Nnterhattungsblatt des HorwärtsNr. 63.Donnerstag � den 80. März.1911i]Z.YCU.lSiaSdruck verbslen.lVon Alexander L. Kielland.- Fräulein Thyra ging ans Sprachrohr und rief:„SindKie Koteletts für Treu nicht bald fertig?"Jungfer Hansens Stimme ertönte aus der Küche:„Siestehen im Fenster, um abzukühlen: sobald sie recht sind, wirdStine sie hinaufbringen."Treu hatte es gehört und ging ruhig hin und legte sichauf den Teppich vor dem Kamin.JJr hat viel mehr Verstand als ein Mensch,— pflegte derGroßhändler zu sagen.Am Frühstückstisch saß außer den Hausbewohnern einalter Feind von Treu— der einzige, den er hatte. Uebrigenswar cand. jur. Viggo Hansen vielen Dingen dieser Welt feind;und seine bissige Zunge war in ganz Kopenhagen wohlbekannt.Hier in der Familie hatte er sich als langjähriger Haus-freund eine ganz besondere Offenherzigkeit zugelegt: und wenner übellaunig war, was er immer war, ließ er schonungslosseine Bitterkeit an allen und allem aus.Vorzugsweise war er immer hinter Treu her.Meses große, gelbe Beest, pflegte er zu sagen, hier gehtes und wird verhätschelt und verwöhnt und mit Braten« undFleischklößen gefüttert, während sich manches Menschenkindnach einem Stück trocknem Brot alle Finger leckt.Das war indessen der wunde Punkt, vor dem sich derHerr Kandidat ein wenig in acht zu nehmen hatte. Sobaldjemand Treu mit einem Wort, das nicht voller Bewunderungwar, zunahe trat, warf die gesamte Familie ihm einen ent-rüsteten Blick zu: und der Großhändler hatte sogar KandidatHansen unverblümt zu verstehen gegeben, daß er leicht einesTages ernstlich böse werden könnte, wenn der andere sich nichtjn gebührender Weise über Treu äußern würde.Aber Fräulein Thyra haßte Kandidat Hansen geradezuaus diesem Grunde: und obgleich Waldemar jetzt erwachsenwar,— wenigstens schon Student geworden, war es ihmimmer noch eine Freude, dem Kandidaten die Handschuhe ausden Rocktaschen zu stehlen und sie Treu zum Zerreißen zugeben.Ja, selbst die Frau des Hauses, die so mild und süß wieTeewasser war, mußte bisweilen den Kandidaten beiseitenehmen und ihm ernstlich Vorwürfe machen, daß er es übersich gewinnen könnte, so häßlich von dem süßen Tier zu reden.Dies alles verstand Treu sehr gut: aber er verachteteKandidat Hansen und nahm keinerlei Notiz von ihm. Er ließsich herab, die Handschuhe zu zerreißen, weil es nun einmalseinen Freund Waldemar freute: aber im übrigen tat er, alsob er den Kandidaten nicht sähe.Als die Koteletts kamen, fraß Treu sie geräuschlos unddiskret: er zermalmte die Knochen nicht, sondern nagte sie ganzrein und leckte den Teller ab.Darauf ging er zum Großhändler hin und legte ihm seinerechte Pfote aufs Knie.„Wohl bekomm's, wohl bekomm' s, alter Junge!" rief derGroßhändler gerührt: er wurde gleich gerührt jeden Morgen,wenn dies sich wiederholte.„Du kannst doch Treu nicht alt nennen, Vater," sagteStudent Waldemar ein wenig überlegen.„Na, weißt Du was!— er ist doch bald seine acht Jahr.„Ja aber— Männchen," sagte seine Frau sanft,„einHund von acht Jahren ist doch kein alter Hund."„Nein, nicht wahr. Mutter!" rief Waldemar eifrig,„gibstDu mir nicht recht? ein Hund von acht Jahren ist kein alterHund."Und in einem Nu war die ganze Familie in zwei Parteiengespalten,— in zwei sehr eifrige Parteien, die in einem un-aufhörlichen Strom von Worten zu debattieren anfingen: obman einen Hund von acht Jahren einen alten Hund nennenkönne oder nicht. Man erhitzte sich auf beiden Seiten, aberobgleich ein jeder immer von neuem seine Meinung unver-ändert wiederholte, wobei sie alle durcheinander redeten, sahes doch nicht aus, als ob eine Einigung erzielt werden würde,— nicht einmal, als die alte Großmutter aus ihrem Stuhlauffuhr und durchaus etwas von dem Leibmops der hochseligenKönigin-Witwe erzählen wollte, den sie die Ehre gehabt hatte,von