Sfn sie reiht sich, dem Pliozän entstammend, der Palaeopithecus eivalöBsi», der»direkt zum PitdscantliropuL hinüber führt". (Schluß folgt.) HcKunäliteratur. Im ReichStagsgebäude ist in diesen Tagen eine interessante und instruktive Ausstellung zu besichtigen. Von einer Anzahl Korporationen, besonders von der Deutschen Dichter-Gedächwis- Stiftung und der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge, ist zur Illustration der Schundliteratur und zur Aufklärung über ihre gefährlichen Wirkungen ein reiches Material zusammengetragen worden, das in dieser Konzentration auf den Beschauer einen starken Eindruck ausübt. Den größten Raum nehmen die zahllosen Hefte der Nie Carter- Literatur ein, jener abenteuerlichen Kriminalgeschichten, die sich um Nie Carter, den„größten amerikanischen Detektiv", gruppieren. Das an sich unhandliche Quartformat dieser dünnen Bücher wird dadurch für den Leser handlicher, daß er das Heft der Länge nach faltet; dann paßt es famos in die Rocktasche. Für den Verleger hat aber das große Format den Vorzug, daß er auf das Titelblatt ein auf- fallendes, grellbuntes und nicht zu kleines Bild setzen kann, das irgend einen Höhepunkt der.spannenden" Handlung wiedergibt. Schon bei einer flüchtigen Musterung dieser Bilder mit ihren Unterschriften muß man die unerhörte Phantasie bewundern, mit der die Verfasser dieser Geschichten immer neue, immer aufregendere, immer spannendere Stoffe, Verwickelungen, Heldentaten, Abenteuer für ihren Helden ersinnen. Man kann es aber auch begreifen, daß jugendlich-phantastische Gemüter, die nie gelernt haben, gute und böse Lektüre von einander zu unterscheiden, mit leidenschaftlicher Gier diese aufregenden Geschichten verschlingen. Im Grunde ist Nie Carter nur eine neue zeitgemäße Nummer de? alten Fadens der Hintertreppen- und Kolportageromane. Die alten Jndianergeschichten haben an Reiz eingebüßt, seitdem das neue Amerika der Millionäre und der Verbrecherwinkel viel fruchtbarere Gebiete für perverse Phantastereien abgibt. Auch der alte Räuber- romau mit seinen endlosen Fortsetzungen hat sowohl in der ab- geschloffenen Kürze der modernen Detektivgeschichte» wie in ihrem moderneren Stoff einen erfolgreichen Konkurrenten erhalten. Aber die Materialien der Ausstellung zeigen, daß auch die alten Formen der Schundliteratur keineswegs ausgestorben sind, sondern von raffinierten Geschäftsleuten nach wie vor dazu benutzt werden, dem ungebildeten und kritiklosen Leser das Geld aus der Tasche zu holen und ihm dafür den Kopf mit wüsten Phantasien zu füllen. Ein Verleger hat 25 Millionen Kolportagehefte abgesetzt! an einem Schundroman hat ein Verleger einen reinen Nettoverdienst von 40 000 Mark gehabt. Der Erfolg der Schundliteratur ist psychologisch einfach zu er- klären. Er ist letzten Endes auf die gleichen llrsachen zurückzuführen, auf denen auch der Erfolg guter Literatur beruht: es ist das allgemeine menschliche Interesse an ungewöhnlichen Ereignissen und an Helden- taten. Der Stoff selbst stempelt die Schundliteratur nicht zu dem gemeingefährlichen Gift, das sie für den Bolkskörper bedeutet. Denn auch in der besten Literatur aller Zeiten kommen gräßliche Ereigniffe, fürchterliche Greuel, unsagbar häßliche Taten, Verbrecher von riefigen Dinrennonen und fabelhaste Helden vor. Man denke an Sophokles , Shakespeare und Schiller , um nur drei Namen aus verschiedenen Zeiten, Ländern und Kulturkreisen zu nennen. Und daß die größten Dichter aller Zeiten mit Vorliebe furchtbare, grausige Stoffe für die poetische Gestaltung gewählt haben, zeigt, daß diese Stoffe so- wohl Anziehungskraft auf den Künstler als auch— da doch der Künstler nicht nur für sich, sondern auch für die Masse schafft— aus die Masse, auf das Volk, auf die