ES war ein scharfer Geruch und viel Geräusch in dem Raum, LaS Schreien der Schweine, das Plätschern des Wassers, Ofen- türen, die auf- und zugeschlagen wurden, das Stehen und Reiben der Maschinenteile, dazu die mannigfachen Geräusche der verschie- denen Arbeiten; doch die beiden Männer folgten durch alle Stadien den Schweinen, die, an den Hinterbeinen fangend, an der Gleit- stange oben unter der Decke hin und zurück fuhren, bis die schieren und sauberen Tierlörper zum Schluß in den Kühlraum hinein- glitten, wo sie in Reih und Glied neben die anderen gelegt wurden. Der Alte strammte sich aus:..Puh— hal Dies hier ist fast mehr, als man vertragen kann; übrigens ist es in einer Weise das Schönste, was ich je gesehen Habel" „Wir sind noch nicht fertig I" und Jürgen führte Anders hin- ein in große, leere, halbdunkle, kühle Räume mit Zementfutzboden, auf dem der Alte vorsichtig weiterschritt, um nicht zu viel Lärm zu verursachen. Jürgen rüttelte vergebens an einigen verschlossenen Türen. Aber der Alte fuhr ihn an:„Laß das, in des Teufels Namen! DaS kann doch nicht angehen!" „Du vergißt." antwortete Jürgen lächelnd,»daß es unsere eigene Schlächterei ist. Wir auf der Generalversammlung be- herrschen den ganzen Klimbim!" „Das ist auch wahr, Jürgen, he!... und das ist im Grunde merkwürdig genug, wie?" Der Alte lachte laut. Als es aber in der großen Kühlhalle widerhallte, hielt er sofort inne und blickte sich scheu um. Eine Tür gab endlich unter Jürgens Händedruck nach, und sie gelangten in einen dunklen Keller, in dem Licht brannte. „Nein, so etwas Hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!" rief Anders, als er all die Speckseiten gewahrte, die hier schichtweise aufeinander gehäuft waren. Und je länger sie durch diese Berge von Speck schritten, um so größer ward seine Ver- wunderung. Schließlich hielt er inne und sagte:„Um des Htm- mels willen, so viel Fleisch habe ich in meinem ganzen Leben nicht auf einen Haufen gesehen!" Sie durchschritten viele Räume und viele Türen, vielleicht waren es wieder dieselben; denn sie wollten kein Ende nehmen. Und es war außer ihnen niemand zu sehen noch zu hören; die beiden waren ganz allein. Trotzdem Anders so leise wie möglich sprach und sich bewegte, hallte es unausgesetzt wider in den großen, totenstillen Räumen. Diese Türen und Tore, Räume und Kellergänge, die alle im Halbdunkel lagen, nahmen kein Ende. Plötzlich packte Anders heftig Jürgens Arm und rief:„Jetzt will ich meiner Seel nausl Und das auf der Stelle!" -- Als sie wieder auf der Straße standen, atmete der Alte tief auf und sagte um sich blickend:„Es ist doch schön, wieder das Tageslicht zu schauen!" Und vergnügt fügte er hinzu:„Und wenn Du auch noch so abstinent bist, so will ich meiner Treu doch bei Jens Madsen einen Rumgrog haben, bevor wir nach Hause gehen!" -- Gegen Abend kehrten sie heim und benutzten dabei den eben erst mit Kies bestreuten Weg, der direkt zum Krageschen Hause grte, das dort in weiter Ferne lag, leuchtend im letzten Strahl untergehenden Sonne mit seinen weißgetünchten Mauern und fernem roten Postkasten. Da war der alte Anders so müde, daß er auf dem Wagonsitz hin und her taumelte.