so recht auf den Grund zu kommen. Wissen fle etwas darüber, woder Hering heute nacht schwärmt, oder wählen fie auf gut Glück?„Warum die Norstostbänke?* frage ich.—„Ein Boot hat in derletzien Nacht dort einen reichlichen Fang getan." erwiderte einer derFischer.—„Nimmt man denn an, datz der Schwärm längere Zeitauf einer und derselben Stelle hin und her geht?"—„Nein." sagtder Aelteste,„wir wissen nichts Rechtes darüber. Es kann ebensogut hier wie anderswo sein— und irgendwo muß man ja die Netzeauswerfen."Wenn die Wissenschaft zu Hilfe kommen und alle die sehendmachen könnte, die hier im Dunkeln tappen müssen I Wie grell hebtfie sich ab von unserer zielbewußten Zeit, diese ohnmächtige Rielen-saust, die jede Nacht aufs Geratewohl in die Tiefe hinunterlangtund, wenn sie wieder heraufkommt, an sechs von den sieben Tagender Woche doch nur schmale Kost in die Heimstätten trägt!Um 7 Uhr sind wir aus den Nordwestbänken, drei bis vierMeilen vom Lande. Die Stromrichtung wird gefunden, eineViertelstunde lang läuft das Boot hin und her, wie ein Tier, dassich schnuppernd sein Lager für die Nacht sucht. Dann schießen wirin den Wind, die Segel fallen, und der Mast wird herabgenommenund nach Lee windabwärts gebracht.Wir liegen mit der Breitseite in See, die Klappen sind entfernt,und in den Luken stehen die Männer und setzen die Garne aus. DasBoot stampft und wühlt mit dem Rüssel in der Krappsee. Ich würdegern init Hand anlegen, kann aber nicht. Ich kann überhaupt wederstehen noch sitzen; meine Bauchmuskeln find nicht kräftig genug, nmdas plötzliche Umknicken des Oberkörpers zu verhindern, wenn dasBoot mitten im Sprunge innehält und nach der anderen Seite um-schlägt. Ich muß mich auf den Rücken legen und mich festhalten.Die drei aber gressen allen Bewegungen des Bootes vor und machensie mit, während fie unaufhörlich arbeiten. Die Garne über dieBootsseite zu schaffen und ins Wasser zu setzen, 10 Faden tief, ohnedaß sie in Unordnung geraten, das ist eine Arbeit, die die größteWachsamkeit und Gewandtheit erfordert. Ein Mann steht beimBoden des Netzes und bringt kleine Steine in den Schlingen an,ein anderer steht am Hals und macht die Bake mit dem Korkbelagfertig, die das Netz, zusammen mit den kleinen Steinen, lotrecht imWasser halten soll. Der dritte geht in der Mitte hin und her; ernimmt die Garne aus dem Lastraum, löst sie auseinander, legt dasNetz in die See und wirft in Abständen von etwa zehn Faden diegroßen Bakenhölzer aus, die das Sinken der Garne verhinderesollen. Fuß für Fuß gleiten die Garne über die Bootsseite hinausund versinken, die Hölzer fliegen unaufhörlich durch die Luft, undwenn sie niederfallen, spritzt das Wasser auf; fie und das Flaggen-zeichen an den ersten Garnen bezeichnen unser» Weg.Auf dem Meere liegen die Boote in Abständen von je einerViertelmeile; fie haben alles Aufragende gestrichen und gleichenweißen Vögeln, die kür die Nacht zur Ruhe gegangen sind.Die Nacht bricht herein, und der Mond segelt über Kristiansöum Himmel dahin. Ich liege immer noch auf dem Rücken und haltemich fest, um nicht in die See geschleudert zu werden. Und währendunaufhörlich gearbeitet wird, ist eine fröhliche Unterhaltung imGange— von fremden Reichen und Ländern und davon, welch'Plaisir eS wäre, viel Geld zu haben. Ich spreche geradeswegs inden Himmel hinauf; und mir ist, als klatschten mir meine eigenenWorte auf den Rücken nieder— so schlingert und rollt die See.Und die Bakenhölzer fliegen, und durch die geschäftigen Hände gleitenund gleiten die Garne über die Bootsseite hinaus. Jetzt können wirdie Flaggenboje nicht