Auch im Jahre 1817 tobte an ber Berliner Universität solchtnn Kampf um das Katheder. Da wollte sich Karl Witte, der be-rühmte gelehrte„Wunderkn/ be", der sechzehn Jahre alt und bereitsin Heidelberg Doktor der Rechte geworden war, in Berlin habili-tieren. Die Juristenfakultät, der berühmte Savignh an der Spitze,wehrte sich dagegen. Man machte alle möglichen Gründe dawidergeltend: die Studenten würden vor einem Knaben nicht dennötigen Respekt haben, es sei unmöglich, daß der Doktorhut recteerworben sei, usw. Man setzte Gott und die Welt in Bewegung,als ob das Heil der Wissenschaft davon abhinge, dah der„Knabe"keine Antrittsvorlesung halte. Als es schließlich doch zu einersolchen kam, entstanden die furchtbarsten Skandale im Hörsaale.Und als Karl Witte Beifall erntete und rechtlich nichts mehr gegenseine Habilitierung einzuwenden war, keine Intrigen verfangenhatten, wandte man sich an den König und wußte die Sache so zudrehen und wenden, daß Witte als„Gnadenbeweis" ein Stipendiumgu einer Studienreise nach Italien erhielt. Natürlich war es beiden Juristen in der Hauptsache die Furcht gewesen, der junge Ge-lehrte könne ihnen die Hörer fortschnappen, da manche Studentenvielleicht aus Neugierde zum„Wunderknaben" in den Hörsaalgehen würden.Nicht selten gaben die Gelehrtenstreite den Anlaß, daß neueUniversitäten begründet wurden. So hatte sich z. B. der berühmteJurist Christian Thomasius slföö bis 1728) an der LeipzigerUniversität durch seine streitbaren Vorlesungen unmöglich gemacht.Er donnerte und wetterte gegen seine Kollegen von der theologischenFakultät, bis diese einen Hastbefehl gegen ihn zu erwirken wußten,demzufolge er über Berlin nach Halle floh, wo seine Vorlesungenwiederum soviel Anklang fanden, daß aus der dort bestehendenRitterakademie eine Universität gebildet wurde.Und viele Jahre vordem(1485) waren sich in Leipzig zweiandere Gelehrte, die damals sehr berühmten Mediziner SimonPistoris und Martin Pollich, in die Haare geraten. Sie strittensich über die Franzosenkrankbeit,— so nannte man in jener Zeitdie Syphilis—, und ihre Fehde wurde so heftig, daß Pistoris er-klärte, er könne nicht mit Pollich an ein und derselben Lehrstättedozieren. Er wandte sich an den Kurfürsten Johann von Brandenburg, dessen Leibarzt Pistoris war und der gerade im Begriffstand, in Frankfurt a. O. eine Universität zu begründen. Pistoriserhielt auch den Austrag, die Angelegenheit zu regeln, und hattenatürlich nichts Eiligeres zu tun. als in seinen Vorlesungen damitzu prahlen, um den gelehrten Gegner damit zu ärgern. Natürlichwar Pollich nun auch nickt faul; er wandte sich an den Kurfürstenvon Sachsen und wußte diesen anzustacheln, die Universität Witten-berg zu begründen und ihn. Pollich, zu deren Rektor einzusetzen.Pistoris war jetzt seinen Gegner los und wetterte weiter in Leipziggegen seinen aus dem Felde geschlagenen Feind.In vielen Fällen nahmen die Professoren die gelehrtenStreitigkeiten zum Vorwarck, sich populär zu machen. Sie würztenihre Vorlesungen mit Jnvektivcn gegen ihre Gegner und zogen aufdiese Art die Hörer an, denn für die Studenten war es ganzamüsant, derartige Rüpeleien vom Katheder herab zu hören. Auchhier hatte also der gelehrte Streit einen sehr materiellen Hinter-grund.Zwei Gelehrte erwarben sich in dieser Hinsicht besonderenRuhm, zumal durch die Originalität, die sie bei ihren Zänkereienentwickelten. Der eine war der Polvhisior Gottsried ChristianRkireiS(1730—1809), der an der Helmstedter Universität dozierte,jenes berühmte Gelehrtenoriginal, das auch einst von Goetheseiner wunderbaren Grillen und berühmten Sammlungen halberbesucht worden war. Beireis scheute sich nickt, in seinen Bor-lesungen seine Kollegen mit den unglaublichsten Sckimpfwortenzu belegen, was diese wunderbarerweise sich gefallen ließen, ohnedaß jemand es wagte, den berühmten Gelehrten anzufeinden,da er trotz seiner Wunderlichkeiten die einzige Leuchte der imNiedergang begriffenen Lehrstätte war. Einige seiner Aussprüchewährend der Vorlesungen waren beispielsweise diese:„Ich bitteSie. sich dies genau anzusehen, sonst werden Sie stets so unwissendbleiben, wie mein Kollege T." Oder:„Kennen Sie dies?