Vätern und Müttern, die bo-n der tapferen Schonungslosigkeit desGenerals betroffen? Oder vielleicht gar das Mitgefühl für denunbekannten Jüngling, der vor dem Tode schrieb:»Ich sterbe nicht als erster und nicht als lchter. Weintnicht, sondern seid stolz auf Euren Sohn. Ich sterbe stolz undblicke dem Tode mutig ins Gesicht..Es ist schwer zu sagen, welchen Eindruck die Leute im Waggonvon dieser Erzählung davontrugen. Es finden sich keine genauenWorte, um die Gefühle und die Gedanken eines stummen Landeswiederzugeben, das, wie man sagt, sich schon beruhigt hat, woaber, unter dem Akkompagnement»konstitutioneller" Reden, derGalgen noch immer nicht zur Ruhe kommen will... Auch derunglückliche Vater, der die Leidensgeschichte seines Sohnes imEisenbahnwagen erzählte, schien ja gleichfalls ruhig. Aber dennochbewahrt er auf seiner Brust die.Dokumente" über seinen Sohnauf und ist jeden Augenblick bereit, sie zu präsentieren...Wo, unter welchen Bedingungen, bei welcher Instanz wird ersie präsentieren?... Wer weiß das? Die Zukunft ist dunkel.Der russische Zug jagt auf den alten, abgenutzten Schienendurch die Finsternis weiter und weiter..,sgortsetzung folgt.!Sin Hncfrlff auf die Chnftcnbeit.Die gewöhnliche Theorie von dem großen Genie, das sich un-bekümmert um sein Milieu, und allen entgegenstehenden Mächten zumTrotz, allein auf seine Geisteskraft gestützt, zum führenden Haupteseines Volkes und der Menschheit emporringt, ist schon oft als un-haltbar nachgewiesen worden. Es gibt einen dänischen Denker, dergerade durch seine Unberühmtheit in Europa diese Theorie widerlegt.Dieser Denker ist Sören Kierkegaard(1813—1856). Werkennt ihn in Deutschland?Sören Kierkegaard wird in Dänemark als das Größte verehrt,waS dies kleine Land zur europäischen Geisteskultur beigetragen hat.Seine Gedanken führen noch Heuligen Tages, über sechzig Jahrenach seinem Tode, bei den dänischen Bauern ein kräftiges Leben.Sein Einfluß auf die nordische Literatur ist oftgeschildert worden. Björnson verdankt ihm Großes, und dieJbsensche Ethik, besonders wie sie aus dem Brand hervorleuchtet,hat nach dem eigenen Eingeständnis des Dichters in Kierkegaardeine ihrer Quellen. Vor allem aber die Stellung, die der gesamteNorden zu der Kirche und ihrer Religiosität einninimt, eine Stellung,die trotz vieler Uebereinstimmungen doch eine durchaus vor-geschrittene gegenüber der unsrigen und besonders der englischen ist,wurde durch die antikirchliche Arbeit dieses kirchenfeindlichenTheologen tief mitbestimmt. Auch die Arbeiterbewegung verdanktKierkegaard in dieser Ricktung nicht wenig. Er stand zwar denpolitischen Kämpfen gänzlich fern. Aber von seiner antikirchlichenWirksamkeit konnte Georg Brandes im Jahre 1879, als dieArbeiterbewegung in Dänemark in Fluß kam, mit Recht sagen, daßsie eines der bedeutsamsten Gärungselemente indieser Bewegung geworden, daß sie gerade dem dänischenVolk» tief ins Herz gedrungen fei.Warum kennt man in Deutschland und dem nichtnordischenEuropa diesen Mann nicht? Einzig und allein, weil es sein Schicksalwar. in einem Lande geboren zu sein, dessen Sprache die europäischeWelt nicht versteht, das abseits von der großen Heerstraße derKultur liegt.