„Ich glaube, mir wurde schlecht von all dem vielen Schlachtgeruch," sagte er und gähnte. „Und dann die Rummelei in dem geschlossenen Kasten!" Aber gleich darauf fügte er mit schelmischem Lächeln hinzu: «Es ist ja nicht so einfach, Jürgen, wenn man auf der Höhe der Zeit sein soll!" Wmg Oeäipus. lZur Aufführung im Zirkus Schumann.) Max Reinhardt , der Leiter des Deutschen Theaters und der Kaminerspiele, der in seiner zehnjährigen Direktorentätigkeit an Berliner Bühnen eine Fülle eigenartiger und immer interessanter Experimente durchgeführt hat, bringt jetzt die alte griechische Oedipustragödie des Sophokles in einem Rahmen, dessen Dimen- Konen, wenn auch in weitem Abstand, an den mächtigen Umfang der antiken aus öffentlichen Mitteln für das ganze Volk erbauten Theater erinnern. Zwanzig bis dreißigtausend Bürgern boten die im Halbkreis aufsteigenden Steinbänke des klassischen, von keinem Dach bedeckten athenischen Theater Platz. Soweit das Zirkus- gebäude, das für die Sonderaufführung gemietet wurde, hinter solchen Matzverhältnissen zurücksteht, soweit überragt sein Raum unmerhin auch den der größten modernen Bühnen. Die Masse der Zuschauer und das volksmäßige Gepräge, das so die Darstellung erhält, soll der Stimmung sdahin geht wohl die künstlerische Ab- ficht) eine erhöhte Feierlichkeit verleihen, den individuellen Ein- druck durch die wuchtige Resonanz des Masieneindrucks steigern; ähnlich wie jenen alten Zeiten, da nicht ein zahlungsfähiges Publi- kum, sondern die gesamte Bürgerschaft der Stadt sich bei den Spielen einfand. Wie immer der Erfolg sei, jedensalls hat der Versuch lebhaftes Interesse. Das griechische Schauspiel hat sich ohne Kreuzung durch fremde Einflüsse aus Chorgesängen herausgebildet, die nach uraltem reli- giösem Brauch bei den Festen des Gottes Dionysos , des Schirmers schwellender Lebens- und Naturkraft, vorgetragen wurden. Der Chor, der in freien Strophen die Abenteuer und Erlebnisse des Gottes verherrlick,!, teilt sich zum Wechselgesang, in dem ein ein- zelner die Führung übernimmt. Diesem, dem Chorführer, fällt oann die Aufgabe zu. die Sagen in gehobener Rede darzustellen, der Chor greift nur von Zeit zu Zeit, dem Mitgefühl und der Bewunderung lyrischen Ausdruck zu verleihen, mit seinen Liedern ein. Aus dem Chorführer, der in Maske und Kostüm rezitiert, wird eine Art Schauspieler, der die Erzählung durch Einschaltung von Worten, die der Gott und seine Widersacher sprechen, durch Nachahmung des Tonialls und der Gebärde immer farbiger zu gestalten sucht. So soll noch Thespis , der sagenhafte Ahnherr des Mimentums, seine Kunst geübt haben. Erst durch Aeschylos, den ältesten der großen attischen Tragödiendichter, der um die Wende. deS sechsten Jahrhunderts vor Christus, zur Zeit der Perser- kriege lebte, wurde die primitive Schranke erweitert, der eine vortragende Schauspieler durch ein Schauspieler paar, das hinter- einander verschiedene Rollen übernahm, ersetzt, und damit die dramatische Grundform des Dialogs, das sinnlich-anschauliche Zu- sammen von Spiel und Gegenspiel geschaffen. Sein jüngerer Rivale Sophokles fügte, zum Zwecke der freieren Beweglichkeit der Szenen dann einen dritten Darsteller hinzu. Der Stoff ist den griechischen Tragikern gemäß dem Ursprünge des Dramas durch die Mythologie, den reichen griechischen Sagen- schätz von vornherein gegeben. Sie find die Interpreten und Gestalter eines durch die Tradition fixierten und allen Bürgern wohlbekannten gemeinsamen Besitzes, für dessen lebendige Be- wachung das Staatswesen mit seinem Götterkulte eintritt. Das Schauspiel ist eine öffentliche, dem Kreis privater Spekulation und des Alltagstreibens entzogene Angelegenheit. Nur einmal im Jahre, zur Zeit der Dionysosfeste ziehen auf der Bühne die Gebilde des aus dem Born der Allgemeinheit schöpsenden Dichtergeistes vorüber. Drei Tage dauert die Feier, an zedem gelangen drei oder vier Tragödien, die natürlich kürzer sind als unsere modernen Trauerspiele und in ununterbrochener Szenenfolge ohne Aktschlüsse fortlaufen, zur Aufführung. Dem schweren Ernst folgt am Schlüsse ein parodistisch übermütiges Satyrspiel. Um allen Bürgern von Athen den Besuch