(indemer ein Präparat oder irgendeinen seltenen Gegenstand aus seinenSammlungen zeigte). NeinI Run, so können Sie freilich auchUniversitätsprofessor in Helmstedt werden. Denn mein Kollege D.wird das auch noch nie gesehen haben. Aber jeder einigermaßenbrauchbare Mensch sollte das doch kennen kernen I"Von ähnlicher Art war der Heidelberger Jurist Mörstadt•(f 1850), der in den dreißiger und vierziger Jahren durch seinewitzigen, aber oft auch sehr zynischen Bemerkungen und seineSchimpfereien über die Kollegen die Studenten in seinen Hörsaallockte.„Hier habe ich ein Buch, meine Herren." soll er einst auf demKatheder gesagt haben,„das man seiner Schlechtigkeit wegen fürein Werk des Kollegen Zöpsl halten sollte, aber der Kollege Mitter-mayer ist der Verfasser." Ein anderes Bück desselben Gelehrtenzeigte er einst seinen Zuhörern mit den Worten:„Ich werfedasselbe an die Wand: was daran gut ist, bleibt hängen!"Einen anderen Kollegen, der geadelt worden und sich als„Ritter von N." in eine Liste eintrug, ärgerte Mörstadt, indem erleinen Namen kurz darunter schrieb und im Gegensatz zum Rittersich aks„Fußgänger Mörstadt" bezeichnete. Eine ganze Flut vonPamphleten, die er geschrieben und die gegen ihn gerichtet find,befinden sich in der Heidelberger Universitätsbibliothek. Aber nichtWerantw. Redakt.: Carl Wermuts), Berlin-Rixdorf.— Druck U.Verlag:nur durch Bosheiten gegen seine Kollegen würzte Mörstadt seineVorlesungen. Als im Jahre 1847 in Karlsruhe das Theater abbrannte, wobei zahlreiche Menschen ums Leben kamen, erlaubtesich der Zyniker die Bosheit, in seiner Vorlesung von dem namen-losen Unglück zu sprechen, das aber, wie jedes Unglück, auch einenTrost in sich berge: von der reichen Theaterbibliothek seien wenig-stens die dramatischen Werke des artistischen Direktors, des Frei-Herrn von Auffenbcrg, gerettet.Indessen war Mörstadt nicht der einzige Zänker an der Heidel-berger Universität, und es fehlte auch in der Neckarstadt nicht anKämpfen ähnlicher Art, wie sie jetzt in Berlin vorkamen. Geradedie Juristenfakultät bestand ein paar Jahrzehnte hindurch in unver->änderter Weise aus denselben Persönlichkeiten, neben den gc-nannten Mörstadt, Zöpsl und Mittermayer aus noch ein paarmittelmäßigen Gelehrten, die niemanden neben sich aufkommenließen. Der Rechtsphilosoph Karl Röder(1806— 1879), ein Mann,der im Auslande so berühmt war, daß ihn die Universität Madridzum Ehrenprofessor ernannte, konnte es niemals zum ordentlichenProfessor bringen, obwohl er weit bedeutender war, als jene erb-eingesessenen Herren, die ihn von der Pforte des Heiligtums derFakultät ausschlössen.Ein recht boshafter Kollege konnte auch der Heidelberger Philo-soph Reichlin-Meldegg(1801—1877) sein. Eines Tages ging ermit seiner Frau und seinem Söhnchen auf das Heidelberger Schloß.Da begegnete ihm einer seiner Kollegen, mit dem er des öfterenin theologischem Streit war, und der ihn aufziehen wollte, indemer ihn skeptisch begrüßte:„Ei, da kommt ja die heilige Familie!"»worauf die rasche Antwort erfolgte:„Ja, ja, jetzt sind wir voll-zählig; es hat nur noch der Esel gefehlt!"Aber auch in rein wissenschaftlichen Streitigkeiten der Ge-lehrten ivard oft genug von berühmteu Männern der Wissenschafteine Menge Gift und Galle verspritzt.