Wie sehr er aber auch die Liebe ersehnte, so fürchtete er siedoch als sein den Tod bringendes Schicksal. Die blitzenden Augender Frauen dünkten ihn geschliffene Dolche, ihre dustenden Lippensützer Gifttrank. ihr derhcißcndes Lächeln lockendes Verderben.Cecco stietz ihn in die vollen Arme rotwangiger Dirnen, die ihnlachend umschlangen, denen er sich aber angstvoll entwand. In dereinsamen Loggia, an deren schlanken Marmorsäulen blaue Glyzinenemporklettertcn, träumte er von der Liebe, einem Rätsel, das er nielösen würde.Er entsann sich der Worte des greisen Philosophen Dati:„Die Liebe ist die Sehnsucht nach der Schönheit. Wer wahrhaftliebt, den stößt alles Fehlerhafte und Unschöne ab. Die Schönheitvon Antlitz und Seele der Geliebten bestimmt und leitet uns imSuchen nach der Schönheit anderer Tinge, im Aufsteigen zurTugend, die auf Erden wie im Himmel Schönheit ist. im endlichenErreichen der höchsten Schönheit, nämlich der Gottheit, unseresZiel- und Ruhepunktes."Indes Dati so in einem verschwiegenen Rosenboskett desSchlotzgartcns sprach, trug laue Luft dem Herzog eine Duftwogezu, süß und berauschend, und Ghismondo nahm behutsam eine sicheben öffnende Knospe zwischen die schlanken Finger und blickte zuDati in stummer Frage:„Kannst Du diese Rose erklären, ihrenwundersamen Atem, ihren seidenen Blätterschmelz?"Dati aber verstand ihn nicht und sprach mit welken Lippenbedachtsam wie von der Lehrkanzel herab weiter:„Die notwendigenBedingungen einer wahren, würdigen, hohen Liebe dünken michvon zweierlei Art. vorerst, daß der Gegenstand ein einziger, sodann.daß die Liebe beständig sei. Diese Bedingungen völlig zu erfüllen,ist nicht allen gegeben; während nur wenige Frauen die hoheKraft besitzen, die Männer so ganz an sich zu ketten, daß sie diesebeiden Bedingungen nicht verletzen, ohne die es keine wahreLiebe gibt."Da hallte ein federnder Fuß, in den Schatten trat Eecco, undlichterfüllten Auges rief er:„Liebe, Messer Dati? Liebe istzehrende Flamme, ist sengende Glut, ist himmlische Pein." MitParker Faust griff er in den Rosenbusch, riß einen Strauß emporund ließ ihn aus der gebreiteten Hand sacht zur Erde hinsinken:»Liebe ist Rosen und Blut."Verwirrt und erschreckt wandte sich Ghismondo ab. Gab esnur jene von aller Erdenschwere befreite und diese mit allen Sinnenin der Erde wurzelnde Liebe, gab es keine Liebe, sanft wie eineMutter und zärtlich wie eine Geliebte zugleich.Der Herzog grübelte darüber bis zu jenem Tage, da die feuer-rote Wolke von jenseits des MeereS kam und die Sonne verdunkelte,da das Meer sich in brausenden Wellen erhob, die Luft wie vomGetöse einer Geisterschlacht erzitterte, und unter zuckenden Blitzenund rollenden Donnern ein Regen, rötlich wie Blut, hernieder-rauschte. Und am Abend dieses Tages kani das Griechcnschiff mitSeide aus Bvzanz.Wie die Ballen entladen wurden, erhob sich aus dem letztenWinkel ein Fahrgast, dessen niemand bisher gewahr geworden, undging ans Land, auch jetzt noch unsichtbar. Als die flinken, braunenFinger der Griechen die schimmernden Stoffe entfalteten und sieden begehrlich sie musternden Frauen zumaßen, stand der Passagierneben den Händlern und fuhr mit knochiger Hand über das leiseknisternde Geioebe.Am nächsten Tage sah entsetzt die blonde Fsotta Leoni, als siedem Bad entstieg, aus ihrer linken Brust neben der Achsel einigebrandrote Bläschen in bläulichdunklem Kreis, und nach zwei Nächtenward an