gehen. Es war doch immerhin besser, sicher zu gehen. Auf jeden Fall er war treu! Dann plötzlich dämmerte es ihm, daß eigentlich keine Not- wendigkeit mehr vorlag, vor dem Bakteriologen zu flüchten. In Wellington Street befahl er dem Kutscher zu halten und stieg aus. Auf dem Trittbrett glitt er aus. und ihm war seltsam wirr zumute. Wie schnell es wirkte, dies Choleragift! Er winkte den Kutscher davon und blieb dann, die Arme über der Brust gefaltet, auf dem Trottoir stehen, um die Ankunft des Bakteriologen zu erwarten. Etwas Tragisches lag in seiner Pose. Das Bewußtsein unaus- weichlichen Todes verlieh ihm eine gewisse Würde. Mit einem her- ausfordernden Lachen begrüßte er seinen Verfolger. Vive l'Anarchie!®ie kommen zu spät, lieber Freund! Ich Hab' es getrunken! Die Cholera ist im Gang!" Der Bakteriologe guckte ihn von seiner Droschke aus durch die Brille mit neugierigen Augen an.Also Sie haben es getrunken! Gin Anerchist! Jetzt verstehe ich endlich!" Er war im Begriff. noch mehr zu sagen, hielt aber plötzlich inne. Gin Lächeln zitterte um seine Mundwinkel. Er öffnete die Tür der Droschke, wie um auszusteigen; worauf der Anarchist ihm ein tragisches Lebewohl zuwinkte und in der Richtung nach Waterloo Bridge davoneilte, wobei er Sorge trug, auf seinem Weg so viele Leute als nur mög- lich anzurempeln. Der Bakteriologe war so ganz versunken in diesen Anblick, daß er kaum ein leises Erstaunen äußerte, als Minnie mit Hut und Stiefeln und Ueberzieher neben ihm auf- tauchte.Wie lieb von Dir, daß Du mir meine Sachen bringst!" sagte er, noch immer ganz verloren in Betrachtung der entschwin- denden Gestalt des Anarchisten. Setz' Dich in die Droschke!" sagte er, noch immer dem andern «achstarrend. Minnie war jetzt ganz davon überzeugt, daß er ver- rückt geworden war, und gab dem Kutscher   auf eigene Verant- Wartung hin ihr« Adresse.Stiefel anziehen? Aber natürlich, Schatz!" sagte er, als die Droschke umdrehte und dadurch die davon- eilende dunkle Gestalt, die jetzt in der Entfernung sehr klein er- schien, seinen Blicken entzog. Auf einmal überfiel ihn ein grotesker Gedanke, und er lachte auf. Worauf er bemerkte:Aber doch es ist recht ernsthaft! Siehst Du der Mann ist zu mir ge. kommen einfach als Besucher. Er ist ein Anarchist. Ach nein nicht ohnmächtig werden I Sonst kann ich Dir'S ja überhaupt nicht erzählen. Ich wollte ihm gern ein bißchen imponieren wußte ja nicht, daß er ein Anarchist war und nahm eine Kultur von der neuen Spezies von Batterien, von denen ich Dir erzählt habe die bei verschiedenen Affenarten blaue Flecken erzeugen und für innner festhalten; und in meiner Dummheit sagte ich, es wäre die asiatische Cholera. Und gleich darauf ging er durch mit dem Gift, stahl es und wollte die Londoner   Wasserleitungen damit vergiften. Na ja, eine schöne Bescherung Hütt' er ja wohl an- richten können für diese Stadt der Zivilisation! Und jetzt hat er es selber alles geschluckt! Ich kann ja selbstverständlich nicht vor- aussagen, was eigentlich geschehen wird aber Du weißt doch die junge Katze damals und die Hunde und der Sperling alle haben sie sich blau gefärbt blaue Flecken so recht himmelblau. Das Scheußliche an der ganzen Geschichte ist bloß, es wird mich wer weiß wieviel Zeit und Geld kosten, wieder neue zu präparieren. Was! Den Ueberzieher anziehen? An so einem heißen Tag? Warum denn? Weil mir vielleicht Mrs. Japper begegnen könnte? Aber Schatz Mrs. Japper ist doch lein Durchzug! Warum soll ich denn einen Uckberzieher anhaben an so einem heißen Tag r- bloß weil Mrs.,,, Na ja, schön!" Scbeltenworte auf die poUzcu Der Reichtum einer Sprache zeigt sich in der