Die Meäergeburt des Monumentalen. sDie Schwarziveiß-Ausstellung der Berliner Sezession�  Nichts ist langweiliger als eine Ausstellung, die nur Zufälliges zeigt, nur das. was eben just für dieien Markttag fetiggestellt wurde. Was sind uns Eintagsfliegen, kurzlebige Schwärme, die uns be- lästigen, uns den Rhythmus der Betrachtung zerstören. Für einige Zeit mag es schliepch hingehen, nackte Tatsachen einsammeln zu müssen; aber schließlich, wenn das Matz erfüllt, drängt der Stoff zur Form, wallen die Ereigniffe sich zur Entwickelung ordnen. Nicht, datz mystische Dünste die Wahrheit verhüllen oder versüßen sollten; wir begehren keine Unideuiung der Wirklichkeit, aber: wir suchen das Gemeinsame in der Flucht der Erscheinungen. Wir wollen das Gesetz erkennen, die innere Logik, den strebenden Zwang im Wechsel des Täglichen. Uns gelüstet, die Architektur des Werdens zu erleben und die sinfonische Einfachheit aus dem Auf und Nieder des Modischen zu erhorchen. Und eben darum, weil uns die Ausstellungen der Sezession beinahe immer auf solches Fragen nach der Tendenz des bauenden Geistes irgend welche Antwort geben, weil sie uns Zu» sammenhänge, Keimen, Wachstum und Reifen sehen lassen, darum sind sie uns so unendlich wertvoller, als die Jahrmärkte von gestern. heute und morgen. In solchem Sinne verdient die gegenwärtig zu sehende Schworzweitz-Ausstelluiig nicht nur das lebhafteste Interesse. auch die Leidenschaft aller, die den Kurvenzug der modernen Kunst von der Revolution des Naturalismus zum Gottesdienst am Menschen ausspüren möchten. Wer als Empfindsamer diese Säle durchschreitet. gewinnt das schöne Gesühl, eine Spanne des ewigen Laufes rund und voll umfangen zu haben. Die EntwickelungSgeschichte der modernen deutschen Kunst würde in der Luft schweben, wollte man nicht klar und deutlich Frankreich  . als Unterbau und Krastzentnim hinstellen. Darum war es töricht, datz etliche Teutonen über die vielen Franzosen aus dieser Aus- strllung zeterten. Im Gegenteil, die Vorführung der Reihe von JngreS, über Delacroix   zu Degas   war die einzige Möglichkeit zum Verständnis der Folge von Rethel über Liebermann   zu Hodler.   Von JngreS treffen wir eine Lithographie aus dem Jahre l82ö. eine Ovaliske. Die kühle Wärme und daS akademische Temperament diese« Aktes ist wie eine Forderung, gezogen auf Delacroix  . Der gepflegten Form mutzte sich das dramatische Wollen und die ge- staaiclte Phantasie ge'ellen. Delacroix   läßt das Blut des Rubens   wieder aufrauschen. Er zeigt ein wildeS Pferd, das diagonal gegen den oberen Rand des Blattes steigt; Schwarz und Hell ballen sich in Massen. Alles ist Bewegung, selbst der Still- stand. Bei JngreS ist alles Stillstand, selbst die Bewegung. Wie energisch Delacroix   Licht und Schallen zu meistern weiß, wie er die beiden Gegner zusammenhetzt und auSeinanderreitzt, dafür zeugen die Lilographien zu Goethes Faust  . Sie entsprachen gar nicht der Art, wie wir uns, von Jugend an gewöhnt. Faust. Gretchen und Mephisto vorstellen; dazu sind sie viel zu operettenhast, auch zu bewußt diabolisch. sMan denkt: Faust von Offenbach.  s Aber wie Mephisto durch den Raum fliegt und unten die Silhouette der Stadt aufzuckt; wie FaustenS Zimmer durch das Quirlen des LichteS feine Räumlichkeit empfängt das ist«in Triumph des dramatisierten Lichtes und der beweglichen Massen. Neben Delacroix  will G s r i c a u l t genannt sein. Wir empfinden diesen Fran- zosen als eine Objektivierung der Leidenschast. Wenn er unS einen Löwen   zeigt, der mit gewaltigem Tayenschlag ein Pferd niederschlägt, so denken wir«inen Augenblick an Freiligrath, um sofort zu fühlen. wieviel knapper und energischer