triumphierte in Kantscher Philosophie und Nxiteren sich daran anknüpfenden philosophischen Mißverständnissen. Er brachte ein Hoch aus auf Freundschaft und Gemütlichkeit. „Die Freundschaft ist das reine Gefühl," sagte er,„das Gefühl an sich. Sie ist darum dauernd und erhaben, sie ist das eigentliche Ideale und Wesentliche unseres Gefühlslebens. Sie schwebt deshalb auch über dem Leben. Erst die Gemüt- lichkeit führt sie ins Leben hinein. Die Gemütlichkeit ist ihr Page und ihr Vorspann. Sie schlingt sie ein in den Kranz der Stunden, sie gibt ihr die Realität. Unser ganzes inneres Erleben beruht nur auf der Assoziation der Ideen— unsere ganze Anschauung ist nur Jdecnassoziation— Freundschaft und Gemütlichkeit, das sind assoziierte Begriffe, sie leben ihochl" Der kleine Meyer brüllte vor Vergnügen über diesen Galimathias(Unsinn). Hermann Eigner, mit einem feinen Schmunzeln, nahm sein Glas, erhob sich, trat auf den Redner zu und sagte:„Prosit! Herr— Oberlehrerl" Das gab ein Gebrüll. Viele konnten Spott und Ernst in diesem Worte nicht unterscheiden, aber das war gleich- gültig. Man hatte einen Anlaß zur Lustigkeit und zum Trinken mehr. Besonders der kleine Meyer rief beständig Prost. Der Onkel Wolff bekam bald schwere Lider. Peter Lorberger schwadronierte. Georg der Eiferer proklamierte. Heinrich Schmerzenreich erzählte von seinen pädagogischen Erfolgen. Das brachte den kleinen Meyer auf die Idee, die Lügenglocke zu läuten. Der Urpädagoge geriet daraufhin ganz aus dem Häuschen. Er konnte es nicht dulden, daß man an der Wahrheit seiner Erzählungen zweifelte.„Auf Ehr und Seligkeit," beteuerte er, und„meiner Seel" hängte er jetzt in seinem Eifer jedem Satze an. Man belustigte sich über ihn und stachelte ihn, ohne daß er es merkte. Erst als auch ein junger Kaufmann, Wilhelm Bloß, sein Mütchen an ihm kühlen wollte, erwachte das Solidaritätsgefühl der Pädagogen und sie verteidigten ihren Kollegen mit dem schönen Eifer, der eines so idealen Standes und einer so vorgerückten Bierstunde würdig war. Philipp nahm an dem Treiben teil, ohne sich groß mit- reißen zu lassen. In einer Aufwallung feines Anständigkeits- gefühls war er zu Hermann Eigner hingegangen und hatte sich sehr förmlich für die liebenswürdige Einladung bedankt und die Versicherung abgegeben, daß es ihm eine große Ehre sei, an dem heutigen Abend teilnehmen zu dürfen. Dann hatte er sich gesetzt und war dem Gastgeber feine „Blume " gekommen. An seiner Seite saß Julius Leer, ein angehender Jurist, mit einem häßlichen Nervenzucken und erzählte ihm von seinen Fechterkunststücken auf der Univer- sität und brüstete sich mit der Zahl der Nadeln, die er er- halten hatte. Er hatte eine häßliche, quietschend« Stimme, dünn und blechern wie der Ton einer Zehnpfennigstrompete. Und er sprach fortwährend, so daß Philipp gar nicht mehr hinhören konnte- Immer von sich. «Ein unangenehmer Streber," dachte der Philipp. Dann erzählte das neugebackene Juristlein, daß er die Staatsanwaltskarriere einschlagen wolle. „Die schönste ist das gerade nicht," sagte der Philipp, der, durch seine Herkunft beeinflußt, immer mit den Schwäche- ren fühlte und für sie Partei ergriff. „Es ist die einzige juristische Karriere momentan, in der man es noch zu etwas bringen kann. Ein sensationeller Pro- zeß— und man ist oben. Staatsanwalt, dann Oberstaats- anwalt— nur abschrecken darf man sich nicht lassen. Die Blätter mögen schreiben, was sie wollen, man muß nur fein Ziel fest im Auge behalten." „Hm, hm," erwiderte Philipp. Der Mensch war ihm wie ein unappetitliches Amphibium. Klebrig, abstoßend, häßlich. Wenn er lein Bierglas ergriff, machte die Hand immer erst einen ganzen runden Bogen, dann herüber über den halben Tisch— dann faßte er erst zu. �(Fortsetzung folgt.)) .<Nachdruck verboten.) 11 Der fucks. Ein Tiermärchen von Kart Ewald. �Autorisierte Uebersetzung von Hermann Kiy.)' Es war eine sehr schwüle Julinacht, eine von denen, die gar Nicht so häufig find; eine von den Nächten, nach denen die Men- schen sich den ganzen langen Winter hindurch sehnen, über deren Uusbleiben im Sommer sie recht jämmerlich zu wehklagen Pflegen, Vud die sie. wenn sie wirlliA da sind, unerträglich finden.