mich aus Sem Schlaf heraus und führte mich da hinaus, wenn sie blühte, bis Zu allerletzt, bis er abgerufen wurd'. Ich war ihm immer neu, wie an dem ersten Tag. Darum haben das Glück und die Freude awch beständig Wohnung in mir ge- nommen. Kein Kleid konnte über meiner Brust zusammen- halten, so fröhlich atmete ich, und die Bänder an meiner Schürze riß er vor Freude an mir mitten durch." „Nu sollt' Mutter lieber still sein nich so viel von so was reden!" sagte Marie und glättete verschämt das Kopfkissen der Alten. Wer Großmutter ließ sich nicht halten. Ihre Gedanken verwirrten sich nur ein wenig. „Ja, ja, die Zähne Hab ich schwer gekriegt und auch schwer wieder verloren. Meine Kinder Hab ich mit Schmerzen ge- boren und sie mit Gram ins Grab gelegt— das eine wie das andere. Aber sonst hat mir nie was gefehlt, und einen guten Manu Hab ich gehabt. Er hatt' offene Augen für Gottes Schöpfungswerk, und wir standen an Sommermorgenden mit den Vögeln auf. Dann gingen wir zusammen auf die Heide hinaus und sahen, wie die Sonne so wunderbar aus dem Meere aufstieg, ehe wir an unser Tagewerk gingen." Großmutters schwer wandernde Stimme verstummte, es war, als wenn ein Lied in ihren Ohren zu klingen aufhörte. Sie richtete sich auf und holte tief Luft.„Ach ja, die Stimme der Erinnerung is schön!" sagte Lasse. „Wie is das eigentlich damit. Lasse, ich hör'. Du siehst Dich nach einer Frau um?" fragte die Alte plötzlich. lFortsetzung folgt.), Die JVIärztac{c* Von Karl Gutzkow . Im Herbst des Jahres 1843 veröffentlichte Karl Gutzkow eine Schrift:„Deutschland am Vorabend seines Falles oder seiner Größe". Der bürgerliche Radikalismus entfaltet in diesen revolutionären Blättern zugleich seine Bedeutung und seine Be- schränktheit. Einige Blätter seiner alten Schrift— die Schilderung der Berliner Märztage— hat Gutzkow später seinen Lebenserinnerungen(„Rückblicke") ein- verleibt, die jetzt auch in die neueren Auswahlausgaben aufgenommen sind. So wenig man dieser Erneuerung auch den Vorwurf machen darf, daß die ursprüngliche revolutionäre Tendenz abgeschwächt sei, so sind doch gerade die uns besonders interessierenden Bemerkungen über die Klassengegensätze der revolutionären Bewe- gung und die Aktion der Arbeiter in den„Rückblicken" fortgefallen; in den nachstehenden Auszügen werden sie— wohl zum erstenmal seit 1848— unverändert und unverkürzt reproduziert. Der Sozialismus. Der Sozialismus wird mit der zunehmenden Bildung der unteren Volksklassen eher zu- als abnehmen, aber er wird mit dieser Bildung, wenn es eine wahre ist, auch anfangen, minder gefährlich zu werden. Den Menschen der Quelle der Natur näher zu führen, die Zäune wegzureißen, die den Hungernden von einem Obstbaume trennen, das ist ein so furchtbarer, keilförmig andrängender Trieb der Menschheit, daß ihm mit Kartätschen nur momentaner Wider- stand geleistet wird.... Dauernd ist die Frage nicht abzuweisen. Sie wird immer wieder auftauchen, immer wieder das Schreckens- gespenst des Besitzes werden, so lange, bis nicht etwa das Eigentum gefallen ist, sondern das Privilegium des Eigentums. Mit einer tüchtigen Volksschule, einer gereinigten, allgemein freigegebenen Religion und einer aufrichtigen Demokratisierung des Staates werden die sozialistischen Forderungen nicht mehr in so bedrohliche Extreme ausarten, wie es notwendig