Nnterhalittngsblatt des'Vorwärts Nr. 4. Freitag> den 6. Januar. 1911 lNachvruck verbsttn.) *1 pcllc der Eroberer. Roman von Martin Andersen Nexö . Autorisierte Uebersetzung von Mathilde Mann . Dies war eine ganz neue Welt, und Pelle war im Be griff, sie zu erobern. Auch keine Faser wollte er übrig lassen. Hätte er jetzt nur die Kameraden aus Tommelilla hier ge- habt, so würde er es ihnen«alles erklärt und sie mit allem vertraut gemacht haben. Herrje, was die glotzen würden! Aber wenn er wieder nach Schweden zurückkam, wollte er davon erzählen: dann würden sie wohl Lügephals zu ihm sagen, das hoffte er wenigstens. Pelle saß da und ritt auf einem ungeheuren Mast, der auf einigen Eichenböcken auf den: Zimmerplatz ausgestreckt lag. Er kleminte die Füße unter dem Mast zusammen, wie er gehört hatte, daß es die Ritter in alten Zeiten bei ihrem Pferd getan hatten, und phantasierte, daß er in einen Ring hineingriff und sich selbst in die Höhe hob, das Pferd und das Ganze. Er saß zu Pferd mitten in seiner neuentdeckten Welt nnd strotzte von Erobererstolz, schlug mit der flachen Hand auf das Kreuz des Pferdes und hieb ihm die Absätze in die Seite, während er aus vollem Halse ein Lied sang. Den Sack hatte er loslassen müssen, um hier hinaufzukommen: Mit gelad'ner Pistole und gespanntem Gewehr Tanzten in Smaaland die Teufelein klein, Der alte Teufel der spielte die Fiedel, Eia, wie tanzen die Kleinen so fein! Mitten in seiner lärmenden Freude warf er einen Blick in die Luft hinauf, fing plötzlich laut zu brüllen an und ließ sich gerade in die Hauspäne hineinfallen. Aber auf dem Schuppen, neben den« ihn der Vater angebracht hatte, stand ein schwarzer Mann mit zwei schwarzen, kläffenden Höllen Hunden: der Mann steckte den Oberkörper ganz aus dem Dachrücken heraus und drohte ihm. Es war eine alte Gallion figur, aber Pelle glaubte, es sei der alte Satan selber, der komme, um ihn für das unverschämte Lied zu strafen, und in Heller Angst rannte er die Straße hinan. Als er eine Strecke gerannt war, fiel ihm der Sack ein und er blieb stehen. Er machte sich nichts aus dem Sack— und Prügel bekam er auch nicht, wenn er ihn im Stich ließ, denn Vater Lasse schlug nie: der böse Teufel würde ihn auch auffressen, wenn er sich wieder da hinunter wagte— zum allermindesten: er sah ganz deutlich, wie es rot aus den Nasenlöchern leuch- tete, bei ihm und auch bei den Hunden. Aber Pelle besann sich trotzdem. Ter Vater war so be- sorgt um den Sack, er würde ganz sicher betrübt sein, wenn er ihn verliere— vielleicht würde er gar weinen« wie damals, als er Mutter Bengta verlor. Zum ersten Male stand der Knabe wohl einer der ernsten eisernen Proben des Lebens gegenüber, war— wie das so vielen Menschen vor ihm ergangen ist— zwischen die Wahl gestellt, sich selbst zu opfern oder das Eigentum anderer zu opfern. Liebe zum Vater, Knabenstolz, die Pflichttteue, in der die Weizengabe der bürgerlichen Gesellschaft an den Armen besteht— eins kam zum anderen und entschied die Wahl. Er bestand die Probe— freilich nicht tapfer: er heulte fortwährend laut,«vahrend er. die Augen starr auf den Bösen und seine Höllenhunde gerichtet, nach dem Sack zurückschlich und ihn in schnellem Lauf hinter sich her die Straße hinaufschleppte. Niemand ist wohl ein Held, ehe die Gefahr überstanden ist. Aber auch da bekam Pelle keine Gelegenheit, über seinen eigenen Mut zu schaudern: denn als er erst aus dem Bereich des schwarzen Mannes heraus war und der Schrecken ihn nun hätte loslassen sollen, da nahm er nur eine neue Form an: Wo blieb nur einmal der Vater? Er hatte ja gesagt, daß er gleich wiederkommen würde! Wenn er nun gar nicht wieder- kam? Vielleicht war er weggegangen, um seinen kleinen Jungen loszuwerden, der ihm nur eine Last war und es schwierig für ihn machte, einen Dienst zu finden. Pelle war sich verzweifelnd klar darüber, daß es so kom- men mußte, während er brüllend mit dem Sack abzog. So war es ja auch anderen Kindern seiner geistigen Bekanntschaft gegangen. Aber sie kamen an das Pfannkuchenhaus und es ging ihnen gut, und Pelle selbst wollte