Ehrlich» Frankfurt a. M. das Wort: Ich hatte eigentlich die Absicht, erst am Schlusie der Diskussion ganz kurz zu sprechen, weil der heutige Tag den Klinikern gehört, also denen, die über den Wert oder Unwert des Mittels zu entscheiden haben. Ich will mich nur auf einige kleine Mitteilungen beschränken. Bekannt ist, daß bei Anwendung des Mittels die Spirochaeten(die Erreger der Syphilis) in 24 bis 23 Stunden verschwinden. Dauert es länger, so ist der Fall als geheilt zu betrachten oder es handelt sich um arsenfeste Spirochaeten, die nicht reagieren. Ein zweites wesentliches Zeichen des Mittels ist die Bildung spezifischer Antikörper durch das Mittel. Es ist durch Tierversuche bekannt geworden, dast Säuglinge geheilt wurden, wenn die Mütter eine In- jektion erhalten haben. Da natürlich das Arsen nur in kleiner Zahl angewendet wird, so muß man annehmen, daß sich im Körper der Mutter Antikörper gebildet haben, die den Heilungsprozeß herbeiführen. Ich bin aber der Meinung, daß die Serumbehandlung nicht genügt. Wenn nur eine Spirochaete zurückbleibt, so sind Rück- fälle wahrscheinlich. ES ist daher noch eine Injektion notwendig. Auf dem Wege der Antikörperübertragungen werden die Bakterien abgetötet. Es ist nach allen Mitteilungen, die mir bisher bekannt geworden find, ganz sicher, daß die Spirochaeten schwinden, wenn auch mitunter nicht für immer, und daß es daher geboten ist, die Wasiermannsche Reaktion(die feststellt. ob die Syphilis geheilt ist), häufig zu wiederholen, um bei der nächsten positiven Reaktion eine neue Behandlung einzuleiten. Die Behandlung mit 606 ist nicht so einfach. Man muß nicht glauben, daß es sich nur darum handelt, zu injizieren und daß der Fall dann erledigt ist, sondern es ist die Aufgabe des Arztes, den Patienten Wochen- und monatelang, vielleicht jahrelang zu beob- achten und zu untersuchen. Es handelt sich also um eine sehr schwierige Aufgabe und es ist daher wünschenswert, daß. wie Wassermann schon in Aussicht gestellt hat, eine Untersuchung des Blutserums Modifikationen findet, daniit auch die Praktiker sie selbständig ausüben können. Dann kommt eine Wirkung des Mittels, das schwer zu erklären ist. Wir haben eine oft wunderbare Schnelligkeit der Heilung beobachtet. Es ist der Fall eingetreten, daß ein Mann, der ein Geschwür an den Mandeln hatte und nicht schlucken komrte, fünf Stunden nach der Injektion ein Butterbrot essen konnte. Eine wunderbar schnelle Heilung haben wir in vielen Fällen erlebt. Die unangenehmen Empfindungen, die viele Syphilitiker in den Knochen und im Halse haben, verschwinden wunderbar schnell. Wie ist also diese kolofiale Geschwindigkeit zu erklären? Nun, anatomisch ist ja nichts verändert. ES scheint, daß die Spirochaeten Stoffwechselprodukte produzieren, die diese Schmerzen zu erzeugen imstande sind. Was nun die therapeutische Taktik be- trifft, so habe ich immer das Mittel als ein sehr gefährliches Mittel angesehen, das erst im äußersten Maße ausprobiert werden muß. Es ist das ja natürlich, daß ein Mittel, das im Körper schädliche Parasiten abtötet, nicht ganz unschädlich sein kann. Aber Gift ist ein relativer Begriff. Daher ist eine ganz ausgedehnte Anwendung des Mittels notwendig. Bevor ich dasMittel in die Praxis gab, hielticheSfür nötig, daß 10- bis 20 000 Beobachtungen vorliegen müßten, um die Gefahr an sich beurteilen zu können. Dieser Aufgabe der Er- probung hat sich eine große Anzahl Fachmänner in dankenswerter Weise unterzogen. Ich verfüge heute über 10- bis 12 000 Fälle. Es lhat sich herausgestellt, daß bei dem Mittel im allgemeinen keine besonderen Gefahren entstehen. Nur ein einziger Fall wurde berichtet, wo eine Patientin gestorben