bei Religionsformen sein mutz, ldie den Kern des Volkes unberührt lassen.... Die Güterteilung des IS. Jahrhunderts wird aufgehen... in etwas Höherem. Die gewünschte Beseitigung der Gefahr schließt dabei nicht aus, daß alles, was zur Abhilfe der ungleichen Verteilung der Lebensgüter geschehen kann, wirklich versucht werde. Berlin vor dem 13. März. Man gedachte ganz Europa zu zeigen, wie Preußen und Ruß- lond mit solchen Bewegungen der Widerspenstigkeit, der schon drei- mal in Frankreich ein Thron erlegen lvar, umzuspringen wisse und wie man hier von oben her„seine Schuldigkeit" täte, die man in Paris und überall vernachlässigt hätte.... Aber die Truppen- entWickelung hatte die ganze Stadt aus ihrem alten Vegetations- schlafe aufgeschreckt.... Nun kam auch die Kunde, daß hier und da ein Stein geflogen, ein Säbelhieb tödlich gewesen war; der ruhige Beobachter überzeugte sich bald, daß die Soldaten, dieser ■nächtlichen Promenade überdrüssig, erbittert und von ihren adeligen Führern fanatisiert wurden. Wenn einige fünf oder sechs Menschen zusammentraten, die sich eine neue Nachricht mitteilten, sprengte «n Nu ein Dutzend Kavalleristen heran und trennte sie mit einer Heftigkeit, die die immer zunehmende förmliche Kampflust dieser Leute verriet. Auf ein Spottwort, auf einem einzigen, aus einem Menschenhaufen fliegenden Stein, ließ man ein ganzes Peloton- feuer geben.... Berlin hätte ganz ruhig bleiben können und wär es seiner alten Natur auch geblieben, wenn man es zu Gewalttätig- leiten von oben her nicht gezwungen hätte.... Die beleidigte An- maßung des Polizei- und Militärstandes ruhte nicht eher, bis nicht die neue Freiheit auch einen neuen, tief gefurchten Boden erhielt und diesen mit Blut düngte.... Der Zustand, der sich wie von selbst machte, wurde unerträglich. Sein Haus des abends zu finden, war mit Gefahr verbunden. Man konnte einer ergrimmt in der ganzen Breite der Straße anrückenden Truppenkolonne begegnen und fand nach polizeilicher Vorschrift alle Haustüren verschlossen, um sich zu bergen. Wem noch möglich wurde, sich an die Häuser- wand zu drücken, konnte froh sein, mit einem barschen:„Scheren Sie sich nach Hausei" davon zu kommen. Ueberhaupt entwickelte sich in dieser Woche der ganze schöne Kern der deutschen Umgangs- spräche und des offiziellen Stils. Das Volk in Bewegung. Die Menschen waren seit Montag gereizt, sie wollten sich nicht mehr aus-, nicht mehr einreden lassen. Ihr Herz war voll Kummer. Alle verhaltenen langjährigen Empfindungen der Unterdrückung kamen zum Ausdruck. Sie hörten von Freiheit, von gestürzten Königen, fallenden Ministern und die alte bekannte Brutalität der Polizei, der Gendarmen, die Arroganz der Offiziere, die blind draufzufahrende Rohheit der in Un formen gesteckten Bauernjungen hörte nicht auf.... Wie ich Gesellen, Kleinbürger, Frauen so rennen, mit zornglühenden Mienen gen Himmel um Rache rufen hörte, wie ich sah, wie sich den Menschen das Weiße im Auge ver- kehrte und ihr Geschrei: Waffen! Waffen! Man verrät uns! zwar dem Wortlaute nach eine Reminiszenz der neuesten Lektüre aus der Vossischen Zeitung war, aber die Vorstellung, die man damit ver- band, weckt die ganze sich endlich lösende Last des polizeilichen Re- gimentes seit 181S, da fühlte ich, wenn hier ein äußeres Mitzv�- ständnis stattfand, ein inneres war es