Mnterhaltungsblatt des'Zorwärts Nr. 34. Freitag, den 17. Februar. 1911 lNaSdruck vervolen.1 Si] pelle der Gröberer» Roman von Martin Andersen Nexö . An Regentagen war es eine ganze Arbeit, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wieviel die Uhr war, man mußte sich bis zum äußersten anstrengen. Sonst war es die leichteste Sache der Welt, Pelle hatte es hauptsächlich im Gefühl. Da waren Zeichen daheim auf dem Hof, die besagten, wieviel die Uhr zu gewissen Zeiten des Tages sein konnte, die Kühe gaben ihre Gewohnheiten zu anderen Stunden kund. Gegen neun Uhr legte sich die erste zum Morgenwiederkäuen hin, und allmählich fiel eine nach der andern ein— gegen zehn Uhr war da stets ein Augenblick, wo sie alle lagen und kauten: um elf Uhr waren die letzten wieder auf dm Beinen. In gleicher Weise spielte es sich am Nachmittag zwischen drei un4> fiinf Uhr ab. Wenn die Sonne schien, war es leicht zu bestimmen, wann Mittag war, Pelle wußte es immer an sich selbst, wenn sie in ihrer Bahn umkehrte. Und da waren hundert andere Dinge in der Natur, die ihn mit den Tageszeiten in Per- bindung brachten, zum Beispiel die Gewohnheiten der Vögel und etwas bei den Tannenbäumen. Und eine Menge anderes, worauf er nicht den Finger setzen und d a sagen konnte, weil es nur so eben eine Empfindung war. Den Trieb nach Hause gaben die Kühe selbst an. Wenn der sich näherte, grasten sie sich langsam herum, bis sie mit ihren Köpfen die Rich- tung auf den Hof zu angaben, und ein Strecken machte sich in ihrem Körper bemerkbar— sie sehnten sich. »» • Die ganze Woche hindurch hatte sich Rud nicht sehen lassen, und heute war er kaum da, als ihm Pelle auch schon wegen einer Hinterlist ausschelten mußte. Da lief er nach Hause, Pelle aber legte sich oben an den Rand der Tannen und sang, auf dem Bauch, die Fußsohlen in der Luft. Rings umher waren Spuren seines Messers an den Stämmen der Bäume— bei den ältesten Schissen- sah mau den Kiel und das Deck stand lotrecht auf dem Rumpf, die hatte er im ersten Sommer geschnitzt. Hier war auch eine Sammlung von Aeckern am Wiesenrairde, ordnungsmäßig gepflügt, geeggt und besät. Jeder Acker war eine Viertelelle groß. Aber nun lag Pelle da und ruhte sich aus nach den An- strengungen mit Rud— in einem jubelnden Geheul, das die Luft schaukeln niachte. Oben auf dem Hofe kam ein Knecht heraus, er ging mit einem Bündel unterm Arm die Land- straße entlang: es war Erik, der wegen Prügelei vor Gericht sollte. Jetzt kam der Gutsbesitzer gefahren und sauste in schneller Fahrt auf die Stadt zu, er wollte also zur Stadt und bummeln. Warum konnte der Knecht denn nicht mitfahren, wo sie doch denselben Weg hatten. Wie schnell er fuhr, obwohl sie ihn jetzt ja nie mehr verfolgte— sie tröstete sich jetzt zu Hause. Ob es wohl wahr war, daß er an einem Abend fünfhundert blanke Kronen durchgcbracht hatte? „Wild raset der Krieg, es fließet das Blut, In den Bergen Rufe man hört! Mit Grauen und Schrecken der Türke naht, Und manch trautes Heim er zerstört. Sie zieh—" „Hallo!" Mit einem Satz war Pelle auf den Füßen und starrte zu dem Klee hinauf. Die Milchkühe da oben hatten die letzte Viertelstunde jeden Augenblick nach dem Hof hinauf- gesehen, jetzt brüllte Aspasia , dann mußte der Vater bald auf dem Wege hier heraus sein, um die Kühe umzupflöcken. Da kam er auch wirklich um die Ecke des Hofes gewatschelt. Es war nicht weit bis zu der untersten Kuh hinüber: wenn der Vater da war. konnte Pelle es schon abpassen, daß er schnell hinüberrannte und ihm Gutentag sagte. Pelle sammelte die Kühe zusammen und trieb langsam nach der anderen Grenzscheide und über die Felder hinüber. Lasse hatte die obere Hälfte umgepflöckt» jetzt ging er zu dem Stier hinüber, der ein weig abseits stand. Der Stier brummte und stampfte, daß die Erde aufspritzte: die Zunge hing ihm an der einen Seite aus dem Maul, und mit dem einen Horn stieß er in die Luft— er war wütend. Dann ging er mit kurzen Schritten und allerlei Hokuspokus vor— wie er stampfte! Pelle hatte die größte Lust, ihn über die Schnauze zu hauen, wie er es so oft getan hatte: das war doch keine Manier, Lasse selbst zu bedrohen, wenn er auch gar nichts damit meinte. Vater Lasse achtete auch nicht weiter darauf, er stand da und hämmerte auf den schweren Spannpflock los, um ihn hemuszuschlagen.