Zlnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 2 Miwvoch. den 4. Januar. 1911 lNachdruil vervolen.) 91 pelle der Gröberer. Roman von Martin Andersen Nexö . Autorisierte Uebersetzung von Mathilde Mann . Alle kannten das, jeder Mann war auf irgendeine Weise mit dabei gewesen in dieser überladenen Spannung als Schiffsjunge, Heizer, 5iapltän, Koch und nun wallte ihm etwas davon wieder im Blut auf. Nur die Bauern befanden sich außerhalb des Ganzen, sie schliefen, fuhren mit einen« Ruck in die Höhe und gähnten hörbar. Die Seeleute und die Bauern konnten sich nie so recht vertragen, sie waren ebenso verschieden, wie die Erde und das Meer. Aber heute sah man sich geradezu wütend an den Bauern und ihrer gleichlültigcn Haltung. Der dicke Lotse tvar schon mehrmals mit ihnen in Streit geraten, weil sie ihn« d�n Weg versperrten: und als sich einer von ihnen eine Blöße gab, fiel er sogleich über ihn her. Es war ein älterer Bauer, der erwachte, weil er mit dem Kopf vornüber fiel; er sah ungeduldig nach der Uhr und sagte: Na, das zieht sich ja heute reichlich in die Länge, der Kapten kann woll nich' in die Stalltür rein finden." Er ist wohl unterwegs in einem Krug hacken geblieben," sagte der Lotse, vor Wut funkelnd. Ja, das mag ja seinl" sagte der Bauer, ohne sich die Straßen des Meeres weiter klar zu machen. Die Zuhörer stimmten ein Hohugelächter an und ließen das Mißverstand- ms weiter über den Hafenplatz gehen. Man scharte sich um den Unglücksraben.Wie viele Krugwirtschaften gibt es von hier bis nach Schweden hinüber?" rief man. Ja, da draußen kann man ja leicht zu dem Nassen kommen, das ist das Unglück!" fuhr der Lotse fort.Sonst könnt' jeder Grützesser ein Schiff führen. Man braucht ja man bloß gut nach rechts zu halten, um Hansens Hof herum, dann liegt die Landstraße gerade vor einem. Und'ne ver- teufelte Landstraß' I Telcgraphendrähtc und Gräben und'ne Reihe Pappeln an jeder Seit' eben gründlich ausgebessert von der Genleindeverwaltung. Die Grütze aus dem Bart, der Alten einen Schmatz und rauf auf die Kommandobrück'. Js' die Maschine geschmiert, Hans? Na ja, denn man los in Gottes Namen lang' mir mal die Staatspcitfch' her!" Er ahmte die Sprache der Bauern nach.Hüt' Dick auch vor den Schenkmadams, Vater!" fügte er mit pfeifender Frauenstimme hinzu. Ein gewaltiges Lachen folgte, es klang unheimlich infolge der gedrückten Unterstimmuug. Der Bauer saß ganz ruhig da und nahm den ganzen Schauer hin: er drtckte nur den Kopf ein klein wenig. Als das Lachen im Begriff war. sich zu legen, zeigte er mit der Peitsche auf den Lotsen und sagte zu den Umherstehenden: Na, is das aber ein mordsmäßiger Kopf, der da auf so'n Kind sitzt! Wen sein Vater bist Du. mein Jung'?" wandte er sich an den Lotsen. Es lachten mehrere, und der dickhalsige Lotse bekam einen ganz roten Kopf vor Wut. Er griff in den Wagenkorb und rüttelte ihn, so daß der Bauer Mühe hatte, sitzen zu bleiben. Du jammervoller Klütenpeorer, Du Schtveinezüchter, Du Mistfahrer!" brüllte er rasend.Kommst Du hier her und willst erwachsene Lcute dutzen und sie Jung' nennen! Und noch dazu über Schiffahrt räsonnieren, so'n Lausepelz, der dick voll Schulden sitzt! Ne, wenn Dich je die Lust an- komm'n sollt'. Deine fettige Nachtmütz vor anderen als vor dem Küster zu Haus' abzunehnien, dann nimm sie vor dem Schiffsführer ab. der, bei so einem Nebel wie dies in'.Hafen finden kann! Grüß man vielmals und sag', das hält' ich gesagt." Er ließ den Wagen so jäh los, daß er nach der anderen Seite binüberschlng. Ich muß sie woll man lieber vor D i r abnehmen, denn es scheint ja so, als wenn der midere uns heut' nich' finden kann." sagte der Bauer grinsend und strich die Pelzmütze vom Kopf, so daß ein großer, kahler Kopf sichtbar wurde. Deck man schnell den Kinderpopo zu oder, weiß Gott . ich versohl' ihn Dir!" rief der Lotse, blind vor Wut, und wollte auf den Wagen hinauftriechen. Im selben Moment ertönte wie aus einem Telephon ein fernes, schwaches Quieken aus der Tiefe heraus:Wir hören eine Dampfpfeife!" Der Lotse sprang über die Mole hinüber und versetzte im Vorbeispringen den Pferden des Bauern einen Schlag, so daß sie sich bäumten: Männer stellten sich klar bei den Fest- machpollern und kamen in wilder Fahrt mit der Landung?