Mnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 232. Mittwoch, den 23. Dezember. 1910 (Nachdruck verdaten.) 43� Alas ilt Ruhm? Roman von Max Kretzer . Eines Tages unternahm er vorsichtig eine kleine Fühlung nach dieser Richtung. Die„Erdrosselung" war fertig und stand, nun in Gips gegossen, auf der großen Drehscheibe mitten im Atelier. Es hatte harte Arbeit gegeben, und zum ersten Male war man nach der Säuberung wieder allein. Schmuck und schneeweiß, die Grate und Unebenheiten von Kempens Hand geglättet, leuchtete die Gruppe in ruhigem Licht. Schon in einigen Tagen sollte sie verpackt werden, um nach München zur Ausstellung zu gehen, da Kempen dort mehr Glück erhoffte als hier, wo Totenkammern sich dem kräftigen Leben öffneten. Es war eine Art Festtag, denn Walzmann, Blankert und Schmarr, die alten Getreuen, wurden erwartet, die Kempen seit langem nicht gesehen hatte. Die große Flügeltür stand offen, durch die gewöhnlich das Schienengestell mit den schweren Werken gezogen wurde. Man konnte in den verwilderten Garten blicken, wo alles grünte, denn man schrieb jetzt Juni. Sörgel war bei seinen Mohrrüben- und Salatbeeten beschäftigt, die er besonders pflegte. Es sproß zwar nur kümmerlich, aber manchmal fiel doch etwas für den Mittagstisch ab, worauf er dann nicht wenig stolz war. Diesmal brauchte er nicht nach Hause ab- zuschieben, und so freute er sich schon auf die Zeit, wo er vier- zehn Tage hier allein sein würde, denn Kempen mußte nach München und wollte dann von dort wieder nach Hamburg . Und so dachte dieser gerade daran, wie schön es wäre, wenn er Klara mitnehmen könnte, um ihr die Welt zu zeigen, denn noch niemals war sie weit über Berlin hinausgekommen. In ihrem gestreisten Kleidchen und der hellen Bluse, das iuppige Haar zu einem Knoten gewunden, stand sie liebäugelnd vor der Gruppe, bei jedem Worte Kempens ihr„Fein-fein" bereit.„Wissen Sie schon, daß der Affe lacht?" sagte sie dann. „Gewiß, er grient ganz gehörig." Kempen nickte nur, denn gerade auf diesen Zug bildete er sich etwas ein. Es war die listige Grimasse des behaarten Teufels, der seinen besonderen Genutz erwartet.„Na, fährst Du mit nach Münch?" fragte er dann kühn.„Zu sehen, wie sich alles dort macht?" Sie überlegte nicht lange.„Nein, es wird nicht gehen, Mutter freut sich schon, mich mal ganz bei sich zu haben. Sie hat's ordentlich in den Füßen. Und dann, sehen Sie, wäre ich Ihnen dort nur hinderlich. Sie werden eingeladen und ich bleibe dann links liegen." „Das weißt Du ja noch gar nicht," knurrte er.„Wart's doch nur erst ab, als was ich Dich vorstelle." „Als was denn wohl? Als Ihr hübsches Modell? Mutz man da bis nach München fahren?" „Nein, nein!" entfuhr es erregt seinen Lippen.„Sei nur erst unterwegs mit mir." Zum ersten Male streckte er verlangend die Arme nach ihr aus; sie aber entwand sich ihm geschickt und tänzelte um die Gruppe herum.„Herr Kempen! Soll ich wieder so ein Gesicht zeigen wie dort?" Sie wies auf das lagernde Mädchen. Plötzlich blickte sie aufs neue den Affen an.„Er lacht wirklich, wahrhaftig, er lacht." Und sie brachte seine Erscheinimg mit der Kempens zusammen.„Er lacht wirklich, wahrhaftig, er lacht." Ruhig plapperte sie weiter.„Ich habe es Ihnen noch gar nicht gesagt, denken Sie nur: gestern schickte Professor Heilke zu mir, ob ich frei wäre. Mutter sagte es. Keckheit, nicht? Natürlich antworte ich gar nicht." Aber ein gewisser Stolz sprach aus ihr, den er jedoch falsch auslegte. Sie mußte ihm ganz gehören, er fühlte es wie noch nie, sonst holten sie andre auf Nimmerwiedersehen. Ihre Tändelei reizte ihn und brachte sein schweres Blut in Wallung. War Lorensen stark gewesen, so konnte er noch stärker sein, wenn er wollte! Er ergriff sie kräftig, um sie zu küssen, dabei staimnelten seine Lippen:„Du bleibst bei mir, nie gehst Du fort von niir, hörst Du? Längst mußt Tu es gemerkt haben, wie ich Dich liebe— Dich nur ganz allein. Sage dasselbe, und alles ist gut Kvi scheu uns." Sie sträubte sich heftig.