begegnete Nzuma-zi beim WächterhauS am£of. Nzuma-zi versuchte. etwas zu erklären; aber der Bote konnte nicht klug werden aus dem zusammenhangslosen Englisch des Schwarzen und hastete weiter nach dem Maschinenschuppen. Die Maschinen waren alle lärmend bei der Arbeit, nichts schien in Unordnung. Bloß ein sonderbarer Geruch von versengtem Haar machte sich �bemerkbar. Dann sah er eine merkwürdig aussehende klumpige Masse vorn an der großen Maschine hängen, und als er nähertrat, erkannte er die verzerrten Ueberreste Holroyds. Der Mann riß die Augen auf und zögerte eine Sekunde. Dann sah er das Gesicht und schloß die Augen wieder krampfhaft. Er drehte sich um, ehe er sie wieder öffnete, damit er Holroyd nicht noch einmal sehen mußte, und verließ das Maschinenhaus, um Hilfe herbeizuschaffen und sich seine Anweisungen zu holen. Als Azuma-zi Holroyd in den Krallen der großen Dynamo umkommen sah, befiel ihn doch so etwas wie Schreck vor den Folgen seiner Tat. Trotzdem hatte er ein seltsam erhebendes Gefühl; er wußte, die Gnade des Dynamo-Gottes war über ihm. Als er dem Mann, der von deo Station kam, begegnete, war sein Plan schon gemacht, und der Qberingenieur, der gleich darauf auf dem Schau- platz erschien, schloß ohne Zögern auf Selbstmord. Dieser Sach verständige beachtete überhaupt Azuma-zi kaum, außer um ein paar Fragen an ihn zu stellen. Ob er gesehen hätte, wie Holroyd sich umbrachte? Azuma-zi erklärte, er sei am Kohlenbehälter der Maschine gewesen, bis er eine Veränderung im Geräusch, dos sie machte, gehört hätte. Es war kein schwieriges Verhör, weil ein Verdacht überhaupt nicht existierte. Die zermalmten Ueberreste Holroyds, die ein Mechaniker von der Maschine löste, wurden vom Wächter so rasch wie möglich mit einem Tischtuch voll Kaffeeflecken zugedeckt. Irgend jemand hatte die glückliche Eingebung, einen Arzt zu holen. Dem Ingenieur lag hauptsächlich daran, die Maschine wieder in Gang zu bringen; denn schon waren sieben oder acht Züge mitten in den dumpfen Tunnels der elektrischen Bahn steckengeblieben. Azuma-zi, der die Fragen der Leute, die entweder aus Aufforderung hin oder aus Naseweisheit ins Maschinenhaus gekommen waren, teils beantwortete, teils mißverstand, wurde vom Oberingenieur wieder in den Heizraum geschickt. Natürlich sammelte sich draußen, vor den Toren des Hofes, eine Menschenmenge an— immer lungert — Gott weiß, weshalb I— in London eine Menschenmenge ein oder zwei Tage lang um den Schauplatz eines plötzlichen Todes- falls herum! Zwei oder drei Reporter drangen bis in das Maschinenhaus, einer sogar bis zu Azuma-zi; aber der Ober- ingenieur, der selber in Journalistik machte, trieb sie schleunigst wieder hinaus. Bald darauf wurde die Leiche fortgeschafftj und mit ihr verzog sich auch das öffentliche Interesse. Azuma-zi blieb ganz still in seinem Heizraum; er sah immer und immer wieder in den Kohlen eine Gestalt, die sich heftig wand und krümmte und schließlich still ward... Eine Stunde nach dem Mord mutzte das Maschinenhaus für jeden, der hereinkam, genau so aussehen, als wäre überhaupt nie etwas Besonderes geschehen. Als der Schwarze nach einer Weile aus dem Maschinenraum guckte, sah er den Dynamo-Gott neben seinen kleinen Brüdern kreisen und wirbeln; die Triebräder sausten, der Dampf der Pistons pochte— genau so wie früher am Abend. Schließlich— vom mechanischen Gesichtspunkt aus— war es ein sehr unbedeutendes Vorkommnis gewesen— die bloße zeitweilige Abweichung eines Stroms! Bloß daß jetzt die schlanke Gestalt und der schlanke Schatten des Ober- ingenieurs an Stelle der