„Der Gröbste behält recht.Es ist ein anregendes und lustiges Spiel, dem Schach nahe der-wandt", so sagt der vor ein paar Jahren verstorbene HumoristHans Hoffmann, der selbst eine Zeitlang Mitstreiter in einemwissenschaftlichen Kampfe war. Diesen hatte der Philologe K. Lach-mann um die Entstehung des Nibelungenliedes eröffnet, wobeiihm in A. Holtzmann und F. Zarncke Gegner erwuchsen. Ineiner reizenden Humoreske„Die Handschrift A." hat Hans Hoffmann später, als er unter die Schriftsteller gegangen war, diesenKampf um der Nibelungen Hort wieder lebendig gemacht. DieMünchener Handschrist, die nach Lachmann die älteste Gestalt desLiedes darstellt, wird in Hoffmanns Humoreske zum Verhängniseines jungen Philologen, der einst wie der junge Hoffmann selbstim Geiste des Meisters, Lachmann, streitet. Das erbitterte Rede-duell zwischen Professor und Prüfling ist eine treffliche Satireauf die Gelehrtengrobheit.Ein streitbarer Professor anderer Art war der PhilosophSchelling(1775— 1854), der in allen Schriften über neuere Philo-sophie immer nur Plagiate aus seinen eigenen Werken witterte.„Der peinliche Verdacht, bestohlen zu sein", sagt Kuno Fischer inseiner Geschichte der neueren Philosophie,„wird zum stehendenArgwohn und macht unter den Zügen, die Schelling verunstalten.den widerwärtigsten und kleinlichsten Eindruck."Als im Jahre 1829 Christian Kchip(1790— 1874), der auchein Hörer Schellings gewesen, damaliger Professor in Erlangen,Schelling eine Schrift:„Ueber den Ursprung der Menschen undVölker nach der mosaischen Genesis" sandte, zog Schelling auchsofort gegen Kapp in einer alle Grenzen des Anstandcs überschrei-tenden Weise zu Felde. Er bezeichnete ihn als„notorischen Plagt-ator, der unter die diebische Nachdruckerzunst gehöre und sich ihm.Schelling, nähere, um durch hündisches Schöntun und Schweif-wedeln die wohlverdienten Fußtritte abzuwenden". Kapps brief-liche Erwiderung wurde gar nicht angenommen. Das war einStoß, der auf Kapps ganzen Lebensgang und seine ganze wissen-schastliche Richtung bestimmend wirkte. Der Haß gegen Schellingbeherrschte fortan sein ganzes Leben und Wirken; seine Redenund Schriften atmeten diese Leidenschaft. In einer vierzehn Jahrespäter anonym erschienenen Schrift:„Fr. W. Joseph von Schelling.Ein Beitrag zur Geschichte des Tages, von einem vieljährigen Be-obachter" gab er eine vernichtende Charakteristik Schellings. Daheißt eS:„Keine neue Lehre bringe Schilling in Berlin, sondernwiederkäue die alte, unter dem Hohngclächter der Eumeniden fresseer sein Gespeites, er sei der Judas und Segestes der deutschenWissenschaft, der echte Lucifer der Philosophie des Abfalls, da-Plagiat sei das eigentliche Prinzip seiner schriftstellerischen Tätig-keit." Knapp wollte den Spieß umdrehen, meinte Fischer, aber erhatte keinen Spieß. Seine Produktionskraft reichte nicht hin,Schelling den Heiligenschein zu entreißen.Auch gegen den Heidelberger Theologen Paulus(1761—185!)prozessierte Schelling, weil Paulus die„Philosophie der Offen-barung" nach einem nachgeschriebenen. Kollegicnhcfte Schellingspubliziert habe, wegen Nachdrucks, verlor aber den Prozeß, undinfolge des Skandals, der sich an diesen Rechtshandel knüpfte, legt?Schelling sein Lehramt nieder. Der Pfeil schnellte schließlich gegenden. der ihn abgesandt, zurück, und das ist erfreulicherweise da.wo es bei wissenschaftlichen Streitigkeiten nicht eigentlich um dieWissenschaft, sondern um den materiellen Boden für die Wissen»schast geht, nicht selten der Fall._____vorwärtsBuchdruckerei u.Verlagsanjtatt Paul SingerZ-Co., Berlin ZW.