fcelannte politische Persönlichleiten hetzte man förmliche Mord- anfalle. Gerade der neuen Freiheit und ihren Verfechtern gab man dem stockenden Verkehr Schuld. Der alte Satz, jeder Preuße hätte in sich seinen geborenen Gendarmen, er- lebte höchst klägliche Beweise. Doch von unten her erwuchs diesem Geist der Unterdrückung und der altpreutzischen Servilität ein ge- fährlicher Gegner, innerhalb des Instituts selbst. » Die Reaktion. Die Reaktion, dieses furchtbare Ungetüm, das sich in den Pro- vinzen erhob, ist ein Werk Camphausens. Der weichliche, blöde, bürgerliche Politiker hatte dem Adel in die Hände gearbeitet. Der 19. März war vergessen, ausgestrichen aus dem Kalender des Staats. Die Erhebung des Volkes war wieder eine Empörung ge- worden, die Barrikadenkämpfer hießen Taugenichtse, die letzten Bewilligungen des Throns, Bürgerwehr und allgemeines Wahlrecht, wurden dargestellt als erzwungene, nur dem Berliner   Pöbel ge- machte Fiiaeitändnisse. » Die Anarchisten. Galt es doch nur eins zu bekämpfen, die»Anarchisten". Die Anarchisten waren aber gerade nur die Beamten, die man abzusetzen nickt den Mut hatte, die Rittergutsbesitzer, die sich vor dem neuen Steuersystem fürchteten, die militärischen Pensionärs, die, zum so- genannten Fahnenadel gehörend, mit Vater, Kind und Kindeskind schon seit hundert Jahren von den Revenuen des Staates und wie oft aus der Schatulle des Königs allein lebten, diejenigen Gewerbs- leute, die das Stocken, ihrer Geschäfte der Revolution und dem sich gekränkt fühlenden Adel" zuschrieben. Die?reußischeDynastie. Das Band der Preußen an ihr Fürstenhaus ist längst gelockert. Nirgends ein Haupt in dieser Dynastie, auf das es noch mit voller glücklicher Befriedigung blickt... Während andere deutsche Völker hier und da Fürsten   besitzen, die sich die Liebe des ganzen deutschen  Volkes zu erwerben wußten, ist diese preußische Dynastie so un- populär.... Um diese Dynastie verliert Preußen eine große ge- schichtliche Misskm für das deutsche Vaterland. Erträgt das ein Volk? Wird es dies selbst dann noch ertragen, wenn es sich gestehen muß, diese Prinzen nehmen keine Lehre an, ihr Bund mit Ruß- land, mit der Aristokratie, mit dem alten Militärgeiste ist unauf- löslich und wir leben auf einer Mine des Verrats, die in jedem Augenblicke springen könne? Soziale Ideen. Die Mogiichleit einer neuen Form unserer Vergesellschaftung ist an und für sich nicht abzuschneiden.... Der Staat, von den Psingstzweigen der Liebe geschmückt, wird schon selbst den Winter- lichcn Stubendunst des Egoismus verlieren. Wird das Unrecht auf den Thronen verfolgt, sollte es sich da in den Speichern der In- dustrie, in den Kontoren des Handels erhalten? Das Gelt/ist eine ungeheure Macht, aber zu großem Widerstande bedarf es einer mo- ralischen Anlehnung, und diese gibt der Besitz des Geldes nicht. Der Reiche wird seine Rechte immer nur vom Zufall herzuleiten wagen und niemals ehrwürdig erscheinen, was selbst den verjährten Despotismus der politischen Macht nicht selten möglich gewesen ist. ... Der sicherste Weg, die Anarchie zu bekämpfen, den Geist der Unruhe aus den Städten, die Auflehnung gegen die Gesetze vom flachen Lande zu bannen, liegt nur in dem ehrlichen Bündnisse der Regierungsgewalt mit der friedlichen Revolutionspartei.... Es ist nicht mehr bloß die Erfüllung gewisser allgemeiner Freiheiten, um die es sich allein noch im deutschen   Volksleben handelt, sondern unendlich mehr der Trieb nach Organisation, nach neuer und um- fassender