Anlerhaltungsblatl des vorwärts Nr. 219. Mittwoch, den 9. November. 1910 (Nachdruck vervettil.) Mas ist tliibm? Roman von Max Kletzen Dieser Bericht wurde wieder aufgefrischt, als Klara zur nächsten Sitzung kam. Es war Sonntag, da Kempen die aus­gefallenen Stunden einholen wollte. Lorensen konnte sich also behaglich um die beiden herumdrücken und sich ausreden, wo- bei er niemals vergaß, sein kritisches Gutachten über Kempens Arbeit abzugeben. Gewöhnt, Hand in Hand mit ihm zu schaffen, griff er manchmal selbst zum Modellierholz, um etwas hineinzubringen, was der andere übersehen hatte: denn in solchen weichen Köpfen war er bereits ein kleiner Meister. Wenn er erzählte, geschah es plastisch, mit einer be- stimmten, launigen Bezeichnung, die Vorgänge und Menschen fast sichtbar hinstellte; dann gebrauchte or derbe Worte, die, oft ins Platt übergehend, Klara laut zum Lachen reizten, so daß Kempen sich genötigt sah, wiederholt an ihrem Köpfchen zu rücken. Seitdem sie verdiente, suchte sie etwas darin, auch in ihrer Kleidung netter und appetitlicher auszusehen. Sie hatte sich eine neue, fast durchsichtige Bluse zugelegt, seidene Schleifen angesteckt, trug einen Hut mit Federn und pralle, braune Glacehandschuhe. Die Mutter schien darauf auszu­gehen, ihr Nesthäkchen immer mehr zur kleinen Dame zu machen, mit der sie Stolz einlegen könne. Weißt Du, Hermann, es ist doch schön, so'n Geldtopp im Hus zu haben, dann drückt man schon'n Auge zu," sagte Lorensen gähnend, denn niemals hatte er ganz ausgeschlafen. Und er sprach von den schiefen Hüsten der Frau Professor, von ihrer kurzen Taille und ihrem latschigen Gang, was alles durch ihr hübsches Gesicht nicht ersetzt werden könne. Dafür habe sie aber ein mächtiges Mundwerk und verstehe es, ihre Gäste durch Liebenswürdigkeit förmlich zu beäthern: und wenn sie lache, reiße sie ihreFutterluke" so weit auf, daß mau den Kautschuk des falschen Gebisses sehen könne. Dabei sei sie eitel und eifersüchtig, zwinge ihren armen Kerl von Mann, alle zwei Jahre eine Büste von ihr anzufertigen, und störe ihn immer zu ungelegener Zeit in seinem Atelier, sobald er weiblichen Akt habe. Ihr drittes Wort sei immer:Mein Mann, der Professor." Na, da siehst Du ja, was aus solcher Ehe wird," knirschte Kempen hervor und riß die Leistungen Heilkes ganz gehörig runter. Fricher habe er etwas gekonnt, jetzt mache er nur noch Dutzendware,Bunzlauer Geschirr mit Figurengewürm", was man frevelhafterweise für Kunst ausschreie. Ist ja alles richtig, Hermann, aber er ramscht sich seine achtzigtausend Mark jährlich zusammen und hat Aufträge für drei Jahre." gab Lorensen zurück und ließ so etwas wie einen Seufzer folgen. Na, dann ramsch noch drei Jahre lang mit," schnauzte ihn Kempen an und zeigte eine wilde Miene. Das ist wieder mal furchtbar echt von Dir," erwiderte Lorensen, nun ebenfalls aufgebracht.Plan kann doch mal so was sagen." Aber nicht ohne Bedauern," hielt ihm Kempen entgegen, der in solchen Dingen zäh an seiner Meinung hing. Klara hatte derartige harmlose Neigungen zwischen ihnen schon öfters erlebt, und so wollte sie rasch Frieden stiften, in- dem sie fragte:Und meine Blume?" Herrjeh, richtig! Man gut, daß Du mich daran er- inner st." Lorensen erhob sich mit einem Satz und schritt zu dem Leihfrack, der immer noch nicht abgeliefert war. Er hatte wirklich geräubert, worauf drei Importierte hinwiesen, echte und teure Festtüben mit der Wertmarke auf der goldenen Leibbinde, die noch friedlich auf der Kommode lagen und des Genusses beim Ausgehen am Abend harrten. Nun wühlte er in den Tiefen der Hintertaschen, wo sich seinem schwachen Er- innern nach noch etwas verkrümelt haben mußte; dann brachte er es endlich zum Vorschein, das gemauste Konfekt vom Nach- tisch: Pralines in Gold- und Silberpapier, gebrannte Man- fccin und Zuckerwerk mit Fruchtsaft gefüllt; aber alles war in einem heillosen Zustande, zusammengebackt und zersessen. Lose hatte er es eingesteckt, ganz offen mit der scherzboldigen Aus- rede, er habe seinen Kanarienvogel zu fiittern. Na, das hast Du ja wieder mal gut gemacht," brummte Kempen , rasch wieder von Humor erfüllt. Einige Augenblick« wurde