mehr sehen, fie ist zuweit entfernt. DieStrömung hat die Garne in einer Linie nach Süden hin gerichtetund schleppt uns mit sich fort; endlich, nach dreistündiger, unaufhör-kicher Arbeit geht das letzte Garn über Bord, die Schnur wird amSteven des Bootes befestigt und zieht uns in die Strömung.60 Garne sind ausgeworfen, jedes 18 Faden lang. Zehn Fadenunter der Oberfläche des Meeres haben wir ein Netz ausgespannt,„eine Viertelmeile lang und zehn Fuß hoch— ein Riesenwerk! DieSchwärme werden uns schwerlich ausweichen können.Es ist zehn Uhr. Wir liegen auf dem Rücken und lassen unsvon den Garnen nach Kristansö hinüberschleppen. Zu dieser Zeitsteigt der Hering vom Grunde herauf und zieht in den Tiefen dahin,wo er seine Nahrung findet. Im Frühsomnicr hält sich der Heringganz oben an der Oberfläche auf, aber mit der Wärme sinkt dieNahrung des Herings in tiefere Schichten und der Hering folgt ihr.Um Johanni schwimmt er vier bis fünf Faden tief und sinkt dannbeständig zehn bis zwölf Faden; da schwimmt er jetzt. Im Auguststeigt er wieder oder geht noch tiefer hinab, so daß er nicht gefangenwerden kann.„Er kann ja wohl," sagt der älteste der Fischer,„denn ich warIn meiner Knabenzeit mit dabei, wie fie die Netze vierzehn bis fünf-zehn Faden tief aussetzten. Aber das hat man wieder auf-gegeben; in dieser Tiefe gerieten die Garne so hart in die Klemme,daß fie sich fast nicht wieder heraufreißen ließen. Die Fanggerätewurden zu arg mitgenommen, so daß es sich nicht lohnte. Abernun wird es wieder losgehen, es ist bald Mitternacht."Die Männer stehen auf, setzen Rollen auf die Bootsseite undbeginnen zu„ziehen". Es ist eine Hundearbeit; im Vergleich damitwar es das reine Kinderspiel,„die Garne auszusetzen". Die dreiMänner ziehen und ziehen, das Boot entweicht im Wasser vor ihremGriff, die Garne stehen so steif in der See, daß das Tauwerk singt.Zoll um Zoll müssen die Leute es heraufziehen— und 3000 Ellenlind ausgeworfen. Ich habe mich aufgerichtet und bin gespannt aufdas Ergebnis des FangeS. So oft ein Garn gelöst ist und in de»Lastraun, geworfen wird, ruft einer den Inhalt aus: Ein Hering—-drei Heringe usw. Einmal steigt die Zahl auf neun, und der Zähleestößt ein bitteres Lachen aus. Sonst höre ich kein Wort— fiearbeiten nur. Aber alle gute Laune ist aus dem Boote geschwunden;stetig rackern die Leute sich ab; Zoll für Zoll gleitet der Fangüber die Bootsicite herein und scheint kein Ende nehmen zu wollen.Im Osten kommt eine Wolkenbank herauf; mit fernem, hohlemKnurren wächst sie gegen den Wind. Die Fischer wenden währendder Arbeit den Kopf nach ihr hin, dann Halen sie mit doppeltemEifer. Es ist zu dunkel dazu, daß ith ihre Gesichter sehen könnte,und ich freue mich darüber— denn ich schäme mich. Schäme michum meiner selbst willen, der ich ihnen heute nacht Glück bringensollte, und um alles dessentwillen, was nicht für diese Leute getanworden ist.„Ihr, die ihr so vieles wißt... und die Bücher...und Zeit habt— könntet i h r uns nicht etwas davon erzählen, w»der Hering zu finden ist?" fragt mich plötzlich der eine der Fischer.Der Satz trifft mich bitter inmitten meiner Gedanken, und ich kannnicht antworten. Er erwartet auch keine Antwort, sondern holt nurweiter ein. Zoll um Zoll, von der unendlichen Reihe.Nach dreistündiger harter Arbeit sind die Lenle fertig, der Mastwird aufgerichtet und wir hissen das Gaffelsegel. Augenblicklich wehtkein Wind; aber fie wagen es nickt, noch mehr Segel zu setzen, weitdas Gewitter uns im Nu überraschen kann. Plötzlich springen zweiMann a»f und entfernen blitzschnell das Segel; der Mast