Staatsbildung, der befriedigt sein will. I�inokritik. ii. Am letzten Sonnabend, den 11. März, tagte im Reichstags« gebäude die Versammlung mit dem fast amtlich langen Namen: Konferenz über die Nutzbarmachung des K i n e- matographen für BildungSzwecke. Amtlich war sie auch insofern, als Vertreter besonders der Schulbehörden aus ver- schiedenen Teilen Deutschlands  , ja sogar des Auslandes und auch des Berliner   Polizeipräsidiums unter den Anwesenden nicht nur bemerkt", sondern gehört wurden. Man tagte mit amtlicher Gründlichkeit von ßszl Uhr nachmittags bis über die Tages- stunden hinaus, man slimmre sogar einen nach zweistündigem Reden und Anhören gestellten Antrag auf Eintritt einer Pause von zehn Minuten nieder und kain trotz alledem zu keinem anderen Resultat, als daß man nach achr Uhr abends mit roten Köpfen un- einig auseinanderging. Die völlig allgemein gehaltene, im fast leeren Saal gefaßte Resolution, die den vorbereitenden Ausschuß <Dr. Ernst Schultze, Haniburg-Großborstel, Stadtsckulrat Dr. Ncufert, Charlottenburg   und GerichtSassessor Dr. jur. Hellwig, Berlin  ) weiter bestehen ließ, konnte über den ergebnislosen Ausgang dieser Kon- fcrenz nicht täuschen. Der Vertreter der Hamburger Schulbehörde  erklärte nach Annahme der Resolution: die Hamburger würde» dann ihre eigenen Wege gehen, und einer der letzten Redner hatte sogar den Ueberzeugnngsmut zu erllären, bis jetzt habe überhaupt noch keiner gesprochen, der etwas von der Sache verstehe. So schlimm war es nun allerdings nickt. Der Vortrag, den der Direktor desKaiserir Friedrich-Hauses. Prof. Dr. Kutner, hielt, gab im Gegenteil in erfrischender Kürze eine vorzügliche Uebersicht über die Entwickelung und den augenblicklichen Stand der medi- zinischen Kinematographie; enthielt sogar aus der Er- sahrung gewonnene und darum wertvolle Winke zur Verwen- dung dieses modernsten Anschauungsmittels nicht nur in der ärzt« licken Forschung und im Unterricht, sondern vor allem auf dem Ge- biete der V o l k s h y g i e n e. Gerade auf die weniger gebildeten Volksmassen wirkt die Anschauung viel stärker, eindringlicher, als es Worte oder Flugschriften vermögen. Amerika   und Portugal   find uns hier schon voraus. Dort werden die Volksmassen über die Gefahren der Tuberkulose, über ihre Entstehung, Verhütung und Behandlung durch FilmS aufgeklärt. Ich selbst höre noch heute nach zwei Jahren die entletzten Pfuirufe von Frauen bei der Vorführung eines Pathöfilms, der die Uebertragung von Bakterien durch unsere HauSfliege zeigte. Diese Frauen werden nicht mebr denLutsckpfropfen" ungeschützt liegen lassen, nachdem sie deutlicher als im Leben auf der weißen Wand gesehen hatten, wie eine Fliege aus der engen Oeffnung deshygienischen" Spuck- napfes geradenwegs auf den Gummipfropfen flog, den das Kind nachher in das Mäulchen nahm. Keine bessere Abstinenzpropaganda kann ich mir denken, als die Vorführung des Films, der Zolas l'Assommier sTotichläger) zur Darstellung bringt. Die polizeilich verlangten gewerbehygienischen Vorschriften erfüllen heute noch oft genug ihren Zweck allein dadurch, daß sie an der Wand des ÄrbeitSraumes hängen.   