Anterhallungsblatt des Horwiirts Nr- 1. Dienstag den 3. Januar. 191t l�Zchdruck ytibolen.). i] pelle der Eroberer. Roman von Martin Andersen Nexö . Autorisierte Ucbersetzung von Mathilde Mann . 1. Es war am ersten Mai 1877 in der ersten Morgen- dämmerung. Von der See kam der Nebel dahergefegt mit einer grauen Schleppe, die schwer auf dem Wasser lag. Hin und wieder zuckte es darin: er wollte sich lichten, schloß sich aber wieder und ließ nur so eben ein Stückchen Strand mit zwei alten Booten zurück, die mit dem Bovbu nach oben lagen: der Steven eines dritten Bootes und ein Stück Mole ragten ein paar Schritte seitwärts aus der trüben Luft auf. In be- stimmten Zwischenräumen glitt eine flache Welle graublank aus dem Nebel hervor, leckte über den rasseluden Strand- kies hin und zog sich wieder zurück: es machte den Eindruck, als liege ein großes Tier dadriunen in der Nebelmasse der- borgen und schlecke nach Land. Ein paar hungrige Krähen hatten sich auf einem schwarzen, aufgeblähten Gegenstand da unten niedergelassen vielleicht war es der Kadaver eines Hundes. Jedesmal, wenn das Wellenschlecken vorglitt, flogen sie auf und hielten sich ein Paar Ellen in der Luft schwebend, die Beine senk- recht auf die Beute zu ausgestreckt, als hingen sie unsichtbar daran fest. Wenn dann die See weiter zurückseuszte, ließen sie sich herabfallen und bohrten den Liopf tief in das Aas hinein: die Flügel aber hielten sie nun hoch ausgebreitet, bereit, bei dem nächsten Schlecken aufzufliegen. Das wirkte mit der Regelmäßigkeit eines Zeitmaßes. Ein Ruf zitterte über den Hafen hin, und nach einer kleinen Weile hörte man den schweren Laut von Rudern, die iiber einem Bootsrande arbeiteten. Der Laut entfernte sich seewärts und hörte schließlich ganz auf. Aber dann begann eine eherne Glocke zu arbeiten, das mußte auf der äußersten Mole sein. Und aus der Tiefe heraus, wo die Ruderschläge verschwunden waren, antwortete ein Nebelhorn. Sie fuhren fort, einander zu antworten mit einem Zwischenraum vou ein paar Minuten. Die Stadt war nicht zu sehen, hin und wieder aber wurde die Stille da oben von den eisernen Absähen an den Holz- schuhen eines Stein- oder Kaolinarbeiters auf dem Stein- Pflaster zerspalte». Der scharfe Takt war lange zu hören, bis er plöhlich um irgendeine Ecke verschwand. Dann wurde eine Tür geöffnet und es erklang ein kräftiges Morgen- gähnen, jemand machte sich daran, den Bürgersteig zu fegen. Fenster wurden hier und da aufgerissen und verschiedene Laute zogen hinaus als Gruß in den grauen Tag.Du S�wein, hast Du Dich schon wieder naß gemacht!" schrie eine scharfe Frauenstimme: man hörte kurze, durchdringende Klapse und das Weinen eines Kindes. Ein Schuster fing an, Leder zu klopfen, nach einer Weile fiel er mit dem Gesang eines christlichen Liedes im Takt zu der Arbeit ein: Nur eins hat Wert auf Erden, liebe Brüder: Das Lamm, das aller Welten Sünde trug." Die Melodie war einem von Mendelsohns Liedern ohne Worte entnommen. Auf der Bank unter der Kirchcnmaucr saß die Mann- schaft eines Bootes und starrte weitsichtig nach der See hinaus. Vornübergebeugt saßen sie da, die gefalteten Hände hingen zwischen den Knien herab, sie rauchten aus ihren kurzen Pfeifen. Alle drei hatten Ringe in den Ohren gegen Erkältung und andere Krankheiten, und nahmen genau die- selbe Stellung ein als sei der eine bange, sich auch nur im geringsten von dem anderen zu unterscheiden. Ein Reisender kmn oben vom Hotel herabgeschlendert und ging zu den Fischern hin. Er hatte den Kragen iiber die Ohren heraufgezogen und kroch zusammen in der Morgen- kälte.Ist hier irgend etwas los?" fragte er höflich und nahm die Mütze ab. Seine Stimme klang