der Tür ihres Hauses ein Kreuz gezeichnet und der Klopfermit weißem Tuch umwunden zum Zeichen, daß hier der SchwarzeTod Einkehr gehalten. Und von hier ging er weiter durch alleGassen, in alle.Häuser, und da er selbst die Treppe des Herzogs-Palastes hinauffchritt, floh Gbismondo geängstigt aus der verödetenStadt nach der Burg des Glücks, und in solcher Hast, daß der altePiero sein Enkelkind Bianca zurücklassen mußte.Niemand durfte der Burg bei Todesstrafe auf zwei Migliennahen. Die Zugbrücke über den in braunem Wasser stehendenGraben ward aufgezogen. Lebensmittel sicherten die Burg wiegegen eine monatelange Belagerung, und von den Bastionen recktendie Feldschlangen ihre Mäuler allen Nahenden drohend entgegen.Auf dem Turm aber als Pestwächter saß Piero. der noch unterPino gegen den Papst und Venedig gekämpft hatte und jetzt aufhoher Warte Lugaus nach dem unerbittlichen Feind hielt.Wo einst der Ahn mächtig gewesen und stolz über das Landgeblickt, da weilte nun ängstlich der Enkel und spähte blaß, ob keinUnheil der Burg nahe. Oft schreckte ihn ein Traumbild aus demSchlaf; dann tastete er sich ruhelos durch die dunkeln Gänge, indenen Verschwörer unheimlich geflüstert hatten, durch die Bogen-hallen, in denen noch das Echo von Todesfchreien und ersticktenSeufzern zu schweben schien, über den finstern Burghof, und suchteZuflucht bei dem alten Piero.Erklang da nicht ein Ruf?... Scheu wich Ghismondo vomBrunnen zurück. Wie aus der Tiefe kam es, von ferne, als brächenMauern den Schall der Stimme....Ter Herzog bog lauschend den Kops vor. Vom Spiegelsaal imOsten der Burg drang ein freches Lied CeccoS zu ihm hin unddanach ein Gelackter, voll und klingend.Fhm zu entfliehe» eilte er über den Hof und tauchte in dieFinsternis eines schmalen Ganges, wo eine enge Treppe zu Pieroemporführte. An breiten Luken, neben denen in eisernen RingenSeile hingen, an denen man sich, war die Burg erobert, in dieFreiheit retten konnte, an Mauerlöchern, burch die die Lust schiSKund dick quoll, stieg er aufwärts..Da erscholl, diesmal klar, ein Hilferuf. Ghismondo hielt inn«!und sah durch eine Luke hinab.Aus dem Schatten am Fuß der Mauer rief es, und eine feinSGestalt, in das Zwielicht tretend, reckte die Arme, wie um empo«gehoben zu werden.•»Wer bist Du?"—„Bianca!"—„Wen suchst Du?"—„Denialten Piero!"—„Woher kommst Du?"—„Aus der Stadt." WieVögel in die Höhe und Tiefe flogen Frage und Antwort. Ghis-mondo zögerte. DaS junge Blut da unten floh vor der Pest, wiser sich vor ihr geflüchtet hatte. Wenn aber nun mit ihr die Unheimeliche selbst kam?(Schluß folgt.)fünfzigjahre deutfcbcs Rcttungö-wcfcn.1861— 2. März— 1911,Von Emil Matthiesett.Der Ausgang des heurigen an Stürmen und Schiffsunfällenüberreichen Winters bringt am 2. März die fünfzigste Wieder-kehr des denkwürdigen Tages, an dem zu«Emden die erste aufdeutschem Boden gegründete Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchi-gcr zustande kam. Kurz vorhergegangene Ereignisse der traurigste»Art hatten endlich das schlafende öffentliche Gewissen wackgerütteltund den Anstoß zur Schaffung von Werken tätiger Menschenliebsgegeben, die eigentlich schon längst als selbstverständliche Pflichthätten betrachtet werden müssen, um so mehr, als andere Schiff-fahrt treibende Nationen bereits mit gutem Beispiel vorangegangenwaren und die Errichtung von Rettungsstationen an den Küsten jaauch im ureigensten Interesse der seemännischen