T-ie Leute, die die Zeitungen lasen und Jens Himmelreich er­kannten, entsannen sich Kren Pappels und Ann-SofiS, die einen ko starken Kaffee zu brauen pflegte, und sie überlegten sich, dah der Rückweg vom Festlande zur Insel nicht länger sei als der Hinweg und die Begräbnisfestlichkeiten auf der Insel standen in gutem Ruf. So beschlosien sie. Kren und Ann-Sofi durch ihre Gegenwart zu ehren. Also strömten von fern und nah die Menschen zusammen; die Sonne schien, und die Schmetterlinge fächelten im Winde wie gelbe, blaue und rote Fähnchen. Die Nachbarsfrau hatte eS übernommen, für die Bewirtung zu sorgen. Den ganzen Jens Himmelreich hatte sie vorzusetzen, und wenn er auch ein paar Viertelpfunde Kugeln im Leibe hatte, so waren die ja doch nicht größer als gelbe Erbsen, und wer sie nicht lauen oder hinunterschlucken konnte, der konnte sie ausspucken wie tote Fliegen und Zwetschgensteine. Me Frau nahm die ledigen Mädchen der Insel zu Hilfe, ließ gewaltige Messer schärfen, weichte den Kopf ein und säbelte dann auf Jens los, der wohlgefällig dalag und alles mit sich geschehen ließ. Im Saale wäre lange nicht Platz genug für alle die guten Menschen gewesen, die sich einfanden, weshalb man statt dessen klugerweise die Scheune hergerichtet hatte. In einem und demselben Sarge mitten im Räume lagen Kren und Ann-Sofi in weißen Gewändern, die wie lackiertes Papier glänzten. Und über sie hatte man kleine Blumen gestreut. Das machte einen so schönen Eindruck. Um den Sarg herum, an den Wänden der Scheune entlang, hatte man über aufrechtstehcnde leere Tonnen alle Türen des Ge- Höftes gelegt, die zusammen einen, mächtigen Tisch ausmachten, der mit Laken und Handtüchern ged,ckt war. Auf den vornehmen Mittelplätzen des Tisches standen Teller mit blauem Rand und einige mit rotgelben Hühnern und Küchlein aus Holland ; die Mehrzahl der Gäste freilich mußte sich damit begnügen, nach der Schüssel zu langen und von den Holztcllern zu essen, die auf der Insel Reih umgingen zu Hochzeit, Kindstaufe und Begräbnis. Sie wurden jedesmal mit Sand und grüner Seife gescheuert, so daß man keinen Grund zur Klage hatte. Der Sohn, Kristian Fredrik, kam im letzten Bugenblick. Sein Gesicht sah aus, als wäre es aus Kalk und nicht aus Blut. Und er schritt ww taumelnd daher. Der Pfarrer führte ihn förmlich wie «inen Blinden; es war ein trauriger Anblick. Drüben bei Kren und Ann-Sofi blieb er stehen, faltete die Hände und bewegte krampf- Haft die Lippen, daß die Zunächststehenden leicht erraten konnten, daß er ein Gebet sprach. Nun kamen die Mädchen und brachten die Suppe in vielerlei Schüsseln, Krügen und Kübeln, und Kristian wurde auf die Bank ztoischen den Pfarrer und seine Frau geradezu niedergedrückt. Die Suppe und auch das Meerrcttigsleisch wurden in aller Stille verspeist man hörte nicht viel mehr als ein gewaltiges Schlürfen und Schmatzen. Als aber darauf die großen Braten mit Rotkohl und Weißkohl und Kartoffeln umhevgcreicht wurden, da war der feierliche Augenblick gekommen, wo der Pfarrer aufstand und von Kren Pappel und Ann-Sofi zu reden begann. Er sprach so andächtig und erbaulich, daß es ein reines Ver- gnügen war, ihm zuzuhören. Wie schön wußte er darzustellen, wie Kren und Ann-Sofi nicht bloß bei Tag und Nacht im Leben alles gemeinsam getan hätten, sondern wie nicht einmal der Tod sie habe trennen können, wie sie Hand in Hand durch das große Tor gegangen seien, daS durch den Tod einführe zum ewigen