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Buweilen empfing fie uns in ihrer Wohnung zum Zee, fleben oder acht Personen, und stürzt darauf los: An was denten Sie? Was wollen Sie nach der Schulentlassung beginnen? Wir stehen da, wie dumme Gänse.... Wir sehen einander an und fichern. Ihrem Ein­fluß verdante ich es, daß ich die Kurse hier mitmache. Ich habe natürlich von anderen Dingen geschwärmt. Ich hätte gern Medizin studiert. Aber Sie kennen doch meine Mama. Hätte fie mich je allein nach Petersburg   gehen lassen? Auch von den Feldscher lursen hielt sie nichts und meinte, es sei Unsinn.

Im Foyer war niemand mehr. Man hörte Musik. " Es fängt bald an," unterbrach er sie, mit deutlichen Zeichen der Müdigkeit im Gesicht und in der Stimme. Sie jah ihn enttäuscht an, es tat ihr leid, daß er ihrer Stimmung so fremd gegenüber stand, daß er nicht begriffen hatte, mit welchen komplizierten Fragen ihr junges Herzchen sich jetzt quälte. Sie wollten noch etwas sagen?" erriet er plöglich und streichelte ihre Hand.

Sie gingen die munmehr leere Treppe hinauf. Erinnern Sie sich noch meiner Gymnasialfreundin Nadja

Korotnewas?"

Frau Baranowslaja?" " Jawohl. Das war der" Stern" in unserem Gymnaftum. Der Liebling unserer Aerztin Marja Basiljewnas. Wie hat sie sich mit ihr abgegeben?" Das ist ein Mädchen", pflegte fie zu sagen, das ist ein Charakter". Wir alle empfanden tiefe Ehrfurcht vor ihr. Ach, jetzt ärgert es mich, wenn ich daran dente, welche Angst ich vor ihr hatte! Wir glaubten alle baran, daß sie etwas Besonderes

werden würde."

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Sie hat, glaube ich, auch jetzt noch eine sehr hohe Meinung

von ihrer Person."

" Ja, aus Gewohnheit", erwiderte Katja lachend. Auf was fann fie fich etwas einbilden? Sie hat einen Rechtsanwalt geheiratet und lebt wie eine richtige Spießbürgerin."

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Nicht so heftig, Liebling, nicht so heftig! Was für fürchter. liche Worte!" Rein, in der Tat, es ist beschämend. Sie hatte das Gymnasium beendet und reiste nach der Universität ab, um Medizin zu studieren. Nach kaum einem Jahre gab sie die Sache auf und trat ins Konservatorium ein. Unſere arme Marja Wajiljewna verschwieg diese Tatsache ſtets. Wenn man sie darüber ausfragte, wurde fie ganz verlegen. Dann schob sie alles auf die schwachen Nerven. Als sie nun im Frühling heiratete, war sie wie vor den Kopf ge­stoßen. Jene hat ihr nicht einmal einen Besuch gemacht."

Ist das Ihre Loge?" fragte Polosjet, als Katja endlich inne hielt. Sie preßte die Hände zusammen.

Ach, warum erzähle ich Ihnen das alles? Ich fühle, daß die ganze Sache Sie nichts angeht.. daß Sie nichts davon ver­stehen.... Was soll hier Nadja Korotnewa?"

" Ich sehe, daß Sie nervös sind... Und daß der Mephisto daran schuld ist."

Rein, mich quält seit vier Tagen der Gedanke, daß ich, die ich Naja so verachtet habe, schließlich dasselbe tue, wie fie."

Sie wollen mich aufgeben?" fragte Bolosjet halb im Scherz, noch immer mit dem plöglich gealterten Gesicht; er lächelte, während seine Augen zerstreut und hart blidten.

Onein! Nein! Mir ist nur wirklich schwer zu Mute", gestand Ratja mit unsicherer Stimme.

Das geht vorüber", bemerkte Bolosjet nachlässig. Sie blidte ihn mit einem stummen Borwurf an und gab dem Logenschließer ein Zeichen, die Tür zu öffnen.

