Nnterhaltungsblalt des vorwärts Nr. 232. Dienstag den 29. November. 1910 (Nachdruck verSolen.) 23j Mas ilt RuKm? Roman von Max Kretzei; Kempen   vermochte den Schwärm der Anwesenden nicht zu ermessen, denn er sah vorerst nur schlvatzende Gruppen, die sich in den Räumen verteilten. Ueberall geschnitzte Möbel in ausgewählten Formen, bald ebenholzartig, bald dunkelnuß- braun, dann wieder hell plattiert mit Bronzegriffen und gleichem Beschlag. Dazu die getönten Polster, passend zu der Holzart, zu der Tapete und zu der Malerei über dem Paneel der Täfelung. Vorn, im Empfangsraum, truheartige Sitze: in roter Wandnische die Pallas Athene   mit grüner Patina überzogen. Auf der andern Wand die Riesenmaske eines sterbenden Shriegers: daneben Schilder und Waffen. Von der Decke herab das Licht gedämpft durch eine matte Glasrosette. Eine Fülle von Bronzen auf Ständern, Säulen, Wandbrettern, auf Luxustischen und in allen Ecken und Winkeln; von Vasen, Kannen und Figuren förmlich im Ladengewirr durchein- ander. Deister   Teller, blauschimmernd, zwischen Majolika und altem Meißner Porzellan. Und alles umrahmt und ge- hoben durch farbige Stoffe, die in künstlerischer Ungezwungen- heit ihre Falten warfen. Dann ein echter Gobelin mit der Darstellung der Ueber- gäbe von Calais  ; die Oelbilder alter und neuer Meister, darunter ein Gabriel Max  . Ein Gewirr von Sesseln und Stühlen in allen Gestalten und Größen, vom antiken Kirchen- stuhl bis zum zierlichen, vergoldeten Stühlchen, das wie Puppenarbeit wirkte. Im lauschigen Damenzimmer alles in lichtem Frischgrün mit geblümter Seide. Ueppige Kissen auf den kleinen Sofas, auf den Ruhebettchen und sogar auf dem echten Smyrna. hingestreut, wie weiche Pfühle, die zum Nichts- tun einladen. Sonst war die Diele mit Filzstoff belegt, ab- wechselnd in grauer, grüner und rotbrauner Farbe, über den der gedämpfte Schritt hinweglitt. Nur im großen Saal, der mit seiner Wölbung das erste Stockwerk durchschnitt und dessen großes Bogenfenster mit seinen bunten Scheiben kapellenartig emporstrebte, glänzte spiegelnd das Parkett. Kempen   betrachtete dieses tolle und reiche Kllnstlerheim mit den Augen des Impressionisten, der überall nur Farben- flecke sieht, getaucht in wechselnde Beleuchtung. Er sah kaum, woher das Licht kam: ob von der Decke, aus dem Strom der elektrischen Gehänge oder aus den Wänden und versteckten Ecken, wo die Glühbirnen verschämt in großen, bunten Kelchen lagen, die den Eindruck von vergläserten Blumen mochten. Dann plötzlich zog der riesige, rote Schleier einer Ständer- lampe das Auge an, der blutig wie erblühter Mohn alles andre erblassen machte. Heilke, in Frack und weißer Weste, ein Ordensband im Knopfloch, kam liebenswürdig auf ihn zugeschossen.Freut mich, freut mich, daß Sie gekommen sind! Sie müssen mehr heraus, Lorensen hat recht. Hat mir neulich Ihre Lebens- geschichte erzählt. Wissen Sie, das imponiert mir. Die Ar- beit, Arbeit die ist es, die uns erhält. Was meinen Sie, was ich den Tag über so zusammenbaue. Und was ich zu- sammengebaut Habel Man könnte ein kleines Museum damit füllen. Sicher könnte man das." Er lachte vergnügt, ohne daran zu denken, daß diese Museumsfüllung" eine seiner berühmten Redewendungen war, die er zur Erhöhung seines Ansehens anwandte. Und um gleich den Beweis dafür zu geben, wies er auf die Klein- kunst an den Wänden und in den Ecken hin, die zahlreiche Nachbildungen seiner Schöpfungen zeigte. Kempen   nickte aus Gefälligkeit. Heilke aber gab dem Gespräch eine Wendung.Uebrigens strich Sie neulich jemand sehr heraus, ich glaube, es war Schapor." So, so," warf Kempen   endlich ein, der eine besondere Hochachtung vor diesem Goethebildner hatte. Ja," fuhr Heilke fort.Sie sollen was können, das wußte ich noch gar nicht. Es kam so das Gespräch darauf. Der verbummelte Walzmann bläst die Posaune für Sie. Schade um den Kerl, aber der Schnaps, der Schnaps! Wissen Sie, da neulich bei Ihnen... Na. lassen wir's lieber." Er war rot geworden und bezwang sich allem Anschein nach, was Kempen   angenchm war, denn ungern