Lich durch die Zeit der Verfolgung, wenn auch unter Schädigungen seiner geistigen Gesundheit, die später zur Katastrophe führten» mannhaft durchgerungen. Alle anderen krochen bald mehr oder Minder kläglich vor der Gewalt zu Kreuze. Wolfgang Menzels Kritik ist eine einzige unflätige Bordell- Phantasie. Fast zwei Dutzend Flugschriften erschienen für und wider Wally. Gutzkow selbst verteidigte sich tapfer und wirksam. Er hatte recht. Sein Roman ist weder gotteslästerlich noch unzüchtig, und als er vom Mannheimer �ofgericht zu vier Wochen Gefängnis perurteilt wurde, geschah es lediglich wegenverächtlicher Dar­stellung des Glaubens der christlichen Religionsgcsellschaft". Vor allem ist der Vorwurf der Unzüchtigkeit geradezu lächerlich. Wenn man gegen Gutzkow einen Vorwurf erheben kann, so umgekehrt den, dast es dem Roman an jeder sinnlichen Wärme künstlerischer An- schauung fehlt. Eine einzige in wenigen Sätzen dargestellte Szene ikonnte überhaupt nur den Schnüfflern Gelegenheit zu ihrer Eni- rüstung geben, zu der übrigens Wolfgang Menzel nach seinen eigenen sexuellen Gepflogenheiten die geringste Berechtigung hatte. Es ,st die berühmt gewordene Szene, wo Wally sich dem ewig Unerreich- baren geistig vermählt, indem sie fich ihm nackt zeigt die Nach- ahmung eines Bildes aus dem mittelalterlichen Titurell:Sie steht ganz nackt, die hehre Gestalt, mit jungfräulich schwellenden Hüften, mit allen zarten Beugungen und Linien, die von der Brust bis zur Zehe hinuntergleiten. Und zum Zeichen, daß eine fromme Weihe die ganze Ueppigkeit dieser Situation heilige, blühen nirgends Rosen, sondern eine hohe Lilie sproht dicht an dem Leib Sigunes <so heißt die Gestalt in jenem alten Epos) hervor und deckt symbo- ilrsch, als Blume der Keuschheit, an ihr die noch verschlossene Knospe lihrer Weiblichkeit." Das ist alles, mehr die dürre Rezension über ein Gemälde, als ein heißes Abbild unmittelbaren Lebens. Als anfangs der SO Jahre Gutzkow die Wally unter dem TitelVer- gangene Tage", wie zum Protest gegen den neuen Einbruch poli- itischer, religiöser, geistiger Reaktion erneut herausgab, da hat er zwar die religiösen Ketzereien nur ganz wenig gedämpft, aber jede sinnlich kräftigere Wendung gestrichen und außerdem durch pedan- tische Erläuterungen des Sinnes der Szene den letzten Rest von erglühter Stimmung erstickt. Niemals ist ein Werk so zu Unrecht in den Verdacht der Leicht- sertigkeit gekommen, wie die arme Wally. Von Emanzipation des Fleisches ist vollends nicht die Rede, sondern nur von Reinigung und Veredelung einer aus den Fesseln bürgerlicher Heuchelei be- freiten Leidenschaft. Und die extremste Forderung des Romans ist sie Zivilehe! Weiter geht Gutzkow in der ersten seiner Verteidi- fungsfchriften. und hier zeigt er sein ernstes Interesse für die o z i a l e Geschlechtsfrage, das sich allerdings wie in allen so- zialen Anschauungen dieses Schriftstellers in einer wunderlichen Mischung von klarer Einsicht und phantastischer Grille äußert. Er sagt da sin Abwehr der Menzclschen Angriffe auf seine Vorrede zu Schleiermachers vertrauten Briefen):Die Anficht von der Ehe rechtfertigt sich durch die Theorie vom Staate und vom Rechte. Ich brauche die Staatsform nicht zu nennen, die ich für die vollkom- mene halte; aber man errät sie, wenn ich öffentliche Erziehung auf der einen Seite und die juristische Gleichstellung der unehelichen Kinder auf der anderen verlange. Ein geheimes Gift untergräbt die menschliche Gesellschaft. Nehmt der Menschheit die Notwendig- Zeit, sich verstellen zu müssen, und alle werden freier und sittlicher werden. Unsittlichkeit ist nur da, wo man im Dunkeln das umgeht, was öffentlich