Mannigfaltigkeit ihrer Formen, in dem Reichtum ihrer Ausdrücke, in der Feinheit ihrer Unterscheidung, in der Assimilierung fremdsprachiger Aus- drücke, aber nicht zuletzt in der großen Zahl von Bezeichnungen für die gleiche Sache. Dort wo in mannigfachen Dialetten an dem Weiterbau der Sprache vom Volke gearbeitet wird, finden wir häufig zahlreiche Bezeichnungen, die nach Landstrichen und Sprachfärbungen natürlich verschieden sind. Der Witz des Volkes, auch seine Kampfeslust kommt häufig zum Ausdruck in Spott- und Scheltnamen, in Neck- und«chimpfwortcn, in Ekel- und Spitznamen und in immer neu entstehenden Scherzworten. Frei- lich wird mit steigender Kultur altes Sprachgut verschlissen und abgeschliffen, von der kräftigen Ausdrucksweise des Ib. und 16. Jahrhunderts ist heute vieles völlig vergessen. So manches bleibt ungenutzt, weil es nicht in der Schriftsprache zur Geltung gelangen kann, weil es nur im Volksmunde weitergeführt wird, und der großen Volksmasse völlig unbekannt bleibt. Das mundartliche Sprachgut zu sichern, hat man spät genug begonnen, die aus- gleichende Arbeit der allgemeinen Volksschule, des Zeitungswcsens und der sonst in das Volk dringenden Literatur hat mit vielem alten und werwollen Besitz aufgeräumt. Emsig sucht man nun, freilich nicht in allen Teilen des deutschen Sprachgebietes, fest- zuhalten, zum mindesten zu registrieren, was heute noch als des Volkes Sprache wirkt, oder den Alten wenigstens noch in Erinnerung geblieben ist. Groß angelegte Unternehmungen, wie da? Schweizerische Idiotikon oder das schwäbische Worterbuch werden erst den ganzen Reichtum der Sprache aufzeigen. Daneben wird seit kurzem die Sprache einzelner Berufe untersucht. So sind! Bücher über die Studentensprache erschienen, über die Gauner- spräche, über die Bergmannssprache  , über die Hennaelersprache- Heinrich Klenz  , dem wir ein schönes Buch über die deutsche Druckersprache verdanken, hat in dem Verlage von Karl I. Trübner, der auch die eben genannten Wörterbücher veröffentlichte, ein originelles Schelten-Wörterbuch erscheinen lassen, das den Untertitel führt: Die Berufs- undHandwerkerschelten und Verwandtes. Wir finden da für alle möglichen Berufs vom Abdecker bis zum Zollbeamten zusammengestellt, was dev fleißige Verfasser aus den Mundarten wie aus der Zeitungssprache, aus der Kunden- wie aus der Gaunersprache, aus der Studenten« spräche wie aus alten längst vergessenen Büchern an Bezeichnungen herausfinden konnte. Wenn wir das Buch aufschlagen, so finden wir fast neun Spalten Bezeichnungen für die Schuhmacher. Für die Scharfrichter mehr wie drei Spalten und für die Rechtsgelehrten über sechs Spalten, für die Geistlichen fast zehn Spalten, für die Gelehrten im allgemeinen über zehn Spalten, für die Gastwirte drei Spalten, für die Freuocn« mädchen dreizehn Spalten, für die Barbiere vier, für die Bäcker über sechs, für die Aerzte mehr als fünf Spalten. Es gibt kaum einen Beruf, der nicht behandelt ist. die Maschinenschreibcrin und der Mathematiker werden da ebenso behandelt wie der Musikant und der Nachtwächter, wie die Ohsthändlexin und der Offizier, wie der Pferdeschlachter und der Rentner, wie der Sänger und der Schneider, der Schornsteinfeger und der Soldat, der Journalist und der Totengräber, der Uhrmacher und der Vogelhändler, die Varietesängerin und der Zahnarzt usw. usw. Man kann diese? merkwürdige Buch, was sonst von Wörterbüchern nicht gilt, vom Anfang bis zum Ende mit dem größten Interesse lesen, der Humor kommt da reichlich auf seine Rechnung und mancher Einblick in die Volksseele wird eröffnet. Es ist selbstverständlich, daß Berufe, die mit der Masse der