ein paar garstigen, sauren Schlehenbceren genährt und sich oben- drein das Maul gehörig verletzt, um sie zu erreichen. So konnte eS unmöglich weitergehen. Er war so erschlafft, daß eS greulich anzusehen war. Er sehnte sich voll Gier nach einem Huhn, einem Hasen, einer Maus— oder bloß einer magern kleinen Nachtigall. Aber nichts, nichts war da. Und der weiße Schnee lag so dick und fest auf der Erde. Die Sonne schien zwar hin und wieder ein wenig, aber nur, um die Leute zum Narren zu halten. Des Nachts blinkten die kalten Sterne. Es war unerträglich. Nacht für Nacht schlich der Fuchs zum Waldessaum, wo er von dem Hügel aus den Forsthof sehen konnte und erlebte viele qual- volle Stunden. Er mußte immer wieder an die fiebenurrdzwanzig Hühner Lenken, denen er damals den Hals durchgebissen hatte, um den Förster zu ärgern. Weil er keinen Hunger gehabt, hatte er keinen Bissen gefressen, kein einziges der Hühner mitgeschleppt, sondern aus purem Haß und Rachedurst gemordet. Wie hatte er so un- überlegt handeln können! Hätte er die Hühner damals verschont, so hätte er jetzt hinschleichen können, um sich eins zu holen. Ge- wiß, er hätte sein Leben dabei aufs Spiel gesetzt. Aber warum sollte er das nicht, statt mit kalten Füßen im Walde umherzu- laufen und zu verhungern? Er hätte sich ein Huhn heute holen können und eins morgen. Oder vielleicht wäre es vernünftiger gewesen, immer einen Tag zu überspringen, denn an dem Tag nach einem Raube paßien die Leute in der Försterei ja besonders auf. Mit Flux wollte er schon fertig werden. Dem konnte er auch das andere Hinterbein durchbeißen, wenn er es nicht anders haben wollte, llebrigens würde Flux wohl schlafen. Und er konnte ja halb weder hören noch sehen. Der Fuchs leckte sich das Maul vor Hunger. Das waren nichts als Träume und Phantasien. ES waren keine Hühner mehr in der Försterei. Er selbst hatte sie alle ohne Sinn und Zweck totgebissen. Und der Förster hatte geschworen, daß er erst wieder Federvieh auf seinem Hof haben wollte, wenn der alte Fuchs erschossen wäre. Sonst füttere man ihn ja geradezu. Da vergaß der Fuchs in seiner Wut alle Vorsicht. Er bellte laut und lange, so daß eS über das Land hin schallte; und dann rannte er wie besessen nach Hause. Der Förster erwachte in seinem Bett. Er lachte, als er es hörte. .Hoho, du alter heimtückischer Fuchs", sagte er.»Nun leidest Du wohl Not. Aber warte nur IT {Schluß folgt.) Kopenhagen , die grüne Stadt am JVIeer- Kopenhagen, August 1910. Wir stehen auf dem»Runden Turm"— eS ist um die Mittagszeit. Warme Sonne spielt um Nahes und Fernes, und keine Wolke trübt das Blau des Himmels. Was in tausend Farben und iwch einheitlich unter uns leuchtet, was raucht und lärmt, schwatzt und lacht,— das ist Kopenhagen . Grüne und rote Dächer und wieder grüne Kuppeln, Schlotzgärten mit Musikpavillons und wirk- liehen Denkmälern, verwitterte Kirchen, die beschämt werden von modernen Prachtbauten,— das ist Kopenhagen . Aber auch' Fisch- geruch und breitbauchige Fähren, Lustjachten und eine Unmenge von Badeanstalten, englischer Sport und Pariser Grazie, das Ganze demokratischer verteilt als sonst in Europa ,— das ist Kopenhagen . Es ist dasselbe wie Dänemark . Der breite schimmernde Streifen dort im Osten ist der Sund. Was hinter ihm kommt, ist Schweden . Kopenhagen selbst liegt nicht am Sund. Sein vortrefflicher natürlicher Hafen wird durch den Kallebodstrand gebildet, einen schmalen tiefen Sundarm, der zu- gleich die Insel Amager von der Stadt trennt. Doch vermag man die beiden kaum noch auseinanderzuhalten. Hingegen