Sie wurde mit einem feindseligen Bischeln aus drei Logen empfangen. Berlegen ließ fie fich im Hintergrunde der ihrigen nieder, ohne fich für die Vorgänge auf der Bühne zu interessieren. ( Fortsetzung folgt.);

Der Maler der franzöfifchen Revolution.

( Jacques Louis David  .)

Es ist für die Betrachtung der Kulturgeschichte teine unwesent­Tiche Frage, ob die Revolutionen auch künstlerisch etwas ge­leistet haben. Die Arbeiterbewegung der Gegenwart hat einen der größten plastischen Stile gezeugt, die die Welt kennt, die Kunst Constantin Meuniers. Die Kunst Honoré Daumiers stärkte fich an den demokratischen Pflichten, die sich aus der Politik des Bürgerfönigtums und des zweiten Kaiserreichs für alle Tüchtigen ergaben. Die Julirevolution von 1830 begeisterte einen Eugène Delacroig zu dem berühmten Revolutionsbild, das in vielen Wiedergaben in den Händen der Arbeiter ist. Die Kraft des mo­dernen Proletariats zur Befruchtung fünstlerischer Energien ließe fich übrigens nicht bloß aus dem Beispiel Meuniers beweisen; von Jean François Millet   und Gustave Courbet   bis zu Eugène Laer­ mans  , Rudolf Wille und Theophile Steinlen   führt eine ganze Kette von Künstlerpersönlichkeiten, die den aufwärtsstrebenden Ar­beiter zum Gegenstand ihrer Kunst nahmen und aus der Wucht

des Stoffes eine neue Wucht des fün tlerischen Ausdrucks lernten. Wirkt so die Arbeiterbewegung auch künstlerisch befreiend, so wird man von vornherein annehmen mögen, daß auch die große bürger. liche Revolution vom Ausgang ses 18. Jahrhunderts ähnliches voll­bracht habe. Sehen wir einmal zu.

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Der Maler, in dem der revolutionäre Puls am lebendigsten schlug, war Jacques Louis David  . Er tam am 30. Auguſt des Jahres 1748 zu Paris   zur Welt. Sein Vater war Eisenhändler, liebte es aber, ein wenig den Feudalen zu mimen, taufte ein Amt und fiel im Duell. Der junge David sollte nach der Beendigung der Gymnasialstudien Architekt werden, weil einer seiner Oheime töniglicher Baumeister war. David setzte jedoch den eigenen Willen durch und wurde Maler. Man brachte ihn zu François Boucher  , einem der Hauptvertreter jener zierlichen, galant- höfifchen Kunst der Bopfzeit. Der alternde Boucher  , deffen Blütezeit schon um 1750 gewesen war, wollte keine Schüler mehr nehmen und sandte David darum zu dem Grafen Joseph Marie de Vien, einem mehr adligen als künstlerisch bedeutenden Herrn. Vien war frei­lich insofern bon Wichtigkeit für David, als er nicht mehr dem leichten Notofogeschmad eines Boucher   huldigte, sondern die neue Mode mitmachte, die die Regierungszeit Ludwigs XVI.( 1774 bis 1792) von der Ludwigs XV.( 1715 bis 1774) unterschied. Des ewigen Karnevals müde, begann die gute Gesellschaft sich mit Rousseau   zu beschäftigen. Man gab ihm recht. Man wurde ernst, gesetzt, bewußt- natürlich, selbst sentimental. Der Philosoph Denis Diderot   sprach von der Notwendigkeit der Moral und wetterte gegen Bouchers schamlose und flachtöpfige Marionetten". Man fing an, die bürgerliche Tugend der Familienfruchtbarkeit zu schützen. Die Damen verzichteten auf die Strinoline- nicht alle, aber die Reformistinnen fie puderten weder Haare noch Gesicht und hielten es nicht mehr für barbarisch, sich tüchtig die Backen zu waschen, statt sie reinzuschminken. Die Stöckelstiefelchen wichen der würdigen Sandale und die Frisuren gaben sich griechisch. Die Möbel wurden einfacher, die Schnörkel seltener. Es prägte sich jener Stil, den man Louis seize   nennt und der direkt zu dem geradlinigen, mathematisch übersichtlichen Empirestil Napoleons  hinüberführte. Das etrustische Kunstgewerbe stieg in der Schäßung. Man wurde antit, ja primitiv. Bei Voltaires Leichenfeier( 1778) erschienen die Hauptteilnehmer gleich republikanischen Quiriten in altrömischer Tracht. Auch in allen diesen ästhetischen Aeußerlich­feiten fündigte sich die kommende soziale Umwälzung an. David ist in dieser Umwelt künstlerisch aufgewachsen. Als er später für die französische   Revolution einen fünstlerischen Ausdruck suchte, malte er altrömisch- republikanische Bürgertugend.