„Guten Tag!" rief Pelle. Lasse wandte den Kopf und nickte, dann beugte er sich herab und schlug den Pfahl in die Erde. Der Stier stand ganz dicht hinter ihm und stampfte kurz. Das Maul stand ihm offen, und die Zunge hing heraus: es sah aus, als erbräche er sich, und dem ent- sprach auch das Geräusch. Pelle lachte, während er seinen Lauf mäßigte, er war ganz in der Nähe. Aber plötzlich schoß Vater Lasse einen Purzelbaum, fiel und war wieder in der Luft— und fiel eine Strecke weiter nieder. Wieder wollte ihn der Stier aufspießen, aber Pelle stand gerade vor seinem Kopf: er hatte seine Holzschuhe nicht an, sondern stieß mit den bloßen Füßen, so daß es ihm schwarz vor den Augen wurde. Der Stier kannte ihn und wollte um ihn herumschleichen, aber Pelle sprang vor seinen Kopf hin und schrie und stieß mit den Füßen und packte ihn, ganz außer sich, bei den Hörnern. Da schleuderte er ihn sanft beiseite und ging auf Lasse zu, der in einiger Entfernung da lag, er blies an der Erde entlang, so daß das Gras wogte. Er packte den Alten bei der Bluse und rüttelte ihn ein wenig, faßte dann tastend mit beiden Hörnern unter ihn, um ihn hoch in die Luft zu schleudern. Aber Pelle war wieder auf den Beinen, wie ein Blitz zog er das Messer heraus und jagte es dem Stier zwischen die Hinterbeine. Der Stier stieß ein kurzes Gebrüll aus, warf Lasse beiseite und fuhr in Sprüngen über die Felder hin, er stieß im Laufen mit den Hörnern in die Lust und brummte. Drüben am Bach machte er sich daran, den Abhang aufzuwühlen, die Luft um ihn her war dick von Erde und Grassoden. Lasse lag da und stöhnte mit geschlossenen Augen. Pelle zerrte vergebens an einem Arm, um ihm aufzuhelfen. „Vater, lieber Lasscvater!" rief er weinend. Endlich setzte sich Lasse aufrecht hin. „Wer singt da, Junge?" fragte er.„Ach. Du bist es, Junge— und Du weinst! Hat Dir jemand was getan?— Ach ja, der Stier, der war kurz davor, Fandango mit mir zu spielen. Aber was fingst Du eigentlich an, daß ihn der Teufel so schnell holte? Du hast ja Deinem Vater das Leben tzerettet, sd klein Tu auch noch bist.— Pfui Satan, ich glaub', wahr- haftig, ich muß spucken." Lasse erbrach sich.„Ach ja!" sagte er und trocknete den Schweiß von der Stirn,„wer jetzt'n Schluck hätte!— Ja, ja, er kannte mich ja. der Bursche, sonst war' ich nich so leicht davongekommen. Er wollt' bloß ein bißchen mit nur spielen, weißt Tu— er war ein klein wenig nachträgsch, weil ich ihn heut' morgen von einer Kuh weggejagt hatt': ich inerkt' es ja recht gut. Aber wer hätt' auch gedacht, daß er sich an einem vergreifen könnt'. Na, das hätt' er rn» auch nich getan, wenn ich nich so dumm gewesen wär', in fremden Zeug zu gehen: dies is nämlich Möns seine Bluse, die Hab' ich mir geliehen, weil ich meine gewaschen Hab'. Und den fremden Geruch kann Kulurius nich an mir vertragen, — Na, nu müssen wir ja sehen, was Möns zu diesem Riß sagt, er wird woll nich allzu sauber sein!" Lasse ließ den Mund noch eine Weile laufen, ehe er ver- suchte, aufzustehen und mit Pelles Hilfe auf die Beine zu kommen. Er stand da, auf die Schulter des Jungen ge» stützt und schwankte hin und her.„Ich könnt' ganz gut be- trunken sein, wenn man bloß die Schmerzen nich wären!" sagte er und lachte leise.„Ja. ja, ich muß woll Gott danken� daß ich Dich Hab', Junger: immer machst Du mir das Herz froh, und nu hast Du mir auch das Leben gerettet." � Lasse schwankte nun nach Hause, und Pelle trieb den Rest der Kühe auf dem Wege zu den seinen hirnrnter. Er war stolz und zugleich erschüttert, hauptsächlich aber doch stolz. Er hatte Vater Lasse das Leben gerettet— und Kvar hatte er ihn von dem großen, wütenden Stier errettet, mit dem niemand sonst auf dem Hofe zu schaffen haben wollte,
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28 (17.2.1911) 34
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