� Es half ihm nichts, daß er mehr Witz und Geist hatteals die schwäbische und Münchener Dichterschule zusammengenommen,daß er im Kampf mit dem Kopenhagener Stadtklatsch und demKopenhagener Bischof mehr persönliche Energie entfaltete alsmanches Paradestück der deutschen Heldengeschichte. Die klein-städtische Umgebung, die nationale Schranke, kurz, daS vielgescholteneMilieu hat ihn erdrückt.ES ist aber ganz selbstverständlich, daß in dem Maße, als diesoziale Entwicklung die gesamten menschlichen verhälmisse, auch dienationalen, nivelliert, also in gewisiem Sinne das Milieu tötet, indemselben Maße die bisher nattonal begrenzten und verschlossenenWerte in die Menschheitskulwr hineinwachsen. Und während z. B.der alte Däne Holberg aus den, 18. Jahrhundert nie«ineeuropäische Größe geworden ist, beginnt Kierkegaard, besten Wirk-samkeit schon in die Periode der beginnenden Entnationali-sterung fällt, heute vor unseren Augen europäisches Ansehen zu be-kommen.Sein erbitterter Kampf mit der offiziellen Kirche hat sehr intimepersönliche Gründe. Diese interessieren die europäische Oeffentlichkeiterst in zweiter Linie. Kierkegaard hat den Angriff auf die Christen-Heil auch von einer anderen Basis geführt, als eS dem modernenBewußtsein geläufig ist. Er war selbst Christ, ftommer Christ sogar.Aber das mindert das Gewicht seines Kampfes nicht. Im Gegenteil.Er verwundet die Kirche damit— um uns seiner Worte zu be-dienen— von rückwärts.»WaS ich will? Ganz einfach: Ich will Redlichkeit. Ich verttetenicht einer vorhandenen christliche Milde gegenüber eine christlicheStrenge. In keiner Weise. Ich verttete weder Sttenge nochMilde, sondern menschliche Redlichkeit.... Eins will ich nicht, umkeinen Preis. Ich will nicht durch Verschweigungen oder durch Kunst-stücke den Schein zu erwecken suchen, daß das gewöhnliche Christen«tum im Lande und daS Christentum de! neuen Testaments«inandergleichen. Sieh, das will ich nicht, und warum nicht? Nun, weil ichRedlichkeit will."Kierkegaards Kritik am Kirchentum hat hier ihre Wurzel. Erkritisiert nicht von einem sozialen Gesichtspunkte aus. etwa von demGesichtspunkt aus, welche Rolle in der Reattion die Kirche von An-fang an gespielt hat. Er ftagt einfach: Ist dieses Pfarrerchristen-tum, das wir hier vor uns sehen, dieses Predigen von Liebe, Armut,Sünde, Selbstverleugnung, Keuschheit und wer weiß was für viele«schönen Dingen nichts als eitle Phrasendrechslerei? Er geht auSvon dem Gedanken, daß daS Christentum, wie es im Neuen Testa-ment und seinen Lehren vorliegt, askettsch gerichtet ist. Dies«seineTheie ist richtig. Alle modernprotestantischen und reform-katholischen Versuche, unser heuttgeS humanes Kulturideal, das sichin jahrhundertelangem Kampfe gegen das christliche Ideal durch-gesetzt hat, mit dieiem alten christlichen Ideal in Zusammenklang zubringen, laufen im letzten Grunde aus eine ganz kläg-liche Wistenschastspolitik hinaus. Das Christentum, wie eSin den Sprüchen des Neuen Testaments aufgezeichnet ist,bleibt weit- und kulturfeindlich. DaS haben auch von neueren Fach-gelehrten einige der tüchtigsten wie z. B. der Nietzsche-Freund FranzOverbeck eingesehen und gegen die Vulgärtheologie unserer Tageverteidigt. Die kleinen von Parteiwegen herausgegebenen Schriftendes Franzosen Loisy sind also in diesen Punkten moderner als diegesamte Harnacksche Schule.Von der Konstatierung dieser welthistorischen Lüge, daß dieweltliche Machtorganisation der Kirche sich christlich nennt, gehtKierkegaard aus:„Und wenn alle Pfaffen, mögen sie nun in Saintund Seide gehen, in Tuch oder in Bombassin, etwas anderes sagenwollten, so werde ich sagen: Ihr lügt, Ihr betrügt die Menschen mitEuren Sonntagspredigten". Nicht gilt es ihm, neue Flicken auf ein alteSGewand zu setzen. Er will nicht reformieren.»Hier ist nichts zu refor-mieren; worauf es ankommt, ist, ein jahrhundertelang fortgesetztes christ-liches Kriminalverbrechen