„u Es war so hell, daß man alles fast so deutlich Sie äR Tag« sah. War es doch die Zeit der«hellen Nächte"! Viele Menschen konnten vor Hitze nicht schlafen; und sie nahmen es ganz vor- schieden auf. Die einen fluchten und schimpften, warfen die Decken ab, fühlten sich sehr unbehaglich und waren schlechter Laune. Das waren die Alten. Die andern erhoben sich aus ihren Betten, wenn sie kurze Zeit gelegen hatten, und starrten durchs Fenster in die lichte Nacht hinaus; dann kleideten sie sich leicht an und gingen in den grünen Wald oder an den Strand hinab, wo die Wellen plätscherten. Das waren die Jungen. Auch die Tiere benahmen sich jedes nach seiner Art. Doch das geschah nicht nach Alter oder Laune, sondern je nach der Bestim- mung der Natur. Ihr mußten sie gehorchen. Und während die, die am Tage ihre Arbeit verrichtet hatten, fest und ruhig schliefen, gab es andere, die am Tage in ihren Höhlen und Verstecken schliefen, und die bei Sonnenuntergang aufwachten und mit klaren Augen und hungrigem Magen auszogen, um ihren Anteil an des Lebens Herrlichkeit zu erhaschen. So machte es die Eule, die sich am Tage im Licht der Sonne gar nicht blicken lassen konnte, ohne von den anderen Vögeln ver- höhnt und mißhandelt zu werden. Erst des Nachts konnte sie richtig sehen. Wenn es für andere dunkel war, dann war es für die Eule hell. Lautlos, um von ihrer Beute nicht bemerkt zu wer- den, flog sie durchs Gezweig. Schnell wie der Blitz stürzte sie sich auf ihr Opfer und fraß es oder trug es in ihr Nest in der alten hohlen Eiche, um es ihren hungrigen Jungen zu geben, die mit offenen Schnäbeln und großen Augen wartend dalagen, weil auch sie sich ja an das nächtliche Wachen und die nächtliche Arbeit gewöhnen mußten. Auch die kleine Waldmaus, die beste Beute der Eule, unter- nahm des Nachts ihre Züge. Sie wagte sich nicht gern in die Sonne hinaus; denn sie war gar zu klein und schwach und hilflos gegenüber den Krähen und Bussarden und ihren anderen Feinden. Und auch der Fuchs benutzte die Nacht für seine Räubereien. Er liebte es nicht, daß man seine Wege zum Hühnerstall des Bauern ausspionierte; und er verzehrte auch stets mit Vergnügen die leckeren Mäuslein, die ihm über den Weg liefen, weil er ja nicht wissen konnte, ob er in dieser Nacht junge Hühner zu effen bekam, oder ob der Bauer seinen Hof besser eingezäunt hatte, seitdem ihm neulich seine beiden letzten Entlein fast vor der Nase weggeschnappt worden waren. Und ebenso machte es der Nachtfalter, der ganz melancholisch war, weil ihm ein so kurzes und schwieriges Dasein beschieden war, und der sich nichts daraus machte, sich am Tage zwischen alt den bunten Blumen und Schmetterlingen herumzutummeln, die die Wiese bedeckten. Etwas Honig brauchte er ja, bevor er seine Eier legte und starb. Aber er bedurfte nicht der bunten Farben seiner Kameraden. Die leuchteten so, damit man sie nicht von den bunten Blumen unterscheiden könnte, zwischen denen sie umher- flatterten. Hätte der Nachtfalter so ausgesehen, so wäre er bald von der Fledermaus auf ihrer nächtlichen Jagd erwischt worden. Er konnte sich am besten in einem graubraunen Wams verstecken, das nicht verriet, wo er war. Und das tat er auch. Er wußte auch recht gut, wo er seinen Honig zu holen hatte. Er kannte eine stille, bescheidene Blume, die auf ihn wartete. Die wollte ebenso- wenig wie der Nachtfalter mit den bunten Blumen der Wiese konkurrieren, die die Insekten durch ihre Pracht an sich lockten. Sie begnügte sich mit einem einfachen Kleide. Geschützt stand sie im Gebüsch. Aber wenn die Nacht im Walde hereinbrach, dann strömte sie einen herrlichen Duft aus, der so viel bedeutete, wie wenn sie riefe: „Komm, lieber Nachtfalterl Hier steht deine Nachtviole, den Becher voller Honig für dich..., dich allein." Und wenn der Nachtfalter den Duft spürte, dann fand er leicht den Weg zu seiner bescheidenen Freundin, fetzte sich auf ihre Blüte und sagte: „Hier bin ich, liebe Nachtviole, gib mir nun deinen Honig, dann kannst du deinen Blütenstaub auf meine Flügel laden. Er wird schon hängen bleiben; und ich verspreche dir, daß ich ihn ge- treulich zu einer anderen Nachtviole bringen werde." Es waren noch viel mehr Tiere draußen in der herrlichen. lauen Julinacht. Aber ich kann sie nicht alle aufzählen. Freilich geht es nicht an, daß ich die Anwesenheit der Nachtigall ver- schweige; denn sie selber schwieg auch nicht. Sie hatte eigentlich in der Nacht gar nichts zu suchen; denn sie war ja ein Tagvogel, der seine Arbeit zu beendigen und für seine Familie zu sorgen pflegt, bevor die Sonne untergeht. Aber sie war genau so wie die jungen Menschenkinder, die vor Glückseligkeit über die schöne Nacht nicht schlafen können. Und nun saß sie auf einem Zweige vor ihrem Neste und sang, als ob ihre kleine Kehle bersten sollte.... sang von der Herrlichkeit der Sommernacht und dem Glück und fuhr fort zu singen zu ihrem eignen Vergnügen, ohne daran zu denken, daß niemand sie hörte. Sie wußte nur, daß dieser Sommer genau so kurz wie schön war. Höchstens zwei Monate dauerte ihr Aufenthalt im hohen Norden. Dann waren ihre Jungen groß, und sie mußte nach Süden, wo es warm war und viele Fliegen gab, wenn es auch nicht so schön war wie in der Fliederhecke vor dem Garten des Försters, wo sie nun drei Jahre hintereinander ihr Nest gebaut hatte, und wohin sie auch im nächsten Jahr zurück- zukehren hoffte.
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27 (16.8.1910) 158
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