-

730

foie auf eine guten Bühne, wo alles Absichtliche durch die[ Vollendung des Zusammenspiels berdeckt ist. Ein paarmal fah Philipp an sich herab. Er hatte seinen besten Anzug an, aber was war das hier! Sein bester Anzug, mit deutschem Kleinstadtschnitt! Er mußte ja auffallen, er fiel gewiß auf. Aber dann trieb er ein starkes germanisches Stolzgefühl in sich hoch und sagte sich: hr seid, wie Ihr seid, ich bin,

wie ich bin!"

Er ging bis zur großen Oper, fah in ein Café, ging dann weiter, blieb einmal bei einem Straßenverkäufer stehen, der die Leute immer noch hinhielt und seine Faren und Flausen machte, ließ sich dann wieder schieben und rieb sich die Hände bor Vergnügen, so in der Menge drin zu stecken, sich so in die Menge verloren zu haben, sich so tragen und treiben zu laffen wie eine Feder, die in der Luft fliegt, wie ein Wölfchen, das mit den großen Wolfen zieht.

Er trat auf die Freitreppe der großen Oper und sah die Lichtreihe der Avenue de l'Opéra hinab, drehte sich dann um und staunte das Opernhaus an, das so breit und prunkend dalag. Dann schritt er wieder langsam weiter, wie verloren in der großen Bewegung, am Grand Hotel vorbei bis zur Madeleine, so angenehm willenlos erst an der Madeleine raffte er sich zu einem Entschluß auf und wechselte das Trottoir. Langsam ging er zurück, nachdem er einen begehr­lichen Blick nach Marims in der Rue Royale geworfen hatte, staunend, ziellos, mitgetrieben wie eine Plante in den Wellen, verlangend, gesättigt, und immer wieder verlangend. Viel, viel, viel war das, aber nicht genug. Immer mehr be­gehrte er davon, immer mehr, Weiteres, Neues wollte er in sich aufnehmen. Rasch hatte er sich gewöhnt an den Lärm, an die Menschen, an das Lichtgeflimmer, an die Art des Gehens und Ausweichens das war der Rheinhesse in ihm mit seinem ererbten Anpassungsvermögen und seiner ihm im Blute liegenden Lebensgewandtheit, und noch mehr fam er sich a II ei n unter den vielen Menschen vor, zugleich aber auch als einer für sich, der sich verlor und sich selbst be­saß, ein Teilchen in der Menge, aber auch ein Teilhaber an der Bewegung. Bewegung- so lange hatte er geruht, nur geruht, dumpf und stumpf und nun war er ins Treiben gefommen. In Krähwinkel mochten sie jetzt die gehörnten Schädel zusammensteden, Krähwinkel lag ihm jezt tausend Meilen hinterm Mond.

-

-

-

Bewegung nun wollte er sich in ihr erhalten und sich Träftig mit ihr regen, Arme, Beine, Augen und Hände, Herz und Seele, ein Schwimmer sein, der nichts fürchtete, der sich mit erhöhter Wonne in die größten Fährlichkeiten stürzte. Sich tummeln- leben!

-

Er stand an der Rue de Richelieu. Er war nun doch mide geworden, zu viel hatte auf einmal auf ihn einge­sprochen. Die Reise dazu und das lange Gehen.

4]

-

Buße. 115

42 Stinde

20 Sünde und Buße.

Von Ugo Ojetti .

Berechtigte Uebersehung aus dem Italienischen von Friedrich Eich. Boden gesetzt, wie um die Beine zu ermuntern, hatte den Hut er Auch Santino war aufgestanden, hatte die Füße fest auf den griffen und schaute dem Pfarrer wieder ins Gesicht.

Jett tomme ich mit einer Bitte. Sie leidet keinen Aufschub. In Spoleto muß der Untersuchungsrichter irgendetwas erfahren haben. " Was erfahren?"

"

" Von dem Diebstahl bei Anzilei."

" Der irdische Richter geht mich nichts an. Wenn Du Deine Buße beendet hast, wird Dich der göttliche Richter freisprechen. " Ja, ich weiß. Aber ich habe dem Untersuchungsrichter gesagt, daß ich am Sonntag morgen, den 25. September 1905, während der Geldschrank des Anzilei geleert wurde, hier bei Ihnen im Pfarr­hause gewesen wäre und mit Ihnen abgerechnet hätte, daß Sie mich den ganzen Morgen gesehen hätten, bereits vor der Messe und gleich nachher. Von hier bis zur Villa Anzilei sei eine Stunde Weges. Ich bin also gerettet."

Aber wenn der Untersuchungsrichter.

Wenn der Untersuchungsrichter Sie fragen sollte, so ant­worten Sie ihm, was ich Ihnen gefagt habe. Wollen Sie mich ber­derben? Wollen Sie mich jetzt verderben?"

" Ich will keinen Meineid schwören."

" Sie haben gar nicht zu schwören. Es handelt sich bloß um einen Verdacht. Der Fall ist zwei Jahre her, und der Unter fuchungsrichter wird glücklich sein, wenn die Sache wieder ein­schläft. Ein Wort von Ihnen genügt. Kein Schtour: Sie brauchen teine Angst zu haben."

Ich werde die Wahrheit sagen."

