Alle wandten sich um, einige erhoben sich. Kopf an Kopf standensie da mit gespanntem Ausdruck.Und bevor noch jemand wußte, wie es zugegangen war, brüllteKlinker auf und verschwand mit Jürgen in der Türöffnung.Einen Augenblick später kam Jürgen zurück, und alle machtenihm Platz; denn Klinker war ein baumstarker Kerl.Dieser Auftritt machte jedoch der Versammlung ein Ende unddas Zimmer war bald darauf leer.Anders stand auf und blickte den Schwiegersohn an, als wolleer etwas sagen. Er besann sich indessen, als er sah, wie JürgensHand, die nach dem Bierkrug griff, vor Erregung zitterte.XII.Anders Krage gehörte nicht zu den Leuten, die viele Wortemachen, und das einsame Leben der vielen Jahre auf seinem Fleck-chen Erde draußen zwischen den Sanddünen hatte nicht dazu bei-getragen, ihn gesprächiger zu machen.Trotzdem wußte jedermann, was seine eigentliche Meinung sei;sie äußerte sich im Gesichtsausdruck, in der Stimme, in den hartenLinien seines eckigen Wesens.— namentlich wenn er mißvergnügtwar.Eine Zeitlang hüllte er sich in düsteres Schweigen; dann einesTages, als Jürgen zur Versammlung war und Marie— infolgegewisser Umstände hatte zu Hause bleiben müssen, trat er insZimmer.Erst ging er auf ein offen stehendes Fenster zu, das Jürgenmit Haken versehen hatte, und zog es mit solcher Gewalt zu. daßdas Glas klirrte.„Erst den Ofen heizen, bis er glüht, und dann dieFenster angelweit aufsperren, das ist so die richtige Methode, fein!"Marie, die an einem Wickelband strickte, dessen aufgerolltesEnde in ihrem Schoß lag, rückte unruhig hin und her auf ihremStuhl.Er wandte sich kurz um und platzte los:„Aber das ist auch soeine von den neuen Moden hier!— Ich möchte wohl wissen, wannIhr eigentlich zu Verstand kommt!"„Was wollt Ihr damit sagen?" frug Marie, ohne ihn anzu-sehen.„Möchtest Du mir nicht sagen, was für Herrlichkeiten eigent-lich da drüben in Lem und Gott mag wissen, wie die Orte alleheißen da draußen, zu finden sind."„Gewiß!" antwortete sie bestimmt.„Wenn Jürgen und ichdas blaue Dach des Versammlungshauses mit der wehenden Fahnesehen und dazu die Leute, die von allen Seiten herbeiströmen, dannhaben wir das Gefühl, als gingen wie zu etwas Schönem. Es istschön, von den großen Männern und Frauen der Vorzeit zu hörenund von all den Dingen, die unsere Zeit bewegen; dann begreiftman, wie alles zusammenhängt, und viele schöne Gedanken stellensich ein.— Und das will ich Euch nur sagen,"— sie blickte den Vaterfest in die Augen,„wenn wir mit all den anderen dort zusammen-sitzen und zuhören, dann ist es, als säßen wir unter einer feinerenArt von Menschen!"„Fein!— Das ist ein schmutziges Wort in Deinem Munde,mein Kind!"„Ich halte zu Jürgen!" rief sie erregt und stand auf.„Ja, das kannst Du wohl bald auswendig!"„Jürgen hat recht!" rief sie ihm mit funkelnden Augen ent-gegen.„Wenn Du nicht ein Frauenzimmer wärst, Marie?......'antwortete Anders mit leiser Stimme, die zitternd vor zurück-gehaltener Erregung war. Er klopfte mit den Knöcheln auf denTisch und ging.Marie begann zu weinen und Kjesten sagte:„Wie kannst Dues auch nur wagen, Marie!— Ach du lieber Himmel," seufzte sie,„welch ein jammervolles Hans das ist!"