Stühle und das lose, nicht niet- und nagelfeste Hausgerät. Jürgen pflückte mit flinker Hand alles herunter, bis nur noch die nackten Wände dastanden. Gerade so gefiel eS ihm. Er kaufte beim Tischler eine Sofabank aus Fichtenholz mit Strohkissen belegt, die ward zwischen den Fenstern an die Wand gestellt, dazu neue Tische und Stühle. Er kaufte eine große Litho- graphie von Friedrich VII.  , die über dem Sofa aufgehängt ward. Das Bild des Vorstehers der Hochschule brachte er an dem Balken neben dem Bett an. Es ward eine Bretterdiele gelegt und Gar- dinenkappen aufgehängt. Es war nicht niehr das alte Zimmer des Krageschen Hauses. Als das Abnahmezimmer vollständig fertig geworden war, nahm Anders von der Türschwelle aus mit einem langen Blick Ab- schied von seinem Eigentum, als solle er dem Leben Valet sagen. Dann ging er hinein wie in eine Grabkammer und schloß die Tür fest hinter sich zu. Und das alles tat er mit einer Seelenruhe, wie sie die alten Zigeunerhäuptlinge bewiesen, wenn sie sich lebendig begraben ließen in der Heide. Jürgen und Marie aber fegten und säuberten ihr eigenes Zimmer und setzten sich dicht zusammen wie zwei Neuvermählte, die zum erstenmal mit voller Lunge die festliche Luft des wirklich eigenen Heims einatmen. XIV. Seitdem Jürgen jetzt durch Scheune und Stall schreiten konnte, ohne auf Anders zu stoßen, fühlte er sich als freier Grund- besitzer im Reiche. Erst zetzt eigentlich gehörte das Haus ihm. Auf all den Dingen, an denen er da drinnen vorbeischritt, ruhten seine Augen frisch und fröhlich, als sei es das erstemal, daß er wirklich Besitz davon ergreife. Und er fütterte, streute, düngte, striegelte und arbeitete hier in seinen eigenen Außenräumen mit lächelndem Munde. Aber bald begriff er, daß die vielen Kleinigkeiten ihn fest- halten würden vorn frühen Morgen, wenn er aus dem Bett stieg, bis zum späten Abend. Nur im Frühjahr und Sommer hatte man eben Zeit zum Atemholen. Lange dauerte es. bis er die großen, sandigen Becker gepflügt und besät hatte. Und dann gab es Heu, das gemäht werden und Torf, der gegraben werden sollte, Gräben mußten ge- reinigt und Kartoffeln ausgegraben werden, eine Arbeit griff in die andere über; es war eine fortlaufende Kette, von der kein Glied fehlen durfte. So oft er fort gewesen war, lag daheim das Versäumte und wartete auf ihn. Als dann der Winter kam, mußte der Dreschflegel fast unauS- gesetzt geschwungen werden. Da war der Sack mit dem Brotkorn, der gefüllt sein muhte, dann der Sack mit dem Mehl, mit Malz und Kleie für die Schweine, und da war die Häckselmaschine, die mit leerem Rachen dastand und gähnte und neues Futter verlangte das alles ballte sich zusammen zu einer einzigen großen Forderung. Es war wie ein stets geöffneter Rachen, der nie gefüllt werden konnte und der ihn aus jedem Winkel und jeder Ecke anrief. Jedes Ding wollte zu seinerzeit gemacht sein und er mußte allein für alles aufkommen. Beinahe hätte Anders ihm gefehlt. Denn nicht nur mußte er seine Arbeit allcine verrichten, sie nahm sogar all seine Gedanken m Anspruch, so genau mußte er alles abwiegen und berechnen, wenn zeder und jedes zu seinem Recht kommen sollte. Er hatte beim Kaufmann gesehen, oaß er ihm soviel schuldete, als eine ganze Seite dieser großen rotliniierten Kaufmannsbücher fasten konnte. Die Bauerei hatte mächtig Geld gekostet. Und da waren noch andere Stellen. Und dann die Abnahme. Die Dünenbewohncr wuchsen geradezu in Jürgens Augen in dieser Zeit. Es mußten bei Gott   doch ausgewachsene Männer sein, wenn sie sich hier draußen nähren wollten. Und bange waren sie auch nicht; fast alle hatten sie von vorne angefangen auf dem bloßen Sandboden. Und sie hielten aus, Sommer und Winter, jabrelang in ihrer ruhigen Weise. Aeußerlich merkte man ihnen nichts an; sie veränderten sich nicht, wenn es ihnen mißglückte, und noch weniger, wenn es ihnen glückte, diese starken, störrischen Männer. Im Grunde war es za so begreiflich, daß die ständige Schufterei eine Rinde in das Innere dieser Menschen hatte wachsen lassen.... Jürgen begriff, wie diese Menschen ganz von selber an den täglichen Kleinigkeiten kleben bleiben mußten, die unausgesetzt ein Netz spannen, das auch ihn gefangen nehmen wollte unter dem Dach des Krageschen Hauses. Aber er wollte nicht in diesem ArbeiiSgespinst gleich einer toten Fliege hängen bleiben. Wohl wollte er arbeiten� und zwar mit Leib und Seele, wenn es Vonnöten war. Aber der Kopf mußte frei bleiben. Sollte das Leben aus solch niedrigem Vorwärtskriechcn bestehen? Niemals! wenigstens das seine nicht. Und dann lud Jürgen zu einer Versammlung ein. Er glaubte bestimmt, daß eS jetzt gehen würde. Mehrmals