des Franzosen Form daS Leben fängt. Doch beide, Delacroix   wie Göricault, sie mahnen uns an einen früheren, an einen Nachfolger der Ribera   und Zurbaran  : an Goya  . Der tolle Spanier kocht aus allen Lastern und Tobsüchten seiner sündhaften und fanatischen Zeit eine Feuersuppe. Mit ge- hetzten Strichen nagelt er Idioten, gefangene Afrikaner, lebende Skelette, verzweifelnde Selbstmörder auf papierne Fetzen. Ihn reizt es. die Guillotine zu zeichnen, das Fallbeil und den Kopf des ManneS in der Lunette. ES ist, als peitsche ihn die Welt, als nähme er an ihr mit Peitschenhieben Rache. DaS Tobsüchtige be- zwingt er als ein Tobsüchtiger; aber er zwingt eS. Er bannt die Raserei zum Ornament aus Schwarz und Weiß. Das Gleiche tat später D a u m i e r; auf seinem vielberühmten Blatt der Richter wandelt er die Blödigkeit, das Schlafmützige und die Selbst- gewitzheit der Auguren, wandelt er die Roben, die Bäffchen und die Barelte in ein Gesteck, in ein Verlöschen und Aufleuchten. Eine lyrische Melodie spielt, säuselt und zwitschert Guys. Ein Dichter von der Seligkeit der Beine bei Damen und Pferden. Alle Frechheiten des zweiten Kaiserreiches und der Krinoline demonstriert er mit müder Geste an hohen, gespreizten Wagenrädern, an wippenden Kaleschen und melodisch räuschelnden Pantalons. Merkwürdig genug, datz all diese flirrenden Episoden vom Rennplatz und Manöverfeld das einheitliche Matz der dekora- tiven Grazie nie verleugnen. Nie bleibt die Darstellung in der Karikatur stecken. In Degas   reiste dann eine Ersüllung dessen, was in Guys erwachte. Die Ballettmädchen, die Degas   mit sinn- lichen Kräften inS Abstrakte wandelt, werden zum architektonischen Mittel, den Raum zu bauen. Wenngleich er das Weib als Fleisch fibt, so entäußert er es doch alles Zufälligen, bereichert es zum ypuS und löst mit so gereinigter Form ein kompliziertes Thema Raummusik. Solche Klassik ist in Maurice Denis. sAuch einen Nach» kömmling des Puvis könnte man ihn nennen.) Weiche Mädchen- körper zeigt er in wellenden Linie»; aus einem lichten Schatten tasten sie sich zur schwindenden Wirklichkeit, aus einem Nichts er- blühen sie zum Schein. Wie der Staub auf Falterflügeln liegt die Farbe über ihnen, wie ein bunt verflimmenider Nebel. Der Naturalismus wurde überwunden. Denis dient nicht dem Menschen, er nimmt den Menschen sich zum Dienst. Der Mensch wird zum Material, auf dem und aus dem gespielt wird. WaS an Denis stört, find die mystischen Untertöne, ist die Koketterie eines modernisierten Katholizismus. Was an ihm wert- voll, das ist die klare Tendenz von der Wirklichkeit durch die Empfindung zur gesteigerten Leidenschaft, zur Sinfonie des Monu» mentalen. Jene Tendenz, die Delacroix   wie einen Sturm über Ingres   kommen ließ. In Deutschland   beginnt die Reihe mit Alfred Rethel  . In diesen Sludienköpfen sehen wir wieder die kühle Sachlichkeit der Akademie, wir spüren aber auch das Erwachen eines zur großen Form strebenden Verlangens. Es ist bereits Raum in diesen Köpfen; sie sind nicht vollgestopft mit Details. Die Stirn, die Augen, der Zug von der Nase zum Mund, alles soll sich frei be- wegen können. Solche Räumlichkeit ist es, die dann in dem Werke L i e b e r m a n n s sich machtvoll entfaltet. Auf dem Karton zu der Judengasse in Amsterdam sehen wir diese Leere. Sie wurde zu einem Faktor der Rechnung, zu einem ausschlaggebenden. S hebt der Impressionismus an, über sich selbst hinauszuwachsen. So steigert sich der schnell vergehende Augenblick zum verklärten Ausdruck. Es ist überaus töricht, zu glauben, datz der Jmpresfio» nismus jemals sich darauf verbissen hätte, die Wirklichkeit wahllos zu kopieren.Mit einem