darf nicht Wunder nehmen; hat man sich doch zur Nennung derDarsteller und des Verfassers erst im 18. Jahrhundertentschlossen. In Paris erregte es im Jahre 1739 ungeheures Aus-sehen, als der Dichter der erfolgreichen Tragödie„Pyramusund Tbisbe", Thöopbile, sich auf dem Zettel nannte und damit einrasch nachgeahmtes Beispiel gab. Wichtiger war es für das Ver-ständnis des mittelalterlichen Zuschauers, das; er erfuhr, in was fürRollen die Schauspieler erschienen. Dies geschah entweder, indemder Prolog die einzelnen Personen vorstellte, oder auch, indem jederAuftretende sich selbst mit seinem Namen einführte, wie dies be-sonders im Fastnachtsspiel üblich war. Bei manchen Passionsspielenhatten die Darsteller ihre Namen weithin sichtbar ans die Kopf-bedeckung geschrieben, so zum Beispiel in Zerbst bei einemSpiel von 1507, oder sie trugen aufllärende Zettel inder Hand, die an die Spruchbänder der gleichzeitigen Malereierinnern. Im ganzen war das Ankündigungswesen bistief inS 16. Jahrhundert hinein in Deutschland sehr primitiv. Daswurde erst anders, als zum ersten Male Berufsschauspieler auftraten.die aufs Geschäft, aufs Geldverdienen angewiesen waren und sichdaher auf Reklame gut verstanden: die englischen Komö»d i a n t e n. Der gedruckte Theaterzettel, der in England und in derzweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits allgemein üblich war,erschien ihnen zunächst im fremden Land nicht zugkräftig genug.Beim Schall von Trommeln und Trompeten, in phantastischen Auf-zögen kündeten sie ihre Vorstellungen an und machten sich durchmarktschreierische Deklamationen bekannt. EinehoheObrigkeit»lußteein-schreiten und die geräuschvollen Ilmzüge wurden allenthalben ver-boten. Die Prinzipale der englischen Truppen empfahlen sich nunvielfach dadurch, daß sie erklärten, sie wollten„khein Drommelhören lassen, sondern nur blosz anschlagen".„Es wird nur blog imAnfang undt Ende einer Comoeti die trommel gerüret undt durchangeschlagene Briest wird dem Volk die Komötia kundt gethan."Der älteste dieser uns erhaltenen„Briest" stammt aus Nürnberg undist. etwa um 1630 anzusetzen.„Zu wissen sey jedermann", heigt esda,„daß allhier ankommen eine ganz neue Compagni Comoediauten,so niemals zuvor hier zu Lande gesehen, mit einem sehr lustigen Pickel-Hering, welche täglich agiren werden, schöne Comoedien, Tragoedien,Pastorellen sSchästereycnj und Historien, vermengt mit lieblichen undlustigen Jnterludien, und zwar heut Mitwochs den 2l. Aprilis werdensie Präsenliren eine sehr lustige Comoedie genannt: Die LiebesSüßigkeit verändert sich in Todes Bitterkeit. Nach der Comoedi sollpräi'entirt werden ein schön Ballet und lächerliches Postcnspiel. DieLiebhaber solcher Sckauspiele wollen sich NackimittagS glock 2 ein-stellen uffm Fcchthantz, allda umb eine bestimbte Zeit präcise sollangefangen werden."Ein solch immerhin einfacher Zettel konnte aber diepomphaften münd-lichen Ankündigmigen nicht ersetzen. Für die grosienHaupt- und Staats-aktionen, die historischen und mythologischen, phantastisch zusammen-gestellten Szenen, die die englischen und die'frühesten deutschenSchauspielerbauden aufführten, bedurfte das naive Publikum einerausführlichen Inhaltsangabe, und die wurde nun in möglichst wirk-samer Häufung von Schrecknissen und Wundertaten der Anzeige desStückes angehängt. Die ellenlangen Angaben dieser Zettel, die demdamaligen Theaterfreunde die brennendsle Begier nach dem Besuchder Vorstellung erweckten, geben ein Bild nicht nur von dem Inhaltder aufgeführten Werke, sondern auch von de» Einzelheiten, die damalsam besten gefielen, denn die kundigen Direktoren heben das hervor, wasam meisten nach dem Geschmack