wirdheruntergeklappt und sie haben gerade noch Zeit, sich über ihn zi»werken, als ein Windstoß das Boot ergreift, aus dem Wasseremporhebt, mit steifem Arm rüttelt und dann wieder tief ins Wasserzurückwirft. Im selben Augenblick tritt Windstille ein, und dieBlitze stürzen über uns nieder wie ein flammender Peitschenknall,schlagen hinter uns in die See und erfiillen die Umgebung mitSchwefelgestank. Eine Stunde dauert das Gewitter an; dannhellt es sich auf und die Segel werden zur Heimfahrt gespannt.Um 7 Uhr sind wir im herrlichen Wetter zwischen de» Klippen.Ich nicke den dreien zum Abschied zu und steige die Felsküste hinan.Die Fischerfrauen kommen herabgelaufen; sie lachen und winkenund fragen mich in der Eile, ob der Fang gut gewesen. Ich nickewieder, habe aber keine Zeit, ihnen Antwort zu geben.6in Vornanvon Gerbart HauptmannIm Beginn seiner Dichterlaufbahn gab Gerhart Hauptmannzwei novellistische Studien.Iden„Bahnwärter Thiel" und den„Apostel".Jetzt, nach beinah zwanzig Jahren, nimmt er jenen Faden auf, umihn zu einem seltsamen Gewebe zu verspinnen. Und dies Gewebeheißt:„Der Narr in Christo En, anuel Quint".(S. Fischer, Verlag, Berlin 1910.)Es ist nicht der Roman eines„Gottsuchers"; eS ist der Wahn,GotteS Sohn zu sein, der sich in Emanuel Quint, dem scklesischenTischler, verkörpert. Und hinwiederum noch ein anderes. Quint istden, Dichter ein Symbol für den religiösen Schwarmgeist seinesHeimatvolkes, in dem sich zugleich die Gärung einer besti», intenEpoche menschlicher Entwickelung spiegeln soll. Nur in dieser Doppel-beziehung zu transzendentalen Mächten und sinnlich wahrnehmbarenWeltleben gewinnt die symbolische Gestalt des Emanuel Quint einenSchein von Wahrheit und Wirklichkeit. Aus dem Schöße eines sogearteten Gebirtzlervölkchens könnte wohl ein solcher Schwärmeroder„Narr m Christo" entsprossen sein. Nähme manQuint völlig losgelöst von jedweder irdischen Voraussetzunglediglich als Geschöpf für sich, so verlöre sich all seinWesen in Nebel. Nur der völkische Hintergrund machtihn einigermaßen glaubhaft. Glaubhaft allerdings insehr enger Begrenzung; denn kein moderner Mensch mitaufgeklärtem Verstände wird zu Quint eine Brücke des Verstehensfinden. Als reines Rcligionsidol aber wird er vor allem den ortho-boxen Bibelgläubigen unannehmbar sein; ihnen dürste Quint gerade«zu als Blasphemie erscheinen! In den Köpfen aller Einfältigen,Frommen, im Lager aller Sekte», wie fie auch heißen und loaS sieanbeten mögen, dürfte dieser Roman jedoch zu wunderlichen Ver-zückungen, Erweckungen und Offenbarungen— aber auch zu Unheil»vollen Mißverständnissen verleiten.Zweifellos ist mystischer�sektiererischer ReligionSgeist— daSErbteil der Oberschlesier nach Hauptmanns Befund— bei Schaffungdieser symbolischen Gestalt mit am Werke gewesen. Dieser starkeEinschlag im Verein mit einer noch stärkeren dichterischen Einfühlungverleiht dem Ganzen einen gewissen Zauber, der selbst den skeptischenLeser über die öden Strecken bibelfester Dogmatil hinwegrcißt. Werguch nicht wollte— und solch Mißbehagen stellt sich bald ein I— Haupt-mann zwingt ihn doch, bei seinem Helden zu verweilen; denn es gibtkein Kapitel, ja kaum eine Seite des#3 Druckbogen überschreitendenBuches, wo nicht von Quint geredet wird, oder wo der nicht selberredete. Quint wäre nickt, was er zu fein glaubt, ivenn auch nureinmal die Handlung auf andere Personen überspränge. SondernHauptmann hält ihn bei sich fest, dreht und wendet ihn nach allenSeiten, bosselt äußerlich an ihm herum, und erschöpft daran allenpsychopathische:, Spür- und Tieffinn, um Quint nicht bloß einen