Nnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 76. Donnerstag, den 20. April. 1911 (Nachdruck tzerb»ten.> 11] Das Gemeindekind» Erzählung v. Marie v. Ebner-EschenbaH. Dann fuhr sie fort:Du wirst doch nichts Unrechtes tun?" Er schüttelte den Kopf, suchte sich von ihr loszumachen, besonders aber ihren Blick zu vermeiden:Warum soll ich nichts Unrechtes tun?" murmelte er.Es geht nicht anders" Und welches Unrecht tust Du zum Beispiel?" Zum Beispiel?-.. Ich nehm den Leuten Sachen weg.. Was für Sachen?" Wie Du fragst? was soll ich denn nehmen? was ich immer genommen habe Obst oder Rüben oder Holz..." Mit steigender Angst, aber noch zweifelnd, schrie die Kleine auf:Dann bist Du ja ein Dieb!" Ich bin auch einer." Das ist nicht wahrl sag. daß es nicht wahr ist, daß Du nicht schlecht bist! um Gotteswillen, sag es..." Sie drohte, schmeichelte und geriet in Bestürzung, als er die Entschuldigung vorbrachte:Wie soll ich nicht schlecht sein? die Eltern sind ja auch schlecht gewesen." Just deswegen!" rief sie,begreifst Äu's nicht? just deswegen bin ich die Bravste im ganzen Kloster, und mußt Du der Bravste sein im ganzen Dorf..., damit der liebe Gott den Eltern verzeiht, damit ihre Seelen erlöst werden ... Denk an die Seele des Vaters, wo die jetzt ist..." Eine fliegende Blässe überzog wie ein Hauch ihre rosigen Wangen.Wir müssen immer beten," fuhr sie fort, beten, beten und gute Werke tun und uns bei jedem guten Werke sagen: Für die arme Seele, die im Fegefeuer brennt." Mit tiefster Durchdrungenheit stimmte Pavel bei:Ja, die brennt gewiß." O Gott im Himmel!,.. und weißt Du, was ich glaube?" flüsterte die KleineWenn wir schlimm sind, da brennt sie noch ärger, weil der liebe Gott sich denkt, das kommt von dem bösen Beispiel, welches diese Kinder be- kommen haben von..." Sie hielt inne. schluckte einigemal nacheinander, ihre Augen öfneten sich weit und starrten den Bruder voll leidenschaftlichen Schmerzes an. Plötzlich faßte sie seinen Kopf mit beiden Händen, drückte ihr Gesicht an das seine und fragte: Warum stiehlst Du?" Ach was," erwiderte er,laß mich." Sie umklammerte ihn fester und rief wieder ihr be- schwörendes:Sag! sag!" und da er durchaus nicht Rede stehen wollte, begann sie zu raten:Stiehlst Du vielleicht aus Hunger... Bist Du vielleicht manchmal hungrig?" Er lächelte gelassen:Ich bin immer hungrig." Immer!" Ich denk aber nicht immer d'ran," suchte er sie zu be- ruhigen, als sie in Jammer ausbrach über diese Antwort; doch hörte die Kleine ihn nicht am sondern rannte, unter heftigen Vorwürfen gegen sich selbst, aus dem Zimmer. Bald erschien sie wieder, gefolgt von einer Laienschwestcr. die einen reichlich mit Brot und Fleisch besetzten Teller trug. Der wurde auf den Tisch gestellt und Pavel eingeladen, sich's schmecken zu lassen. Er machte der Aufforderung Ehre, hastig, war aber erstaunlich bald satt. Ist das Dein ganzer Appetit?" fragte die Kloster- dienerin und sah ihn mit jungen hellen Augen freundlich an;bist nicht gewohnt das Essen, hast gleich genug, ich kenn das schon. Woher kommt er denn, wer ist er?" wandte sie sich an Milada. Von zu Hause," antwortete diese,er ist mein Bruder." Nun ja, in' Christus; jeder Arme ist unser Bruder in Christus." So mein ich's nicht, er ist mein wirklicher Bruder!" beteuerte Milada und wurde böse, als die Schwester sie er- mahnte, sich erstens nicht zu ärgern und zweitens, nicht ein- mal im Scherz eine Unwahrheit zu sagen. Aber ich sag ja keine Unwahrheit, Schwester Philippine, fragen Sie die ehrwürdige Mutter, fragen Sie das Fräulein Pförtnerin"... eiferte das Kind. Die