Leben! Und obwohl sie nun dort im Sarge lägen, weilten sie doch auch droben in den himmlischen Wohnungen im Reiche der Seligen. Der Pfarrer malte ihr frommes, rechtschaffenes Leben aus, ihre Freigebigkeit und Barmherzigkeit gegen die Armen, ihre Liebe, die so groß war, daß sie nicht nur Menschen umfaßte, sondern sich auch auf die Tiere erstreckte! Wer gesehen habe, wie Kren und Ann-Sofi sich mit Jens Himmelreich, wie der Stier ja hieß, ab- gegeben hätten, der habe den Eindruck bekommen müssen, ein Elternpaar mit seinem Kinde zu sehen. Eine reine und schöne Liebe sei es gewesen, die jetzt so schändlich und ungerecht vergolten worden sei... Der Pfarrer verschnaufte sich und holte Atem, um fortzu- fahren, aber der Sohn hatte sich erhoben, schüttelte den Kopf und flüsterte:.Hören Sie auf! Hören Sie auf!" Da wurde der Pfarrer so verlegen, daß er sich mitten in seiner Rede setzte, und da ergriff Kristian Fredrik das Wort: .Nein, was hier geschehen ist, ist keineswegs schändlich und ungerecht; es ist vielmehr die gerechte Strafe des Himmels; denn der Herr läßt seiner nicht spotten. Die beiden Menschen, die hier im Sarge liegen, find durch ihr Tun gerichtet. Sie kannten die heilige Schrift und die zehn Gebote Gottes, auch das seckste: du sollst nicht ehebrechen, das heißt: du sollst deinen Nächsten nicht zur Unzucht verleiten... Aber was haben sie anderes getan, als ein Wesen zur Unzucht verleitet? Und sie lebten von seiner Unzucht. Anstatt sich aber vor Scham zu krümmen, freuten sie sich des Geldes, da? einkam... Sie waren den Kupplern in den großen Städten gleich, die die Unschuld junger Mädchen an den Meistbietenden verkaufen. Und ferner könnte man sagen: der Mensch hat seinen freien Willen; selbst Heiden ist daS Gesetz in ihr Herz eingeschrieben; aber ein Tier, ein unwissendes, stummes Tier, das den Unterschied zwischen böse und gut nicht kenn?, um deS schnöden MammonS willen zur Unzucht zu verleiten, ja fast zu zwingen, das ist ein» Sünde, die jedem Christen Grauen einflößen muß., Ich habe an mein« Ellern geschrieben und sie gebeten, inn» zuhalten und umzukehren, bevor es zu spät sei; ich habe sie ge- beten, sich von dem Tier zu trennen, das der lebendige Beweis ihreL täglichen Sünde und Schuld war. Aber sie waren so verworfen! und verstockt, daß sie mir geantwortet haben, das Tier liege ihnen mehr am Herzen als das Heil ihrer Seelen...". Bei diesen Worten berührte Kristian Fredrik daS Leichentuch- Auf seinen Kinnbacken standen rote Flecke. ..... Aber Gott der Herr schlug sie auf ihren Mund und traf sie mitten in ihrer Sünde. Ihr eigenes Tun wandte sich gegen sie. Das Tier rächte Gott . Denn der Herr läßt seiner nicht spotten..." Kristian Fredrik brach schluchzend zusammen und bedeckte sei» Gesicht mit den Händen. Aber die Gäste spürten Mattigkeit in den Kinnladen; sie her« loren den Appetit obwohl Jens Himmelreich braun unh knusprig und der Kohl gargekocht war. Sie erhoben sich vom Tische und gingen bedächfsg und still hin» und gaben Kren und Ann-Sofi die Hand, um sich für Speis und! Trank zu bedanken, während der Pfarr.ee vorsang:«Hallelujat Lob, Preis und Ehr." CkdatiKen David Dumes. L Borbemerkung. Vor 200 Jahren, am 26. April 1711, wurde David Hum« (sprich Juhml zu Edinburgh geboren, einer der großen Befreier der Menschheit von dogmatischem Denken. Das Zeitalter der Aufklärung, die von England über Frankrech nach Deutschland drang, hat in ihm einen mächtigen