die Arbeit unterbrochen, so daß Klara drauf los naschenj konnte, wobei einHum, schmeckt das!" ihrem Mündchen ent« fuhr. Eine Zuckerbirns wollte sie für die Mutter aufheben« Auch Lorensen griff zu, denn er war stets für Süßigkeiten« Kempen jedoch sah ein, daß die Fracktasche gehörig ausge, waschen werden müsse, wollte man das Pfandgeld wieder er- halten: und so machte er sich sofort an die Arbeit, denn Lorensen würde die Sache jedenfalls nur noch mehr versauen. Dem Blonden fiel ein, daß irgendwo auch noch eine zerdrückte Rose stecken müsse, und er fand sie auch in seiner inneren Manteltasche: eine langstielige, dunkelrote la France, aber schon halb verwelkt, mit schwarzen Rändern an den Vlättchen. Hier, damit Du noch was hast die hat mir Professors Tochter geschenkt. Stell sie ins Wasser, vielleicht erholt sie sich« Kostet 'ne Mark so'n Ding." Aeh, die mag ich nicht, wenn sie von der ist. Sie hätten eine für mich mopsen müssen." Mit der Gebärde des Wider- willens schob sie den Stengel zurück, so daß er nur die Spitzen ihrer schlanken Finger berührte. Na, da hör doch einer diese Krabbe," rief Lorensen aus und lachte schallend.Du scheinst ja schon höllisch verwöhnt zu sein. Hermann, was sagst Du dazu?" Kempen , die Holzpfeife zwischen den Lippen, rieb schwei- gend an der umgekehrten Tasche, die er gründlich eingeseift hatte; dann aber brummte er:Würde ich auch nicht nehmen. Wer weiß, was Fräulein Heilke für eine Nase hat." Er gönnte dem Freunde diesen kleinen Reinfall, nachdem es ihm gestern wegen seiner Grobheit ebenso gegangen war, wenn auch in anderer Art. Na, klassisch ist sie, sie kommt nach dem Alten," warf Lorensen ein, nahm die Rose und steckte sie an den Strohhut der Venus, was sehr drollig wirkte. Es kam die Zeit, wo Klara sie verlassen mußte, denn es gab für sie nichts mehr zu tun.Dann also besten Dank für alles. Adieu," sagte sie lächelnd, aber mit einem gewissen Zittern in der Sttmme, und reichte jedem von ihnen die Hand. Laß Dich mal wieder sehen," redete ihr Kempen gut zu, als er ihre betrübte Miene sah, und versprach ihr, bei einer ähnlichen Arbeit wieder an sie zu denken. Im nächsten Jahr trat ein völliger Umschwung in den Verhältnissen der Freunde ein. Lorensen hatte in seiner Heimat einen reichen Gönner gefunden, einen alten, adligen Herrn, der zwei Güter besaß, mehrere Stiftungen verwaltete und in seinem Kreise eine gewichttge Person war. Ein merk- würdiger Zufall hatte alles gemacht. Im Sommer waren die Genossen zusammen nach Neumünster gereist, um einige Wochen in Ungebundenheit$u verleben, nachdem sie sich in Hamburg von dem Wohlbefinden der alten Frau Kempen uberzeugt hatten. Zu allen tollen Streichen aufgelegt, gingen sie ins Land hinein und beteiligten sich an einer Treibjagd, nicht als Jäger, sondern als Verscheucher des Wildes, wober sie es bald mit den Leuten zu tun bekamen. Es gab einen Radau, so daß die ganze Jagdgesellschaft zusammenlief, an der Spitze der alte Herr von Rensdahl, eine hübsche, mann- liche Ruine, die aber noch feste Grundmauern hatte. Die Künstler in ihren Räuberhllten, unter deren tief herunter- hängenden Krempen die offenen Gesichter winkten, stachen merkwürdig ab von dem übrigen Pack, so daß sie sofort den Eindruck von ideal veranlagten Landstreichern machten. Ein Wort gab das andere und schließlich auch die nötige Aufklärung. Herr von Rensdahl meckerte sehr erregt, be- ruhigte sich dann aber bald, trotzdem ihm das ganze Jagd- vergnügen verdorben war. Wie, was? Zwei Berliner Bild- Hauer unter seinen Treiben:? Das war ihm noch nicht vorge­kommen. Und gar der junge Lorensen aus Neumünster ? Ei, das war die schönste Ueberraschung. Er kannte den Alten sehr gut, diesen Braven, der ihm wiederholt in Stiftung?- dingen eine hilfreiche Hand gewesen war. Er hatte ihm auch viel von seinem Sohn erzählt, der eine große Leuchte werden wollte, ohne daß man sie bisher irgendwo flackern gesehen hatte. Na, vielleicht konnte man sie etwas zum prassel«, brin- gen aus Liebe zur heimatlichen Erde. Mußten ja merkwürdige Kerle sein, diese beiden, die, statt größenwahnsinnig in Lack- stiefeln herumzutreten wie der Neffe seines Duzbruders Hol,