Solange David in Paris   lebte, wurde er sich seines fünftigen Berufes noch nicht bewußt. Wir besißen ein Bild Davids von 1771, den Kampf Minervas mit Mars"; hier ist David noch ganz der Nachkomme der graziösen Boudoirkunst Bouchers. Dann aber be­warb sich David mehrere Male um den Rompreis, um nach Italien  zu kommen; nach einigen unglüdlichen Versuchen, die den leiden­schaftlichen und sehr selbstbewußten jungen Mann beinahe zum Selbstmord gebracht hätten, erhielt David den Preis, und im Herbst 1775 brach er nach Italien   auf.

Als David Paris verließ, sagte er zum Sekretär der Akademie: Die Kunst der Alten wird mich nicht verführen; sie hat keinen Schwung und erregt nicht." Es sollte anders kommen. Aus dem Maler, der das Haus der berühmten Tänzerin Guimard zu Paris  im Geschmack des Rokoko hatte ausmalen helfen, wurde der leiden­schaftlichste Verteidiger der antiken Kunst, ja der Hauptführer des sogenannten Klassizismus in der Malerei. In Rom   war das Interesse für das Altertum noch viel allgemeiner, noch viel un­mittelbarer, lebendiger und vertrauenerwedender. In Künstler­treisen sprach man nur von dem deutsch  - römischen Malerklassizisten Rafael Meng 3, von Johann Joachim Windelmanns archäologischen und ästhetischen Theorien, von Ressings Laokoon

es war nur eine Stimme und sie sagte, die Kunst tönne nur dann eine große Art bekommen, wenn sie die Werke des Altertums nachahme und sich überhaupt mit dem Geist des Altertums erfülle. Seit der Mitte des Jahrhunderts hatte man auch begonnen, auf dem Boden, auf dem ehedem Pompeji   und Herkulanum gestanden hatten, systematisch auszugraben, und so mehrte fich die Menge der Vorbilder, an denen sich der klassizistische, altertümelnde Ge­schmack des ausgehenden Jahrhunderts erbauen konnte. David widerstand nicht. Als er wieder in Paris   eintraf, war er der Antike böllig ergeben. Das war um 1780. Eine ergiebige Heirat setzte ihn in den Stand, seinen nun endgültig orientierten Künstler­neigungen frei zu leben und den Ort seiner Sehnsucht, Rom  , ein zweitesmal aufzusuchen. Dort entstand um 1784 fein erstes großes Gemälde rein flassizistischen Geschmacks:" Der Schwur der Horatier  ." Der Stoff ist der frührömischen Geschichte entnommen und feiert den freiwilligen Bürgertod fürs Vaterland. Die Art der Behandlung ist ernst, hart, von gesucht männlicher Rauheit. Die Gestalten sind mit einer fast lächerlichen Strenge angeordnet, die an antife Reliefs erinnern soll. Der bauliche Rahmen der Szene ist spartanisch dürftig. Die Farbe ist enthaltsam bis zur Selbst. verleugnung, bis zur Langeweile. Jn ganz verwandter Art schuf David nach der Rückkehr nach Paris   einen Sokrates, der den Gift becher austrinkt. Das Bild, das 1787 im Salon ausgestellt war, erregte ein ungeheures Aufsehen. Noch gewaltiger war der Er­folg des Brutusbildes, das im Jahre des Beginns der französischen