des Publikums war. Noch die Neuberin,die Reformatorin der deutschen Schauspielkunst, hält an diesen Inhalts-angaben auf den Theaterzetteln fest und hebt z. B. bei dem„ruch-losen Leben und erschrecklichen Ende des weltbekannten Ertz-ZauberersO. Johann Faust" als besonders verlockend hervor:„Ein Raabekommt aus der Luft und höhlet die Handschrift deS D. Fausts.HanS Wurst geräth onngefehr über seines Herrn des v. FaustsZauberey. Ein Bauer handelt dem D. Faust ein Pkerd ab, und so-bald er es reitet, verwandelt sich das Pferd in ein Bündgen Heu.Hans Wurst will gern Geld haben,, ihn zu vergüngen, läsit ihnMephistopheles Geld regnen usw." Sehr beliebt ist auch die vonLesstng verspottete Erfindung neuer, das Stück erklärender Titel,zum Beispiel„Romeo und Julia oder der unvernmihete Aus-gang auf dem Kirchhofe",„Carl XIL, oder der Helden-Toddes Löwen aus Mitternacht Carls des XU, der Schweden. Gothenund Wenden König, welcher in denen Aprockien vor Fridrichshall1703 durch einen Falconet-Schug seinen heldenmütigen Geist auf-gegeben." Auch in der Zeit der klassischen Dichtung finden sich nochsolche Neutaufen:„Emilia Galotti oder der Hintergangene Fürst".„Minna von Barnhelm oder der Major mit dem steifen Arme",„Clavigo oder das Leichenbegängnis". Mancherlei interestanteBemerkungen auf den Theaterzetteln des 18. Jahrhunderts werfenein Licht auf die damaligen Bühnenzustände. So liest man öfters dieErklärung:„Auf das Theater wird niemand, weder bei der Probe, nochwährend dem Schauspiel, mit oder ohne Geld gelassen." Die vonVoltaire mit stürmischer Gewalt pathetisch geforderte Verbannungde» Publikums von der Bühne suchen also die deutschen Direttorendurch Bekanntinachmigen auf dem Theaterzettel durchzusetzen. AlsBeginn des Stückes wird zumeist 5 oder 6 Uhr angegeben, das Endehäufig gegen 9 Uhr. Recht modern mutet eS an, wenn es aufeinem Theaterzettel des Kniggeschen Liebhaber-Theaters heißt:„Diejenigen Damen, welche dem Publiko die kleineGefälligkeit etwa bisher noch nicht erwiesen haben, inlkerantw. Redakteur: Richard Barth, Berlin.— Druck u. Verlag:dem Schauspielhause mit niedrigerem Kopfputz als gewöhnlich zuerscheinen, werden nochmals inständig gebeten, doch dem gemeinsamenVergnügen dies unbedeutende Opfer zu bringen."In der zweiten Halste des 13. Jahrhunderts erhält der Theater-zettel allmählich das Aussehen, das er noch heute befitzt. Bei derTruppe des bekannten Direktors Abel Seyler werden zuerst dieNamen der Schauspieler auf den Zetteln genannt. Die männlichenAkteure erhalten das„Herr", die weiblichen das„Madame" und„Mademoiselle", das sich noch bis tief ins 19. Jahrhundert bewahrt.Auf den Weimarer Zetteln der Goetheschen Direktion stehen einfachdie Namen der Schauspieler ohne jede Bezeichnung. Die Autorenwerden nun ebenfalls regelmäßig genannt, wobei sie ihren Titel„Magister Lessing" oder das„Herr",„Herr Goethe" empfangen.Aber auch diese letzte Steifheit ist schon auf den Weimarer Zetteln.verschwunden, die in einfacher Würde und schlichter Sachlichkeit daSBorbild des heutigen Theaterzettels bilden.kleines Feuilleton.Physikalisches.Das Rätsel des Magnetismus gelöst? Es istschon ofiherbor«gehoben worden, daß durch die Entdeckungen auf dem Gebiete derPhysik und Chemie während der letzten 15 Jahre, also ungefähr seitder Geburt der Röntgenstrahlen, die gesamten Grundforschunaen derNaturwissenschaft in einer Umwandlung begriffen find. Insbesonderehaben die verblüffenden Eigenschaften des Radium dazu beigetragen,die alten Vorstellungen von der sogen. Konstanz der Elemente, vonihrem Aufbau aus Atomen und schließlich auch von dem Wesen der beidenUrbegriffe Kraft und Stoff umzustürzen. Nach der