zu beleuchten". Nicht ohne Interesse istdabei gerade für unsere Tage, da der Kampf um die historische Per-sönlichkeit Jesu wieder aufflackert, daS Bild, das sich dieser erbitterteGegner des Pfarrertums von dem neutestamentlichen Bekämpfer derPharisäer macht. In merkwürdiger Uebereinstimmung mit gewissenStimmen aus dem proletarischen Lager ist er bemüht, den ver-herrlichten Gottessohn soweit wie möglich zu degradieren. Er sprichtvon ihm als von«einer Art rnauvais sujet", einem„verlorenenMenschen", dessen»revoluttonärer Hochmut die ganze Intelligenzund Tüchtigkeit des Bestehenden verschmäht, um ganz und gar vonneuem und von vorn anzufangen mit Hilfe von— Fischern undHandwerkern, so daß eS wie etn Motto zu seiner ganzen Existenzim Verhältnis zu dem Bestehenden klingt, daß er ein unehelichesKind ist".DaS StaatSchrichstentum macht das wirkliche Christentum tot.„Nehmt ein Beispiel: Wenn es dem Staat einfiele, alle wahre Poesieverhindern zu wollen, wie hätte er das anzufangen? Er brauchtenur tausend Stellen für königliche Dichter-Beamte einzurichten; dannwird das Land bald mit schlechter Poesie so überflutet sein, daßwahre Poesie fast zur Unmöglichkeit wird. Nehmt ein anderes Bei«spiel. Gesetzt, der Staat käme auf die Idee, die Religion einzu-führen, daß der Mond aus einem grünen Käse gemacht sei, undgesetzt, er richtete zu dem Ende tausend Stellen für einen Mann mitFamilie ein, mit regelmäßigem Avancement, gleichem Range mitKanzleiräten, zweifelt man daran, daß dann nach einigen Genera-tionen ein Statistiker müßte bestätigen können, jene Religio«sder Mond ist aus einem grünen Käse usw.), sei die herrschendeim Lande?" Schon aus solch einem Satze sieht man: Wir habeneS in Kierkegaard nicht mit einem der tränenreichenJeremiaffe zu tun. die über die Verwüstung im Tempel klagen.Aus spitzen und wuchtigen Sätzen schuf er sich eine Geißel, mit derer die Feinde der Ehrlichkeit züchtigte,— wie sie keiner nach ihmwieder gezüchtigt hat. So rücksichtslos faßt er sein Urteil über dasganze Staatschristentum zusammen:„Wofern Du glaubst, und daSglaubst Du ja doch, das Stehlen, Rauben, Plündern, Huren,Schlemmen usw. sei Gott zuwider: das offizielle Christenwm unddessen Gottesdienst sind ihm unendlich widerwärtiger".Seit den Tagen der ftanzösischen Revolution hat man solcheWorte in Europa kaum gehört. Warum nicht? Die meisten Angriffegegen das Christentum gingen naturgemäß von fteidenkerischer Seiteaus. Die Freidenker aber üblen als Jünger der Humanität dieToleranz. Kierkegaard übt keine Toleranz. Er nimmt sich das Rechtzu der Schärfe seiner Angriffe eben aus seiner Frömmigkeit. Nichtder Haß gegen die Religion oder die Gleichgültigkeit gegen sie führtihm die Feder. Sondern die Begeisterung für das alte»rchrisilicheIdeal in seiner Reinheit. Was im Munde eines freien DenkersBlasphemie ist, das wird bei ihm zum Ausdruck religiöser Erregung.Darum aber auch hat er für die Säkularisation(Verweltlichung,Entkirchlichung) des allgemeinen Menschheitsbewußtscins mehr getanals mancher Freidenker.Die Taufe— nach Kierkegaards, des Theologen Vorstellung,der auS einer richtigen Pfarrersfannlie(nicht sein Vater, aber seinegesainte Verwandtschast fast war geistlichen Standes) stammte, wirk»die Taufe hauptsächlich durch die Geldgier der Pfarrer aufrecht er-halten.„Sie verstehen schon ihr Geschäft, und ebenso, daß, wenneS geschähe, wie das Christenwm und jeder vernünftiger Mensch eSunbedingt verlangen muß, daß man erst, wenn man großjährig undmündig wird, sich entscheiden dürste, welcher Religion man angehora»