erhebt sich weiter nördlich scharf die kleine künstliche Insel Midelgrund vom Sundspiegel ab. Sie ist befestigt und bildet für die nördlich ein- kommenden Schiffe das wichtigste Leuchtfeuer. Jener mächtige Spcicherkomplex im Norden der Zitadelle gehört zu dem neuen Frei- Hafen, der vor Ib Jahren angelegt wurde. Die Kopenhagener Ein- und Ausfuhr beträgt mehr als die Hälfte der Ein- und Ausuhr von ganz Dänemark . Hauptausfuhrartikel sind Butter, Eier, Fleisch und lebendes Vieh. Allein an Butter werden jährlich für 150 Millionen Kronen ausgeführt. Langhin, von. Sund bis mitten ins Herz der Stadt, nach Kongens Nytorp(Königsneumarkt), zieht sich der Hafen. Die Riesen des Hamburger Hafens sind hier unbekannt. Immer- hin verkehren an 10 000 Dampfschiff« hier im Jahr. Auch hat Kopen- Hägen einen Segelschiffverkehr von seltenem Umfange(im Jahre 1908 mehr als 8000). Wie dos Auge noch einmal am Hafen entlang streicht, bleibt es an einem langen grüngedeckten Gebäude hangen, mit zahlreichen Dachgiebeln an den Seiten, mit einem grünen Turme, dessen Spitze vier Drachenleiber bilden, die ineinander verschlungen sind. Dieses Gebäude, die Börse, ist typisch für Kopenhagen . Wir kennen seine« Stil nur aus der Blütezeit niederländischen Bürgertums. Wer sich in die Linien dieser Fassaden vertieft, hat mehr von däni- scher Kultur erfaßt, als wer die glatten Jdealleiber des Klassizisten Thorwaldsen betrachtet— die unter der grünen Kuppel rechts von der Börse, in dem aus einem früheren Mcirstall ohne Frage genial hergerichteten Thorwaldsen- Museum aufgestellt sind. Das führt uns auf die weitberühmte Frauenkirche mit der bekannten Christus-Figur Thorwaldsens und seinen zwölf Aposteln. Es ist dis schlichte Kirche, die hier gleich südlich von unserem Turm neben der Universität liegt. Wer in und aus dem Kräftestrom unserer Zeit lebt, dem werden diese, bei aller Formsicherheit doch seelenarmen Figuren wenig sagen. Wer Plastik in Kopenhagen kennen lernen will— und es ist hier etwas kennen zu lernen, was keine andere europäische Stadt bietet,— der gehe in die neue Karlsberg- Glyptothek . Sie ist von unserm Turm aus etwas schwer zw finden. Diese nicht sehr breite Hauptstraße zunächst, die von Kongens Nytorp mitten die Stadt durchschneidet, endet auf dem Rathausplatz. Das Rathaus ist jenes schmucke Renaissancc-Bauwcrk mit der großen Freitreppe und dem über 100 Meter hohen kupfer- gedeckten Turm, von dem aus alle Viertelstunde das schöne Glocken- spiel erfreut. Neben dem Rathaus liegt Tivoli, der weltbekannte Vergnügungsprater Kopenhagens . Und hinter dem Tivoligarten sieht das Auge die Glyptothek sich erheben— eine gläserne Kuppel in der Mitte, umrahmt von den leuchtenden Farben eines üppigen Gartens. Diese Glyptothek ist, was Aufstellung und Verteilung der Kunst- Werke anbetrifft, unstreitig die schönste der Welt. Einzig das Glas- und Eisendach in der Mitte erinnert zu sehr an Palmenhaus und Kristallpalast, steht zu dem Marmor der Plastiken in einem zu grellen Kontrast,— sonst aber ist hier ein Problem, das alle großen Städte bedrückt, auf vorbildliche Art gelöst. Freilich war dies nur mit Hilf« eines verschwenderisch freigebigen Kopenhagener Bürgers möglich. Herr C. Jacobsen hat sich in dieser Kunsthalle ein dauerndes Denk- mal gesetzt. Vor dem Gebäude begrüßen uns Rodins„Bürger von Calais ", im Garten hockt desselben Meisters»P e n s e u r"(Denker). In den Nischen der Fassade, wo bei uns die Klassiiker und Klassi- zisten stehen, fehlt Meunier nicht. Und das Innere überwältigt mit seinen