nicht. Es sollte einmal zu- fammenbrechen, diese alte Herrschaft des roten Kragens, es sollte einmal eine Bevölkerung aus ihrer faselnden und nur witzelnden Unbedeutsamkeit, aus ihrer anerzogenen Knechtschaft und Polizei- furcht sich erheben. Die alte Frau, die in der Breiten Straße den Fliehenden zurief: Feiglinge steht! der junge, glühend exaltierte Gesell, der an der Brücke bei der Neumannsgasse aus einer Trödel- bude mit einem alten Säbel gerannt kam und mit bloßem Kops durch die Straßen lief und zum Kampf aufforderte, der kleine Handwerker, der vor mir lief und mit starrem Auge, wie geistes- abwesend, immer mit Zähneknirschen vor sich murmelte: Nun muß er dran! alle diese Menschen waren weder Emissäre noch Wühler, noch irgend etwas anderes, als beim ersten Anblick geradezu Opfer des Todes, dem sie sich selbst zu weihen entschlossen schienen. Es war das einfache verletzte Menschenrecht, das beleidigte gute Bürger- gefühl, was sie zu Politikern machte. Die Niederwerfung der Armee. " Der Militärstand mußte fühlen lernen, daß man sich nicht mehr in Stein verwandeln läßt, wenn uns sein starres Gorgonenhaupt anblickt. Der moralische Kredit der Armee, den das Volk, wenn es gegen den Feind geht, schon wieder heben wird, mußte in seiner falschen sittlichen Bedeutung, in seiner Stellung zum inneren Staate, ihr entzogen werden. Diese Armee mußte aufhören, der Sitz, die Rücklehne des Absolutismus, das Spielzeug und die Nahrungsquelle eines anmaßenden Adeltums, der Schlupfwinkel einer geheimen, schleichenden Reaktion zu sein. Der Grund der neuen preußischen Verfassung lag nicht auf dem Boden eines königlichen Tintenfasses. Er wurde dahin gelegt, wo man drei Tage darauf zweihundertfünfzig Leichen versenkte, die Schatten des Friedrichshaines. Die Arbeiter des 13. März. Man sah in der Tat fast nur die zerrissenen Kleider der Ar- beiter, die plötzlich wie durch einen Zauber ein Etwas bekommen hatten, was man in diesem Gewände sonst nie anerkannte. Die Choräle, die sie im Schloßhofe bei den Leichen anstimmten, die Spuren des nächtlichen Kampfes, den sie gewagt hatten, die zer- rissenen Kleider der unglücklichen Toten selbst, schufen plötzlich eine Emanzipation der untersten Volksmassen, die nun auch durch Hal- tung, Gefühl und Aeußerungen überraschten. Zu diesen Arbeitern sprach man denn vom Schloß herab, oder, emporgetragen auf den Schultern der Masse, vom vereinigten Landtage! Welch ein Unsinn! Wuterfüllt wandten sie sich ab, weil das keine Ant- wort auf ihren Schmerz war. � Bourgeois und Bürgerwehr. Diese neue Schöpfung(der Bürgerwehr) schien sehr bald eine Waffe, die mehr gegen, als für die Freiheit geschmiedet war.„Das Eigentum ist bedroht!" Unter diesem Bannerspruch versammelten sich die wohlhabenden Bürger, die in diesen Schreckenstagen sich verborgen gehalten hatten, die Beamten, Pensionärs,»ie alten „Kameraden" aus den Befreiungskriegen. Es schien weit mehr die Angst, als die Begeisterung hier bcftiedigt zu sein... Die reichen Kaufleute und Hoflieferanten, die man ihrer Muße, ihres sicheren Auftretens und ihrer stattlichen Figuren wegen zu Hauptleuten ge- wählt hatte, flößten dem Institut anfangs einen Geist ein, der bei den Offizieren der Garde nicht ärger sein konnte. Auf Klubs und
Ausgabe
28 (18.3.1911) 55
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten