„Dann Hat es der Herr Feldwebel verschoben," rief ich etwas erregt. „Du Hund willst so etwas sagen?" schnaubte mich der Feld- webel an. „Ich habe es ja ganz genau gesehen!" erwiderte ich. Der Feldwebel sah sich erst vorsichtig um, dann stürzte er mit hocherhobener Faust aus mich zu. „Herr Feldwebel!" rief der Sergeant jetzt erregt,„machen Sie sich nicht unglücklich! Er ist ein S! ein SI" Dabei trat er dicht vor ihn und beschwichtigte ihn. Der Feldwebel liest den Arm sinken und sah mich mit einem Blick voller Gift und Galle an.„Aha, so stehen die Sachen! Ja, dann darf mau sich die Hände nicht an ihm schmutzig machen! Das Gesindel muß behandelt werden wie Kreuzottern: von weitem mit dem Stock aufspiesten! Pfui Deubell" Er spie vo mich hin.„Mach, dast Du wegkommst, Du Aas, ich will Dich hier nicht mehr sehen!" Das tat ich denn auch. Am andern Tage sagte der Sergeant: „Ich habe Ihnen einen grasten Dienst erwiesen, Freundchen!" „Ich danke, Herr Sergeant. Aber ich glaube: auch dem Feld- webel." Dieser Zwischenfall war sehr nützlich für mich. Ihm habe ich es zum guten Teil zuzuschreiben, dast ich von jeder körperlichen Misthandlung verschont blieb. Uebrigens war es mir bitterer Ernst mit dem Vorsatz, jede mir zugefügte Misthandlung zu melden. In- dessen war es so viel besser, denn was bei Beschwerden heraus- zukomnien pflegt, konnte ich bald in nächster Nähe kennen lernen. Einige Tage vor Ostern wurde wieder ein Mann meiner Korporalschaft grob geschlagen. Es war uns befohlen worden, im Laufschritt unsere auf dem Exerzierplatz abgelegten Tornister zu holen. Wir liefen nicht alle gleich söchiell. und der Korporalschafts. führer lief hinter uns her und trieb uns schreiend zur Eile an. Einer lief, ob absichtlich oder aus Unfähigkeit, etwas langsam. Der Unteroffizier stiest ihn vier- oder fünfmal mit dem Gewehrkolben zwischen die Schultern so hart, dast der Mann zusammenbrach. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, rückten wir ein. In der Mittagspause ging Stöben, so hiest der Geschlagene, zum Feld- webel und meldete die Misthandlung. Am anderen Tage muhte er die Meldung wiederholen und die Zeugen des Vorfalles nennen. Er nannte die ganze Abteilung, zirka achtzehn Mann. Der Unteroffizier fragte bei uns herum, wer Augenzeuge sei, daß er Stöben geschlagen habe. Es blieben sechs übrig, die anderen hatten es nicht gesehen. Sie hatten es natürlich alle gesehen. Aber sechs Zeugen waren immer noch ausreichend. Nun wurde Stöben von allen Instanzen bearbeitet. Erst bat ihn der Unteroffizier, die Meldung zurückzunehmen. Stöben blieb fest. Dann kam der Feldwebel. Aber Stöben blieb fest. Die Sache kam vor den Hauptmann. Auch er bearbeitete Stöben, aber dieser widerstand. Dazwischen hindurch kamen Unteroffiziere und andere Geister, die alle den Stöben beschworen, er möge keinen„alten Korporal mit sieben Dienstjahren" unglücklich machen. Es half nicht. Nun wurde ein anderer Weg eingeschlagen. Von den sechs Zeugen hatten vier um Osterurlaub gebeten, darunter auch mein Busen- freund Seele und ich. Einer nach dem andern wurde in die Schreibstube befohlen, und wenn er wieder zurückkam, war er kon- sterniert und fluchte über die hinterlistige Gemeinheit. Als Seele zurückkam, brachte er mir den Befehl, vor dem Feldwebel zu er- scheinen. „Junge," sagte er,„mit unserm Urlaub ist's Essig!"