,, Na, ich danke, Don Pietro. Erst veranlaffen Sie mich, daß ich wie ein Kind alles ausplaudere, und erteilen mir die Absolu­tion: dann verraten Sie mich. So sind die Menschen. Verlohnt es sich da der Mühe, Reue zu haben? Verlohnt es sich, ehrlich zu sein? Berlohnt es sich, der Kirche zu schenken, was ich ihr geschenkt habe? Es ist gut: ich sage nichts mehr. Wenn ich festgenommen werde, so werde ich gestehen, alles gestehen: das, was ich gestohlen habe, und das, was ich Ihnen gegeben habe. Das wenigstens werden Sie nicht leugnen."

Aber Du bist verrückt.

Alles werde ich sagen. Und wenn Sie und Ihre Kirche dar unter zu leiden haben, wird es nicht meine Schuld sein. Ich bin zu Ihnen gekommen, habe mich hingefniet, habe meine Sünden ge beichtet, und sie sind mir vergeben worden. Und jetzt verlassen und berraten Sie mich? Urteilen Sie selbst, Don Pietro. Wenn der untersuchungsrichter Sie befragen wird, so denten Sie an sich, fo sprechen Sie, wie Ihr Gewissen es Ihnen gebietet. Jegt wissen Sie alles. Ich bin in Ihrer Hand. Es ist nun einmal geschehen, und es ist unnük, jetzt noch darüber zu flagen."

Und er näherte sich der Treppe.

"

Santino, Du kannst doch nicht... Santino!"

Santino hatte die Tür geöffnet und betrat die dunkle Treppe. Santino!"

Don Pietro eilte hinter ihm her. Als er zum Fenster hinaus­Drüben an der Ede las er eine deutsche Aufschrift. Ein Taschen. Er schickte nachmittags Cherchino aus, um ihn in seinem schaute, ging Santino bereits über den Blah, beide Hände in den Wiener Restaurant-" Café Viennois". Bier- Bürger- Hause zu suchen. Santinos Haus war jedoch verschlossen. Niemand Bürger- Hause liches Brauhaus Bilsen ". hatte ihn zurüdfehren sehen.

Ein echt deutscher Durst stellte sich ein. Er steuerte hinüber. Und nun wollte er deutsch sein. Er sprach nur deutsch , bestellte deutsch , bat sich eine deutsche Zeitung aus.

Er hörte verloren auf die Musik und trank ein Bilsener nach dem anderen. Mitternacht war vorüber, und die Musik hörte auf. Da saß er, den Kopf in die Hand gestützt, und trant weiter, und fann vor sich hin.

Langsam leerte fich das Restaurant. Er bemerkte auf ein­mal, daß die Tische rings um ihn schon leer waren. Es war wie ein Erwachen aus einem Traume.

Ich bin in Paris ," sagte er sich, um sich recht in die Wirklichkeit zurückzuberieben. Er rief den Kellner. Er sprach jekt nur französisch, schauderhaft schlecht und noch dazu mit dem leichten Zungenschlag, den er sich angetrunken hatte. Der Kellner lächelte diskret. Philipp wurde es nun erst recht ge­

mütlich.

Guten Abend," sagte er liebenswürdig und mit einer gewissen Wärme in den zwei deutschen Worten und nun noch ein innigeres: Danke schön!" für das Türöffnen. Ihm mar so wohl, so wohl! Hier durfte er, hier wollte er Mensch fein. Und Herr sein- auch wenn er Stiefel puzen müßte. (( Fortsetzung folgt.)\

Don Pietro blieb zwei Tage im Bett, und der Arzt verbot ihm sogar, das Brevier zu lesen. Doch geschah es, daß die Frau des Checchino, die ihm die Fleischbrühe tochte und die Wärmflasche zu feinen Füßen wechselte, ihn des abends fizend im Bette fand, bor der aus der Kommode gezogenen Schublade, einen Stoß Papiere auf den Knien und so vertieft in das Lesen, daß er noch nicht ein­mal antwortete. Don Pietro schaute die Rechnungen für die Restau­rierung der Kirche durch. Nachts fand er sie dann im Traum in den Wolfen wieder, aufgezeichnet in dem ewigen Buche des Soll und Habens, das der Erzengel Michael zur Rechten des Herrn führt und durchattert, und bei seinem Erscheinen schwiegen die Harmonien der Sphären, und der Erzengel begann mit Donnerstimme zu lesen: Dem Meister Piacenti für Gips und Zement 110 Lire. Dazu Und je weiter die fünfzig Arbeitstage der Maurer 75 Lire schredliche Vorlesung fortschritt, desto tiefer sant die Wolfe, auf der er saß, sant wie ein Ballon, der zusammenschrumpft: und unter ihm befand sich ein Abgrund.

"

"

Als er sich am Donnerstag erhob, so schwach, daß er die Messe nicht lesen konnte, tam Lorenzo Triccoli, der päpstlicher Kämmerer der Ordensgesellschaft der Madonna war, gefolgt von zwei Ordens. brüdern, und überreichte ihm eine Bittschrift mit hundert Unter­schriften von Gemeindemitgliedern, in der er gebeten wurde, das Bild der Madonna mit dem Nosenkranze weder abzunehmen noch zu verändern, das wundertätige Bild, von dem schon unzählige Gnadengaben über die Gläubigen ausgegossen worden sind".

Dies geschah am Morgen. Kurz nach dem Frühstück ruhte Don Pietro im Lehnstuhl aus, als in der Türöffnung der Wachtmeister der Karabinieri erschien. Dieser sprach öfters bei dem Geistlichen bor, besonders im Sommer um die heiße Mittagszeit, um mit einem Glase Wein die Mühen der wöchentlichen Streifzüge zu unter­