einzigen PfcrMiein steht oder fällt mein Bild", sagt Liebermann  ; so zwingt er also das Vorhandene nach dem Matzslab einer inneren Vorstellung. Dadurch eben wächst das Kunstwerk über die Natur. Solche Bereicherung läßt sich für alle aus dem Kreise der Impressionisten eindeutig feststellen. Nur auf einen der Jüngeren sei heule verwiesen, auf Brockhusen. Wie reinigt er die Natur von dem für die Bildabsicht überflüssigen Bei- werk, wie reduziert er sie auf ein Skelett, einen Extrakt des Muskulösen und der Gelenke. An solchem ebenso verneinenden wie schöpferischen Prozeß entscheidet sich das Werturteil über das Künstlerische im Kunstwerk. Das will besonders beachtet sein bei ollen Blättern, die mehr oder weniger illustrativen Absichten dienen möchten. Es ist gewiß ein schönes Zeugnis für seine Menschlichkeit, wenn der Künstler sich an die Armen der Straße, an die Opfer der Kultur verlor. In- dessen auch daS soziale Motiv wird erst durch die Form zum Kunst- werk erhoben. So ergibt sich in dieser Ausstellung eine Stufenfolge der Qualität: B a l u s ch e k. der brave Registrotor; Z i l l e, der Urberliner und Physiognomikcr der Rhachitis; Käthe K o l l w i y, die Priesterin des Elends, die Prophetin des Voltssturmes. Baluschek gibt den Stoff; Zille verwandelt das Alltägliche in eine karikaw- ristiiche Schablone. Die Kollwitz   enthüllt aus der leidenden Materie die sehnsüchtige Seele; sie begnügt sich nicht mit einem Schema, sie erlebt immer wieder neu das heilige Urbtld, die Gottheit in den Zertretenen. Solcher Dienst am Menschen findet durch daS, WaS Barlach und Hodler zeigen, feinen höchsten Ausdruck. B a r l a ch befreit die plastischen Gewalten, die in den fleischigen Körpern der Bauern ge- speichert find. Mit einer weichen, schmiegsamen, in den Schmerz sich einfühlenden Linie schreibt er die Hieroglyphe eines zur Erde ge« beugten Geschlechtes; mit kaum spürbarem Griff, mit wohltättger Hand löst er die Bande und läßt den Kerker der VerkommniS sich zum Tempel des Menschlichen und Kosmischen wölben. Er zeigt die Greise, gedunsen, als bildlose Masse, taumelnd, in die Nacht hinausschreiend, gleich hungrigen Wölfen. Er zeigt aber auch den Menschen, der sich emporreckt, die Last der Erde abschüttelt und nach den Sternen sein Verlangen schickt. Barlach   will den Menschen über sein Dasein hinaus zum Sonnenwandrer heben; Hodler läßt durch den Menschen die ewige Sinfonie der Gestirne, da« Hohelied der Kraft und der Keuschheit, des MuteS und der Einsicht über die Erde schallen. Hodler thematisiert den menschlichen Körper, er nutzt ihn als tönende» Material, um ihn daS Pathos von Fanfaren und die Gewalt von Drommeten ge- Winnen zu lassen. Von Michelangelo   heißt eS, datz der Mensch daS seiner allein würdige Thema war. Das gleiche gilt für Hodler  . Der Mensch ist ihm alleS; aus Menschenleibern baut er eine neue. unsterbliche Welt. Er stellt Menschen in Reihen, er läßt sie sich im Takt des MorgcnaufgangeS und der erschauernden Andacht, des auf- springenden Sturmes und deS siegenden Sterbens, er lätzt sie sich nach dem allumfassenden, ewig verständlichen Rhythmus de» Universums bewegen. So werden diese Menschen Gefäße und Denk- male, Sprache und Musik. Ein Mädchen schreitet über die Wiese und alle Seligkeiten deS Keimen« und Werdens quellen in den Raum. Ein Alter tastet sich vorüber und die schwarzen Schatten de« Unabänderlichen verhängen das Licht. Ein Holzfäller schnellt empor in gewaltigem Ausholen, die Axt drohend,' die Muskeln zur Tat gespannt und das Hohelied der Arbeit und der Kraft, der Jugend und der Herrschaft des Menschen stürmt und jauchzt bis zum Horizont des Unendlichen. Robert Breuer.