Unterhaltungsblatl des Horwärts Nr. 79._ Dienstag, den 25. April. 1911 �Nachdruck v erdeten 1 Das Gememäekmä. Erzählung v. Marie v. Ebner-EschenbaHj. Die Bauern schritten dem Wirtshaus zu. Pavel folgte ihnen, ihren Reden lauschend, aber nicht fähig, eine Silbe zu unterscheiden: ein heftiges Hämmern und Brausen in seinem Kopf übertönte den von außen kommenden Schall, der(Je- danke, der ihn einen Augenblick rasend gemacht, hatte seine Schrecken verloren vor einem anderen nicht minder Pein- lichen, aber viel ungeheuerlicheren, weil er das Unmögliche als möglich erscheinen ließ und ihm die Gehaßte, die Geliebte zeigte, vor dem Altar, im Brautkranz, der ihr nicht mehr ge- bührte. Ein unleidlicher Schmerz ergrisf ihn.:md dem tobenden Kampf in seiner Seele entstieg der zornige Wunsch: wenn sie doch lieber in den Brunnen müßte! Den vor ihm langsam herschreitenden Männern schlosien sich andere an. die Gruppe blieb eine Weile im schleppenden, wortkargen Gespräch vor der offenen Wirtshaustüre stehen und trat dann in die Gaststube. Pavel schlich nach bis in den Flur, weiter wagte er sich nicht. Das Zimmer war überfüllt. doch gab es heute weder Tanz noch Musik: man spielte Karten, man rauchte, man trank, man zankte. Einige Burschen traktierten chre Mädchen mit Braten und Wein. An einem Tisch saß Arnost zwischen der Magd und dem Knecht de ? Herrn Postmeisters bei einem Glase Bier, aus dem die drei abwechselnd tranken. Der schmächtige Häuslerssohn hatte sich in der letzten Zeit tüchtig herausgemacht, sah wohlgenährt aus. war ordentlich gekleidet, befand sich sogar im Besitz einer Tabakspeife. Vor einem Jahre hatte er das Glück gehabt. feinen liederlichen Vater zu verlieren, seitdem ging es ihm gut»: er erhielt sich und die Mutter von seiner Hände Arbeit und erlaubte der Alten nicht mehr, das Diebeshandwerk zu treiben. Als sie es unlängst wieder versuchte, und er sie da- bei betraf, prügelte er sie erbarmungslos durch und schwor, er werde die alte Katze schon lehren, das Mausen aufzugeben. Mit den Genossen seiner Jugendstreiche ließ er sich nicht mehr ein und hätte den Pavel nicht einmal mit einem Hölzchen an- rühren mögen: doch erwies er ihm hier und da kleine Wohl- taten in Erinnerung der vielen Schläge, die der Hirtenjunge einst an seiner Stelle einkassiert hatte. Als er ihn hereingucken sah. machte er die anderen auf ihn aufmerksam und meinte, dem Buben sähe doch immer der Hunger aus den Augen. Die kleine Gesellschaft erhob sich Arnost bezahlte, behielt aber von den Kreuzern, die er auf seine Silbermünze herausbekam, einen in der Hand und schleuderte ihn prahlerisch, noch aus der Mitte de? Zimmers. dem Pavel zu. Der fing ihn auf. hielt ihn ein Weilchen in der erhobenen, geschlossenen Hand, öffnete sie aber plötzlich irtid ließ das Geldstück zu Boden gleiten. Arnost fuhr auf:Drnnmer Kerl, such ihn jetzt, such den Kreuzer." Pavel aber streckte die Hände in die Taschen: Such selbst, ich brauch Dein Geld nicht, ich Hab Geld!" ant- wartete er. zog seinen Beutel hervor und schwenkte ihn triumphierend, daß die Silbergulden hlaperten. Geld! Der Lump, der Bettler hatte Geld! Da gab's nur einen Aufschrei, da wurde die Aufmerksamkeit allgemein, viele Leute verließen ihre Sitze, in der Tür entstand ein Ge- dränge. Der Knecht packte Pavel am Kragen, schüttelte ihn und wetterte:Woher hast Du's? woher? Dieb! und nun konnte der Junge sich freuen, daß seine Jacke so morsch war und nachgab, als er den Fuß gegen die Beine des Knechtes stemmte und sich mit einem kräftigen Ruck losriß. Einen Fetzen des alten Kleidungsstückes in den Händen seines Be- drängers zurücklassend, schnellte er davon, sprang zur Tür und über die Stufen hinaus in das bergende Dunkel. Kaum entronnen, aber die Verfolger auf den Fersen. vief er noch zurück:Woher ich's Hab? gestohlen Hab ich's!" und stob davon mit höhnendem Gelächter, und durch ihn selbst auf die richtige Fährte geleitet, eine Schar junger Bursche, Amost an der Spitze, fluchend und drohend ihm nach. Er rannte die Dorfstraße wieder hinauf bis zu dem Gaßchen. das. von zwei Häusern gebildet, auf