Schätzen auch den verwöhntesten Museumsbefucher. SindingS ..Barbarenweib", seine„Gefangene Mutter, die ihr Kind säugt", die fast populär berühmten„Zwei Menschen", die.Anbetung", dio „Aelteste ihres Geschlechts", die„Walküre im Winde",— von Meunier und Mercie, von Chapu und Klinger charakteristisch« Originale,— und wer im Vergleich zu Thorwaldscns Formalismus ein Stück moderner seelisch vertiefter Kirchenplastik sehen will, achte auf Rodins„Johannes", eine Zierde der ganzen Sammlung. Hinte « dem Lichthof stößt man auf die alte Glyptothek. Anstatt einer un- fruchl'baren Durchwanderung des Ganzen, sollte man wenigstens einen Saal sich genau ansehen. Obwohl erst 20 Jahre alt, ist dies« Antikensammlung eine der reichhaltigsten von ganz Europa , in römischen Porträtstatuen und-Büsten kann keine andere mit ihr wetteifern. Man vergleiche das Nilpferd mit den modernsten Tier- arbeiten eines Gaul etwa, um vor den alten Meistern einmal wieder Respekt zu bekommen. Das Glockenspiel vom Rathaus schlägt 12 Uhr. Die Nörrevold- gade herunter kommt eine Kompagnie graugcklcideter Infanteristen. Mit Musik— das Programm des dänschen Großblocks, in dem auch Abschaffung der Militärmusik auf den Straßen gefordert wurde» ist bekanntlich nicht Wirklichkeit geworden. Das imposante, frei- liegende Gebäude, vor dem jetzt die Graujacken vorbeimarschieren, bedarf noch eines Wortes. Es ist die Kopenhagener Kun st halle. Sie enthält ein paar wertvolle Niederländer, hat sich aber im übrigen leider zu sehr auf das Nationale beschränkt. In den Anlagen vor ihr am Stadkgraben saß I. P. Jacobsen stundenlang und angelte— Dänemarks größter Dichter; am Schlüsse seines Lebens schrieb er: „Licht übers Land— das ist's, was wir gewollt." Wer noch eine Stunde ergattern kann, besuche übrigens ja das Kunst-Jndustrie-Museum. Es liegt gleich neben der Glyptothek . Wir finden hier die Erzeugnisse der berühmten Kopen» Hagener Porzellanmanufaktur in fast lückenloser Voll- ständigkeit. Man weiß, daß die künstlerische Richtung dieser Manu- faktur durchaus modern ist. Aber auch in der Farbenbehandlung können weder die Berliner noch die Meißener Fabriken mit ihr konkurrieren. Ehe wir den Turm verlassen, werfen wir noch einen Blick auf das Ganze. Weder streng altertümlich wie Nürnberg noch streng modern wie Düsseldorf , bietet die Stadt ein Bild von unverkemr» barer Eigenheit, das nicht zuletzt in dem harmonischen Bei- und Ineinander von See, Stadt und Baumanlagen beruht. Denn nicht nur der Sund macht die Nähe des Meeres geltend. Nach Westen hin braucht das Auge nur einige Meilen weit zu schweifen, um den Katteoat-Arm zu erspähen, der bei Roskilde ins Land stößt. Und der Meerbusen von Kjöge, über den in diesen Tagen gerade die dänischen Flieger ihre ersten Versuche machen, ist fast noch näher. Noch gar nicht aber erwähnten wir die Gärten und Parks die Schlösser und Seen, die das Stadtbild überall angenehm unter- brechen und die Umgebung Kopenhagens nach Norden hin zu einem meilcnlangen AusflugSgcbiet machen. Um von den breiten Boulevards im Westen und von den berühmten Strandpromenaden der„Lange- linie" im Osten abzusehen, so ist zunächst jener mächtige aus» gebrannte Ruinenkomplex neben der grünen Thorwaldsen -Kuppel, daS im Jahre 1884 durch Brand zerstörte Schloß K r i st i a n S, borg. Es gewährt besonders des Abends einen unheimlichen An» blick. Erst in diesem Jahre hat man mit den Renovierungsarbeiten!
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27 (23.8.1910) 163
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