Klosterdienerin aber erwiderte gutmütig verweisend: Seien Sie ruhig, Fräulein Maria , seien Sie nicht schlimm. Sie waren schon lange nicht mehr schlimm. Nuv nicht wieder in den alten Fehler verfallen; sonst müßt ich'S melden; Sie wissen recht gut, d- ich's melden müßt." Damit nahm sie rasch den Teller vom Tisch, nickte den Kindern einen munteren Abschiedsgruß zu und ging. Sie will nicht glauben, daß ich Dein Bruder bin/' sprach Pavel nach einer Weile. Milada legte wieder ihre Wange an die seine unj» flüsterte ihm ins Ohr:Vielleicht glaubt sie's doch." Glaubt's doch?.;. Warum tut sie dann so?,., Und tvarum hast Du ihr's nicht besser gesagt? Warum warst Du gleich still?... Ich bin still, wenn ich recht Hab, weil's mich freut, wenn die Leut so dumm sind, und ich mir dann so gut denken kann: Ihr Esel! Aber Du brauchst das nicht." Ja ich! ich bin auch still, nicht aus Trotz und Hochmut wie Du; aus Demut und Selbstüberwindung." Sie warf sich in die Brust, und ihr Gcsichtchen leuchtete vor Stolz «damit die Engel im Himmel ihre Freude an mir haben." Nachdem sie sich an der Bewunderung geweidet, mit der er sie ansah, fuhr sie fort:Pavel, ich darf unserer Mutter nicht schreiben, aber Du schreibe ihr; schreibe ihr, daß ich immerfort für sie bete und nichts anderes werden will als eine Heilige... Ja?... und daß ich auch für sie sorge. schreibe ihr. und mir olle Tage etwas abbreche für sie, und alle Tage wenigstens e i n gutes Werk tue für sie... und Du, Pavel," unterbrach sie sich, faßte ihn an beiden Schultern und fragte:Was tust Du für unsere Mutter?" Ich," lautete seine Antwort,ich tu halt nichts." Ach gehl Du wirst schon etwas tun..." Was soll ich tun? ich weiß nicht was." So sag ich Dir'sl Du sollst dran denken, was die Mutter anfangen wird, wenn sie heimkehrt: wohin soll sie gehen, wo soll sie wohnen, die arme Mutter?" Und nun kam Milada mit einem ganz fertigen Plan, der darin bestand, daß Pavel einen Grund kaufen und für die Mutter ein Haus bauen müsse. Er ärgerte sich:Wie soll denn ich ein Haus bauen? ich Hab ja kein Geld." Aber ich Habel" rief das Kind.Wart, ich bring Dir's ... bleib ruhig sitzen und wart." Eilends flog sie davon; doch dauerte es lange, eh sie wieder kam. Die Pförtnerin folgte ihr und hielt einen Gegenstand, den Milada in der Hand trug, scharf im Auge.- Halt," sprach die Klosterfrau,was wollen Sie damit tun?" Ich schenk es meinem Bruder, ich Hab Erlaubnis von der ehrwürdigen Mutter." Die Pförtnerin betrachtete das Kind mißbilligend, fragte gedehnt:Wirklich?" und zog sich langsam mit leise gleiten» den Schritten zurück. Milada schwang triumphierend einen gestrickten Beutel« durch dessen weite Masck>en es hell und silbern blinkte. Er erhielt ihre Ersparnisse, das von der Frau Baronin erhaltene und gewissenhaft zurückgelegte Wochengeld, im ganzen vier- unddreißig Gulden. Daß man damit noch keinen Grund kauft und noch kein Haus baut, leuchtete sogar dem geschäfts- unkundigen Pavel ein; aber es war doch ein Anfang, es war doch ein Eigentum, an das sich die Hoffnung, es zu der- größern, knüpfen ließ. Die Kinder berieten, wie das ge- schehen solle, und für Milada war es bald ausgemacht, daß ihr Bruder fleißig arbeiten und etwas verdienen müsse. Pavel aber meinte:Wie soll denn ich etwas verdienen? So lang ich beim Hirten bin, kann ich nichts verdienen, Ja!" rief erja wenn..." ein Gedanke war in ihm aufgetaucht, und dieses ungewöhnliche Ereignis versetzte ihn in fieberhafte Erregungwenn ich hierbleiben dürft, sie haben ja eine Wirtschaft, die Klosterfrauen... wenn sie mir etwas zu tun geben möchten in der Wirtschaft,,