den Platz führte, ans dem die Schule stand. In das Gäßchen warf er sich, prallte an den friedlich daherschreitenden Nachtwächter an, fegte den Alten glatt nieder, daß dieser hinfiel wie ein Arm voll Getreide unter einer scharfen Sense, stolperte selbst, indes der Nachtwächter durch sein Geschrei die hinter Pavel Her- jagenden, die seine Spur schon verloren hatten, wieder auf sie lenkte. Dem Gehetzten blieb eben noch Zeit genug, die Schule zu erreichen. Er fand die Tür unverschlossen, trat ein, schlug sie zu, schob den Riegel vor und polterte die Treppe zur Stube des Lehrers hinauf, indes Arnost und seine Ge- fährten schon cm der Haustür pochten und lärmten. Habrecht saß am Tische mitten im Zimmer, beim Schein einer kleinen, hell brennenden Lanipe und las. Er hatte die Ellbogen auf den Tisch und die Wangen auf die geballten Fäuste gespitzt, und diese sonst so fahlen Wangen ivaren ge- rötet und die sonst immer so matt und müde blickenden Augen glühten in seltsam schmerzlicher Begeisterung. Wie aus einer höheren, traurig schönen Welt ins irdische Elend zurllckgczerrt, sah er halb zürnend, halb erschrocken, zu dem ungestümen Eindringling hinüber und verbarg dabei, mit einer unwill- kürlichen Bewegung beider Hände, die Blätter des aufge- schlagenen vor ihm liegenden Buches. Herr Lehrer!" keuchte Pavel atemlos,Herr Lehrer, heben Sie mir mein Geld auf!" Er hielt ihm sein Beutelchen hin und berichtete in hastigen, abgebrochenen Sätzen, wie er zu dem Reichtum gekommen war, rmd in welchen Verdacht ev sich bei den Leuten gesetzt hatte, die nun da unten Spektakel machten. Hat Dich wieder der Teufel geritten?" fuhr Habrech! ihn an, lief zum Fenster, öffnete es, schrie hinab, so laut er konnte, und befahl der brüllenden Meute, sich zurllckzuzichem Er nehme den Buben in Gewahrsam, er stehe gut für ihn. er werde ihn morgen schon selbst dem Bürgermeister vorführen. Half alles nichts, er mußte seine Warte Verlasien und sich hin» unter zu den Stürmern begeben, um sie wenigstens daran zu hindern, ihm die Tür einzurennen. Und derweil der Alte auf der Straße parlamentierte, stand Pavel in der Stube, mit brennendem Kopf, die Hände, die seinen durch ihn selbst gefährdeten Schatz festhielten, an die Brust gepreßt.Ich will's nicht wieder tun, ich will so etwas nicht mehr sagen," dachte er. Eine ihm endlos dünkende Zeit verstrich: der Lärm nahm allmählich ab. es wurde still. Arnost und seine Begleiter traten den Rückzug an, doch hörte man noch lange ihre er- regten Stimmen. Der Lehrer betrat die Stube, er war sehr erhitzt, und eine unerhörte Verwirrung herrschte in seinen dünnen, nach allen Richtungen flatternden Haaren. Jetzt sind sie fort," sagte Pavel, und Habrecht brummte: Wenn sie nur nicht wiederkommen." Sie sollen sich unterstehen!" rief der Junge, mit einem bedeutsamen Blick auf den Krug, der im Winkel neben dem Bette stand.Wenn sie wiederkommen, schütte ich ihnen Wasser auf den Kopf." Das wirst Du bleiben lasten, denk erst daran. Dein Geld zu verstecken. Schau her!" der Lehrer rückte den Tisch gegen die Wand und hob ein Stück der Diele, auf der er ge- standen hatte, in die Höhe. Es zeigte sich ein kleiner, hohler Raum, in den der Lehrer das Buch, mit dem Pavel ihn be- schäftigt gefunden, und das Geld legte, und den er sorgsam verdeckte. Der Junge hatte ihm mit der größten Aufmcrksamkcik zugesehen, und nachdem alles in Ordnung gebracht war, uird der Tisch wieder auf dem alten Fleck stand, fragte er: Was ist's denn mit dem Buch? ist's ein Hexenbnch?" Habreckst geriet in Zorn:Wie töricht redest Du und wie frech: weißt nicht, was mich am meisten verdrießt, willst auch mich zum Feinde haben, hast noch nicht Feinde genug? Manch- mal." ftchr er, immer mehr in Hitze geratend, fort,habe ich mich gewundert, daß sie alle gegen Dich sind, ich hätte mich nicht wundern sollen, es kann nicht anders sein, es ist Deine eigene Schuld. Wen magst denn Du? Vor wem hast denn Du Achtung?,., Nicht einmal vor mir!.,» Ein Hexen- buch!" Er wiederholte das Wort mit einem neuen AusbruH der Entrüstung und rang die anklagend erhobenen Hände.