Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 74.

Freitag, den 14. April.

( Nachdruck berboten.)

Das Gemeindekind.

1911

Frecher Bub!" rief sie, griff nach ihrem Stock und gab ihm damit einen Streich auf jede Schulter.

Nun ja, dachte Pavel, wieder Brügel, immer Prügel... und er richtete einen stillen Stoßseufzer an das eiserne Ding: Wenn du doch herunterfallen, wenn du ihr doch auf den Kopf fallen möchtest!...

Habrecht machte hinter dem Rüden der Baronin ein Kompliment, in dem sich Anerkennung aussprach: Euer Gnaden haben dem Holub Pavel eine spürbare Burecht weisung gegeben," bemerkte er. Das war gut; eine sehr gute Vorbereitung zum Verhör, das ich jetzt mit Eurer Gnaden Erlaubnis vornehmen will."

Erzählung v. Marie v. Ebner- Eschenbach . Es war eines der Gastzimmer, in dem Pavel sich befand, und seine Augen hatten, so lange fie offen standen, eine Bracht wie diejenige, die ihn hier umgab, nicht erblickt. Seidenzeug, grün schillernd wie Kazenaugen, hing an Fenstern und Türen in so reichen Falten, wie der neue Sonntagsrod Vinskas sie warf, und mit demselben Stoff waren große und kleine Bänke, die Lehnen hatten, überzogen. Der alten Frau war nach ihrer Gewalttat nicht wohl zu­An den Wänden befanden sich Bilder, das heißt eingerahmte mute. Sie hatte ihren Born auf einmal ausgegeben und dunkelbraune Flecken, aus denen aus verschiedenen Stellen lag nun im Bann eines leidigen Gefühls: einer grämlichen, ein weißes Gesicht hervorschimmerte, eine fahle Totenhand sentimentalen Entrüstung. Was ist da zu berhören?" sprach zu winken schien... Ein großer Schrank war da, dem Altar fie; der schlimme Bub hat mir meinen Pfau erwürgt und in der Kirche sehr ähnlich, und am Fensterpfeiler ein Spiegel, will nicht sagen, warum, weil er sonst sagen müßte: aus in dem Pavel sich sehen konnte in seiner ganzen lebensgroßen Bosheit. Berlumptheit. Als er hineinblickte und dachte:" So bin ich?" gewahrte er über seinem Kopf ein feltsames Ding. Ein flacher eiserner Rübel schien's, aus dem goldene Arme heraus ragten, und der mit einem äußerst dünnen Seilchen an der Dede befestigt war. Pavel sprang sogleich davon und be trachtete das böse Ding mißtrauisch aus der Entfernung. Es schien keinen anderen Zwed und auch keine andere Absicht zu haben, als auf die Leute, die so unvorsichtig waren, in- sein Bereich zu treten, niederzustürzen und sie zu erschlagen.

-

Nach kurzer Zeit ließen sich Schritte auf dem Gange hören; die Tür wurde geöffnet, und die Baronin trat ein. Sie ging mühsam auf den Stod gestüßt, war sehr gebeugt and blinzelte fortwährend. Fast auf den Fersen folgte ihr, tief bekümmert, die spärlichen Haare so zerzaust, als hätte er eben in ihnen gewühlt der Schulmeister. Sein un­geschickt fahriges Benehmen fiel sogar dem schlechten Beobachter Pavel auf. Wohin belieben Euer Gnaden sich zu sehen?" fragte der Alte, schoß dienstfertig umher und rückte die Seffel aus­einander, um der Frau Baronin den Ueberblick und somit die Wahl zu erleichtern.

,, Lassen Sie's gut sein, Schullehrer," sagte sie ärgerlich, nahm gerade unter dem Kronleuchter mit dem Rücken gegen die Fenster Platz, legte den Stock auf ihren Schoß und gab Pavel Befehl, näher zu treten.

Er gehorchte. Der Lehrer jedoch stellte sich hinter den Ceffel der gnädigen Frau, und über ihren Kopf hinweg be­drohte er abwechselnd den Delinquenten mit Blicken des In­grimms oder suchte ihn durch Mienen, die tiefste Wehmut ausdrückten, zu erschüttern und zu rühren.

Die Baronin hielt die Hand wie einen Schirm an die Stirn und sprach, ihre rotgeränderten Augen zu Pavel er­hebend: Du bist groß geworden, ein großer Schlingel. Als ich Dich zum leẞtenmal gesehen habe, warst Du noch ein fleiner. Wie alt bist Du?"