massiven Umrisse Holroyds in dem Licht- Pfad auf dem vibrierenden Boden unter den Riemen zwischen den Maschinen und Motoren auf und ab ging. „Hab' ich nicht meinem Herrn gedient? sagte Azüma-zi un- hörbar auS seinen Schatten heraus; und der Klang der großen Dynamo ertönte voll und klar. Und während er den riesigen, wirbelnden Mechanismus betrachtete, gewann der seltsame Zauber, der seit Holroyds Tod ein bißchen zurückgedrängt gewesen war, wieder seine alte Herrschaft. Nie hatte Azuma-zi einen Mann so rasch und erbarmungslos töten sehen. Die riesige, dröhnende Maschine hatte ihr Opfer erschlagen, ohne auch nur eine Sekunde lang in ihrem gleichmäßigen Pulsieren zu stocken. Wahrlich, es war ein gewaltiger Gott! Der ahnungslose Oberingenieur stand, den Rücken ihm zu- gewandt, und kritzelte etwas auf ein Stück Papier . Sein Schatten lag am Fuß des Ungeheuers. Ob der Herr noch immer hungrig war? Sein Diener war bereit! Azuma-zi tat einen verstohlenen Schritt vorwärts. Dqnn hielt er innc. Der Oberingenicur hörte plötzlich auf zu schreiben, ging durch die Halle bis zur hintersten Maschine und fing an, ihre Bürsten zu untersuchen. Azuma-zi zauderte; dann schlüpfte er geräuschlos in den Schatten neben dem Hebel. Da wartete er. Gleich darauf hörte er die Schritte des Oberingenieurs zurückkommen. Dieser blieb an seinem vorigen Platz stehen, ahnungslos, daß der Heizer zehn Meter weit von ihm kauerte. Dann— plötzlicitz— zischte die große Dynamo auf, und im nächsten Augenblick hatte Azuma-zi aus der Dunkelheit ihn angesprungen. Erst fühlte sich der Oberingenieur um den Leib gepackt und nach der großen Dynamo hingezcrrt; dann— mit dem Knie aus- stoßend und den Kopf seines Gegners mit den Händen nieder- drückend, machte er sich frei und sprang bon der Maschine zurück, Wieder packte ihn der Schwarze, indem er ihm seinen lockigen Kopf gegen die Brust stemmte, und sie schwankten und keuchten — fast jahrhundertelang, schien es chml Endlich kam dem Ober- ingenieur die Eingebung, mit den Zähnen eins der schwarzen Ohren zu packen und wütend zuzubeißen. Ter Schwarze stieß ein fürchter- liches Geheul aus. Sie rollten miteinander m/er den Fußboden, und der Schwarze, der augenscheinlich sich von den blutdürstigen Zähnen befreit oder aucb vielleicht ein Stück seines Ohrs darin zurückgelassen hatte — der Oberingenieur überlegte sich das noch mitten im Kampf—- versuchte ihn zu erwürgen. Der Oberingenieur machte ein paar hilflose Anstrengungen, sich mit den Händen irgendwo fcstzukrallen und mit den Füßen auszuschlagen, als plötzlich der willkommene Klang von Schritten auf dem Boden ertönte. Im nächsten Augen- blick war Azuma-zi aufgesprungen und hatte sich auf die große Maschine gestürzt. Ein Zischen erklang mitten durch das Getöse. Der Beamte der Gesellschaft, der eben eingetreten war, stand still und sah starren Blickes, wie Azuma-zi die nackten Stangen mit den Händen packte, sich in einem einzigen, scheußlichen Krampf zusammenzog und dann, mit schrecklich verzerrtem Gesicht, rcgungs- los von der Maschine herabhing. „Ich bin verdammt froh, daß Sie gerade dazu gekommen find," sagte der Oberinaenieur, der noch auf der Erde hockte. Er sah nach der noch zuckenden Gestalt hinüber.„Ein schöner Tod ist's augenscheinlich nicht. Aber ein rascher." Der Beamte starrte noch immer den Leichnam an. Er war ei» Mensch von langsamem Begriffsvermögen. Es entstand eine Pause. Der Oberingenieur stand ein bißchen mühselig auf. Er fuhr sich gedankenvoll mit den Fingern unter dem Kragen um den Hals und bewegte seinen Kopf wiederholt her und hin.