< „Bist verrückt! Wieso denn?" „Wer wirklich genau gesehen hat, daß Stöben geschlagen wurde, muß hier bleiben." „So'ne Gemeinheit!" sagte ich und ging hinunter. „Sie haben auch um Urlaub gebeten, nicht wahr?" „Jawohl, Herr Feldwebel." „Herr Hauptmann hat nichts dagegen, ich lasse Sie auch gern fahren, weil Sie sich zusammengerissen haben und gut begreifen. Aber Sie waren mit dabei, als Stöben hingefallen ist und wollen gesehen haben, daß der Unteroffizier ihn geschlagen hat. Nicht wahr?" „Jawohl, Herr Feldwebel, das habe ich gesehen." „Ja, dann können Sie eben nicht auf Urlaub fahren, denn Sie werden ja dann als Zeuge gebraucht," meinte der Feldwebel mit vielsagendem Blick. „Könnte ich meine Aussagen nicht vorher machen, sie bielleicht beim Bataillonsadjutanten zu Protokoll geben?" fragte ich. „Ach was! Wenn Sie das gesehen haben, müssen Sie hier bleiben." Ich überlegte und kämpfte mit starker Versuchung. „Ich kann mir gar nicht erklären, wie Sie das nur gesehen haben wollen. Denn wenn es geschehen ist. so war es doch in Ihrem Rücken. Besinnen Sie sich mal; Sie glauben, es gesehen zu haben; Sie bilden sich das ein, weil der Stöben es hinterher er- zählte!" „Nein, Herr Feldwebel; ich hatte meinen Tornister schon in die Hand genommen und mich wieder umgedreht und habe ganz genau gesehen, wie der Unteroffizier den Stöben vier- oder fünf- mal sehr stark mit dem Kolben ins Kreuz gestoßen hat." Der Feldwebel fixierte mich eine Weile und sagte dann: „Merken Sie sich: wenn Sie es wirklich ganz genau gesehen haben, dann können Sie nicht fahren; wenn Sie aber glauben, dast doch ein Irrtum vorliegen kann, dann kommen Sie als Zeuge nicht nicht mehr in Betracht und können morgen Mittag auf Urlaub gehen. BiS dahin haben Sie Zeit zum Ueberlegen. Denken Sie aber nicht, daß der Hauptmann jemals wieder einem Manne Urlaub gibt, der mit daran schuld hat, daß ein Unteroffizier von der Kom- pagnie bestraft wird. Nun besinnen Sie sich; morgen früh will ich Bescheid haben." Damit war ich entlassen. Als ich auf die Stube zurückkam, erwarteten mich die drei anderen Urlauber schon. Sie waren neugierig, wie ich mich gehalten hatte. Wir sahen uns alle vier an und brachen wie auf Komando in Lachen aus. Wir lachten außerordentlich laut und herzhaft, wir lachten lange, wir lachten, daß uns der Bauch schmerzte. Warum? Das kann ich heute nicht mehr sagen; ober es war etwas ansteckendes in dieser Lachlust, die allen Gram über den fortschwimmenden Urlaub niederriß. Ich weist keinen Grund für unsere Fröhlichkeit anzugeben; doch vielleicht war es der über alle kleinliche Schikane hinwcgftürmende Lebensmut kraftsprühender Jugend, der sich seiner Ueberlegenheit bewußt war. Natürlich hatten war alle vier festgehalten an dem, was wir gesehen hatten, und waren uns auch einig darin, uns unser Ge- dächtnis nicht durch die angedrohte Entziehung des Urlaubs„korri- gieren" zu lassen. Wir waren eben alle keine Patrioten im Sinne preußischen Kommitzgermanentums. Beim Antreten am anderen Morgen rief uns der Feldwebel abseits und fragte uns, ob wir uns nicht anders besonnen hätten. „Nein, ich kann nichts anderes sagen, als was ich gesehen habe," erwiderte jeder von uns. „Eintreten! Gemeine Bande!" rief uns der Feldwebel zu. Während der Pausen, die der Dienst an diesem Morgen ließ, schmiedeten wir Pläne, wie wir nun Ostern verleben wollten. Urlaub gab's nicht, also mußten wir sehen, wie wir auf andere Weise das Reisegeld vertun konnten. Zu völliger Einigkeit waren wir bis Mittag nicht gekommen. Dann