herbstesmüde seine Kronen sentit wie Rauschen deS Meeres, dasewig brandend an den Felsen schlägt. Sein Odem ist Gesang derSphären; denn überallhin schreitet in wallendem Mantel der Tod,und auch die fernste» Welten singen das Lied vom Sterben undschließen die strahlenden Augen vor dem Hauche seine» Mundes____Und mit ernster Mahnung tritt er an das Bett des Mädchens;denn jung zu sterben ist schwer.Allein er ist nicht wild; sein Schritt tönt nicht Entsetzen; derFriede leuchtet aus den dunklen Augen, und heitere Ruhe glänztvon seiner Stirn. Er lockt mit lieblichen Mtdern wie der Erlkönigauf nebelschimmernder Heide. Den Schoß der Erde durchklingenwunderbare Märchenträume, und überschwengliches, tiefgenietzendesBehagen strömt durch die stillen Leiber unter dem Rasen.--Und still erbebend horcht die Mädchenseele. Ist das der Tod?Und klingt es nicht jetzt mit lieblichen Gesängen aus der Ferne?Das ist das Lied der verklingenden Jugend. Die Seele hüpft mitleichten Füßen über die Blumentoiese der Erinnerung. Da rauschtein Bach, und trillernd steigt die Lerche hinauf zum reinen Blau;die Sonne glänzt und Frühling blüht in Bäumt» und Büschen.Ach leben, leben! Glückselig, wer es kann! Und zagend rettet sichdie Seele aus den Umarmungen des Todes an die mütterliche Brustdes Lebens.Dringender mahnt der Tod— flehender langt die Menschen-seele nach dem Lichte. Lebensfreude und Todesahnung huschen imWechsel vorüber wie Wplkenschatten und Sonnenlicht über dieHalde, wie Wolkenschatten und Mondesglanz über die stille Meeres-fläche.Wie die Sterbende ächzend ringt mit den wachsenden Schatten!Wie die zarte Brust erbebt in jähen, angstvollen Seufzern!Und wunderweiche Lieder singt der Tod an dem stillen Bette,nur der Sterbenden hörbar und keinem sonst, Lieder von fernverwehender Erdensorge, von fern verhallender Erdenklage. Sotröstlich singt sie keiner Mutter Mund an der Wiege des weinendenKindes.«Warum, Du liebes Menschenkind, bohrst Du des Ab-schieds Stachel immer tiefer Dir ins Herz? Und was zerreihestDu Deine Seele mit Wünschen nach der Welt, aus deren Bannich milde Dich erlösen will? Je länger Du Dich sträubst, je härtermuß Dich meine Hand erfassen; denn kein Entrinnen gibt's vormeinem Blicke. So komm, ich will Dich betten still und tief, daßLiebe Dich nicht schöner betten könnte."Und wieder entschlüpft die Seele dem drohenden Umarmer,um sich mit flüchtigen Füßen im Zaubergarten der Vergangenheitzu ergehen. Immer heller leuchten die fernen Bilder; die Blumenflammen auf in seltener Glut; die Vögel fingen süße Märchen...Da faßt der Tod mit schrecklicher Gewalt sein zagendes Opfer,und zürnend reißt er wild an seinem Herzen! Die Seele lodertaus in verzweifelter Kraft; ein wildes Zerren auf und ab, einRingen hin und her— die Augen rollen, der Atem glüht, dieWangen brennen, die Pulse fliegen— ein Schrei— und dasvon wirrem Haar umflatterte Haupt fällt auf die zerwühltenKissen.Ein kurzer, träumereicher Schlummer sinkt auf die geschlossenenLider. Führt er zum Leben oder zum Tode? Er ist reich anGestalten wie das bunteste Leben! Wie dem Ertrinkenden, der indie Tiefe versinkt, die drängenden Wvssermasse» nie gekannte Töneim Ohre wecken und plötzlich seinen Geist in ungeahnte Fernen derErinnerung entrücken, so steigen vor den Augen des Mädchens inschnellem Wechsel greifbar deutliche Gestalten und Geschehnisseaus dem Vaterhause auf. Die vertrauten Geister der Familiekommen zum Besuch.... Wie sie mit der Mutter in denkleinen Garten