jetzt am meistenangenommenen Theorie würde der Grundbestandteil aller Dinge inwinzigen Teilchen bestehen, die sich nur als Einheiten der beidenElektrizitäten darstellen und die Eigenschaften von Kraft und Stoffin sich vereinigen. Sie werden als Eleklroiten bezeichnet, undzwar als solche positiver und negativer Natur. Wenn diese neueLehre auch nur ein Tasten nach einer vielleicht in ihrenletzten Zielen unerreichbaren Erkennwis ist, so bedeutet siedoch einen Forlschritt, da sie eben einer Erweiterung unseresWissens von der Natur gerecht zu werden sucht. Eine viel-leicht ganz erklärliche und notwendige Folge dieser Theorie sind diejetzt von dem Physiker Pierre Weiß in einem Vortrag vor derPariser Akademie der Wissenschaften entwickelten Anschauungen überdas Wesen des Magnetismus. Er nimmt nämlich an, daß in jedemmagnetischen Körper ein besonderes Etwas vorhanden sei, daSer Magneton nennt und als einen Bestandteil bezeichnet,der in der ganzen Natur verbreitet sei. Insbesonderesei eS in den Atomen des Eisens, deS Nickels, des Ko-balts, des Kupfers, deS Mangans und des Uranium enthalten;außerdem wahrscheinlich auch noch in anderen Elementen und nament-sich in den sogenannten seltenen Erden. Diese Lehre unterscheidetsich von dem alten Glauben an ein inagnetisches Fluidmn eben da-durch, daß auch hier das Bestreben erkennbar wird, eine Naturkraftauf stoffliche Weise zu erklären, und daS Magneton würde ebensoals Grundelement des Magnetismus zu betrachten sein wie daSElektton als solches der Elektrizität.Psychologisches.Die Erforschung des Mathematikers. So langeman psychologische Studien auf einer mehr wissenschaftlichen Grund-läge betrieben hat, ist die Erforschung des Genies eines ihrer be-sonderen Ziele gewesen. Gewöhnlich aber hat man sich daraufbeschränkt, das Genie bereits verstorbener Personen, wie es sichin ihren Werken und in anderen Ueberlieferungen offenbart, geistigzu sezieren, wahrscheinlich wohl deshalb, weil die Genialität einesMenschen zu seinen Lebzeiten oft wenig gewürdigt wird und nichtklar genug beurteilt werden kann. Der bekannte französische Arztund Psychologe Dr. Toulouse hat jetzt einmal einen derartigenVersuch am lebenden Objekt oder bielmehr Subjekt unternommen,indem er eine wissenschaftliche Betrachtung über das Geisteslebendes Mathematikers Henri Poincare angestellt und in der„Revueder Ideen" veröffentlicht hat. Da Poincare nicht nur als viel-leicht der erste lebende Vertreter seines Faches, sondern auch alsein höchst origineller Mann bekannt ist, der übrigens auch überdas Gebiet der Mathematik hinaus manchen wichtigen Wissenschaft-lichen Gedanken veröffentlicht hat, so bietet er in der Tat einetreffliche Angriffsfläche für einen Psychologen. Berühmt ist Poin-rare auch wegen seiner Zerstreutheit, die bereits einen ganzenAnekdotenschatz hervorgerufen hat. Diese ist auch dem Psychologenselbstverständlich nicht entgangen, und er vergleicht sie mit ähnlichenAnlagen anderer Genies, die selbst die alltäglichsten Dinge ver-gessen, wenn sie einem Problem nachhängen. Als das merkwürdigsteaber erscheint dem Psychologen der Umstand, daß die Entdeckungenvon Poincare nicht als das Ergebnis einer besonders konzentriertengeistigen Anstrengung, sondern mehr durch einen plötzlichen Einfallentstanden sind, und zwar häufig zu einer Zeit, als seine Gedankenin einer ganz anderen Richtung abschweiften. Daß auch solcheGelehrten, insbesondere auf dem Gebiet der Mathematik mehrdurch die Idee als durch die strenge Folge logischer Ueberlegunggelenkt werden, ist aber gewiß eine beachtenswerte Erkenntnis.VorwärtsBuchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul SingerLCo., Berlin 5W»