der Straße her zu kennen«.Aber das unentwirrbare Durcheinander von Worten brachplötzlich ab, als einer auf die Uhr sah und sagte: das Dampf-schiff: alle erhoben sich, die Herren, die nach der Stadt sollten,stürzten fort, die ganze Gesellschaft zerstreute sich in alleWinde, und die Frage: ob man einen Hund von acht Jahreneinen alten Hund nennen kann oder nicht, blieb ungelöst in derLuft schweben.Nur Treu rührte sich nicht. Er war an diesen Familie�lärm gewöhnt, und die ungelösten Fragen interessierten ihnnicht. Er ließ seine klugen Augen über den verlassenen Früh-stückstisch wandern, legte dann seine schwarze Schnauze aufseine mächtigen Pfoten und schloß die Augen zu einem kleinenFrühstücksschläfchenl Solange man hier draußen auf demLande war, gab es nicht viel anderes für ihn zu tun, als zufressen und zu schlafen.Treu gehörte zu den echten dänischen Rassehunden auSdem zoologischen Garten: der König hatte sogar seinen Brudergekauft, was ausdrücklich einem jeden, der ins Haus kam, er-zählt wurde.Aber er hatte trotzdem eine ziemlich harte Jugend ver-lebt: denn es war seine ursprüngliche Bestimmung gewesen,draußen bei dem großen' Kohlenlager des Großhändlers inKristianshavn Wachthund zu sein.Draußen betrug Treu sich mustergültig. In der Nachtwild und wütend wie ein Tiger, war er am Tage so still unt»freundlich— ja unterwürfig, daß der Großhändler auf ihnaufmerksam wurde und ihn vom Wachthund zum Zimmerhundbeförderte.Und von diesem Augenblick an hatte das edle Tier erstalle seine Vollkommenheiten entwickelt.Gleich von Anfang an hatte es eine eigene bescheideneManier, an der Tür stehen zu bleiben und den, der hinein-ging, so unterwürfig anzusehen, daß es ganz unmöglich war,ihn nicht mit in den Salon zu nehmen: und hier fand er sichbald zurecht, im Anfang unter dem Sofa, und später auf demweichen Teppich vor dem Kamin.Und je mehr die übrigen Mitglieder der Familie eSlernten, seine seltenen Eigenschaften zu schätzen, desto mehravancierte Treu, bis Kandidat Hansen behauptete, daß er dereigentliche Herr im Hause sei.Sicher ist, daß Treus ganzes Auftreten« ein Gepräge an-nahm, das kund gab, er sei sich der Stellung, die er einnahm.wohl beimißt. Er blieb nicht länger unterwürfig an der Türstehen, sondern ging selbst zuerst hinein, sobald geöffnet wurde.Und machte man ihm nicht gleich auf, wenn er an die Tüvkratzte, so hob sich das mächtige Tier auf die Hinterbeine, legtedie Pfoten auf die Türklinke und öffnete selbst.Als er zum erstenmal dies Kunststück ausführte, rief diegnädige Frau entzückt:„Ist er nicht reizend?— ganz wieein Mensch, nur soviel besser und treuer."Es war auch die Meinung der andern im Hause, daßTreu besser als ein Mensch sei. Jeder einzelne schien etwasvon seinen eigenen Sünden und Schwächen abzuziehen, wäh-rend er das edle Tier bewunderte und verehrte, und jedesmal,wenn einer mit sich oder anderen unzufrieden war, bekam Treudie allervertraulichsten Mitteilungen und die heiligsten Ver-sichcrungen, daß er doch der einzige wäre, auf den man sich,verlassen könnte.Aber wenn Fräulein Thyra enttäuscht von einem Ballkam, oder wenn ihre beste Freundin treulos ein furchtbargroßes Geheimnis verraten hatte, da warf sie sich weinend!über Treu:„Jetzt habe ich nur noch Dich. Treu! es gibt nie-mand— niemand— niemand auf der Welt, der sich waS au?mir macht außer Dir. Jetzt sind wir zwei ganz allein in de»weiten � weiten Welt: aber Du wirst Deine arme kleineThyra nicht verraten— das mußt Du mir versprechen. Treu!*Und dann weinte sie. so daß es über Treus schwarze Naseniederträufelte.Darum war es nicht zu verwundern, daß Treu zu Hausemit einer gewissen Würde auftrat. Aber auch äuf der Straßekonnte man ihm ansehen, daß er sich sicher fühlte und stolzdarauf war, Hund zu sein in einer Stadt, wo die Hunde dieMacht hatten.