Bevölkerung wenig in Berührung kommen, von Spott-, Schelt- und Scherzworten selten beunruhigt werden, während Berufe, die un» unterbrochen mit der Bevölkerung in Fühlung soin müssen, wie z. B. die Bäcker und die Aerzte eine recht reichliche Sammlung von Spott- und Neck- und Spitznamen anlegen konnten. Am meisten fordert die Tätigkeit der Polizei bei der Bevölkerung Unwillen und Aerger, ja oft noch stärkere Gefühle heraus. Daß da die Kunden- und die Studentensprache und nicht zuletzt die Gaunersprache zahlreiche Bezeichnungen für die Polizei geschaffen hat, ist nicht zu verwundern. Zum Teil sind diese Bezeichnungen erst nach einiger Erklärung verständlich. Klenz gibt die Scheit« und Scherzworte auf die Polizei in alphabetischer Reihenfolge, ohne die Bezeichnungen für verwandte Berufe wie Gefangenwärter und Gendarm 117 Namen. Von ihnen sind nur ganz vereinzelte ver, schieden« Schreibweisen, weit über hundert sind durchaus selb, ständige Kennzeichnungen, wenn auch wenig liebenswürdige für die Polizisten und die Polizeiagenten, Polizeibeamten und Gerichts, diener, Rat- und Stadtdiener und Stadtsoldaten. Beginnen wir mit dem, was Klenz aus der Kunden» spräche, also aus der Sprache der reisenden Handwerksgesellen herausgefischt hat. Fänger und Fauler werden in der Kunden» spräche die Kriminalpolizisten, die Schutzleute in Zivil, die Geheim» Polizisten oder die Detektivs genannt. Der Flurschütz wird als Flurmichel erwähnt, mit Geheimer oder Heimlicher wird ein Ver» trauter, Spion, Geheimpolizist gekennzeichnet. Für sie gibt eS auch den Ausdruck Kundenfänger. Der Berliner sagt für Gerichts, diener Nuntius, der Ausdruck wird von den Kunden auch für die Polizisten gebraucht. Bei ihnen findet sich auch der Ausdruck Polente oder Putz, auch Butz geschrieben, weiter der Putzemann, in Bayern   der Schmutzlappen. Für den Zwangstransporteur hat der Kunde den Namen Schubtreiber, nach dem früheren festen Bergschloß, Hohen Urach  , nennt er einen Geheimpolizisten Urach  , Für diese so beliebte Form polizeilicher Gewalt kennt der Kunde auch den Ausdruck Verdeckter, er spricht von dem Polizisten auch von einem Zänkerer. Auch die S t u d e n t e n s p r a ch e hat so manches DutzenT eigener Namensbezeichnungen. So nennt die ältere Leipziger  Studentensprache den Polizisten Clauditchen, was aus dem lateini- schen clsuckite d. h. schließt stammen soll. Für den Ausdruck Glcditchen finden die Sprachforscher nur den Zusammenhang mit dem Clauditchen. Aus der Stratzburger Studentensprache vom Ende des 18. Jahrhunderts rührt die tragikomische Bezeichnung Fausthammer her. Die Studenten an der alten vorderösterreichi- schen Universität Freiburg   in Baden ersannen das lustige Wort Klammhaken. Die Münchener   Studenten am Ende des 18. Jahr- Hunderts sprachen von den Polizisten als von Maikäfern, weil die Farbe der Uniform zu dieser Bezeichnung den Anlaß gab. Ebenso ist der Zusammenhang bei den Studentenausdrücken aus dem letzten Drittel des 18. und"ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu er- klären: Meese, Meise, Stadtmeese. Strittig ist, ob der Leipziger Ausdruck Moese dieselbe Wurzel und denselben Anlaß hat, oder ob er nicht auf ein gemeines obszönes Schimpfwort zurückzuführen ist. In Beziehung auf die Festnahme Jesus   auf dem Oelberg fanden Studenten des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung Oelberger für die Polizisten charakteristisch. Im Zusammenhang mit der Bibel steht auch die Bezeichnung Philister, für Wächter und für Stadtsoldatcn, nachher freilich für jeden Widersacher der Studenten und zuletzt für jeden Nichtstudenten. Aus der Leipziger   Mundarjj