ist, die ihren Leiden nicht bättc erliegen müssen. Die übrigen Todesfälle betrafen ausschließ- lich schwere Fälle von Störungen des Nerven- und Gefäßsystems. Ich bin der Ansicht, daß man, um zu retten, auch, wie es der Chirurg tut, einen gefährlichen Fall vornimmt. Aber dann soll man den Mißerfolg nicht auf Rechnung des Mittels setzen. Bei schweren Paralytikern glaube ich nicht die Behandlung mit dem Mittel empfehlen zu können. Denn wenn es auch gelingen sollte, die Spirochaeten zu töten, so würde das Gehirn so zerstört sein, daß es wohl nicht mehr gelingen würde. aus dem Kranken ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu machen. Ein zweites Gebiet ist die Behandlung von Kranken mit schweren Herzaffektionen. Bei diesen muß man ebenso wie bei Gefäß- erkrankungen sehr vorsichtig sein. Der wesentlichste Nutzen der Diskussion würde dadurch erreicht werden, wenn sich die Fachmänner über die Technik aussprechen wollten. Es würde sich hauptsächlich um die Art der Dosierung bei Neurasthenikern und Alkoholikern handeln. Die Dosis hängt von der Art der Krankheit ab. Man kann da keine allgemeine Norm festsetzen. Bei Nervenerkrankungen muß die Dosis sehr klein sein. Die Zeit der Beobachtung für Syphilis ist noch zu klein. Aber allerdings hat Alt-Uchtsvringe schon Beob- achtuugen bei Paralyse über ein Jahr gemacht, und mit Arsenophenhl solche von zwei Jahren. Es hat sich gezeigt, daß bei dem Patienten in den zwei Jahren Reaktionen nicht wieder vorgekommen find. Das berechtigt zu großen Hoffnungen für die Zukunft. Bei Tabes und Paralyse wird man mit kleinen Dosen auskommen muffen, sonst aber, bei sonst gesunden Personen, find kräftige Dosen von 0,3, ja sogar 1.2, womöglich mit Kombinationen anzuwenden, um den Effekt zu verstärken. Damit werden möglichst mit einem Schlage die Spirochaeten beseitigt werden. Geheimrat Ehrlich dankt schließlich seinen Mitarbeitern und wünscht, daß diese Verhandlungen eine Klärung bringen mögen. Werantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin.— Druck u. Verlag: Es nahmen dann eine Reihe von Rednern da? Wort, die über ihre günstigen Erfahrungen Mitteilungen machten. Unter den Diskussionsrednern befanden sich auch eine Reihe Aerzte aus dem Auslande, darunter Ruffen und Franzosen . Von verschiedenen Seiten wurde allerdings auch auf die Nebenerscheinungen hin- gewiesen. Dr. Stern-Düffeldorf hält für dringend notwendig, daß zunächst einmal der Optimismus des Publikums abgekühlt werde. Profesior Hoi-Tokio: Die Vortröge von Neißer und Ehrlich stehen heute im Mittelpunkt des Interesses der ganzen wissenschaftlichen Welt. Redner behandelte in Japan zahlreiche Fälle mit 606. Die Erfolge seien epochale. Er freue sich als Japaner, dem neuen Wohltäter der Menschheit den Dank der Oeffentlichkett abstatten zu dürfen.(Slllrniischer Beifall.)— Dr. Friedländer- Berlin weift darauf hin, welche enonnen Summen die Krankenkaffen durch Heilung der Syphilis in so kurzer Zeit ersparen werden.— In seinem Schlußwort führt Professor Neißer aus, er hoffe, daß sie bald wieder eine solche Sitzung haben werden. Denn wie er Paul Ehrlich kenne, werde dieser mcht ruhen, und dem 606 werde wohl bald 607 und 603 folgen. kleines Feuilleton. Meteorologisches. Herbstanfang. Am Freitag, den 23. September, um 11 Uhr vormittags, überschreitet die Sonne mit ihrem Mittelpunkt den Aequator und tritt gleichzeitig in das Zeichen der Wage ein. Der Herbst beginnt und damit für die nördliche Halbkugel daS Halbjahr der kurzen Tage und langen Nächte, die Zeit der Herbststürme und Nebel, des Frostes und der Winterkälte. Zwar trennt uns noch eine längere Uebcrgangszeit von Spätherbst und Winter, vier bis sechs