schon-- vielleicht suchte er den König in eigener Person auf und wurde ins Haus aufgenoinmen und bekam die jungen Prinzen zu Spiel- geführten und sein eigenes kleines Schloß, worin er wohnen sollte. Aber Vater Laste sollte auch kein Körnchen abhaben, denn jetzt war Pelle böse und rachsüchtig, obwohl er noch immer ebenso aus vollem Halse brüllte. Drei Tage sollte er draußen vor der Tür stehen und anklopfen und betteln, und erst wenn er ganz jämmerlich weinte— nein, er wollte ihm doch nur lieber gleich erlauben hineinzukommen, denn Vater Lasscs Weinen war das qualvollste in der ganzen Welt. Aber er sollte auch nicht einen einzigen von dm Nägeln haben, mit denen Pelle seine Taschen unten auf dem Zimmerplatz ge- füllt hatte: und wmn die Frau des Königs ihnen den Kaffee ans Bett b.rachte—•— Pelle hielt inne mit seinem verztveifel- ten Weinen wie auch mit seinen glücklichen Phantasien— aus einer Wirtschaft ganz oben an der Straße kam Vater Lasse selbst leibhaftig heraus. Er sah seelenvergnügt aus und hielt eine Flasche in der Hand. „Dänischer Branntwein, Junge!" rief er und winkte mit der Flasche.„Die Mütze ab vor dem dänischen Branntwein! — Aber warum hast Du geweint?— so. Du warst bange. Und wovor warst Du bange? Heißt nicht Dein Vater Laste— Laste Karlsson aus Kungstorpet? Und mit ihm ist nicht gut Kirschenessen, er schlägt hart zu, wenn er gereizt wird! Wer will woll kleine gute Jungs bange machen! D«e soll'» ihre Eingeweide in Acht nehmen! Und wenn auch die ganze Welt voll brennender Teufel wär'. Lasse is' hier. Du, und Du brauchst nich' bang' zu sein!" Während er so aufgebracht schalt, trocknete er zärtlich des Jungen vom Weinen schmutzige Wangen und Nase mit seinem rauhen Handballen ab und nahm den Sack wieder auf den Nacken. Es lag etivas rührend Gebrechliches über seiner gebeugten Gestalt, während er prahlend und tröstend, den Jungen an der Hand, wieder nach d< m Hafen hinuntertrabte. Er stolperte in dm großen Schmierstieseln, deren Strippen an der Seite heraussahen und eine erstaunliche Aehnlichkeit mit Pelles Ohren hatten. Aus den gaffenden Taschen des alten Winterüberziehers guckte an der einen Seite das rote Taschentuch, an der anderen die Flasche heraus. Er war jetzt ein ivenig lahm in den Knien geworden und der Sack drohte jeden Augenblick, ihn unterzukriegen— er stieß ihn vorne über und zwang ihn, den Hügel hinunterzulaufen. Abfällig sah er aus, vielleicht trugen die großen Worte das ihre dazu bei. Aber die Augen leuchteten zuversichtlich und er lächelte zu dem Knaben nieder, der an seiner Hand lief. Sie näherten sich dem Schuppen, und Pelle wurde ganz kalt vor Schrecken — der Mann stand noch da. Er floh an die andere Seite des Vaters und wollte ihn in einem großen Bogen über den Hafenplatz ziehen.„Da is' er wieder!" sagte er jammernd. „Also der war es, der hinter Dir her war?" sagte Lasse und lachte laut—„und er is' noch dazu aus Holz. Na, Du bist mir aber der tapferste Junge, der mir je vorgekommen is l Wenns hoch kommt, könn'n wir Dich am Ende gegen einen toten Hahn schicken, wenn Du einen Stock in die Hand kriegst." Lasse fuhr fort zu lachen und schüttelt� vergnügt den Jungen. Aber Pelle wäre gern in die Erde versunken vor Scham. Unten an der Zollbude trafen sie einen Verwalter, der zu spät zum Dampfer gekommen war und keine Leute mehr bekommen hatte. Er hielt sein Gefährt an und fragte Lasse, ob er einen Dienst suche. „Ja, wir suchen alle beide," antwortete Laste übermütig. Wir woll'n auf demselben Hof dienen— wie der Fuchs zur Gans sagte." Der Verwalter war ein großer und kräftiger Mann und Pelle schauderte vor Bewunderung über den Vater, der ihn so kühn anzureden«vagte. Aber der große Mann lachte gutmütig.„Dann soll der da Wohl Großknecht sein?" sagte er und schwippte Pelle mit der Peitsche. „Ja, das wird er sicher mal," antwortete Lasse mit starker Ucberzeugung. „Na, erst wird er Wohl ein paar Scheffel Salz verzehren müssen. Aber ich habe Verwendung sür einen Kuhhirten
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28 (6.1.1911) 4
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