morgcnheiser. Einer von den Fischern bewegte die Faust ein klein wenig in der Richtung auf die Kopfbedeckung zu. es war der Vor- mann der Bootsbesatzung. Die anderen starrten unerschütter- lich geradeaus mit verschlossenen Mienen. Ich meine nur, weil es läutet und das Lotsenboot da draußen liegt und tutet," wiederholte er.Wird vielleicht ein Schiff erwartet?" Das kann ja sein: das kann einer ja nie wissen!" ank- wartete der Bootssteuerer unzugänglich.» Der Fremde machte ein Gesicht, als sei er Gegenstand' einer groben Unverschämtheit, aber er besann sich. Es war ja nichts weiter als diese gewöhnliche Geheimniskrämerei eingewurzeltes Mißtrauen gegen alles, was nicht ihren cige- nen Dialekt sprach und genau so aussah wie sie selber. Sie saßen da und waren inwendig unruhig, trotz des hölzernen Aeußern, schielten verstohlen zu ihm hinüber und wünschten ihn weit weg. Er bekam Lust, sie ein wenig zu peinigen. Herr Gott, ist es vielleicht ein Geheimnis?" sagte er lachend. Ne, nich' daß ich wüßt," antwortete der Fischer mürrisch. Ja, ich verlange natürlich nichts für umsonst! Das Maulwerk wird ja wohl auch abgenutzt, wenn man es auf und zu macht. Wieviel pflegen Sie zu bekommen? Er griff nach dem Geldbeutel, jetzt war es seine Absicht, zu bc- leidigen. Die anderen Fischer warfen dem Bootssteuerer ver­stohlene Blicke zu:Wenn der Mann bloß nich' aus'n Ruder läuft!" Der Bootssteuerer nahm die Pfeife zwischen den Zähnen heraus und wandte sich an seine Kameraden:Ja, was ich schon vorhin sagt', was das anbetrifft, so könn'n welche Leute 'rumreisen und mit allens schachern, was es auch is'." Er Zwinkerte ihnen mit den Augen zu, der Ausdruck in seinem Gesicht war verschlagen. Die Kameraden nickten: sie ergötzten sich, der Handelsreisende konnte es ihren törichten Mienen ansehen. Er war rasend, hier stand er und wurde wie Luft be- handelt und diente ihnen trotzdem zum Gespött.Zum Teufel auch, Kerls, habt Ihr denn nicht soviel gelernt, daß man Höf- lich auf eine höfliche Frage antwortet?" sagte er empört. Die Fischer sahen ihn an, sie hielten stumme Berat - schlaguug ab. Ne, aber ich will Sie man sagen, mal eins muß er ja dock) koinmen, sollt ich meinen," sagte der Bootssteuerer endlich. Was für ein er, zum Kuckuck auch!" Der Dampfer, sollt ich meinen. Und das pflegt ge- wohnlich so um diese Zeit zu sein. Natürlich das versteht sich," höhnte der Reisende. Aber ist es nun auch ratsam, so laut davon zu reden?" Die Fischer hatten ihm den Rücken zugewendet und standen da und wühlten in ihren Pseifem Hier bei uns sind wir nich' so offenmündig wie gewiste andere' Leute, und daruin verdienen wir unser Brot doch," sagte der Bootssteuerer zu den anderen.- Sie brummten etwas Beifälliges. Der Fremde schlenderte den Hafenhügel hinab, die Fischer sahen ihm erleichtert nach.So'n Bengel!" sagte der eine.Der wollt' sich machen. Aber Du gabst es ihnr gründlich, da kann er lange an schlucken!" Ja, weiß Gott !" entgegnete der Bootssteuerer mit Selbstgefühl. Der feine Dreck, da muß einer sich am meisten vor hüten." In der Mitte des Hafenhiigels stand ein Gastwirt und gähnte draußen vor seiner Tür. Dem wiederholte der Morgenwanderer seine Frage und erhielt sofort Antwort der Mann war Kopenhagener. Ja, sehen Sie, wir warten auf den Dampfer, der heut mit'ner gewaltigen Ladung Sklaven aus Nstadt kommt. Billiges Arbeitsvieh, will ich Ihnen sagen, das von Schwarz- brot lind salzenen Heringen lebt und für drcie arbeiten kann. Sie sollten, weiß Gott , mit'n glühenden Eiszapfen auf'n Nabel gepeitscht werden, das sollten sie und die Bauern» bicster ebenfalls.---'N kleiner Bitterer auf'n mich' ternen Magen gefällig?" .Nein, ich danke, sicher nicht so srich."