jahre alt, mit einem länglichen Gesicht und blauen, verschleierten Augen, die nichts zu sehen scheinen. In seinem grauen Arrestantenkittel, der seine Figur eng umschloß, ging(t mit dem Aufseher langsamen Schrittes zum Spaziergang und blickte mit müden» gleichgültigen Augen den langen Gachj entlang. Besonders waren es seine todmüden, zerstreuten, nichts- sehenden Augen, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkten." Zue Zeit, wo der Autor der Zstotizen seine Eindrücke im Gefängnis! niederschrieb, traf er den Gefangenen N. N. schon selten. Man sprach, der letztere hätte den Behörden versprochen, einige Personen zu verraten, wenn er begnavigt werden würde, und man hghe ihz? Hoffnung gemscht, daß er nicht hingerichtet würds lLorifktzung folgt.]) LNachdrua CRMtcn.] (VaturwilTenrcbaftUchc BUcberfcbau Es ist an der Zeit, uns wieder einmal auf dem naturwissen- schaftlichen Büchermärkte umzuschauen, was die letzten Monate NeueS gebracht haben. Als eine der wichtigsten Neuerscheinungen verdient an erster Stelle eine neue naturwissenschaftliche Halbmonatsschrift, Die Natur ", genannt zu werden, die von der deutschen natur- wissenschaftlichen Gesellschaft unter Leitung von R. H. Francö, im Verlage von Theodor Thomas, Leipzig , herausgegeben wird. Nach dem beispiellosen Erfolge desKosmos", der es in wenigen Jahren zu einer Auflage von etwa 90 000 Exemplaren brachte, war es ja zu erwarten, daß auch andere Verleger sich das in weiten Kreisen lebende Interesse für alles, was Naturwissenschaften heißt, zunutze machen würden. Durch seine mehrjährige Tätigkeit am Kosmos" hat Fr a neb sich ein feines Verständnis erworben» welche Fragen aus dem gewaltigen Gebiete der Biologie das lesende Publikum vor allem interessieren, und er kennt auch den Ton, den eine solche Zeitschrift einhalten muß: einfach in der Ausdrucks- weise, anregend im Ton, frei von unverständlichen Fachausdrücken und doch wissenschaftlich im Inhalt. Diesen Forderungen werden die bisher vorliegenden Hefte in vollkommenster Weise gerecht. Aus dem reichen Inhalte möchte ich nur folgende größere Arbeiten hervor- heben: Dr. Knau er setzt in einem mit guten Abbildungen aus- geschmückten Aufsatze die verschiedenen Methoden der OrtSbewegung der Tiere auseinander. Professor Wagner steuert einen klar ge- schriebenen Artikel über die wichtige Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften bei, den Nordpol als geographisches Problem be« handelt Professor S. Günther. Ein neu entdeckter euro- päischcr Affenmensch, lautet der Titel einer Arbeit von L. Neinhardt, dem Verfasser des bekannten WerkesDer Mensch zur Eiszeit". Auch der Referent ist mit zwei größeren Beiträgen der- treten. Doch eS ist hier nicht möglich, den ganzen Inhalt aufzu- zählen. Nur so viel sei erwähnt, daß alle wichtigen und aktuellen Fragen eine eingehende und im wesentlichen sachgemäße Erörterung finden. Wir wollen nur hoffen, daß das Blatt auch fernerhin dieses Niveau einhält, und mit unerbittlicher Strenge jede PseudoWissen- schalt aus seinen Spalten verbannt. Gerade eine Zeitschrift, die der Aufklärung, der Allgemeinheit dienen will, muß rn ihren Anforde- rungen besonders streng sein. Ein besonderes Lob verdient die sowohl in illustrativer Hinsicht wie in bezug auf Papier und Druck wirklich vornehme Ausstattung. Man kann das Blatt daher mit gutem Gewissen empfehlen, zumal der Preis von 1,50 M. viertel- jährlich, für den der Verlag nicht nur die Zeitschrift, sondern gleichzeitig noch fünf illustrierte Bücher seinen Abonnenten liefert, als sehr billig bezeichnet werden muß. Die Buchbeilagen des ersten Jahr- ganges liegen ebenfalls bereits fertig bor. Der erste Band aus der Feder von R. H. Francs SehandeltDie Natur in den Alpen ". Den Zweck seines Büchleins schildert der Verfasser mit folgenden Worten:Kein Einsichtiger wird von diesem Büchlein mehr fordern als Anregung, um seine Erholungstage und Wochen in den Alpen zu vertiefen und zu veredeln. Darum wollte es auch nicht mehr sein als einnaturwissenschaftlicher Führer", der nur aufmerksam macht auf das Schöne, nur hinleitet zu den Aussichtspunkten und höchstens durch ein paar ehrlich empfundene Worte manchmal über die Anstrengungen des Weges hinwegzuhelfen versucht". Den brei - testen Raum in der Darstellung nimmt naturgemäß die Pflanzen- Welt ein, deren wichtigste Repräsentanten in Wort und Bild vorgeführt werden. Daneben finden sich aber auch eingehendere Bemerkungen über die geologischen Verhältnisse und die flimatischen Besonderheiten der Alpenwelt. Die Tierwelt ist dagegen' etwas stiefmütterlich behandelt, aber bei dem geringen Umfange war eine folche Beschränkung ge- boten. Mit besonderer Freude fiel es mir auf, daß sich Francs von seiner gefährlichen Neigung, überall anthropomorphistische Deutungen hineinzutragen, in diesem Werkchen ziemlich frei gehalten hat. Nicht unerwähnt sollen die ausgezeichneten, teils nach Originalaufnahmen von D o p f e r, teils nach Zeichnungen von Dr. D u n z i g e r her« gestellten Abbildungen bleiben. Alles in allem ein Büchlein, daS man in müßiger Stunde gern zur Hand nimmt. Auf einen etwas kriegerischen Ton gestimmt ist ein Bnch von Dr. Ludwig Wilhelm :Leben und Heimat des Urmenschen". Für den Laien verliert eS dadurch entschieden an Wert, vermag er doch nicht in dieser Polemik sachgemäß Partei zu ergreifen. Immer- hin gibt aber die Arbeit einen recht klaren Ueberblick über die ver- schicdenen wichtigen neueren und älteren Funde fossiler menschlicher Ueberreste und die sich daran anknüpfenden Theorien und Streit- ftagen. Es klingt m die Worte aus:»Der Mensch ist entwickelt, nicht geschaffen",