—Abends, nachdem die Alten gemolken hatten, gingen sie durchdie Scheune.Er hob die Laterne in die Höhe.„Sieh all die Gaben Gottesan! Ist es nicht merkwürdig, daß es ihnen keine Ruhe läßt, beialledem hier zu Hause zu bleiben, wie?"„Bedenk ihre Jugend, Anders!"„Jugend!— Ja, wenn es noch ein Vergnügen wäre, hinterdem sie dann und»wann her wären, dann würd ich mich absolutnicht darum kümmern, aber dies hier...... Aber es schwantemir schon, als ich ihn zum ersten Male sah und er diese blankenKappen an den Stiefeln hatte, da schwante es mir meiner Treuschon, daß er ein Luftikus sei!..... Was sagst Du?"„Ich!— ich Hab kein Sterbenswörtchen gesagt!" Sie blicktefurchtsam mit schüchternen Augen zu ihm auf.„Aber auf die Dauer kann es nicht so weiter gehen. Ichglaubte, es würde schließlich mal ein Ende nehmen, aber ich mußdoch wohl mal versuchen, der Sache einen Riegel vorzuschieben!"Sie hatten die Küche erreicht und Kjesten nahm das Mulltuch,bedeckte damit den Rand des Eimers und seihte die dampfende Milchin die gelben Lehmschüsseln, die auf dem Tisch standen. Dabei sagteAnders so leise, daß es drinnen nicht gehört werden konnte:„Unddabei ist es wahrlich kein Vergnügen, ein Teufel sein zu müssen,weil man ihr Bestes will!"— Die Bewohner des Krageschen Hauses hatten in dieser Zeitnachts schwere Träume und tags über gingen sie umher, wie voneiner schweren Last zu Boden gedrückt.Anders sah aus, als ob er jeden Augenblick etwas vorbringenwolle, das er dann doch stets wieder verschwieg; sein Antlitz hättemit einigen wenigen geraden und scharfen Strichen gezeichnetwerden Können. Auch aus Jürgens Antlitz waren die weichen,jugendlichen Züge verschwunden, und um seine Lippen bebte einverhaltener Schmerz. Und dann hatte er ein nervöses Schulter«zucken bekommen, wie jemand, der eine Bürde von sich stößt.Wenn die beiden Männer aneinander vorbei mußten, hielt sichjeder auf seiner Seite. Und waren sie zusammen, dann war Ge,witterschwüle in der Luft.Gesprochen wurde nicht, aber jeder fällte durch sein Tun da?Urteil über den anderen. Sogar der Türdrücker verriet beim Auf«und Zumachen den jeweiligeen Gemütszustand.Und von Tag zu Tag ballte das Schweigen sich fester zu einerGewitterwolke zusammen..(Fortsetzung folgt.))lNuchdruck MtBoten.lVcrbrecbemUgiofität.Dr. Mader(Berlin).Der Klosterbruder und Brudermörder Macoch, der seinem vonihm ermordeten, im Todeskampfe röchelnden Bruder rasch noch aus„religiösen" Bedenken die Absolution erteilte, ist zwar ein trasseSBeispiel der eigenartigen Vcrbrccherreligiosität. Aebnliches kommtaber nicht nur ini finsteren Rußland vor, sondern auch bei uns.So hatte sich in Bamberg vor einiger Zeit ein Oekonom, eineifriger Kirchenbesucher und überzeugter' Anhänger des Zentrum«.wegen Wilderns zu verantworten. Trotz seiner Frömmigkeit wurdeer zu einer Gefängnisstrafe von ll'/z Monaten verurteilt, da er seitJahren die Schlingenstellerei mit lolchem Erfolg getrieben hatte,daß es im Schlüsselauer Revier bald keinen Hasen mehr gegebenhätte. Auf seinen Jagdstreifereien führte er als kostbaresAmulett ein Zauberbüchlein bei sich,„Das wahre geistlicheSchild", angeblich 1647 gedruckt und von Papst Leo 10.bestätigt.