hatte er deutlich gemerkt, wie etlichen Dünenbewohnern eine Ahnung zu dämmern begann, wenn er mit ihnen sprach. Er sah es ihren Augen an. Natürlich ließen sie sich nichts merken. Aber eines Tages mußte es doch hervorbrechen, gleich einer von beiden Seiten geöffneten Schleuse, und die Verbindung zwischen ihm und ihnen würde da sein. Ein herrlicher Tag! Und fast glaubte er ihn nahe. Ihm war, als spüre er es an sich selber. Und zetzt stand er auch viel besser und sicherer und freier da als ehedem, schien eS ihm, Mit dem Staublappen ick der Hand stand Marie da und lieg ihre Blicke voll Stolz durchs Zimmer gleiten. Sie hatte erst kürz- lich einen neuen Bettvorhang bekommen, die Bretter des Fußbodens waren weiß, und dann hatte Jürgen einen viereckigen, hölzernen Spucknapf angefertigt, der neben dem Sofa stand. Die Augen der schlanken jungen Frau glänzten mehr als früher, und ihr ovales Antlitz trug noch das echte Gepräge gesunder Schönheit. Jürgen trat ein mit zwei frischgrüncn Wacholderzweigen, die er kreuz» weise hinter das Bild Friedrich VII.   steckte. Ich fand, er sollte eine Krone haben!" sagte er. Sie blickten sich vergnügt ringsum. Aber wo sollen wir die Leute unterbringen?" fragte sie.Hier sind zu wenig Sitze. Jetzt fehlen uns die lange Bank und der Schemel!" Indessen Jürgen wußte Rat. Er schaffte ein Bierfaß, einen Holzblock und ein paar Kisten herbei. Ueber diese Gegenstände wurden Bretter gelegt, und auf diese Weise brachte er einige pri- mitive Bänke zustande. Es ist beinahe wie im Versammlungshause!" lächelte sie. Ja ja! Das übrige müssen wir nun abwarten!" Die Lampe   mit der Glasglocke brannte. Die beiden Knaben waren in dem einen Bett hinter den Vorhängen zur Ruh gebracht, und Klein-Kjesten lag in der Wiege, die in den Ofenwinkel ge- schoben war die blauangestrichene Wiege mit der ausgebesserten Stelle. Die beiden jungen Eheleute waren bereit, ihre Gäste zu empfangen. Er breitete dieVolkszeitung" vor sich aus; sie strickte an einem Strumpf. Es war sehr still. Die festgesetzte Zeit war überschritten, und Jürgen saß noch immer über seiner Zeitung, obwohl er in der Zeit zehn Zeitungen hätte durchstudieren können. Plötzlich richteten sich beide mit einem Ruck auf. Eine Sekunde lang standen die Stricknadeln still. Im Flur ertönten Holzschuh- schritte. Es war Sören Knak, der ein Bündel Papier   unter dem Arm trug. Guten Abend!" Willkommen, Sören!" Er legte das Bündel Papier   aus der Hand und nahm stille Platz. Dies war also das erste Quartal," sagte er.hier bringe ich die Hälfte der Blätter zurück; die sind ja immer schön zum Ein- wickeln zu gebrauchen. (Fortsetzung folgt. Geclanken über Revolutionen. Von Georg Christoph Lichtenberg  . Zu den wenigen Deutschen  , die das Glück empfanden, Feit» genossen der größten Weltumwälzung, der französischen   Revolution, zu sein, gehört G. Ch. Lichtenberg. Auch die Hinrichtung Ludwigs XVL, die so viel entbusiastische Schwächlinge umstimmte, vermochte diesen klaren Kopf nicht umzustimmen. Er ist nicht ohne Vorbehalt gegen die Einzelerscheinungen der französischen   Revolution, ist aber überzeugt, daß in Revolutionen sich die Eutwickelnng der Menschheit vollzieht. Lichtenbergs Notizbücher sind erst in den letzten Jahren, nach mehr als hundertjährigem Schlaf, soweit sie er- halten geblieben find, vollständig und genau von Albert Leitzmann  veröffentlicht worden. Es ist kein witziger Einfall, sondern die lautere Wahrheit, daß vor der Revolution die Jagdhunde des Königs von Frankreich  mehr Gebalt hatten, als die Akademie der Inschriften. Die Hunde 40 000, die Akademisten 30 000, Hunde waren 300, Mitglieder der Akadentie 30. 9 Glaubt etwa jemand, daß sich alte Mißbrauche aus der Welt so leicht wegwischen lasten? Die französische   Revolution wird manches fute zurücklassen, das ohne sie nicht in die Welt gekommen wäre, es ei auch waS eS wolle. Die Bastille ist weg. * Unter die Mißverständnisse oder die falschen Darstellungen bei der französischen   Revolution gehört auch die, daß man glaubt, die Nation werde von einigen Bösewichtern geleitet. Sollten nicht viel- mehr diese Bösewichter sich die Stimmung der Nation zunutze machen? Die französische   Revolution hat durch die allgemeine Sprache. zu der eS mit ihr gekommen ist, nun ein gewisses Wissen Jmter die Leute gebracht, das nicht leicht wieder zerstört werden wird. Wer weiß, ob nicht die Großen genötigt sein werden, eine Barbarei ein- zuführen. Jetzt im Herbst 1790 rüstet fich Rußland  , das wäre vor- trefflich dazu. Von diesem unwirtbaren Schlamm läßt fich vieles für unsere Staaten erwarten. » Experimentalpolitik. die französische   Revolution.