rückten wir ein. lSchluß folgtO Die Internationale rjygicnc-Huörtcllung. Eine Ausstellung, die in besonderem Moste auch das Interesse der Arbeiterschaft erwecken muß, wird im nächsten Jahre in Dresden stattfinden. Seit Jabren find die Vorbereitungen für die Internationale Hygiene-Ausstellnng getroffen worden, und seit Monaten wird an dem Aufbau der Ausstellungsgebäude mit riefigem Eifer gearbeitet. Die Ausstellung wird weit über das Gebiet deS ständige» Dresdener Ausstellungspalastes hinauswachsen, sie wird einen bedeutenden Teil des benachbarten„Großen Garten " und anderer umliegender Terrains in Anspruch nehmen; das gesamte Ausstellungsgebiet wird über 320 000 Quadratmeter ausmachen. Die Pläne für die unifassenden Gebäude, in denen die Ausstellung untergebracht werden soll, lassen vermuten, dast der architektonische Ausbau von großem künstlerischem Geiste beherrscht wird. Die Kenner der verschiedenen Dresdener Ausstellungen in ftüberen Jahren wissen, dast hier wiederholt raumkünstlerische Taten ersten Ranges geleistet worden sind. Aber man darf erwarten, dast die Ausstellung von 1911 an architektonischer Schönheit alles frühere weit übertreffen wird. Man ist bestrebt, strenge Stileinbeil zu wahren. Bei den Hauptpalästen wird der Stil des klassischen Tempels vorwalten. Die Hygieneausstellung soll die Gesundheitspflege aller Art zur umfassenden Vorführung bringen, die Nahrungsmittelhygiene, die WohnungShygicne, die Gewerbebygiene, das gesamte Kranken- und Heilwesen. Das massenhafte Material, das sich ans diesen ver- schiedenen Gebieten der privaten und öffentlichen Gesundheilspflege gerade in den letzten Zeiten angesammelt hat, soll in fünf Ab- teilungen gesondert vorgeführt werden: in eine wissenschaftliche, eine populäre, eine sportliche, eine historisch-ethnographische Abteilung, denen sich als fünfte eine besondere Abteilung der Industrie zu- gesellt, die zu sämtlichen anderen Abteilungen Beziehungen hat. Die wissenschaftliche Abteilung ist in erster Linie aus Aerzte und andere Fachleute berechnet. Düse sollen Gelegenheit zu fachwissen- schastlichen Studien finden, ohne dabei auf allerlei Dinge zu stoßen, die ihnen schon allzu geläufig sind. Andererseits wird eine populäre Abteilung eingerichtet, auf deren Durchführung ein besonderes Ge- wicht gelegt wird. Hauptsächlich diese Abteilung soll der Absicht dienen, für weiteste Kreise der Bevölkerung hygienische Belehrungen zu geben. In ihr soll alles vermieden werden, was den Laien nicht interessieren kann und über sein Auffassungsvermögen hinausgeht. Es soll die Notwendigkeit der verschiedensten hygienischen Mastnahmen durch zahlreiche plastische Modelle für jedermann unmittelbar an- schanlich gemacht werden. Unter anderem soll der ErnährungS» Hygiene große Aufmerksamkeit geschenkt werden. In Hunderten von Beispielen werden die Nahrungsmittel in ihrer Zusammensetzung und ihrem Nährwert unter Angabe der Kosten gezeigt; eS soll Ant- wort erteilt werden auf die bedeutsame Frage: Wie nähre ich mich am rasionellsten. Auch die sportliche Abteilung wird von großer Wichtigkeit fein. Die Ausstellung wird hier die Absicht verfolgen, den gesunden Sport zu fördern, die Ausartungen des Sports zu bekämpfen. Es werden nach wissenschaftlichen Gesichtspunkte» die Grenzen festgestellt werden,
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27 (15.11.1910) 223
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