an gewisse Gesetze gebunden ist. Löst die Gesetze und die Freiheit wird eine Regeneration unseres Blutes sein. Ein Arzt hat mir gesagt, daß er in einer zwanzigjährigen Praxis nur zwei gute Ehen gefunden habe. Meine Theorie der Ehe fußt zuerst darauf, daß auf der unehelichen Geburt keine Schande ruhen solle. Kein Kind, wo nicht Liebe ist. Liebe heiligt das Außergewöhnliche. Warum uneheliche Verhältnisse verfolgen und sie zwingen, vor den Altar zu treten? Die Forderungen der Zivilbehörde, ob man sich ernähren könne, werden immer umgangen. Es gibt falsche Aus- sagen und Vorwände genug, die öffentliche Behörde über die Ver- »nögensumstände im unklaren zu lassen. So schmiedet sich das Elend, der Hunger und die Aussicht auf eine verkümmerte Gene- ration zusammen. Das Schreckbild Europas ist die Uebervölke- rung. Die Uebervölkerung aber ist eine Folge unserer Vorurteile und unserer Ehegesetze. Hätte die uneheliche Geburt nichts Eni- ehrendes, so würden die Liebenden nicht eilen, sich zu verheiraten. Der Staat würde einen kräftigen Bewohner haben, statt daß in der Ehe ihm gezwungen sechs Schwächlinge nachfolgen. Die Natur muß uns die Cholera schicken, um die Ucberflutung der Menschenmassen oufzuräumen. Emanzipierte man die uneheliche Geburt, so würde die Uebervölkerung, und mit ihr der Adel, der Kastengeist, die Eifersucht und der Egoismus aufhören." Kurz, Gutzkow versteht unter Emanzipation des Fleisches die Geltung der unehelichen Liebe, statt der ehelichen Pflicht. Unter den Vorkämpfern einer Versittlichung der geschlechtlichen Beziehungen darf man, wie unreif immer seine Ideen sein mögen, auch Karl Gutzkow nennen. Auch sein Schicksal war es, daß man als liederlich verleumdete, was Kampf um eine höhere Sittlichkeit war. Soziale Einsicht war ihm nicht fremd, aber sie entwickelte sich in seiner bürgerliche?« Zwitterstellung nicht zur Klarheit. Dennoch auf seine Art war er ein ungebeugter Kämpfer für menschlichen Fortschritt, und in diesem Kampf hat er sein Dasein zerrieben._ Verantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin, Druck u. Verlag: kleines Feuilleton. Naturwissenschaftliches. Aus dem Loben des Meeres. Einem großen Teil der Festlandsbewohner ist das Meer nicht erreichbar, llnd von denen, die an seine Ufer gelangen, steht wieder der überiviegende Teil mehr oder weniger fremd dem Leben des Meeres gegenüber. So weit das Leben der Oberfläche in Betracht kommt, erschließt es sich dem Seemann und dem MecreSforscher, mit dem Leben auf dem Grunde kommt unmittelbar nur ber Taucher in Berührung. Stellen sich einem Wissensgebiete und seiner Erreichung solche Schwierigkeiten entgegen, so wird>nan an ein Buch, das es unternimmt, dem Laien das wichtigste unserer Kenntnisse vom Leben des Meeres zu ver- Mitteln, besondere Ansorderungen stellen müssen. Eine Prüfung in dieser Hinsicht besteht das WerkchenTier- und Pflanzenleben des MeereS" des Leipziger Univer- sitätsprofcssors Dr. A. Nathanson(Verlag von Quelle u. Meyer in Leipzig . Preis geb. 1,25 M.) sehr gut. Die Klippen des Auökramens allzugroßer Gelehrsamkeit und der unfruchtbaren Aufzählungen allzuvieler wissenschaftlicher Namen, die einen großen Teil der populärwissenschaftlichen Literatur veröden, sind glücklich umgangen. Ueberall ist nur das wesentliche herausgehoben, dieses aber auch eingehend geschildert. So lesen sich die Kapitel, die unS über den Bau, die Anpassungen und die Verteilung der MeereS- wesen, über das Planklon und die Wanderungen der Seetiere unter« richten und unS über die Instrumente des Meeresforfchers Auf- schluß geben, auch für den Laien ohne jede Mühe, gefördert durch eine klare Darstellungsweise. Es