„Aber Herr Kempen, was ist Ihnen denn? Ich rufe Sörgeh" Niemals sollte er sich er- lauben dürfen, was der andere tat, an den sie gerade jetzt fort- während dachte. Es wäre ja zu dumm, wenn er ernste W» ficht hätte, auf die sie nie würde eingehen können. Unter seinem Hauche schon verspürte sie d>e Oede, in der sie sicher ersticken würde, mit diesem lebenden Sauerteig, den sie schätzte und achtete, den sie pries und verehrte, für den sie aber sonst nichts übrig hatte! Gab sie ihm jetzt das Gegenteil zu ver- stehen, so begann der Anfang ohne Ende. Walzmann, der draußen Sörgel erblickt hatte und nun mit ihm sprach, kam ihr zu Hilfe. Kempen ließ sie los, be- ruhigt durch den Gedanken, daß sie sich anders zergen würde, sobald sie erst Kenntnis von ihrem großen Glück hätte. Ge- wiß hatte sie ihn im Verdacht, er könne nun ausbeuten wollen, was Lorensen eingerührt hatte. Walzmann sah noch gerade genug, um lachen zu können. „Vor mir braucht Ihr Euch nicht zu genieren, ich weiß Be- scheid. Genießt, genießt— immer genießt, das Leben ist so kurz! Dja.'n Tag, Kempen ,'n Tag, mein Kind. Was macht die Kunst? Dumme Frage eigentlich! Man knetet Brotteig. Dja. Macht mir Spaß, Dein Junge da draußen! Gräbt das ganze Rittergut um. Hat recht, man möchte manchmal ein Engerling sein, um sich am Humus zu be- rauschen. Kinder, das ist's: Erdgeruch müssen wir haben, Erdgeruch— keinen Kulturgestank. Daran erstickt die Menschheit. Humus befreit." Er schien schon gut gefrühstückt zu haben, was man ihm auch ansah, denn sein Hütlein saß ziemlich weit vom Hinter- köpf entfernt, der auffallend kurz geschoren war. Er ging ausnehmend sauber gekleidet, mit einer gewissen Koketterie verschrobener Leute. Klara, rasch besänftigt, lächelte, als sie ihn in dem hellkarierten Sommeranzug sah, dessen weite Beinkleider in Künstlerfalten über die Stiefel fielen. Gut- mütig verdrehte er die kleinen Augen zu ihr: dann aber wurde er ärgerlich, als Kempen seinen äußeren Menschen nicht gleich nach Verdienst beachtete. „Ja, sichst Du nicht, mein Sohn?" blaffte er ihn an. „Alles Deinetwegen! Was sagst Du dazu, he? Einmal die schwarzen Lumpen gewechselt, mich zum Schmetterling ge- macht. Dir zu Ehren, nur Dir! Selbst mein Barbier kannte mich nicht wieder. Halunke der—, hat mir die ganzen Haare verschnitten. Bin doch kein Kalbskopf, akademisch geprüft." Und er nahm sein Hlltlein ab und ließ sie ruhig lachen, wobei seine fünf Finger als Fühler über den Schädel strichen. „Wo ist die Jury, wo ist die Jury?" rief er dann laut und schob sich bewundernd an die Gruppe heran.„Hättest sie laden sollen zum Frikassieren. Wenigstens doch einen Reporter, der Stimmung für Dich macht. Esel, bist viel zu dumm! Heilke versteht es besser. Hat immer so einen Gesellen bei der Hand. Dja. Plötzlich wurde er kleinlaut und äugelte nur noch, bald entfernt, bald nahe, von vorn, von hinten und von der Seite: dann nahm er den besten Standpunkt ein und bat. die Scheibe langsam zu drehen, weil das Licht so am besten sei. Unbeweg- lich musterte er so, den Kopf auf der linken Schulter, fast wie ein Horcher, der abgelenkt ins Wesenlose blickt. Und doch sah er alles, jede Kleinigkeit, jede Größe. Endlich löste sich sein Bann.„Ich werde fliehen, mein Sohn, denn ich schäme mich, ein blinder Lehrling zu sein vor Dir. Das hast Du getroffen, das hast Du getroffen! Das ganze Affengeschlecht, die typische Bestie, die uns alle erdrosselt. Wenig Hirn und viel Anmaßung. Ueberall, mein Sohn, überall! Und die uns eigentlich zu Füßen liegen sollten, die erheben sich und schreiten über uns hinfort. Mit einem Armcemarsch der Gemeinheit! Hunnenkampf gegen die Ideale. War immer so, mein Sohn, war immer so. Dja.... Meisterhaft, alles meisterhaft! Schenk mir Deine Hände und ich will mir das Auge dazu stehlen." unterbrach er seine Betrachtung. Dann fuhr er fort:„Und siehst Du, weil sie den Geisteskampf nicht mit uns führen können, fletschen sie so die Zähne. Auch eine Sprache, aber die Sprache der niedrigen Schädel. Wird nur verstanden, wo die Idioten sich zum Bankett versammeln. Laß sie ruhig den Geist im Magen suchen, sie bleiben am besten unter sich. Dieser da mit der eingedrückten Nase ist nicht selten. Dummkövfe, die ibn erst von weit herholen! Er läuft genug bei uns herum. Und macht es Dir Spaß, so
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27 (28.12.1910) 252
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