hinter dem Hause ging, um Blumen für den Sonn-tag zu pflücken.... wie der Kessel am Herd brodelte.... unddas Brüderchen Soldat spielte.... wie sie die große Uhr an derWand so laut und freundlich ticken hörte, als sie noch ein Kindchenvon zwei Jahren war und auf dem Fußboden saß.... Dannverschwimmen die Gegenstände ineinander, und nur ein breiterStrom von Licht fließt vor den geschlossenen Augen vorüber....Und ist nicht auch die Zukunft schön? Hat die Sterbende nichtreden hören von einem hohen Glück, das dem Weibe winkt, wennes herangereist? Was ist goldener als die Morgensvnne derJugend, wenn sie vom Kindheitsschlaf zur Mannbarkeit erwacht?.... TaS Mädchen richtet sich hoch auf im Bette; mit weitgeöff-neten Augen blickt sie durchs Fenster in die Sonne.... DerTod legt ihr die Hand aufs Herz, und sie sinkt entseelt zurück.—In furchtbarer Größe ertönt das Triumphlied des Todes—bei feinem Klange erbeben die Kreaturen; die Erde erzittert unterdem dröhnenden Tritt des Erzgepanzerten. Sein Auge entsendetNacht, und wen seine Hand erfaßt, gleitet ihm zu Füßen wie einwelkes Blatt.In milderen Weisen endigt sein Gesang. Wie ein heiligesWehen ergeht sein Ruf über die Lande; wie Wald- und Meeres-rauschen braust er daher: der Odem des Allerbarmers Tod.--Leider wurden die Spielenden an demselben Abend durch einenBoten vom Krankenhause gestört.«Wenn Herr und Frau Timmel ihre Klara noch einmal sehenwollten..Am folgenden Tage- versandte Timmel an seine Nachbarn undFreunde die Anzeige, daß eS dem lieben Gott nach seinem un-crsorschlichen Ratschluß gefallen habe, ihre, der schmerzgebeugtenEltern allerliebste Tochter Klara zu sich zu nehmen.Wer eine Woche später an dem vierstöckigen Hause vorbeiging,konnte hören, wie man sich am Scherzo aus Mendclsohns berühm-tem Violinkonzert versuchte.Unschuld und selbstlose Liebe gehen zugrunde, und die Selbst-sucht tänzelt mit unbefangenen Mienen über ihre Gräber dahin.Huö der neuesten Belletristik.Es ist so, wie ich bereits früher zu bemerken Gelegenheit nahm:gegenwärtig existiert unter den deutschen Schriftstellern keiner, dersich unterfinge, das Leben der Arbeiter und ihre wirtschaftlichen wiepolitischen und geistigen Kämpfe weder in Romanen noch Dramenzu schildern. Die meisten tappen im Nebel. Die Angst vor den,Verlust der Schmortöpfe des wohlgenährten Pfahlbürgertums läßtsie zu den blödesten Stoffen greifen; und der Kritiker ist schon froh,wenn ihm mal ein Buch umer die Augen kommt, das so aussiebt,als verspreche es eine gehaltvollere Lektüre. Dies Prädikar ,steigentlich nur auf zwei unter den vielen neuen Romanen anwendbar;und beide baben— merkwürdig genug I— weibliche Schrift-steller zu Verfassern. Es sind: Clara Viebig und MargareteBöhme, deren neueste Romane insofern auffallen, als sie Berlinzum Gegenstand der Darstellung haben.An Clara Viebig wäre das weiter nicht verwunderlich. Einerihrer früheren Romane:«Ums tägliche Brot" bewegt fich in derHauptsache auf Berlinischem Boden. Ihr eignet ja in seltenemMaße das Eim'ühlen in die verschiedenste» Volksstämme,ob sie nun Rheinländer oder Bewohner der preußischen Ostmarkensind. Das heiße Bemühen, irgendein aktuelles«nationales" Themazur Diskussion zu bringen, kann an und für sich lobenswert sein,'je nach dem Gesichtspunkt, der dabei eingenommen wird. Freilichentfernt sich Clara Viebig nicht von der Auffassung, die in gewiffenKreisen der Bourgeoisie zeitweilig Mode ist. So huldigte fie indem Roman„Das schlafende Heer" denlschtümelnden, um