Wie oft überhaupt kann der Arbeiter sich nach ihnen richten? Aber Films, die naturwahr die gesundheitlichen Gefahren unserer Gewerbe, unserer Fabriken. der Bergwerksindustrie vor die Oeffentlichkeit bringen würden, die sich den Augen aller einprägten, unauslöschlicher als Worte, die am Ohr verrauschen, würden die Oeffentlichkeit mehr zwingen, sich ernstlich mit diesen Schäden zu befassen, und so indirekt die Arbeit- geber zu einer, wenn auch zwangsweisen, Verwirklichung hygienischer Forderungen veranlassen. Die Hindernisse, die allerdings der interessierte Geldsack dem Aufnehmen solcher Films in den Weg legen würde, dürften nicht gering zu veranschlagen sein. Aber der Wille muß den Weg finden I Dergleichen Gedankenperspektiven, wie sie dieser Vortrag eröffnete, gehörten allerdings zu den seltenen Geschenken der Tagung. Im allgemeinen wurde die Gutmütigkeit der Zuhörer stark aus die Probe gestellt. Einzelne interessante Tatsachen, wie die, daß die H a m- bnrger Schulbehörde jetzt ein eigenes Kinemato- graphen-Theater gemietet bat, in dem die Schulkinder wöchent- lich zwei Geographiestunden erhalten, ferner die Angaben über die Handhabung der Kinematographenzensur(die genug Stoff für eine Konferenz geboten hätte I) könnm doch nicht als Ersatz für ein fünfstündiges Vorbeireden gelten. Worüber war man sich denn überhaupt einig? Fräulein Dr. jur. Frieda D u e n s i n g sprach als erste Rednerin mit sehr viel Wärme, aber leider nicht kühler Logik über den Wert des Kinematographen für die proletarische Kinderwelt. Ginge es nach ihr, so wäre jedes Kinodrama, bei dem die Kinderaugen aufleuchten und wann täten sie das nicht?, gut und für das Kind erfreulich. Eine Kinomutter" könnte besser als Pädagogen und Acrzte den Wert des Films fiir die Kindesseele beurteilen. Dem widersprachen natürlich Professor Dr. Baginski als Arzt und zahlreiche der anwesenden Schulmänner. Die Berliner   Redner und der Einberuser der Kon- ferenz priesen in allen Tonarten die Berliner   Zensur und wollten sie sogar als Zentralstelle für ganz Deutschland   oder zum mindesten für Preußen befugt sehen; natürlich bliesen Hamburg  , Stuttgart   und überhaupt der Westen die entgegengesetzte Melodie. Ein Redner wollte vom Standpunkt des Pädagogen das Himmelsgeschenk, den modernen ordis piotus des Fräulein Duensing, gänzlich beseitigen. Er sah im Kine- matographen den Dämon, der die Menschheit zum Haftenbleiben an äußeren Eindrücken verleitet, sie der allgemeinen Seichtheit, ober- flächlichem Denken, der Abgestmnpftheit zuführt. Das einzige Gemeinsame vieler Reden war die Klage über die Unmöglichkeit, gute Films zu beschaffen, obwohl eS offenbar heute daran nicht mehr mangelt. Hicr hätte die Konferenz den ersten praktischen Schritt unternehmen können, indem sie eine Kommisston einsetzte, die das ohne Zweifel schon vorhandene gute Filmmaterial zu registrieren und die Wege zu untersuchen hätte, auf denen seine uneingeschränkte Verwendung erreicht werden könnte. Der Rat und die Erfahrung des leider erkrankten Dr. Otto Driesen   hätte sicher ein gutes Stück weiter geholfen. Statt dessen über- ging man das bisher Geschaffene und Erreichte. Herr Dr. Ernst Schultze machte den überraschenden Vorschlag, eine Aktiengesell- schaff zur Herstellung eigener Films und zur leihweisen Hergabe zu gründen. Ein merkwürdiger Gedanke, die Verwirklichung gemein- nütziger Ideen, Geld nicht einbringender Reformen von einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft zu erwarten I Gesetzlich steht den Aktionären das Bestimmungsrecht über die Leitung der Ge- schäfte nach der Zahl ihrer Aktien zu. Die kapitalskräftigen, das heißt die kaufmännisch Interessierten, nicht aber die aus reiner Liebe zur Sache Arbeitenden, hätten also die Leitung in der Hand. Aus diesen Erwägungen wohl fand dieser Vorschlag wenig Gegenliebe bei den Versammelten. �P-