- brücke herbeigeschurrt: die Wagen, in denen hinten Stroh lag, als wenn sie Vieh holen wollten, fingen an zu fahren, ob- wohl sie nirgends hinfahren konnten, sie mahlten rund herum auf einem Fleck. Alles war in Bewegung. Vermieter mit roten Nasen und schlauen Augen kamen von obenhcr auS der Schifferkneipe gestürzt, wo sie sich warm gehalten hatten. Und als habe eine mächtige Klane Plötzlich in die Be- wegung eingegriffen, stand auf einmal alles wieder still, m angespanntem Lauschen ein in der Ferne verschwindendes Brüllen einer Dampfpfcife klagte neugeboren irgendwo Weit weg. Man schlich in Haufen zusarmnen, stand in versteincr- tem Lauscheu und sandte den unruhigen Fuhrwerken böse Blicke zu: war es Wirklichkeit, oder war es nur die Aus- geburt von den heftigen Wünschen so vieler? vielleicht Vorbedeutung für jedermann, daß das Schiff jetzt unterging? Das Meer schickt immer Botschaft von seinen bösen Taten: die Hinterbliebenen hören eine Luke knarren, wenn der Ver- sorger davongeht, oder es wird dreimal an die Fenster gc- klopft, die nach der See hinausliegen. es gibt so viele Art und Weisen. Aber dann erklang es wieder, und diesmal lief der Laut in feinen Tonrillen über das Wasser, dasselbe zitternde Halb- pfeifen, wie wenn es lebte. Und das Nebelhorn draußen in der Einfahrt antwortete ihm, und dünnen auf dem Molen- köpf die eherne Glocke: dann wieder das Tuthorn und die Dampfpfeife in der Ferne. Und so fuhr es fort, ein Leit- faden aus Lauten wurde zwischen dem Ufer und dem un- bestimmten Grau dadraußen gesponnen, hin und her. Man konnte hier auf dem festen Laude deutlich spüren, wie man sich da draußen, dem Laute folgend, vorwärtstastcte das heisere Brüllen nahm langsam zu an Stärke, wich ein wenig nach Süden oder Norden, nahm aber beständig zu. Und andere Laute brachen sich Bahn, schweres Scheuern von Eisen auf Eisen, der Lärm der Schraube, wenn sie zurückschlug oder wieder auf Vorwärtsgang ansprang. Das Lottenboot glitt langsam aus dem Nebel hervor. Es hielt sich mitten in der Einfahrt, bewegte sich besonnen dem Ufer zu und tutete unaufhörlich. Mittels des Lautes schleppte es eine unsichtbare Welt nach sich, wo Hunderte von Stimmen tief hinein murmelten in Rufe und Klänlge und schallende Fußtritte hinein eine Welt, die blindlings hier ganz in der Frühe ini Räume floß. Dann bildete sich ein Schatten im Nebel, wo ihn niemand erwartet hatte, und der kleine Dampfer brach hervor ein Koloß im ersten Augenblick der Ueberraschung und legte sich mittel» in die Einfahrt. Jetzt barst der letzte Rest der Spannung über das Ganze, jeder Mensch nnißte irgend etwas unternehmen, um sich aus­zulösen. Sie packten die Pferde der Bauern bei den Köpfen und drängten sie zurück, klatschten in die Hände, versuchten einen Witz oder lachten nur lärmend und stampften auf daS Pflaster.Gute Reise?" fragten ein Dutzend Stimmen auf einmal. All rightk" antwortete der Kapitän munter. Und nun ist auch er ausgelöst, die Kominandorufe entrollen ihm. die Schraube läuft kochend rückwärts. Trossen fliegen durch die Luft, die Dampfwinde bewegt sich mit singendem Metall- klang. Und mit der breiten Seite arbeitet sich das Schiff an das Bolllverk heran. Auf dem Vordeck zwischen Back und Brücke, drinnen unter dem Bootsdeck und Achtern überall wimmelt es. Es ist ein wunderlich ilnsiirniges Gewimmel wie von Schafen, die einander auf den Rücken klettern und die Mäuler auf- sperren.Ne, was für'ne Ladung Vieh!" ruft der dicke Lotse dem Kapitän zu»md stampft entzückt mit seinen Holz- schuhstiefel auf die Mole. Da sind Schafpelzmützen, alte Sol- datenmützen, fuchsrote abgescheuerte Hüte und die kleidsamen schwarzen Kopftücher der Frauen. Die Gesichter find so ver-