Führer. Philosoph, National- ökonom. Geschichtsschreiber und zugleich praktischer Staatsmann verkörpert er in seiner Person jene Einheit von Denken und Leben, jene besonnene und sauber« Rechtschaffenheit und Unabhängigkeit der Gesinnung, die ein Vorzug und ein Stolz englischer Kultur ist! Ohne in die letzten Tiefen wissenschaftlicher Erkenntnis ein» zudringen, sucht er redlich die Wahrheit. Er ist ein Philosoph des gesunden Menschenverstandes, nicht in dem platten kleinbürger- lichen Sinne michterner Beschränktheit, wie die ältere deutsche Aufklärung, sondern als ein freier Bürger Englands, das nach der Revolution zum Weltreich emporsteigt. Das bürger- liche England, dessen Manufakturen blühen, dessen Handel den Erdkreis erobert, das von dem Triumphgefühl menschlicher Tätig- keit durchdrungen und gehoben ist, spiegelt sich in Humes Schriften. Der Typus des liberalen Gentleman findet in ihm seine höchst« EntWickelung. Abhold allen Phantastereien verliert er sich in keine nebeb- haften Abstraktionen und Konstruktionen. Er sucht die Wirklich- keit in ihren Zusammenhängen zu ergründen, er durchforscht die Geschichte in ihren empirischen Erscheinungen; und dieNatur" des Menschen, das heißt des gebildeten englischen Bürgers der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist ihm Ausgang allen Philo- sophierens. Er ist immer Psychologe, Menschen- und Seelenbe- obachter, ob er nun Geschichte schreibt, die Elemente der Erkennt- nis prüft, die Grundsätze der Moral entwickelt oder politsche und volkswirtschaftliche Erscheinungen der Nation« lökonmn Hume ist reich an klaren scharfsinnigen und selbständigen Anregungen i in freiheitlichem Geiste deutet. Seine allzu leidenschaftslose Un- befangenheit läßt ihn zu keiner radikalen und revolutionären Stimmung emporwachsen, aber die Tapferkeit seine? Denkens läßt ihn ebensowenig vor radikalen und revolutionären Schlußfolge- rungcn zurückschrecken. Indem er das bunte, ewig wechselnde Getriebe des mensch- lichen Seelenlebens und Handelns in seiner zeitlichen Wirklichkeit als einzigen Quell des Philosophiercns benutzt, wird er fähig, mit allem Aberglauben lächelnd aufzuräumen, verliert er aber zugleich den Begriff der Wissensckaft selbst. Er ist Skeptiker. ES gibt für ihn keine unumstößliche Wissenschaft, sondern alles Wissen löst sich ihm in bloße Wahrscheinlichkeit auf.Unsere Vernunft muß als eine Ursache angesehen werden, deren natürliche Wirkung die Wahrheit ist; zugleich aber müssen wir annehmen, diese Wirkung könne vermöge der Dazwifchenkunft andrer Ursachen und der Uebeständigkeit in der Funktion unserer geistigen Kräfte gelegentlich vereitelt werden. Damit schlägt alles Wissen in bloße Wahrscheinlichkeit um."Es gibt im Grunde gar keine unbedingte Gewißheit. Fast hätte ich gesagt, eS sei unbedingt gewiß, daß eS sich so verhalte. Ich besinne mich aber noch zu rechter Zeit, daß das Ergebnis der eben angestellten Ueberlegung, indem es jeden beliebigen Vernunftschluß auf die Stufe der Wahr- scheinlichkcit herabsinken läßt, auch sich selbst auf diese Stufe herabdrückt, daß er aber, ebenso gut wie jedes Wissen, in bloße Wahrscheinlichkeit umschlägt." Freilich ist dieser Skeptizismus des philosophierenden Denkens, der sich im Grunde selbst auflöst, vereinbar mit seinem Gegenteil in der unmittelbaren Betätigung deS empirischen Menschen:Die Natur nötigt uns mit absoluter und unabwendbarer Notwendigkeit, Urteile zu fällen,«tcnso wi«