Leser, Hörer und Beschauer aus« übt. In welchem Maße, gerade dieses letztere Reizmittel bis auf den heutigen Tag vorhanden ist. zeigt zurzeit mit besonderer Anschau» lichkeir der große Erfolg der Oedipusaufsührungen. Wodurch sich aber die Schundliteratur auf den ersten Blick von der guten Literatur unterscheidet, das ist die Form, die Bearbeitung des Stoffes. Bei dem Künstler wird auch der grausigste und ab- schreckendste Stoff geadelt durch die künstlerische Form, in der er er- scheint. Man spürt beim Schallen oder Lesen oder Hören nickt die Gräßlichkeit der Handlung an sich und nicht ihre niederdrückende, entmenschlichende Wucht, sondern wir fühlen ein Stück Menschheit sich vor uns abrollen, wir werden durch den Künstler hinausgehoben über den Schmutz und das Grauenhafte der Taten selbst, geläutert und erhoben legen wir das Buch des echten Künstlers aus der Hand oder verlassen wir das Theater nach einer noch so furchtbaren mensch- lichen Tragödie. Von allen diesen Wirkungen ist bei der sogenannten Schundliteratur nicht die Rede, weil die Knust bei ihr überhaupt keine Rolle spielt. Bei ihr schafft nicht ein wirklicher Dichter aus dem inneren Schaffensdrange heraus, sondern ein armseliger Handwerker schmiert und schmiert Seite auf Seite, weil ihn sein Auftraggeber dafür be- zahlt. Sein Arbeitgeber ober ist irgend ein gerissener Geschäfts- mann, der zufällig in Schund>teratur' macht I er könnte ebenso gut— dielleicht har er es früher getan— in Baumwolle oder in Lumpen und Papierabfällen machen. Seine Spekulation ist das Interesse der Menschen an grausigen, spannenden Geschichten; ferner spekuliert erlabet auch auf die Unbildung der Menschen. Um ein literarisches Kunst- wert zu verstehen und sich an ihin zu erfreuen, bedarf es einer ge- Perantw. Redakteur: Richard Barth , Berlin.— Druck u. Verlag: wissen ästhetischen Bildung; wer sie nicht befitzt, läßt sich lediglich von dem Stoffe packen und betrachtet die Form nur als ein bei- läufiges Mittel, um recht rasch den Stoff in allen seinen aufregenden Einzelheiten kennen zu lernen. Da die große Mehr- zahl der Menschen literarisch wenig oder gar nicht ge- schult ist, so leuchtet ohne weiteres ein, daß die niedrige Spekulation der Schundliteraturfabrikanten Erfolg haben muß. Seine angestellten„Schriftsteller" schreiben nur für die Ungebildeten: sie können daher auf jedwede künstlerische Form, die sie meistens auch gar nicht beherrschen, verzichten: sie brauchen nur den Stoff spannend zu verwickeln und ebenso spannend wieder zu entwickeln; sie brauchen nur in der verstiegenen, ungewöhnlichen, schwülstigen, verlogenen Weise, die der Ungebildete bei seinem Mangel an Ber- ständnis rmd kritischen Sinn für„künstlerisch" hält, eben lveil sie ungewöhnlich ist, weil sie ganz aus dem Rahnren seiner sonstigen Denkungs-, Sprech- und Lebensweise herausfällt, die aufregenden Phasen der mit srechgekünstelter Phantasie geschaffenen Handlung abzuwandeln. Dazu kommt dann das Raffinement des Vertriebs: die auf« dringliche Hintertreppenkolportage, die grellen, lüstern- grausigen Bilder, die spannenden Schlußzeilen der einzelnen Hefte, der für das Einzelheft scheinbar billige Preis. Aber wenn man erst die eigentlichen Ursachen für den ab- schreckenden Erfolg der Schundliteratur erkannt hat, sieht man auch sofort den Weg, der zur wirklichen Befteiung von dieser gefährlichen Epidemie führt: man muß das Volk in eine geistige Situation ver- setzen, die ihm ermöglicht, die Schundliteratur als solche zu er- kennen I Die unmittelbare Agitation gegen die Schundliteratur soll nicht unterschätzt werden, aber sie wird immer nur einen bescheidenen Bruchteil der gefährdeten Bevölkerung erreichen. Weit Wirkung?