hätte er mehr davon gehört. Heilke zog ihn mit sich fort und führte ihn der nächster» Gruppe zu.Entschuldigen Sie Herrschasten... Herr Bild- Hauer Kempen  , einer unserer Talentvollen. Hat sich auf die Tiere geworfen." Lorensen war in dieser Beziehung erledigt, und so konnte er seine Uneigennützigkeit an einen andern ver- schwenden. Seine Empfehlermiene ging aber sofort in ein behagliches Lachen über, als er, die Hand an seinem schönen Bart, hinzufügte:Meine Löwen machen Sie mir doch nicht nach." Derartige wohlfeile Scherze erweckten in der Regel Heiterkeit und ließen ihn wachsen. Kempen   hörte eine Menge Titel und Namen, die an sei- ncm Gedächtnis vorbeischwirrten wie ein Sternschnuppenfall am dunklen Himmel. Herr Regierungsrat� Soundso nebst Ge­mahlin... Herr Bankdirektor Soundso.. Frau Exzellenz ... Fräulein von..." Und so weiter. Die Namen waren ihm Schall und Rauch. Dann sah er eine umfangreiche, rot- seidene Korsage vor sich, aus der ein mächtiger Ueberschutz verhüllten Fettes emporwuchs, endend in einem gepuderten Geficht auf gedrungenem Halse, was unstreitig die Exzellenz war, die sofort auf Kunst zu sprechen kam; hörte nebenbei ein Flötengesäusel aus dem Munde eines langaufgeschossenen, späten Mädchens, das der Mama sofort in die Rede fiel, und bemerkte im übrigen Kleidermassen und Frisuren, die jedem Schaufenster Ehre gemacht hätten; und rund herum und da- zwischen gezwängt Uniformen, schwarze Röcke, Fräcke, Smokings, weiße Westen und große Hemdenflächen, die zum Teil zerknillt aussahen, als harrten sie noch des Plätteisens. Eine lebende Restertafel verwirrte seinen Blick, auf der jede Farbe am lautesten schrie, bis das tote Schwarz alles ver- schlang. Die Herren rochen nach Brillantine, und die Damen dufteten nach allen möglichen Blumen, nach einem ganzen Ziergärtchen, über dessen schon verwelkte Blüten eine Par- fümerie wahllos einen Teil ihres Bestandes ausgegossen hat. Es gab kaltes Büffet; man sah es reichlich aufgestapelt, sobald man sich dem Speisezimmer näherte, durch dessen leicht geöffnete Schiebetür zeitweilig der Diener huschte, der draußen auf niemand mehr zu warten brauchte. Zwei hell- gekleidete Küchenfeen mit weißen Schürzen, die schmucken Jungferschleifen auf dem Kopf, deckten die Tischchen, an denen zwanglos gespeist werden sollte. Verlockend knallten dumpf die Pfropfen hinter den getrübten Scheiben. Im nächsten Raum, dem Bibliothekzimmer, zu dem man durch eine kleine, offene Tür im Rundbogenstil gelangte, deren roter, halbzurückgezogner Vorhang als Sinnbild ein gelb ausgetragenes Muster von Büchern und Gänsefedern zeigte, erlebte Kempen   dasselbe. Um den großen, grünge- beizten Eichentisch in der Mitte, bewegten sich fremde Ge- sichter, die teils ihre Nase in einen großen Folianten steckten, der die Photographien der Werke des Meisters enthielt, teils die Rllckentitel der Prachtbände studierten, die in Reih und Glied die olivenfarbigen Wandbretter zierten. Alles in diesem Zimmer war grün; nur Wände und Dielenbelag zeigten ein sanftes Braunrot, das den Gegenton gleichsam milderte und brach. Herr Professor Felix Stampf... Herr Professor Paul Thormeyer... Frau Professor... Herr Königlicher Biblio» thck-Kustos Soundso nebst Frau Gemahlin... Fräulein Schriftsteller Soundso..." Endlich ein paar Namen, die Kempen   zu einer tieferen Verbeugung zwangen. Stampf, der einflußreiche Kunst- kritiker, von dem die Jüngeren behaupteten, daß er mit Vor- liebe seinem Namen Ehre mache, sobald ein Neuerer seiner Feder Aerger bereite, interessierte ihn ganz besonders. Der große Mann mit dem schlecht gezeichneten Jupiterhaupt, in dem die leicht entzündeten Augen von unzähligen, seiner Gönnerschaft geopferten Nächten sprachen, kraute sich in sei- nem mottenfarbigen Bart und nickte gnädig, ohne seine Unter- Haltung aufzugeben. Kennst Du den Mann? Ich nicht," sagte er dann leise zu Thormeyer, dem Genremalcr der alten Schule, einem echten Berliner  , der, klein und gedrur-gen, mit seinem üppigen, hän- genden Schnauzbart durchaus nichts Künstlerisches an sich