sei gestattet, hier eine Tatsache aus dem Buche anzuführen, mit deren Hilfe der Verfasser nachweist, wie überaus langsam da? Wachstum der Schichten auf dem Grunde der Ozeane vor sich geht. Aus den Kalk- schalen kleiner Lebewesen bildet sich der weiße Tiefseeton des Meeres- grundeS, der in noch größeren Tiefen in den sogenannten rolen.Tief- seeton übergeht. Im Allantischen Ozean ist diese Schicht von einer un» geheuren Zahl von Haifischzähnen durchsetzt. Jeder Zug mit dem Schleppnetz bringt mit dem Schlamm eine Menge solcher Zähne ans Licht; der Boden des Meeres ist damit geradezu übersät.?iun sind aber diese Haifische keineswegs so häufig wie man daraus schließen möchte, unddas lehrt, wie unendlich viele Generationen daz» beitragen müssen, um nur eine dünne Schicht des Meeresbodens herzustellen. Ja, wir finden sogar dicht unter der Oberfläche Zähne, die Haifischen angehören, die heute nicht mehr existieren.... Und doch liegen über den Resten dieser Geschöpfe nur wenige Zentimeter Schlatnm: so langsam geht also die Bildung vor sich." Auf der Oberfläche der Erde aber ruhen ganze Gebirge, die auS solchen Tiefseetonen bestehen, also einst Meeresgrund bildeten! Auch an vielen anderen Stellen wirkt die Lektüre des reich illustrierten Bändchens anregend. O. Phiisiknlisches. Rätselhafte Bewegungen der Flüssig! e�ifen. Ueber diese merkwürdige Naturerscheinung schreibt Pros. Dr Dessau in derNatur", dem Organ der Deutschen Naturwiss. Gesellschaft: Im Jahre 1827 machte der Botaniker Robert Brown die merk- würdige Entdeckung, daß feste Körnchen, die in einer Flüssigkeit ver« teilt und so klein sind, daß man sie eben unter dem Mikroskop wahr- nehmen kann, ungemein rasche, zitternde Bewegungen vollführen. Ein äußerer Antrieb für diese Bewegungen ist nicht zu erkennen; ruhe- und ziellos, wie von einer geheimen Gewalt angetrieben und durch ebenso geheimnisvolle Hindernisse jeden Augenblick zur Aende- rung ihrer Richtung gezwungen, irren die Teilchen in dem Tropfen, der für sie die Größe eines Meeres hat, hin und her; und wenn man durch zweckmäßige Einschließung die Verdunstung der Flüssig- keit verhindert, so bleiben die Bewegungen Wochen-, ja jahrelang in unveränderter Stärke bestehen. Sie sind, wie heute feststeht, eine Folge der Stöße, denen die von der Flüssigkeit umgebenen Teilchen von seilen der Flüssigkeitsmolekeln ausgesetzt sind. Allerdings sind ja die Bewegungen der Flüssigkcitsmolekeln selbst durchaus unregcl- mäßige und darum müssen Teilchen, deren Dimensionen im Ver- gleich mit denjenigen der Molekeln beträchtliche sind, in jedem Moment gleich viele und gleich starke Stöße, in irgendeiner Richtung wie in der gerade entgegengesetzten erleiden und können daher nach keiner Richtung in Bewegung geraten. Sinkt aber die Größe der Teilchen unter eine gewisse. Grenze, so daß immer nur eine be- schränkte Zahl von Molekeln gleichzeitig einem und demselben Teilchen begegnen, so kann es nicht ausbleiben, daß in einem ge- gebencn Moment die Energie der Stöße(denn nicht nur auf die Zahl und Masse der Molekeln sondern auch auf die Geschwindigkeit ihrer Bewegung, mit anderen Worten ans ihre Energie kommt es an) in einer bestimmten Richtung überwiegt, und dann muß sich das ge- stohene Teilchen in dieser Richtung in Bewegung setzen. Allerdings ändert sich schon unmittelbar darauf sowohl die Gesamtencrgie der Stöße, als auch die Richtung der überwiegenden Stärke derselben, aber dies bewirkte im allgemeinen keinen Stillstand, sondern nur beständige Aenderungen der Geschwindigkeit und Richtung des ge- stoßcncn Teilchens, also jenes unaufhörliche Zittern, wie es sich dem Beobachter darbietet. Berlin LW.