Sechzehn Jahre," erwiderte er zerstreut. Das eiserne Ding an der dünnen Schnur nahm seine ganze Aufmerksam feit in Anspruch. Im Geist sah er's herunterfallen und die Frau Baronin auf ihrem Richterstuhl zu einem flachen Suchen zusammenpressen.

Diese nahm wieder das Wort: Schau nicht in die Luft, schau mich an, wenn Du mit mir redest... Sechzehn Jahre!... Vor drei Jahren hast Du mir meine Kirschen gestohlen, heute erwürgst Du mir meinen guten Pfau, der mir, das weiß Gott , lieber war als mancher Mensch."

Der Lehrer erhob seine flehend gefalteten Hände und gab dem Burschen ein Zeichen, diese Gebärde nachzuahmen. Pavel ließ sich aber nicht dazu herbei.

Warum hast Du das getan?" fuhr die Baronin fort. Antworte!" Pavel schwieg, und der alten Frau schoß das Blut ins Gesicht. Erregten Tones wiederholte sie ihre Frage.

Der Junge schüttelte den Kopf: aus seinem dichten Haargestrüpp hervor glitt sein Blick über die Zürnende, und ein leises Lächeln fräuselte seine Lippen.

Da wurde die Greifin vom Zorn übermannt

So ist es o gewiß!" bestätigte der Lehrer. Dem armen Pfau fehlten, als man ihn tot auffand, seine legten Schwanzfedern, die hat der schlechte Bub ihm gewiß aus gerupft aus Bosheit!"

-

,, Das ist nun wieder albern, Schulmeister!" fiel die Baronin ärgerlich ein. Wenn der Junge- wie schon viele andere dumme Jungen vor ihm meinem armen Pfau nur Federn ausgerupft hätte, wäre das noch kein Zeichen von Bosheit Dummheit wäre es gewesen und Dieberei. wie wahr!" entgegnete Habrecht,- ,, Dummheit und Dieberei. So ist es und nicht anders, Euer Gnaden." st es so! wer weiß es?"

-

Ganz recht, tver... außer- Euer Gnaden, die sogleich Licht in die Sache gebracht haben. Federn aus. rupfen? Ei, ei, ei! Um Federn war's dem Buben zu tun, dadurch hat er den Pfau gereizt und einen Kampf hervor­gerufen, indem das gute Tier gefallen ist."

Wie der Nabe Odins an das Ohr des Gottes, neigte sich Habrecht an das Ohr der Baronin und flüsterte: Nicht ohne an dem Feind Spuren seiner Tapferkeit zu hinterlassen. Geruhen sich zu überzeugen, die Stirn des Buben ist zer­hackt und voll Blut."

" So? Jamir scheint so

"

n

" Sprich, Holub Pavel!" rief der Lehrer sich wieder auf­richtend, entschuldige Dich. Um die Federn war's Dir dummen Jungen zu tun, eine böse Absicht hast Du nicht gehabt."

Sprich!" befahl auch die Baronin. Hat Dich jemand zum Raub der Federn angeftifet? Denn im Grund," fette fie nach kurzer Ueberlegung hinzu, was solltest Du mit ihnen?"

" Freilich, was? ein solcher Bettler, mit Pfauen­

federn Jedesmal, wenn das Wort Feder ausgesprochen wurde, überrieselte es den Burschen; als ihm aber der Lehrer nun mit der bestimmten Frage zu Leibe ging: Wer hat Dich an gestiftet? war's nicht die saubere Binska?" da überkam ihn eine Todesangst vor den schlimmen Folgen, die dieser Ver­dacht für die Tochter des Hirten haben fönnte, und fest ent­schloffen, ihn abzuwenden, sprach er mit dumpfer Stimme: Es hat mich niemand angestiftet; ich hab's aus Bosheit getan."

"

Die Baronin stieß ihren Stock heftig gegen den Boden und erhob sich:" Da haben Sie's," sprach sie zum Schul­lehrer, da hören Sie ihn,., den geben Sie auf, der ist verloren."

Erbarmen sich Euer Gnaden!" flehte der Alte. Glauben Sie ihm nicht. Der unsinnige Tropf fügt sich zum Echelm; der Tropf weiß nicht, was er tut, Euer Gnaden!"

Sie winkte ihm zu schweigen und trat dicht an Pavel heran. Ihre müden Augen moßen den Wildling mit traurigem Ausdruck: Und das ist der Bruder meines lieben Kindes," sagte sie tief auffeufzend. S, oft das Kind an mich schreibt, und so oft ich es sehe, fragt es: wie geht's meinem Pavel? wann wird mein Pavel zu mir kommen? ... Es weiß, daß ich mit ihm nichts zu tun haben will; ich