Wochen, die häufig noch durch besonders beständiges und mildes Weiler ausgezeichnet zu sein pflegen; aber es ist fraglich, ob der be- ginnende Herbst diesmal die Erwartungen erfüllt. Der nunmehr zu Ende gegangene Sommer war immerhin, so- viel er auch zu wünschen übrig ließ, noch besser als sein Ruf. In bezug ans Unbeständigkeit stand er seinen schlechten Vorgängern von 1907 und 1909 allerdings nickt nach; immerhin waren aber in diesem Sommer die Temperaturvcrhältnisse erträglich, und wenn eS während des eigentlichen Sommers, d. h. in der Zeit vom Sommcrsolstitium bis zum Ende der Hundstage auch nicht eine einzige wirkliche Hitzeperiode in Deutschland gab. so fehlten doch auch die besonders kalten Tage, wie wir sie z. B. 1907 so häufig hatten. Meteorologisch betrachtet, begann der Sommer 1910 am 11. Mai in Ost- und Mitteldeutsch- land mit einem außerordentlich jähen Hitzeeinbruch, nachdem noch am 9. Mai im ganzen Lande Märzkälte geherrscht hatte. Am Diens- tag, den 10. Mai, morgens, stand zu Metz das Thermometer nur 2, zu München 4 Grad über Null. Am nächsten Tage dagegen, als in West- und Süddeutschland die Morgenteniperaturen auch nur erst 4 bis 3 Grad betrugen, stieg zu Graudenz mittags das Thermometer bereits bis aus 29 Grad empor, am darauffolgenden 12. Mai zeigte zu Memel das Thermometer bereits 24 Grad Celsius. In Berlin und den meisten Gebieten Ost- und Norddeutschlands stiegen die mittleren Temperaturen von einem Tage zum anderen um 12 Grad und mehr empor! im Westen und Süden Deuffchlands erfolgte die sommerliche Erwärmung viel langsamer. Der rapide Sommerbcginn war jedenfalls die bisher absonderlichste meteorologische Erscheinung des ganzen Jahres. Es folgte dann eine nur für wenige Tage am Maiende durch Regen- Wetter unterbrochene Hitzeperiode, die bis Mitte Juni dauerte und sich durch besonders zahlreiche Gewitter auszeichnete. Schon während dieser Periode waren unter elektrischen Entladungen in vielen Teilen Deutschlands enorme Regengüsse niedergegangen, die zu verheerenden Ueberschwemmungen führten. Mit der zweiten Junihälfte begann dann das veränderliche Wetter, das im Grunde genommen bis in die zweite Septemberwoche auch nicht eine einzige nennenswerte Unterbrechung fand. Der Augustbeginn brachte dem mittleren Norddeutschland sowie dem Nordwesten des Landes gleichfalls sehr heftige Wolkenbrüche, während in der ersten Septcmberwoche das Oder- und Weichsel - gebiet von heftigen Regengüssen, die Ueberschwemmungen zur Folge hatten, heimgesucht wurde. Erst dann, an der Schwelle des Herbstes, setzte im ganzen Lande für einige Tage völlig beständiges, allerdings nur noch mäßig warmes Wetter ein. Den eigenartigen Ver- bältniffen dieses Sommers entsprechend, wurden die höchsten Temperaturen überall noch während des Frühlings erreicht, wenn auch nicht so früh wie im Jahre 1907, in dem bereits die erste Mai- Hälfte die heißesten Tage brachte. Die höchsten, in diesem Jahre registrierten Wärmegrade meldeten Magdeburg am 6. Juni und KöSIin am 11. Juni mit 33 Grad Celsius. Bereits am 20. Mai hatte es Essen a. Ruhr auf 32 Grad gebracht. Während des eigent« lichen Sommers brachten eS nur drei ostdeutsche Orte, und zwar Oppeln am 1. August, Posen am 30. Juni und Königsberg am 3. August auf 30 Grad Celsius. Auch die Zahl der eigentlichen Sonmiertagc, der Tage mit mindestens 2ö Grad Celsius, waren seit Mitte Juni an den meisten Orten verschwindend gering, nachdem sie im Mai und Juni recht häufig gewesen waren._ jorwarr« Buchdruckerei u.BertagScmpatt ljtaut«mger ScCo..Berlin SW.
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27 (22.9.1910) 185
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