- voller ist die innere Festigung jedes Einzelnen gegen die Schund- literatur und ihre vergiftenden Folgen. Dazu gehört freilich eine vollständige Erneuerung unseres Erziehungswesens, und das setzt wiederum tiefgreifende gesellschaft- liche Umwälzungen voraus, die erst durch den politischen Kamps und den Sieg der Sozialdemokratie ermöglicht werden. Haben wir aber erst eine öffentliche Erziehung, die jedem Menschen die volle geistige, seelische und körperliche Ausbildung gibt, auf die er Anspruch hat. so gewinnt er dadurch auch ohne weiteres das nötige Unterscheidungs- vermögen für Kunst und Schund: die Schundlfteratur wird dann nur noch historische Bedeutung wie Hexenverbrennungen und Zauber- bücher haben. Die moderne Arbeiterbewegung wird damit zur wirksamsten Bekämpferin der Schundliteratur, und zwar durch ihre ganze Tätigkeit, im besonderen aber noch dadurch, daß die Organisation den einzelnen Arbeiter schon heute durch die Hebung seiner Lebens- läge und durch seine erzieherische Beeinflussung erheblich gegen den Einfluß der Schundliteratur festigt. Aber es soll gern zugestanden werden, daß es sehr nützlich ist, wenn neben diese allgemeine und mittelbare Bekämpfung auch noch die unmittelbare tritt. Diesem Zwecke nützt die Ausstellung im Reichstagsgebäude in schätzenswerter Weise; sie lehrt den gefährlichen Feind kennen und deckt einen Teil seiner verschiedenartigen Positionen auf. Sie nützt auch dadurch, daß sie eine Anzahl der billigen Bücherkollektioncn ausstellt, die seit einiger Zeit von verschiedenen Vereinigungen zur positiven Bekämpfung der Schundliteratur herausgegeben werden. Zu den besten billigen Ausgaben gehören die Schriften der deutschen Dichter-Gedächtnisftiftung; daneben sind in den letzten Jahren die Wiesbadener Volksbücher, die Deutsche Jugendbücherei der Harn- burger Lehrer, die bunten Bücher, die Quellen der Schatzgräber und noch verschiedene andere Serien zu empfehlen. Den proletarischen Jugendausschüssen bietet sich in der Bekäntpwug der Schundliteratur ein dankbares Feld der Be- tätigung. Allerdings darf man sagen, daß der jugendliche Arbeiter, der überhaupt erst für die Jugendbewegung gewonnen ist, damit auch gegen die Einflüsse der Schundliteratur gefeit ist. Er hat öhere Aufgaben kennen gelernt, er wendet seine freie Zeit für essere Zwecke an als für das Verschlingen geist- und wertloser Detektivromane. Gerade durch die Beteiligung an der Jugend- bewcgung gewinnt der Jugendliche die notwendige innere Festigung und das kritische Vermögen; durch die Teilnahme an den Lehr-, Unterhalwngs- und Kunstabenden der Jugendbewegung wird auch sein künstlerisches Empfinden gehoben. Angesichts dieser hohen Bedeutung der proletarischen Jugend- bewegung gegenüber einem so gefährlichen Volkfeinde, wie es die Schundliteratur in allen ihren Formen ist, bewerte man die eifrigen Bemühungen, mit denen die Behörden, die Gerichte, die Polizei, die Fortbildungsschulen, die Ministerien, die bürgerlichen Jugendfürsorge- vereine der proletarischen Jugendbewegung das Lebenslicht aus- zulöschen versuchen! Gerade der erschreckende Anschauungsunterricht, den die Aus- stellung im Reichstagsgebäude über die Gefahren und die Aus- dehnung der Schundliteratur bietet, predigt die Notwendigkeit der Ausdehnung, Vertiefung und Festigung der proletarischen Jugendbewegung. Je mehr sie alle jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen, damit also auch die zu- künftigen erwachsenen Arbeiter und Arbeiterinnen umfassen, um so schneller und zuverlässiger wird dadurch schon in der Gegenwart der Sumpf der Schundliteratur ausgetrocknet. ____________ Heinrich Schulz . VorwärtsBuchdruckerei u-Verlagsanstalt Paul SingerärCo., Berlin S VV.
Ausgabe
28 (6.1.1911) 4
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