— in Wirklichkeit ein Produkt moderner, gewissen»loser, auf den religiösen Aberglauben der Menge leider immernoch mit Erfolg spekulierender Buchhändler. In diesem„Gebet»buch" finden sich gar vielerlei Zauberformeln religiösen Charaktersgegen allerlei böse Leute, gegen Hexen usw.. dienlich in mancherleiDrangsal und Nöten. Auf welch niedrigem moralischen Niveau die«Zauberbnch steht, zeigt zur Genüge die Tatsache, daß es nicht nurGebete einhält, um das Wild dem Schlingensteller zuzutreiben,sondern daß sich darin auch ein von dem Angeklagten, freilich ohneErfolg, benutztes Gebet findet, das den Wilderer vor Ueberraschungendurch Jäger schützen soll. Dieses interessante Gebet, das vor Gerichtverlesen ivurde, lautet folgendermaßen:„Es sind drei heil. Blutstropfen Gott dem Herrn über seinheiliges Angesicht geflossen. Die drei heil. Blutstropfen sind vordas Zündloch geschoben, so rein als unsere liebe Fran von allenMännern war, ebensowenig soll ein Feuer oder Rauch aus demRohre gehen. Rohr, gebe du weder Feuer, noch Flammen, nochHitze. Jetzt gehe ich aus, denn Gott der Herr geht mit mir hinaus.Gottes Sohn ist bei mir, Gott der hl. Geist schwebt ob mir, inallen Zeiten. Amen."Daß durch derartige„Gebete" auf das Volk erzieherisch ein»gewirkt wird, dürfte man kaum behaupten können. Eher läßt sichannehmen, daß„fromme" Seelen, im Vertrauen auf göttlichenSchutz, durch derartige Gebetbücher geradezu dem Verbrechen in di«Arme getrieben werden. Wenngleich niemand behaupten wird, daßein durch und durch rechtschaffener Mensch allein durch diese Schund»literatur zum Verbrecher werden wird, so muß man doch zugestehen,�daß derartige Zauberbücher äußerst verderblich anreizend wirkenönnen.Die» zeigte ein anderer, gleichfalls aktenmäßiger Fall von Ver-Wendung eines derartigen„Gebetbuches" als Talisman, und zwarbeim Meineid I In Würzburg hatten sich nämlich kürzlich zweiFrauen vor Gericht zu verantworten, die eine wegen Meineides, dieandere wegen Anstiftung zum Meineid. Beide Frauen halten eineneigenartigen Betrug ins Werk gesetzt. In dem Betrngsprozeß alsZeugin vernommen, hatte dann die eine auf Anstiften der anderen,der cigentlickien Urheberin auch der Betrügereien, einen Meineid zuleisten. Um die GewissenSbedenken der bigotten abergläubischen Personzu beschwichtigen, gab sie ihr ein Gebctbüchlein als Aniulctt, um es beider Bernehnillng bei sich zu tragen, dann könne ihr nichts geschehen,ein derartiger Schwur sei keine Sünde, der Teufel habe keine Machtüber sie, da das„Gebetbuch"— vermutlich der„Geistliche Schild"oder ein ähnliches„Zauberbuch" sie vor bösen dämonischen Ein»flüssen schützte.Wer mit den Anschauungen gewisser Volksschichten nicht vertrautist. wer nicht weiß, wie viel echt Heidnisches im modernen Christen-tum, besonders in bigott katholischen Ländern, noch fortlebt, magdenken, daß wir es hier mit einem einzigartigen Fall zu tun habe»,da abergläubische Praktiken„frommer", an gottliche Vergeltungglaubender Verbrecher, um getrost einen Meineid schwören zu können,sonst kaum vorkommen dürften. Gerade das Umgekehrte ist aberder Fall.Mystische Zeremonien beim Meineid, durch die man der Gottheit