Bevölkerung unddes großen Kreises der auf sie angewiesenen Reedereien und an«derer kaufmännischer Unternehmungen lag.Vor Spiekeroog, der zweiten ostfriesischen Insel, die die vonBremen ausreisenden Schiffe auf der Amerikafahrt zu passierenhaben, war bei starkem Nordwestfwrm das große, von KapitänOldejahns geführte Auswandcrerjchiff„Johanna" gestrandet, undvon den an Bord befindlichen 206 Personen waren mehr als 80— vorwiegend Frauen und Kinder— die bei dem Vorhandenseinvon Rettungsbooten und Nakctenapparaten sicher hätten gerettetwerden können, nach langem und qualvollem Kampfe mit den überdas Wrack dahinrasenden Sturzseen in das kalte Wellengrab fort-gespült worden. Durch ganz Deutschland ging damals ein Schreides Entsetzens und das Gefühl tiefer Beschämung über den Mangelan Rettungsstationen. Fast überall aber zollte man, wie der Histo-riker und spatere deutsche Generalkonsul in New Aork, Dr. Her-mann Schumacher, es treffend ausdrückte, nur ein ohnmächtigesBedauern dem jähen Tode der Seefahrer, dem Untergang vonSchiffen auf hohem Meere und in den Küstengewässern. Man sahdarin Uebel, die untrennbar mit der Schiffahrt verbunden waren.Ins Inland verirrte sich nur selten die Kunde von Seenot undSchiffbruch, und jeder hielt es hier für selbstverständlich, daß leiderdas ferne Meer zahlreiche Menschenleben fordere, da es eben derWeg über die Wogen unsicherer sei als der über das feste Land.Um den Stein ins Rollen zu bringen, mußte erst noch einzweites Seennglück«intreten, das die Vernachlässigung des Ret-tungswesens an den Küsten in grelle Beleuchtung setzte. An»10. September 1866 lief aus Emden die telegraphische Nachrichtdurch Deutschland, daß an der Westseite der Insel Borkum, dort,wo sich der gleichnamige Ort befindet, die hannoversche Brigg„Alliance", mit Kohlen von England nach Geestemünde unterwegs,aufgelaufen und mit der ganzen Besatzung untergegangen sei.Man erinnerte sich nun mit einem Male, daß schon im 18. Jahrhundert ein Kolberger Tuchmacher, namens Ehrgott FriedrichSchaefer, mit dem Plane hervorgetreten war, den auf einemWrack befindlichen Schiffbrüchigen ein an einer Kanonenkugel bc-festigtes Seil zuzuschießen, um auf diese Weise mittels eines hin-und hergezogenen zweiten Seiles die Bedrohten zu retten, daß diaerfinderische Idee aber durch die sie begutachtenden Artillerieoffi,ziere Friedrichs II. als„nicht praktikabel"«erworfcn worden war.Man wies darauf hin, daß schon 1770 in Amsterdam die erste Ge-sellschaft zur Rettung Ertrinkender ins Leben getreten war, daßman in England schon seit 1700 den von Lionel Lulin erfundenenund seitdem vielfach verbesserten Typus eines unvcrsintbarenRettungsbootes besaß und daß sich eben dort alle schon seit vielenJahren bestehenden Rettungsvereine 1850 zu der mächtigen Orga-nisation der„dlational Lileboat Institution" zusammcngetanhatten, nicht zum wenigsten aber kam die dringliche Angelegenheitdadurch in Fluß, daß man darauf hinwies, wie die preußische Re-gierung, die damals, abgesehen von dem im Entstehen begriffenenKriegshafen an der Jade(Wilhelmshaven), noch keine Küsten-strecken an der Nordsee besaß, der Eigenbrödelei der deutschen Nord-seestaaten und Mecklenburgs müde, seit 1800 an der Lstseeküst«von Memel und der Kurischen Nehrung bis Darsserort mit der Er»richtung von 20 Rettungsstationen begonnen hatte, die sie mitMörserapparaten zum Scilschießen und unversinkbaren Booten aus-