„Armer Holroyd! Jetzt begreif' ich..." Dann ging er fast mechanisch zu dem Hebel im Schatten und leitete den Strom wieder in die Bahn- Verbindung. Während er das tat, löste sich der versengte Leichnam von der Maschine und fiel vornüber aufs Gesicht. Der Herzschlag der Dynamo dröhnte laut und klar, und die Armatur schlug durch die Luft. So endete— vorzeitig— der Kult der Dynamogottheit—- wohl der kurzlebigsten Religion aller Religionen. Immerhin kann sie sich eines Martyriums und eines Menschenopfers rühme»,,, kleines feuilleton. Das gefährliche Alter. Das Buch der Dänin KarinMichaeliS, „Das gefährliche Alter" ist auch in der deutschen Uebersetzung, wie vordem in Kopenhagen , die Sensation einiger(überflüssiger) Tage geworden. Die neue auffällige Locksärbung des Titels hat auch diesem Werke literarischer Erotik Leser und Käufer geworben; der ungeschwächle Bedarf an erotische» Literaturaniteln ist ein Zeichen nicht erotischer Kraft, sondern erotischen Siechtums. Jede un- befangene Aussprache geschlechtlichen Lebens und Empfindens ist an sich geeignet, für das von Grund aus kranke und verwirrte Sexnalivesen unserer Zeit die notwendige Heilung vor« zubereiten. Wir brauchen sicher die Wahrheit über das Wirk- liche unseres Liebeslebens. Aber die unerhörten Offenherzig- leiten der seelisch- leiblichen Entschleierungen sind zumeist doch nur wieder eine andere Form der sexuellen Verlogenheit. Es ist die zynische Fiebers orm der Prüderie, die eine unsaubere und feige Scheu vor dem Natürlichen bleibt, auch wenn sie im tleberhitzte» und Brutalen die nackte Wahrheit zu enlhüllen verspricht. Zu dieser Art verschleiernder Euthulluiigswerke gehören die— übrigens merlwürdig unfinnlichen— Tagebuchaufzeichnungelt der sonst begabten Schriftstellerin. Es ist eine törichte und gedankenlose Schrift. Der Titel betrügt über den Inhalt. Es soll der Sinnen- brand der Frau zwischen 40 und öv als allgemeingültige Erscheinung dargestellt werden. Aber diese Absicht wird in der Mute des Buches zerbrochen, als sich herausstellt, daß das zwei- oder dreiundvierzig« jährig» Beichtkind unsäglicher Brünste, gar nicht die Frau ist, sondern ein in der Jugend schon schiffbrüchiges Weib, das in keiner rechten Ehe gelebt. Ein Problem deS gefährlichen Alters der vierzig- biö fünfzig- jährigen Frau ist in dem Buche gar nicht vorhanden. Denn es ist eine kinderlose Gattin, die aus Eitelkeit und Habsucht eine gleich- gültige Ehe 22 Jahre lang, äußerlich glänzend, nicht unwillig schleppt. Am Ende wird sie von hysterischer Sehnsucht nach nackter Rur- Sinnenhingabe gequält. Als freiwillig geschiedene Frau vergräbt sie sich in die einsamste weiße Villa, in der ein Glasdach die Sierntz ins Schlafzimmer scheinen läßt, phantastel untätig ihre Erotik durch die Tage uild wittert in den Nächten den Mann, den sie braucht. Ihre Augen hängen an den Lenden ihres Gärtners. Sein Manns- geruch klebt im ganzen Haus und er geht auf unglaublichen Beinen über die Wege— aber sie hütet anständig ihre Sinne, bis sie den Ge- liebten rnst, der alsbald mit der Asche seiner Liebe wieder geht. Auch der frühere Garte hört nicht aus die Hilfeschreie, denn er hat schnell ein neues junges Weib gefunden. Eifersüchtige, dumme, boSbaft« Betrachtungen Über Vitriol , das fiiglich a» der Nebenbuhlerin zu verwenden, schließen die Geständnisse. Ist das Ganze etwa doch nur als Satire gemeint? Wir erfahren nicht, ob eine Mutter, die m glücklicher Ehe lebt.
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27 (31.12.1910) 255
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