nicht zusagen hakatistischen Tendenzen. Und in ihrem neuesten Erzählungs-werke„Die vor den Toren"<Egon Fleischet u. Co.. Beriin)verleiht fie der Handlung einen utopistijchen Ausklang. DerZustrom der Landbevölkerung nach den Städten erscheint ihrnicht als eine aus ökonomischen Ursachen erklärbare Notwendig-keir; eher als ein„Durchgang", als«ein beständiges Kommenund Gehen", als eine Art Modelaune. Einst werde, meintsie, wohl doch noch die Zeit kommen, wo die Städter wiederzu Bauern werden, aus denen fie vormals zu Städterngeworden sind." Solche Ansichten haben ivir im Lause der letzterenJahre mehrfach in Roinanen verfochten gesunden; nichtsdestowenigerbleiben es ideologische ZukunftSträumc, mit denen allenfalls denKrautjunkern eine angenehme Selbsttäuschung bereitet wird. Umihre Ideen plausibel zu machen, greift die Berfasierin vierzig Jahrezurück und zeigt, wie die Tempelhofer Bauern von der werdendenMillionenstadt Berlin nicht bloß wirtschaftlich aufgesogen, sondernauch in ihren Moralanschauungen komplett umgekrempelt werden.Natürlich sind alle Individuen und Charaktere von vornherein aufdiesen Sehblick eingestellt. Das gibt ihnen einen schematischenTyp— trotz aller psychologischen ZergliederungSkunst und drastischenDarstellungsgabe, über die Klara Viebig gebietet. Nicht zumwenigsten besticht der Roman wieder durch die Fülle des Zeit-gemäldes. das von zahlreichen Gestalten belebt wird. Einegewisse Großzügigkeit ist dem Ganzen nicht abzusprechen.Nur ist weniger ein Kunstwerk als tüchtige Handwerkskunstherausgekommen. Uebrigens soll dem Verlage für die Nutzbar-machung einer technischen Errungenschaft ausdrückliche Anerkennunggezollt sein. Es wurde nämlich englisch Leichtdruckpapierverwendet, wodurch ei»e ganz erhebliche Gewichtsverminderung d«S438 Druckseiten starken Buches erzielt worden ist.»Margarete Böhme, die Verfasserin deS in viele Sprachenübersetzten„Tagebuches einer Verlorenen" hat sich Neuberlinerkoren. Ihr Buch führt den sonderbaren Titel ,W. A. G. M. U. S."(Berlin, F, Fontane u. Co., 1911), das ist die Abkürzung für„Warenhaus-Aktiengesellschafl Müllenmeister und Sohn". Natürlichist auch das Warenbaus mit all seinen» Drum und Dran bereitsvon flinkfingerigen TogeSschriftstellern in UnterhaltungSromanen»ndBühnenstücken verarbeitet worden. Das hindert jedoch nicht, daßernstere Federn den, Problem künstlerisch zu Leibe zu rücken ver-suchen. In der Tat steckt ein gewaltiges Stück Leben und modernerPoesie darin. Es muß aber ein großer Dichter und zu-gleich ein nationalökonom, ich geschulter Wiffenschastler sein,von deffen schier gewalligem Schöpfergenie der Warenhaus-romai, unserer Zeit erwartet werden könnte. MargareteBöhme ist die Kraft dieses höchsten Erreichens versagt. Dennoch— sie hat ehrlich mit den, grandiosen Stoff gerungen. Sieist mit bemerkensivertein sozialem Scharfblick in dessen Tiefen hinab-gestiegen. So entbehrt also ihr Roman nicht einiger literarischerOualiläten, obgleich er streckenweise etivaö zu brenjpurig und insprachlicher Beziehung ziemlich nachlässig gehalten ist. Andererseitsgelingt's ihr wieder, das ganze Getriebe mit all seinen, Räderwerkbloßzulegen. Das Menschenvolt darin erscheint mit anerkcnnenS-werler Naturwahrheit geschildert, und das Warenhaus der Zukunftwird mit respektabler poetischer Kraft vor Augen gerückt. Jedenfallsist«WagmuS" einer der gehaltvollsten Handelsromane unserer Tage— ja vielleicht der einzig,.', dem ein besondere» Interesse gebührt.�'