zu ermöglichen, zahlen die ssefüllten Kassen der seebeherrschenden, auf breiter Basis der Ausbeutung ruhenden kleinen Republik Festgelder an die Aermeren. Dichtung und Darstellung sind gleichmäßig auf einen friedlich gemessenen, im Ausdrucke der Affekte zu machtvollem Pathos sich erhebenden Stil gestimmt. Schon allein der Chor, der mit all- gemeinen Reflexionen als„idealer Zuschauer" der Handlung folgt, markiert eindringlich den Abstand des dramatischen Bildes von der Wirklichkeit, schließt im Prinzip die Annäherung an einen naturalistischen Realismus aus.„Ein lyrisches Prachtgewcbe um- gibt und durchflicht", nach einem schönen Worte Schillers, der diese fjorm in feiner Braut von Messina ja zu erneuern suchte, das Ganze, gleichsam ein weitgesaltetes Purpurgewand, worin die handelnden Personen frei und edel in gehaltener Würde und hoher Ruhe sich bewegen. Unübertrefflich ist die Gewalt und düstere Erhabenheit, mit der das antike Drama auf die Gemüter eines gläubig horchenden Volkes gewirkt haben mag, in seiner allbe- kannten Ballade:«Die Kraniche des JbikuS" veranschaulicht. Die Werke der Tragiker sind nur zum verschwindend kleinen Teile erhallen geblieben. Bon Sophokles, der über 100 Stücke schrieb, nur sieben, freilich darunter die auch im Altertum berühm- testen: fein Schicksalsdrama„Oedipus " und die von, Geiste reiner freier Ethik getragene„Anligone". Hier feiert er in der Gestalt der Heldin, der tapferen Tochter des Oedipus, die um dem Gebot der Götter und der inneren Stimme treu zu bleiben, dem Befehl des harren Königs Kreon rroyr, die Krakt und Freibeil hoher Menschenwürde; dort im Oedipus gilt ihm der Mensch, im Geist der alten Sage als ein unentrinnbarer Vorherbesliininung unterworfenes Wesen, und willenloser Spielball des Geict'Vfes. In seiner Seelenstiinmung ist dies Werk dem resignierenden Peisimismus des biblischen Hiob ver« wandt, das Lied des ChoreS:«Ihr Menichengeschleckner»cd— Euch, die wandeln im Lichte, wie«cht ich ähnlich dem Nichts Euch", durch» klingt das Ganze mit düsterer Melodie. Eine Stunde zertrümmert, was Jahre mühsam bauten. Gleich Hiob ist Oedipus i» seinem Elend sich keiner Schuld bewußt, durch die er den Zorn der Himm» tischen hätte reizen können. Sie senden das Schicksal, wie es ihnen beliebt; kein Schimmer vergeltender Gerechligkeil verklärt das furcht- bare Verhängnis. Was Menschenwitz auch immer ersinnen mag, um solchem Ratschluß zu entgehen, ist nur ein Glied der Kette, die un» sichtbar fest und sester den Fliehenden umwindet und zu Boden ziehet. Die Dichtung schließt sich eng der Sage an. Dem Thcbaner- könig LaioS ist geweissagt worden, der Sohn, den die Gemahlin Jokaste ihm geboren, werde ihn löten. Er befiehlt, den Knaben aus- zusetzen, doch der Hirt, der den Auftrag ausführen soll, übergibt aus Mitleid den Kleinen an der Grenze einem Fremden. Durch diesen gelangt das Kind ins Haus des Korintherkönig» Polybos, der es als seinen eigene» Sproß erzieht. Heran- geivachsen. hört Oedipus , daß seine königliche Herkunft insgeheim bezweifelt werde und sucht das delphische Orakel auf, um sich Gewißheit zu verschaffen. Seine Frage bleibt unbeant- worter, doch die prophetische Stimme des Golies verkündet, ihm sei beschteden, den eigenen Vater zu töten, die Mutter zum Weibe zu nebmen. Der schrecklichen Drohung zu entfliehen, verläßt er seine Heimat, doch eben diese Flucht wird sein Verderben. In einem Hohlweg reizt ihn das bewaffnete Gefolge eines großen Herrn an. Ein blutiger Streit entspinnt sich, mid all die Uebermütigen. Herrn
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27 (5.11.1910) 217
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